Thilo Sarrazin / 14.03.2022 / 06:00 / Foto: Achgut.com / 159 / Seite ausdrucken

Putins Ziel: Die Wiederherstellung des Zarenreiches

Es ist immer gut, bei der Einschätzung eines Gegners davon auszugehen, dass er rational handelt – auch dann, wenn man seine Motive missbilligt oder unsinnig findet. Wenn man dies zugrunde legt, kann man umgekehrt auch aus den Handlungen eines Gegners auf seine Ziele oder Motive schließen.

Wendet man dieses Verfahren auf Putin an, so kommt man zu dem eindeutigen Schluss, dass er die ganze Ukraine unter Russlands Oberherrschaft bringen will. Und man kommt weiter zu dem Schluss, dass er dort nicht stehen bleiben wird, wenn er Erfolg hat. Die Moldau, Weißrussland und möglicherweise auch Kasachstan werden folgen. Auch das Baltikum ist gefährdet, schließlich stand es schon lange vor der Krim unter russischer Herrschaft. Die weitgehende geographische Wiederherstellung des Zarenreiches ist offenbar Putins Ziel.

Putin und mit ihm Russland hat die Brücken hinter sich abgebrochen, es kann in historisch absehbaren Zeiten nie mehr ein glaubwürdiger Partner des Westens werden. Nur ein interner Umsturz in Russland könnte die Verhältnisse noch wenden. Er ist aber unwahrscheinlich, dafür ist Putin zu misstrauisch und zu machtbewusst.

Ohne Rücksicht auf Verluste

Im Krieg mit der Ukraine gibt es für ihn nur noch den bedingungslosen Weg nach vorn –ohne Rücksicht auf Verluste an Menschen, Material, Finanzen und Reputation. Niemand weiß, ob die Ukraine militärisch noch zwei, vier oder sechs Wochen durchhält. Der Kampf ist aussichtslos. Irgendwann wird es eine Exilregierung im Westen geben, und vom militärischen Widerstand werden allenfalls Partisanenkämpfe in den ukrainischen Wäldern übrigbleiben.

Der Westen – und vorneweg Deutschland – muss sich fragen, was er falsch gemacht hat. Der Grundfehler lag darin, dass man Wünsche und Hoffnungen auf Russland projizierte, diese aber nicht als Projektion erkannte, sondern im politischen Handeln für bare Münze nahm. So konnte es geschehen, dass die Bundeswehr in ihrem aktuellen Zustand nicht einmal mehr rudimentäre Aufgaben der deutschen Verteidigung wahrnehmen kann, während gleichzeitig 55 Prozent der deutschen Gasversorgung aus Russland kommen. Selbst jetzt, in der höchsten Not der Ukraine, sind die Sanktionen des Westens sorgfältig so gestaltet worden, dass die Energieimporte aus Russland nicht gefährdet und natürlich auch weiter bezahlt werden.

Vor der Zahnlosigkeit solcher Sanktionen muss Russland wahrlich keine Angst haben, und vom vorübergehenden Importstopp für Porsche-Autos und andere Luxusgüter oder von der Beschlagnahme der Yachten seiner Oligarchen muss es sich auch nicht schrecken lassen.

Das Gurren der Friedenstauben 

Die wahre Bewährungsprobe für den Westen kommt, wenn Russland die angestrebte Friedhofsruhe in der Ukraine hergestellt und diese seinem Machtbereich einverleibt hat. Dann wird es nach einer Anstandspause die Friedensfühler nach Deutschland ausstrecken, erneut gute Zusammenarbeit anbieten und die politische Wühlarbeit gegen die eingeleitete Stärkung der NATO und die Aufrüstung der Bundeswehr aufnehmen. Spätestens dann werden sich in Deutschland wieder alle jene Friedensengel zu Wort melden, die seit Jahrzehnten von links bis rechts auf die eine oder andere Weise die russische Sache betrieben haben.

Es ist ja wahr: Wir können Russland aus Europa nicht wegwünschen. Wir können es weder militärisch besiegen noch können wir seine inneren Verhältnisse ändern. Durch den Zugewinn der Ukraine wird es uns näher auf den Pelz gerückt und bedrohlicher als je zuvor in den vergangenen vierzig Jahren sein. Wo die USA in zehn Jahren stehen, und was dann ihre Prioritäten sind, wissen wir dagegen nicht.

Aus heutiger Sicht erweist es sich als schwerer Fehler, dass Deutschland 2008 die Aufnahme der Ukraine in die NATO ablehnte, obwohl die USA ihn unterstützten. Niemals wäre es zur russischen Besetzung der Krim und zum jetzigen Angriff Russlands gekommen.

Die rauschhafte Emotionalität der westlichen Unterstützung für die Ukraine wird nach ihrer endgültigen Niederlage und Einverleibung nach Russland schnell vergehen. Die Mühen der Ebene werden wieder an Gewicht gewinnen, und der russische Energiereichtum wird unaufhörlich locken. Die linken, rechten und liberalen Friedenstauben werden erneut gurren. Man wird sehen, wie es dann um die antirussische Härte von Macron, Johnson, Scholz bzw. ihren politischen Nachfolgern bestellt sein wird. Ich bin nicht optimistisch.

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Gerd Maar / 14.03.2022

Wunschdenken auf Seiten der AfD und Linken nach einer deutsch-russischen Achse die gegen den Westen gerichtet ist; Opportunismus und Naivitaet bei CDU und SPD. So hat sich Deutschland zum Gehilfen Putins gemacht und mal wieder vollkommen ins Abseits gestellt.

Dirk Jungnickel / 14.03.2022

Eine für mich nur noch einzige Hoffnung: In unmittelbarer Umgebung des Hauptkriegsverbrechers findet sich ein Stauffenberg, aber kein eichener Tisch, der das Weltgeschehen negativ beeinflußt. ODER: Warum eigentlich setzt sich der Papst nicht in einen Flieger solange er noch in Kiew landen kann ??? Das dürfte zumindest eine gewisse Wirkung haben

Detlef Rogge / 14.03.2022

Ja, Herr Sarazin, gut beschrieben. Eines ist sicher wahr, Putin-Rußland hat alle Brücken hinter sich abgebrochen, es hat nichts mehr zu verlieren. Das macht es um so gefährlicher. Deshalb kann es bei der Kriegsführung in der Ukraine alsbald alle Hemmungen fallen lassen, Bilder von massakriertem Zivil, die um die Welt gehen, wird man in Kauf nehmen. Ob Agitprop dann noch ausreichen wird, die letzten Pro-Putin-Trottel im Westen bei der Stange zu halten?

Albert Dambeck / 14.03.2022

Ich schlage mal in eine andere Kerbe und gehe sehr weit zurück in die Geschichte. Könnte es nicht sein, dass es sich hier um einen uralten Gegensatz zwischen Ost- und West-Rom handelt, der in anderem Gewand wieder auftaucht? Dieser Graben wurde aber über die Jahrhunderte hinweg nie wirklich beseitigt. Der Zerfall der Sowjetunion wäre der Moment gewesen,  da einzuhaken. Außer Johannes Paul II. hat niemand darauf hingewiesen, schon vor 30 Jahren waren keine Politiker zu finden, die große historische Bezüge herstellen konnten. Von der jetzigen Politiker-Generation brauchen wir nicht zu reden.

Peter Michel / 14.03.2022

@Albert Pflüger, Sie können noch oft den Heinssohn hoch und runter beten, es hilft nicht. Frau Petra Horn und einige andere Leser haben hier bereits dargelegt, um was es eigentlich geht. Es geht um den Zugriff auf Russland und die Russen haben derzeit einen neuen Peter, der dem Westen stand hält. Die Ukraine ist nur von untergeordneten Interesse, Hautaugenmerk ist die Sicherheit Russland. Wenn zukünftig in der Restukraine etwas Anarchie herrscht, kann es Moskau egal sein. Hauptsache der Biden/Obama-Clan hat keinen Zugriff auf die Bodenschätze Ukraine, keine NATO dort. Russland hat genug Zeit gehabt, sich seinen neuesten Projekten in Sachen Währung+Wirtschaft zuwenden zu können. Auch ein großes Reich USA mit seinen Satellitenstaaten findet einmal ein Ende.

Günther Schmidt / 14.03.2022

@Rudolf Dietze, die deutsche Politik interessiert sich doch nicht für Arbeitsplätze in der Mineralölindustrie. Die ist doch schlecht für das Klima. Und das zeichnet sich ja auch schon sehr lange ab. Erst wurden die deutschen Öl-Aktivitäten komplett in westeuropäische Ausland verkauft. Und vor ein paar Jahren wurde schließlich PCK Schwedt komplett von Rosneft übernommen. Schröder war zum Fototermin dort. Das lief genauso wie mit den Gasspeichern und Gasprom. Die ganze deutsche Politik ist auf einem großen Lügengebilde aufgebaut. Die eine Seite stürzt gerade ein. Aber an der anderen Seite wird angebaut, wenn man nun verkündet, Wind und Sonne sollen noch schneller unsere Versorgung retten. Weiter nur Lügen und linksgrüne Phantasien.

Klaus Keller / 14.03.2022

Ich bin gespannt wie es weitergeht. Agenturmeldung: Musk „fordert Putin zum Einzelkampf heraus“ Nach dem Beginn der russischen Operationen stellte Musks Unternehmen SpaceX Corp. sein Satelliten-Internet-Netzwerk Starlink in der Ukraine zur Verfügung… Die russischen Militärs könnten hier ihre Satellitenabwehrsysteme testen ohne die NATO anzugreifen. So schwer kann der Abschuss ja nicht sein.

Peter Bernhardt / 14.03.2022

@Leo Hohensee *******  “Deutschland aus Natosicht eine Spielwiese zum Ausprobieren von Waffensystemen werden kann.”  Immerwährende Deutsche Geschichte: Im Frieden Schachbrett, im Krieg Schlachtfeld!

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