Über dem Ende der Ära Merkel steht ein Menetekel: Es ist die von allen Seiten wiederholte Beteuerung, man müsse endlich „zur Sachpolitik zurückkehren“. Das ist fürwahr ein gutes und großes Anliegen – viel größer und dringender, als es sich die meisten derer, die da sprechen, denken können. Denn es betrifft nicht nur Merkel und die Große Koalition. Die gesamte politische Kultur in Deutschland und anderen „fortgeschrittenen“ Staaten hat im Laufe der letzten Jahrzehnte eine Wendung ins Subjektive vollzogen. Sie will nicht Sachprobleme lösen, sondern Stimmungen wie „Vertrauen“, „Zukunftshoffnung“ erzeugen und sucht für Europa nach der „großen Erzählung“. Alle objektiven Gegebenheiten, Errungenschaften und Maßstäbe werden damit entwertet. Die großen „Rettungen“ (Überschuldung, Massenmigration) haben die Verhältnisse unseres mittelgroßen Landes völlig gesprengt; und die betriebenen „Wenden“ (Energiewende, Verkehrswende, Agrar- und Ernährungswende) haben wichtige Technologien stillgelegt, ohne dass schon Ersatz zur Verfügung stand. Sachpolitisch ins Leere gebaut, bewegt sich die Politik nur noch in „Projekten“ und „Gesten“. Die Rückkehr zur Sachpolitik käme also einem Offenbarungseid der bisherigen Politik gleich. Und einer grundlegenden Revision der getroffenen Entscheidungen.
Nichts liegt dem hegemonialen Block in der deutschen Politik ferner als eine solche Revision. Das wird durch eine Sache deutlich, die in diesem hochpolitischen Herbst 2018 wie ein weißer Elefant im Raum steht: die sogenannte „Dieselkrise“. Sie hat mit den unmittelbar bevorstehenden Fahrverboten eine neue Qualität bekommen, aber sie wird nach wie vor als eine Frage geschickten Managements behandelt. Niemand traut sich, die Konsequenzen einmal wirklich zu durchdenken. Bisher wurde in der Öffentlichkeit der Eindruck erweckt, die Krise bestünde in einem Betrug „der Autokonzerne“ und sei von diesen zu beheben. Doch inzwischen zeigte sich, dass die Grenzwerte bei den Stickoxid-Emissionen, deren drastische Senkung die deutsche und europäische Politik zu verantworten hat, zu vertretbaren Kosten gar nicht einzuhalten sind. Es bestehen auch begründete Zweifel, ob die Luftqualität nach einer solchen Maßnahme wirklich die Grenzwerte einhält. Doch jetzt haben Gerichtsurteile den Angriff auf den Dieselmotor zu einem bedingungslosen Angriff gesteigert. Sie besagen, dass „die Rechtslage“ die Politik verpflichte, bei Nichteinhaltung der Grenzwerte auch Fahrverbote auszusprechen. Solche Verbote seien durchaus verhältnismäßig. Folglich sei die Politik nicht berechtigt, das Recht auf einen funktionierenden Großstadtverkehr über das Recht auf eine erhöhte Luftreinheit zu stellen. So hat die Dieselkrise eine Wendung ins Grundsätzliche bekommen, die mit der Ausstiegsentscheidung bei der Kernenergie oder der Grenzöffnung gegenüber der Massenmigration durchaus vergleichbar ist.
Die Dieselkrise ist zur Fahrverbots-Krise geworden
Die Dieselkrise ist zu einer Fahrverbots-Krise geworden. Aber diese Wandlung hat sich fast unbemerkt hinter dem Rücken der Öffentlichkeit vollzogen, weil sie nicht durch eine zentrale Regierungsentscheidung erfolgte, sondern durch verschiedene gerichtliche Einzelentscheidungen, die sich zudem als „Gebote des Rechts“ und nicht als politische Entscheidungen auswiesen. Bis heute ist der fundamentale Angriff, der in der Dieselkrise wirkt und das Automobil als Massenverkehrsmittel betrifft, nicht klar ins Bewusstsein der Öffentlichkeit getreten. Insbesondere ist der verheerende und undemokratische Mechanismus absolut gesetzter Grenzwerte noch nicht erfasst.
Einen Moment lang schien es so, als könnten die Wahlen in Hessen hier für eine Wende sorgen. Als ein Gericht Fahrverbote für Frankfurt in Aussicht stellte, wurde das tatsächlich zu einem Wahlkampfthema. Sogar in der FAZ, die noch tagelang versucht hatte, dass Thema im Wirtschaftsteil zu entsorgen, erschien schließlich am 25. Oktober ein Leitartikel (Jasper von Altenbockum) unter der Überschrift „Diesel-Wahl“. Angesichts des Bürgerzorns – insbesondere in der Metropolregion Rhein-Main – versuchte die Kanzlerin ein hektisches Manöver: Sie stellte eine Gesetzänderung in Aussicht, die die Anwendung der Grenzwerte lockern und damit in Frankfurt nicht zur Anwendung kommen lassen würde. Damit war indirekt anerkannt, dass das Diesel-Problem ein Grenzwert-Problem war. Warum nicht gleich so, fragten sich die Leute. Und die Tageszeitung „Die Welt“ erschien am 23. Oktober mit der Schlagzeile „Merkel zieht Diesel-Joker kurz vor der Wahl in Hessen“. Aber dann stellte sich der Merkel-Vorstoß als Finte heraus: Eine Vermeidung von Fahrverboten war ohne eine wirkliche Änderung der Grenzwerte und ohne einen Ausstieg aus den entsprechenden EU-Verordnungen nicht zu haben. Nur eine größere politische Richtungsentscheidung konnte weiterhelfen. Zu einer solchen Wende war die Politik weder willens noch in der Lage.
Tatsächlich haben die drohenden Fahrverbote zu dem erbärmlichen Wahlergebnis für die Volksparteien in Hessen beigetragen. Dennoch kann man bei nüchterner Betrachtung nicht sagen, dass hier das sachpolitische Anliegen schon so stark geworden ist, dass es eine Richtungsumkehr erzwungen hätte. Schon am Wahlabend war das Thema wieder völlig begraben. Politiker, „Parteienforscher“ und Medienleute ergingen sich wieder in Betrachtungen über das Auf und Ab von Parteien und Personen. Und dann, nach Merkels Teil-Rücktritt, ist die Politik erst recht in den Modus der Selbstbespiegelung zurückgefallen. So kann die Dieselkrise ungestört weiterwuchern. Die Gerichte regieren, und das Jahr 2019 könnte in Deutschland zum Jahr der Fahrverbote werden.
Wenn also wirklich eine Wende „zu den Sachen“ in Deutschland durchgesetzt werden soll, ist die „Dieselkrise“ ein entscheidender Testfall. Auf keinen Fall darf man diese Krise jetzt einfach weiterlaufen lassen. Hier gibt es eine verheerende Verkettung von Zerstörungen, an deren Ende das industrielle Deutschlands in seinem Kern beschädigt sein wird. Auch hier – wie schon in der Migrationskrise – werden wir in einem Land aufwachen, das wir nicht wiedererkennen.
Es läuft auf die Abschaffung des Automobils hinaus
Durch den Angriff auf den Dieselmotor ist eine zerstörerische Dynamik eröffnet worden, an deren Ende das Automobil für die Mehrheit der Menschen als Verkehrsmittel nicht mehr existieren könnte. Es läuft gegenwärtig eine Kettenreaktion ab, in der ein „Sachzwang“ zum nächsten führt. Es ist schon vielfach dargestellt worden, dass die Umrüstungen des Diesels, die jetzt so vehement gefordert werden, erstens sehr teuer und zweitens in ihrem Effekt auf die Luftqualität sehr zweifelhaft sind. Bleibt es bei den von der Politik gesetzten Stickoxid-Grenzwerten, würde viel Geld verbrannt werden. Wer auch immer das zahlt – es wäre eine sinnlose Vernichtung von volkswirtschaftlichen Werten. Zugleich würde ein Umstieg auf den Benzinmotor ausgelöst (er findet schon statt), der ein anderes Umwelt-Reizthema berührt: die CO2-Emissionen. Sie werden für die Klimaveränderungen verantwortlich gemacht und sind beim Benziner höher als beim Diesel.
Der Angriff auf den Diesel treibt also eine zweite Krise hervor. Und hier ist ein zweiter Angriff der Politik schon im Anmarsch. Man beachte die Heimtücke: Am 3.10.2018 (also mitten in der Dieselkrise) hat das EU-Parlament einen Beschluss gefasst, der die Grenzwerte für CO2-Emissionen bei Fahrzeugen weiter verschärfen soll. Während die EU-Kommission den Grenzwert bis 2025 um 15 Prozent und bis 2030 um 30 Prozent senken will, fordern die Abgeordneten des EU-Parlaments eine Verschärfung um 20 Prozent (bis 2025) beziehungsweise 40 Prozent (bis 2030). Die EU-Abgeordneten forderten auch die Einführung einer Verkaufsquote: Die Autohersteller sollen verpflichtet werden, bis 2030 mindestens 35 Prozent Autos mit geringen oder keinem CO2-Ausstoß zu verkaufen. Der Beschluss, der mit 389 Ja-Stimmen, 239 Nein-Stimmen und 41 Enthaltungen verabschiedet wurde, rechnet ausdrücklich „mit potenziell negativen Auswirkungen auf Bürger und Regionen in den Mitgliedstaaten“. Das EU-Parlament dokumentiert damit, dass es wissentlich massive Arbeitsplatzverluste in Kauf nimmt. Und als Lösung für die Betroffenen wird nichts anderes vorgeschlagen als die schon sattsam bekannten „Maßnahmen zur Neuqualifizierung, Weiterqualifizierung und Umschulung“. Das ist, angesichts der industriellen Bedeutung des Automobil-Sektors, blanker Zynismus.
Das alles findet statt, während die gleiche Politik durch andere Grenzwerte (beim Stickoxid) die Leute gerade vom Diesel (der CO2-günstiger ist) zum Umstieg auf Benziner getrieben hat und die „Dieselkrise“ in aller Munde ist. Die Dieselkrise wird also wissentlich und willentlich zu einer allgemeinen Automobilkrise gesteigert.
Eine Fata Morgana namens „E-Mobilität“
Das Szenario ist noch nicht vollständig ohne ein Element: Es wird ein „ganz neuartiges“ Automobil in Aussicht gestellt, das ganz und gar Wunderbares leisten soll. Es soll die Fahrleistungen des Automobils haben, aber ohne jede Belastung der Umwelt – weder Abgase, noch Lärm, noch Ressourcenverbrauch. Kurzum, es soll ein „Automobil“ sein, ohne die Stofflichkeit des Autos anzunehmen. Das Wundergefährt heißt „E-Mobil“. In der Realität existiert dies Gefährt nur in marginalen und obendrein hoch subventionierten Stückzahlen. Das Unternehmen „Tesla“ hat im 1. Halbjahr 2018 knapp 88.000 Fahrzeuge produziert (zum Vergleich: der VW-Konzern verkaufte im gleichen Zeitraum 5,5 Millionen Fahrzeuge). Nach wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Kriterien ist das E-Mobil ein Fake-Produkt. Aber es wird vom Management etlicher Automobilkonzerne und Regierungen als die sichere Zukunft beschworen und ist in den Medien so präsent, als gehörte das Wundertier schon überall zum Straßenalltag. Das alles geschieht, um die Lücke, die die Abschaffung der realen Automobile in unsere Welt reißen würde, durch Psychologie zu füllen. Das E-Mobil ist dazu da, die Menschen daran zu hindern, sich diese Lücke einmal wirklich anzusehen und ihre Konsequenzen zu ermessen.
Und doch wird der Moment kommen, wo sich herausstellt, dass eine tragbare E-Mobilität auf lange Sicht nicht verfügbar sein wird. Dass das E-Mobil also gar nicht als Lösung für ein allgemein zugängliches Verkehrssystems in Frage kommt. Aber wenn diese Stunde der Wahrheit kommt, könnte schon ein Großteil der real bestehenden Automobil-Industrie und Automobil-Mobilität zerstört sein. Dass in Deutschland ein solcher Kahlschlag im Namen einer technologischen Fata Morgana passieren kann, hat sich bei der Energiewende gezeigt.
Das also ist die Dynamik, die mit der „Dieselkrise“ ausgelöst wird. Der Angriff auf den Diesel ist nur der erste Schlag. Da der Benzinmotor bei einer vergleichbaren Steigerung der Grenzwerte ebenfalls nicht haltbar ist und die Alternative E-Mobil weder sozial bezahlbar noch ökologisch verträglich ist, läuft der Schlag gegen den Diesel auf einen Schlag gegen das Automobil selbst hinaus. Am Ende der jetzt ablaufenden Kettenreaktion wird das Auto nur noch als exklusives Gut vorhanden sein. Der motorisierte Individualverkehr wird zum Privileg werden.
Den zweiten Teil dieses Beitrags finden Sie hier den dritten Teil hier.