Olaf Scholz spielte in Peking den Staatsmann, aber er scheint nicht einmal zu verstehen, was die Chinesen sagen, wenn sie ihm liebgewonnene Textbausteine nutzen.
Um welche politischen und wirtschaftlichen Themen beim Treffen von Bundeskanzler Scholz mit dem chinesischen Staats- und Parteiführer Xi Jinping gehen würde war nicht überraschend. Erschreckend war es eher, dass sich deutsche Politiker immer noch an altbekannte Sprechblasen klammern, als wüssten sie nicht, was die chinesischen Herrscher damit meinen. Spüren sie nicht, dass sie mit ihrer naiven Anhänglichkeit an alte Floskeln zwar gern ausgenutzt, aber längst nicht mehr ernst genommen werden?
Politisch ging es bekanntlich zunächst vor allem um den Ukraine-Krieg und eine mögliche Friedenskonferenz. Scholz hofft, dass China auf Russland einwirken wird, um das Land von einem Waffenstillstand zu überzeugen. Dass beide Seiten für Frieden sind, gilt als übliche diplomatische Selbstverständlichkeit und dass man Konflikte am Verhandlungstisch statt mit Waffen lösen wolle, eine Binsenweisheit. Es ist allerdings naiv, von einem Schurkenstaat, der seine Nachbarn bedroht und regelmäßig gegen die Regeln der territorialen Souveränität verstößt (von der Unterdrückung im eigenen Land ganz zu schweigen) zu erwarten, einen anderen Schurkenstaat zur Ordnung zu rufen. Ganz abgesehen davon, dass Russlands Präsident Putin in seiner eigenen alternativen Wahrheit lebt und sich kaum von jemandem etwas vorschreiben lassen wird. Xi könnte höchstens auf Putin einwirken, wenn der Ukraine-Krieg massiv zum Nachteil Chinas wäre. Eher ist das Gegenteil der Fall: China kann Waffen nach Russland exportieren und bekommt dafür billiges Öl und Gas.
Auf dem Gebiet der Wirtschaft kamen sowohl bei Scholtz als auch Xi die üblichen Floskeln zum Einsatz: Kooperation, Erleichterter Zugang zum jeweils anderen Markt, Pragmatismus, gleiches Spielfeld, Globalisierung, Freihandel.
Auch die mit Scholz mitgereisten Firmenchefs wollen mehr Öffnung und mehr Handel mit China und wollen die Investitionen dort sogar noch verstärken. Gerade auf dem Gebiet der Elektroautotechnologie wolle man enger zusammenarbeiten, heißt es. Aber was heißt "Zusammenarbeit"? Soll China einen noch leichteren Zugang zum deutschen Markt bekommen oder zu den restlichen Technologien, bei denen uns China noch nicht überholt hat? Bei der deutschen Autoindustrie ist man entweder naiv, oder plant schon den Umzug der Produktionsstandorte nach China, denn es wäre nicht das erste Mal, das China Kooperation zur Industriespionage benutzt und deutsche Qualitätsprodukte viel billiger nachbaut und damit die europäischen Märkte flutet.
Beide Seiten reden vom Freihandel, meinen damit aber offenbar etwas ganz anderes. China spricht von freiem Handel, folgt aber dem Prinzip des Merkantilismus. China bevorteilt seine eigene Industrie auf vielerlei Weise und will sich gegen mögliche Zölle der EU auf seine Warenschwemme wehren. Xi benutzt Scholz, um eine Anti-China Allianz des Westens zu spalten und Zölle abzuwenden. Deutschland hat im Handel mit China nur einen zeitlich begrenzten Vorteil: Es liefert China die Mittel, um die deutschen Industrieprodukte zu ersetzen.
China geht es nur um China
Deutschland hat noch den Vorteil der Innovation und besseren Qualität. Wie man aus Erfahrung wissen sollte, will China sich diesen aneignen und deutsche Qualität zu chinesischen Preisen in Massen produzieren. Die deutsche Solarindustrie, sofern es sie noch gibt, kann ein Lied davon singen, die deutsche Textil- und Bekleidungsindustrie ist bereits Geschichte. Nur im Auto- und Maschinenbau ist Deutschland noch ganz weit vorne, und deswegen will China hier auch gerne „zusammenarbeiten“.
Scholz sprach auch von der Wichtigkeit der Kooperation mit China für den Klimaschutz und denkt dabei sicher an etwas anderes als Präsident Xi. Dieser nennt die Flutung des Weltmarktes mit billigen E-Autos, Batterien und Solarmodulen „Chinas Beitrag zum Klimaschutz“, während China der größte CO2 Produzent der Welt bleibt und bei der Herstellung dieser Produkte und beim Abbau der benötigten Rohstoffe die Umwelt schädigt.
Bei der Begeisterung über die Kooperation bei der Zukunftstechnologie E-Auto stellt sich zudem die Frage des Datendiebstahls. Chinas Regierung kann im Zweifelsfall von allen Firmen in ihrem Land „im nationalen Interesse“ Daten abfragen und wird diese auch nutzen, etwa um Dissidenten zu identifizieren. Nicht umsonst sind die USA sehr skeptisch bei der Weitergabe von Daten an China und wollen deswegen auch die soziale Medienplattform Tiktok einschränken.
Nur in einer idealen Welt, die vielleicht bei vielen Grünen und SPD‘lern im Gehirn existiert, arbeiten alle zum Wohle der Gemeinschaft zusammen und gibt es keine nationalen Interessen.
Selbstverständlich kann die deutsche Wirtschaft China nicht ignorieren, aber der China-Hype und die einseitige Ausrichtung der deutschen Wirtschaft auf Export nach und Investitionen in China sollte eigentlich durch genug bittere Erfahrungen vorbei sein.
Momentan ist China, was weiter wachsen muss, um keine Unruhe im Land zu riskieren, abhängiger vom Westen als umgekehrt und braucht neue Absatzmärkte, da der heimische Absatz zurückgeht. Andersherum sind die Exportgelegenheiten für Deutschland nach China längst nicht mehr so gut wie noch vor fünf bis zehn Jahren. Chinas Wirtschaft und Einkommen wachsen nicht mehr so schnell, die Bevölkerung schrumpft, der Aufstieg vieler Chinesen von der Unter- in die Mittelschicht ist mittlerweile abgeschlossen und China produziert fast alle Konsumgüter, die die Mittelklasse kauft, selbst.
Besonders aufschlussreich ist ein Satz in der FAZ: „Darüber hinaus werde sich China für deutsche Importe von Äpfeln und Rindfleisch öffnen, sagte Scholz“. Ein Land der ersten Welt exportiert also unverarbeitete Lebensmittel in ein Schwellenland und erhält von diesem im Tausch technologische Konsumgüter. Merkt Scholz etwas? China hat mittlerweile alles, außer genug Essen, und Deutschland ist kaum Weltmarktführer im Apfel- oder Rindfleischexport und hat da auch reichlich Konkurrenz. Sind diese „unfairen Handelsbeziehungen und Abhängigkeiten“, diesmal allerdings zum Nachteil des Westens, nicht ein Dauerthema der linken Globalisierungskritik?
Was wurde aus dem „De-risking“?
Es war Scholz, der wie viele andere während der sogenannten Corona-Pandemie von einer „De-Risking-Strategie“ sprach, als man sah, wie abhängig gerade der Westen von den Lieferketten aus China ist und wie schnell diese wegfallen können. Deshalb empfahlen er und andere eine stückweise Rückverlegung der Produktion nach Europa. Das, was Scholz jetzt sagt, entspricht genau dem Gegenteil.
Spätestens seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine sollte man wissen, wie gefährlich die Abhängigkeit bei wichtigen Rohstoffen oder Gütern von einem, noch dazu totalitären Land ist. Will Deutschland nach Chinas Angriff auf Taiwan plötzlich eine „De-risking Strategie“ anwenden und sich dann zerknirscht eingestehen, wie jetzt bei Russland, das man wohl etwas naiv war (und nicht alle Warnungen, wie etwa vom damaligen Präsidenten Trump, hätte in den Wind schlagen sollen)? Im Vergleich zu einer möglichen Unterbrechung des Handels mit China wegen eines Krieges war der wirtschaftliche Schaden durch die Sanktionen gegen Russland eine Kleinigkeit.
Natürlich kann sich Deutschland nicht von China abkoppeln, aber sein wirtschaftliches Heil dort zu suchen ist trotz der wirtschaftlichen Bedeutung des Riesenreiches kein Sachzwang. Großbritannien vermindert seine Verbindungen mit China konsequent, Italien stieg aus dem Seidenstraßen-Projekt aus. Beiden Ländern hat das nicht weiter geschadet. Auch die USA reduzieren ihre Abhängigkeit von China. Sogar in der Dritten Welt, wo China lange als eine Art Messias galt und die Lösung eines jeden Problems versprach, sind die Regierenden inzwischen zurückhaltender. Der Evergreen „China ist die Zukunft“ klingt mittlerweile etwas abgedroschen. Die USA bleiben allen Untergangsszenarien zum Trotz dynamisch, Japan holt wieder auf, Schwellenländer wie Brasilien und Indien bieten viele Gelegenheiten.
China wird von Kommunismus und Nationalismus beherrscht und nutzt die Globalisierung lediglich als Mittel zum Zweck, die chinesische Dominanz zu vergrößern. Dies erinnert an Großbritannien im 19. Jahrhundert, das unter den schönen Floskeln von „Freihandel“, „Mächtegleichgewicht“ und „Befreiung der Unterdrückten“ die britische Vorherrschaft in der Welt gnadenlos ausbaute.
Ich empfehle Scholz, jeden Abend vor dem Schlafengehen 100-mal zu wiederholen: „China folgt nur seinen eigenen Interessen.“
Sebastian Biehl, Jahrgang 1974, arbeitet als Nachrichtenredakteur für die Achse des Guten und lebt, nach vielen Jahren im Ausland, seit 2019 mit seiner Familie in Berlin.