Peter Grimm / 16.03.2022 / 14:00 / Foto: Mateusz Morawiecki / 103 / Seite ausdrucken

Regierungschefs als Schutzschilde

Der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki, sein Vize Jaroslaw Kaczynski und der slowenische Premier Janez Jansa werden bei ihrer Erwähnung in deutschen Medien normalerweise gern mit dem beliebten Adjektiv „umstritten“ versehen. Tschechiens Ministerpräsident Petr Fiala ist vielleicht noch nicht lange genug im Amt, um sich dieses Adjektiv verdient zu haben oder die Umstrittenheits-Messlatte seines Amtsvorgängers liegt einfach zu hoch. Aber um all dieses Umstrittene in der Amtsführung dieser Herren soll es hier nicht gehen, sondern darum, dass sie in dieser Woche all ihren europäischen Kollegen vorgeführt haben, wie man auch ohne allfällige Textbaustein-Bombardements klare politische Zeichen setzen kann.

Es ist natürlich in der Tat für westliche Politiker kein einfaches Unterfangen, in Putins Krieg in der Ukraine auf der einen Seite eine klare Position zu beziehen, um den Kreml-Herrn in seiner Aggression zu stoppen, ohne eine Eskalation dieses Krieges zum Weltenbrand zu riskieren.

Westeuropäische und vor allem deutsche Politiker griffen in den letzten Jahrzehnten zur Lösung von Problemen fast aller Art vorrangig zu zwei Werkzeugen: zu Geld und guten Worten. Das ist im gegenwärtigen russischen Angriffskrieg erkennbar nicht ausreichend. Auch die inzwischen politisch akzeptierten Waffenlieferungen ins Kriegsgebiet erlösen die bedrängte Regierung in Kiew nicht. Es ist nachvollziehbar, dass sich politische Verantwortungsträger scheuen, eigenes Militär in die Ukraine zu schicken. Aber sie hatten außer Sanktionen vor allem wieder große Worte im Angebot. Die eigene Bevölkerung wurde mit Slogans wie „Frieren für den Frieden“ schon einmal auf heldenhaften Verzicht eingestimmt.

Wenn das keine respektable politische Idee ist

Die drei Ministerpräsidenten mit einem Stellvertreter haben hingegen ein deutliches Zeichen gesetzt. Sie sind in einen Zug in das vom russischen Truppen bedrohte Kiew gestiegen und haben sich zu Gesprächen mit der angegriffenen Regierung getroffen. Man mag die dabei u.a. von Jaroslaw Kaczynski vorbrachten Forderungen nach einem als „Friedensmission“ deklarierten NATO-Einsatz im Kriegsgebiet für falsch und gefährlich halten – die Anwesenheit der Regierungschefs war in jedem Fall wirkungsvoll.

Die vier Herren waren in der Zeit ihres Besuchs auch so etwas wie freiwillige lebendige Schutzschilde. Bei einem Angriff möglicherweise einen europäischen Regierungschef zu treffen, ist für den Machthaber im Kreml ein Risiko, das er wahrscheinlich nicht eingehen möchte. Die vier Staatsbesucher könnten somit allein durch ihre Anwesenheit wenigstens für ein paar Stunden durchaus auch als ein praktischer Beitrag zum Schutz von Kiew verstanden werden. Und es ist einer, der weder provoziert noch als weitere Stufe eines Eskalationsweges verstanden werden kann, obwohl er ein unmissverständliches Zeichen ist. Wenn das keine respektable politische Idee ist.

Richtig wirkungsvoll wäre sie allerdings erst, wenn sie Nachahmer fände. Warum setzen sich nicht weitere Spitzenpolitiker in den Zug nach Kiew und bleiben dort ein paar Tage? Gerade in der deutschen Politik schwört man doch sonst so sehr aufs Zeichen setzen. Sicher, niemand aus einem politischem Spitzenamt kann lange bleiben, aber man könnte sich ja abwechseln. Die Bahnfahrt ist verglichen mit dem eigenen Regierungsflieger auch etwas unkommod, und niemand kann an einem Kriegsschauplatz die Risiken für Leben und Gesundheit völlig ausschließen, doch es wäre in jedem Falle wirkungsvoller, als der eigenen Bevölkerung das „Frieren für den Frieden“ zu empfehlen.

Natürlich ist das alles eine naiv träumerische Vorstellung. Nein, es ist nur fast eine naiv träumerische Vorstellung, denn drei europäische Ministerpräsidenten und ein Stellvertreter haben es gestern getan.

Foto: Mateusz Morawiecki

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Christian Speicher / 16.03.2022

“Man mag die dabei u.a. von Jaroslaw Kaczynski vorbrachten Forderungen nach einem als „Friedensmission“ deklarierten NATO-Einsatz im Kriegsgebiet für falsch und gefährlich halten”; ich mag eine solche Friedensmission nicht für falsch halten, gefährlich sind die Atomwaffen im Besitz von Vladimir Putin ohnehin, ganz gleich wie sich der Westen verhält. Ich will einfach nicht einsehen, dass der Beistand, den wir einem überfallenen Land und den dort lebenden Menschen leisten könnten, eine “Eskalation” darstellen würde. Ist nicht vielmehr jeder Tag dem wir diesem Gewaltverbrechen mehr oder weniger tatenlos zusehen eine unerträgliche Steigerung des bereits eingetretenen Unrechts? Die Drohung mit einer nuklearen Eskalation ist meiner Meinung nach nichts weiter als der plumpe Einschüchterungsversuch eines brutalen, menschenverachtenden aber keinesfalls selbstmörderischen oder “irren” Despoten. Es gereicht uns sehr zur Schande, dass die kalte Dreistigkeit Putin’s bei uns im Westen solch großen Erfolg hat. Feigheit ist so ziemlich die unattraktivste menschliche Schwäche. Sie lässt sich bereits über kurze Dauer nicht mit Freiheit in Einklang bringen.

Arne Ausländer / 16.03.2022

Nochmals zu Yuval N. Harari, er ist mit seinem “Homo Deus” eben weit zentraler für die Great-Reset-Agenda, als den meisten bewußt ist. Ich bin gerade halbwegs durch seine Diskussion mit Rutger Bregman von Februar 2021, und da spricht er sich ohne alles Schwanken für Zero-Covid und 100% Impfung aus. Er ist nicht dumm genug, die massiven Gründe dagegen und die prizipielle Unmöglichkeit eines Erfolgs dieser Strategie zu sehen. Ganz abgesehen davon, daß er das Covid-Pandemie-Narrativ in keinen Punkt in Frage stellt. Dumm ist er nicht, also verfolgt er eine Agenda, und zwar welche, wenn nicht die des WEF?—Überhaupt machten seine historischen und politischen Ausführungen den Eindruck, daß er weniger am Verstehen von Realität interessiert ist als an bestimmten Narrativen. Das eben ist Arbeitsweise derer, die für eine konkrete Agenda stehen. Im Sinne von “Diese Grundsätze dürfen niemals hinterfragt werden” von Wieler, der ja auch vernetzter ist, als viele wissen. Kurz, ich gehe nun, trotz der anderen Sicht von Fr. Johnson, fest davon aus, in Herrn Harari einen Komplizen des Großen Resets zu sehen, und zwar einen seiner Hauptideologen.

C. Wingerber / 16.03.2022

Da geben sich unsere Medien alle Mühe, die Russen als verbrecherische Monster darzustellen, die vor Krankenhäusern, Kindergärten und Theatern nicht halt machen und in der Ukraine alles in Schutt und Asche legen, und jetzt das! Der Ausfall eines Regierungschefs in solchen Krisenzeiten wäre eine Katastrophe für ein Land und ist absolut zu verhindern. Aber hier halten gleich vier derer eine rein symbolische Fahrt mit dem Zug in‘s „gnadenlos und grausam attackierte“ Kiew dann doch für ausreichend sicher. Wie kommt’s? Sitzen unsere Medien den Meldungen der Ukrainer auf, die sie meist ungefiltert und ungeprüft weitergeben, obwohl diese verständlicherweise nicht neutral sind? Trauen die o. g. Regierungschefs den Russen sogar vielleicht ein gewisses Maß an Selbstkontrolle und Rationalität zu? Unmöglich! Weg, ihr bösen Gedanken!

Dietrich Herrmann / 16.03.2022

Die Frage ist: Was hat es außer netten Fofos gebracht?  Ich verbauche auch das als Propaganda des Westens.

Norbert Brausse / 16.03.2022

Warum setzen sich Deutsche nicht mit in den Zug? Weil es Feiglinge sind, von denen wir regiert werden. Nur dort sind sie laut, wo ihnen nichts passieren kann. Und für dieses Land soll man als Soldat sein Leben riskieren?

E Ekat / 16.03.2022

Putin ist krank. Nix da mit eiskalter Berechnung. Er leidet unter dem Stockholm-Syndrom. Sein Ruf ist - da sind wir uns alle einig - ruiniert. Er führt einen Krieg, der sich aufgrund der erfolgenden Aufmunterungen hinzuziehen beginnt, und versorgt dennoch seine westlichen Feinde mit Öl und Gas. Das ist nicht sehr normal. Aber vielleicht sitzen ja doch - nach allem - die Rationalisten hier bei uns im Westen.  Frau Esken fällt mir dazu ein., am Ende einer fast endlosen Reihe friedliebender, planvoller erfolgreicher Visionär *innen unserer tip top- Republik. Übrigens: auch wenn man für die Zwangs-Impfung den Arm hinhält: das Ziel ist der Kopf.   

Hans-Peter Dollhopf / 16.03.2022

Frau Johnson, wenn Sie den Begriff Ideologie praktisch anwenden, sollten Sie angeben, in welcher Interpretation.

Arne Ausländer / 16.03.2022

@ Fr. Johnson: Tja, tue ich und andere nun dem armen Herrn Harari unrecht? Falls er denn tatsächlich Warner, nicht Komplize sein SOLLTE - müßte ihm das nicht relativ egal sein, wenn wir doch zweifellos die von ihm gezeichneten Zukunftsaussichten für Bedrohungen halten, gegen die unbedingt gekämpft werden muß? Seine Warnung hätte also dann ihren Zweck erreicht, nur dem Übermittler geschähe Unrecht? Das sollte es doch wert sein. Wenn… Aber haben Sie sein Buch “Homo Deus” von 2015 gelesen? Ich nicht, nur seinen Vortrag dazu von Anfang 2017 habe ich mir vor gut einem Jahr angehört. Für mich blieb da kein Zweifel, daß er vehement FÜR einen transhumanistischen Evolutionsschub eintritt. Dazu paßt, daß er meines Wissens nirgendwo auf die Gefahren eingeht, die selbst bei besten Absichten unvermeidbar sind: der menschliche Organismus ist ein überkomplexes System, das korrekt widerzuspiegeln eben diesem Menschen wohl faktisch nie möglich sein wird. Aber letztlich müßte man seine Texte Stück für stück betrachten - das sprengt den Rahmen hier bei weitem. Eigentlich reicht doch der Titel “Homo Deus” - Der Gottmensch o.ä. zu übersetzen, damit sehr nah am einst propagierten “gottgleichen Übermenschen”. Nirgends bei Harari sehe ich etwas, wo er sich von einer solchen blasphemischen Zielvorstellung distanziert. Wer sich an allen religiösen elementen stört, mag es Hybris nennen: wahnwitzige Selbstüberschätzung, mit notwendig katastrophalen Folgen.—Vielleicht ist es ein Bild für meine Sicht: Ich fand es - anders als Sie offenbar - seinerzeit in Kanada nicht langweilig, auf der von Indianern besetzten Victoria-Insel mit Sicht auf Capitol Hill, mit Diskussionen, Musik etc, friedlich und lebendig. Von mir aus sollte die Welt so bleiben. Oder so ähnlich. Mit 7 Milliarden Gott-Menschen sehe ich schwarz, aber auch die Reduzierung wäre kaum eine akzeptable Perspektive. -[Und warum nur hat Harari, in Israel geboren und aufgewachsen, einen osteuropäischen statt eines israelischen Akzents?]

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