Über etwaige Menschenrechtsverletzungen westlicher Armeen wird stets ausführlich berichtet und gesprochen. So etwa über die Luftangriffe auf die zwei von den Taliban entführten Tanklaster nahe Kundus, die der deutsche Oberst Klein angefordert hatte. Die Bundesanwaltschaft ließ die Ermittlungen mehrere Jahre später fallen, da kein Verstoß gegen das Völkerstrafgesetzbuch vorlag, also kein völkerrechtswidriges Handeln festgestellt werden konnte – das ist weniger bekannt.
Das Massaker von Mỹ Lai, bei dem US-Soldaten 504 vietnamesische Zivilisten töteten, hat sich in unser Gedächtnis eingebrannt. Aber wer redet schon über die 60.000 “unerwünschten” Südvietnamesen, die nach dem Rückzug der USA als Kollaborateure ermordet wurden und die hunderttausend weiteren, die in Arbeitslager gesteckt wurden. Wer spricht über die 1,5 Millionen Boatpeople, die vor dem kommunistischen Regime flohen und allzu häufig ertranken?
Als im Mai letzten Jahres die Hamas zum Sturm auf die israelische Grenze aufrief, mit Sprengladungen, Molotowcocktails und brennenden Lenkdrachen, da beschrieb das ZDF das so: “Tausende Palästinenser protestieren im Gazastreifen an der Grenze zu Israel. Israelische Soldaten eröffnen das Feuer”.
Das Militär von westlichen Rechtsstaaten wird mittlerweile auf eine Stufe gestellt mit faschistoiden, islamistischen, sozialistischen oder sonst wie gearteten Diktaturen. “Frieden schaffen ohne Waffen”, heißt es. Wenn nur wir – der Westen, der eigentliche Aggressor – unsere Waffen niederlegten, dann wird der Weltfrieden folgen. Schließlich kann man Feuer ja nicht mit Feuer bekämpfen.
Doch Prometheus brachte den Menschen nicht Sonnenblumen, sondern Feuer. Die Gründung der Bundesrepublik, eines freien und demokratischen Deutschlands, war wohl kaum möglich ohne die Armeen der USA und Großbritanniens, die in der Normandie gelandet sind.
Viel zu wenig wird sich über die essenzielle Bedeutung von Armeen in den freien Teilen der Welt Gedanken gemacht und über ihre großartigen Leistungen. Und zu diesen Armeen zählen heute nicht mehr nur die amerikanische, die britische oder die französische sondern auch das Militär eines freien und westlichen Deutschlands. Denn Deutschland kann sich nicht aus der Verantwortung stehlen: Es kann nicht sein, dass die US-Amerikaner über 3 Prozent ihres BIPs für Verteidigung ausgeben und davon Europa und speziell Deutschland verteidigen und sich dafür von Deutschland auch noch beschimpfen lassen müssen. Es muss selbstverständlich sein, dass Deutschland seinen Teil – der mit dem NATO-2-Prozent-Ziel auch vertraglich zugesichert wurde – beitragen muss, auch zur Befriedung von Krisenregionen, zur Bekämpfung von internationalem Terrorismus und zum Schutz von Freiheit und Demokratie weltweit. Doch Deutschland gibt gerade einmal 1,2 Prozent seines BIPs für Verteidigung aus.
Warum eine stärkere Armee dringend notwendig ist
Mit dieser desolaten Situation der deutschen Verteidigungspolitik und im Weiteren auch der deutschen Armee und der dem zugrundeliegenden Haltung der Bevölkerung setzen sich die Autoren Josef Kraus und Richard Drexl in ihrem kürzlich erschienenen Buch „Nicht einmal bedingt abwehrbereit“ auseinander. Der Titel ist hierbei eine Anspielunng auf den Titel des Spiegel-Artikels, der damals offenlegte, dass die europäische Verteidigung weitestgehend auf einem Bluff basierte – heute ist uns schon das Bluffen zu anstrengend.
Die Autoren – Josef Kraus war Berater des Verteidigungsministeriums und Richard Drexl ist Oberst a.D. der Luftwaffe – zeigen im Detail auf, wie schlecht die Bundeswehr ausgerüstet und aufgestellt ist und noch interessanter: wie Deutschlands Sicherheit bedroht und warum eine stärkere Armee dringend notwendig ist. Gerade auch, weil derartige Überlegungen in dieser ausführlichen Weise selten sind, ist dieses Buch wichtig.
Effektiv ist Deutschland, wie der Titel schon sagt, nicht verteidigungsbereit. Auch wenn wir die Pannenserien und Schwangerschaftskampfuniformen mal ausklammern: Die Bundeswehr verfügt auch in der Theorie über weniger Kampfflugzeuge als Israel (bei fast zehnmal so großer Bevölkerung) und nur über knapp mehr Soldaten. “Weltweit dröhnen Hammerschläge, aus dem deutschen Resonanzraum ertönt das Geräusch von Stricknadeln”, schreiben Kraus und Drexl.
In einer Welt des ewigen Friedens wäre das alles kein Problem, dann bräuchten wir tatsächlich keine Armee. Und unter einer solchen Prämisse wurde in Deutschland in den letzten 30 Jahren Verteidigungspolitik gemacht. Getreu der These von Francis Fukuyama – das Ende der Geschichte wäre gekommen – wurde die Bundeswehr abgerüstet; die Truppenstärke hat sich seit 1989 halbiert, und zusätzlich wurde die Wehrpflicht abgeschafft.
Doch das Ende der Geschichte folgte nicht, China entwickelte ambitionierte Ziele und will neue Supermacht, der Iran Atommacht werden. Und auch Putins Russland fährt einen neuen Expansionskurs, wie sich in der Ukraine und im Kaukasus gezeigt hat. “Die freiheitliche demokratische Grundordnung ist kein Selbstläufer auf ewig. Die tatsächliche Lage ist inzwischen unsicherer denn je”, schreiben die Autoren.
Überall auf der Welt sind neue Autokraten an der Macht
Wir leben in einer Welt, in der die freien Völker wieder viele Feinde haben. Nur eine starke und einsatzfähige Armee kann unsere Sicherheit und Freiheit garantieren. Und Deutschland als wirtschaftlich zweitstärkstes Land des Westens kann sich hier nicht aus der Verantwortung stehlen.
Demokratien waren immer in einer Bedrohungsituation. Egal, ob es nun die erste Französische Republik (unabhängig ihrer späteren Verbrechen) die jungen Vereinigten Staaten oder der neugegründete Jüdische Staat waren: Sie alle mussten sich militärisch gegen übermächtige Gegner behaupten. Es waren vor allem auch Demokratien, die eine allgemeine Wehrpflicht einführten.
Es ist in der Geschichte nicht die Ausnahme, dass die – immer zum Rest der Welt zahlenmäßig unterlegenen – Demokratien bedroht sind, sondern die Regel. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs gab es einen kurzen Moment, in dem es so schien, als gäbe es tatsächlich kaum noch gefährliche Feinde der westlichen Welt, doch das ist längst vorüber. Überall auf der Welt sind neue Autokraten an der Macht, die gegen den Westen wettern, die ihr Einflussgebiet auch militärisch ausdehnen und damit zunehmend Vorposten der freien Welt bedrohen, etwa Israel, Taiwan oder Südkorea. Gerade der Schutz dieser Nationen muss uns ein Anliegen sein, denn in der Frage, ob wir die kleinsten und bedrohtesten freien Nationen beschützen können, entscheidet sich, ob der Westen als solches in der Lage ist, sich langfristig zu behaupten.
“Deutschland muss im Interesse seiner Partner endlich über die Schatten der Vergangenheit springen”, schreiben die Autoren des Buches. Schließlich entstand das Gräuel des Nationalsozialismus nicht dadurch, dass Deutschland eine Armee hatte, sondern dass eine totalitäre Führung diese zu ihren Zwecken missbrauchen konnte.
Christoff von Marschall sagte es im Tagespiegel so: “Entweder ist es moralisch, die Terrormiliz IS zu bombardieren; dann gilt das auch für die Deutschen. Oder es ist nicht moralisch, für alle.” Ein ewiger Verzicht auf Militär in Deutschland ist abstrus. In der Tat ist die Verteidigungsfähigkeit Europas ohne deutsche Beteiligung eine unverhältnismäßig große Bürde für unsere NATO-Partner. Aber auch an den internationalen Krisenherden muss Deutschland einen angemessenen Beitrag bei EU- oder UN-Missionen leisten, alles andere ist ein Betrug an den anderen Nationen Europas und des Westens. Wenn uns das Verhältnis zu unseren europäischen und westlichen Freunden tatsächlich so wichtig ist, wie es täglich von unseren Politikern erzählt wird, dann müssen wir aufhören, sie derart schamlos auszunutzen.
Wir kämpfen gegen Windmühlen
Statt sich mit den ernsten Bedrohungen in der Welt auseinanderzusetzen und der Realität ins Auge zu blicken, konstruiert Deutschland sich lieber andere Gefahren. Wir bekämpfen mit Milliarden Ausgaben den CO2-Ausstoß, wir bekämpfen die Ungerechtigkeit in der Welt durch unbegrenzte Aufnahme von Migranten, und wir bekämpfen jegliche Unterschiede der Menschen in Geschlecht, Sexualität, Hautfarbe oder Religion.
Man könnte sagen, wir kämpfen gegen Windmühlen – wenn wir nicht für Windmühlen kämpfen würden.
Doch es gibt reale, ernste Bedrohungen. Wenn die Feinde der Freiheit irgendwo auf der Welt ein freies Land unfrei machen können, wenn sie zeigen, dass ihnen die Zukunft und der Demokratie die Vergangenheit gehört, dann wird der Westen auf dem Rückzug sein, der so lange gehen wird, bis nichts mehr von ihm übrig bleibt. Dagegen hilft nur geostrategisches Denken und Handeln. Es gefällt uns nicht, aber es ist notwendig: Deutschland braucht wieder eine einsatzfähige Armee und sollte unbedingt abwehrbereit werden!
In den Fokus unseres politischen Bewusstseins sollten daher diese wirklich wichtigen Themen rücken. Wir sollten uns ernsthaft und ohne Scheuklappen damit beschäftigen, mit welchen weltpolitischen Bedrohungen wir konfrontiert sind, und was wir tun können, um die Sicherheit und Freiheit in unserem Land auch in Zukunft gewährleisten zu können. Denkanstöße und detaillierte Analysen zu dieser wichtigen Frage liefern Josef Kraus und Richard Drexl in ihrer Verteidigungsfibel für den wehrhaften Demokraten.
Nicht einmal bedingt abwehrbereit. Die Bundeswehr zwischen Elitetruppe und Reformruine. Richard Drexl / Josef Kraus