Thilo Schneider / 15.03.2020 / 11:00 / Foto: Timo Raab / 47 / Seite ausdrucken

Neulich bei Bernd: Treffen der Widerständler

Es war bei Bernds Geburtstag letzte Woche. Wir hatten uns mit den Tischnachbarn schon angefreundet, das Menü war toll gewesen und jetzt waren wir gemeinsam dabei, Bernds Weinvorräte zu vernichten, bevor wir doch wegen des Corona-Virus alle sterben müssen. Und wie es so ist, wenn alle schon ein bisschen was im Tee haben, kam das Gespräch irgendwie über Elektroautos, Verkehrsregeln und Griechenland auf Politik. Genau kann ich es auch nicht mehr rekonstruieren, weil ich zwischendurch draußen auf dem Balkon zum Rauchen war.

Als ich wiederkam, erklärte gerade Barbara, dass sie als Widerstandskämpferin bestimmt im Dritten Reich verhaftet worden wäre und Guido, Maschinenbauingenieur und ihr Ehemann, pflichtete ihr bei, weil er auch verhaftet worden wäre. Da wollten Bernd und Susanne nicht nachstehen, die beiden behaupteten, sie wären im Dritten Reich nicht nur verhaftet, sondern sogar hingerichtet worden, mussten sich aber Dietmar geschlagen geben, der Hitler wahrscheinlich erschossen hätte, weil ihm schon 1929 klar gewesen wäre, was da kommt. Dem pflichtete Senta, seine zweite Ex-Ehefrau bei, die ihn dabei unterstützt hätte. Es wäre ja auch ganz einfach gewesen: Man hätte nur bei einer Versammlung eine Pistole ziehen und Hitler die Rübe wegballern müssen, völlig unverständlich, dass da bei 60 Millionen Menschen keiner einen alten Weltkriegsrevolver im Haus hatte.

Ich saß also hier an einem Tisch von Widerstandskämpfern, gegen die die Scholls, Elser und die Leute des 20. Juli blutige Anfänger waren und bemerkte halbtrunken: „So einfach ist das sicher nicht. Ich kann das alles von mir nicht sagen, ich weiß ja nicht, wie ich aufgewachsen und sozialisiert worden wäre, welche Erfahrungen aus dem Ersten Weltkrieg meine Eltern gemacht hätten und so weiter. Ich finde das schwierig, die heutige Sicht auf die damalige Zeit zu übertragen und zu sagen, man hätte so oder so reagiert.“ Die Runde starrte mich schweigend an. Barbara hatte den Mund dabei offen. „Ja, ich finde es ziemlich billig, im Jahr 2020 zu wissen, wie man im Jahr 1930 oder 1940 reagiert hätte. Das war doch eine ganz andere Zeit mit ganz anderen Menschen und ganz anderen Herausforderungen. Ich hätte wahrscheinlich auch nicht Julius Cäsar ermordet“, verteidigte ich mich gegen das entsetzte Schweigen.

„Ich war bei der Stasi“

Und ausgerechnet Heiko, der bisher gar nichts gesagt hatte, sprang mir bei: „Da hat er recht. Es ist schwierig. Ich bin in der DDR groß geworden und ja – ich war bei der Stasi. Ich fand das gut und richtig, mein Land zu verteidigen.“ Acht Augenpaare richteten sich jetzt auf Heiko und ich erwartete fast, dass er jetzt Prügel bezöge oder rausflöge. Als erstes fand Guido die Sprache wieder: „Das kann man ja wohl nicht vergleichen. Die DDR mag ein Unrechtsregime gewesen sein, aber so schlimm wie das Dritte Reich war sie nicht!“ Heiko sah ihn an. „Das ist nicht der Punkt“, erklärte er, „es geht doch um persönliche Verantwortung, und da muss ich zu meiner Schande gestehen, dass ich so richtig mit dabei war. Weil es mir eben auch richtig erschien.“ Barbara schaltete sich ein: „Mag ja sein, aber so schlimm war die Stasi ja nicht. Immerhin habt Ihr keine Leute in Konzentrationslager gebracht und ermordet!“

Heiko schüttelte den Kopf. „Auch das ist nicht der Punkt. Hohenschönhausen war kein Freizeitcamp, da wurden Leute misshandelt, unter Schlafentzug gestellt und so weiter, das Ganze hatte etwas von Folter – oder war es sogar – und ich war daran direkt beteiligt“, erläuterte er, „aber ich war der festen Meinung, dass dies notwendig ist, um mein Land zu verteidigen – und die antifaschistischen Werte, die wir in der DDR ja hatten. Ich bin eben so aufgewachsen. Mit Fahnen und Bildern unserer Führer und den Heldentaten der Roten Armee und den Aufmärschen und der ewigen Hetze gegen die Amerikaner und den Westen. Natürlich war ich da auch an irgendeinem Punkt gehirngewaschen, aber ich hätte mich durchaus auch mit dem System auseinandersetzen können!“

„Hufeisen!“, schrie Bernd dazwischen, „… das kann man gar nicht vergleichen. Hohenschönhausen war vielleicht alles andere als 'schön Hausen', aber es wurden da keine Leute umgebracht!“ „Nein“, erklärte Guido, „umgebracht wurde da niemand. Seelisch gebrochen aber schon. Der eine oder andere hat sich schließlich auch umgebracht. Und dafür trage ich eine Mitverantwortung.“ „Wie Du schon sagst: Du bist eben so aufgewachsen, ich denke nicht, dass man Dir da einen Vorwurf machen kann. Oder höchstens den, dass Du Dir nicht über die Folgen im klaren warst“, tröstete Susanne Heiko. Doch der schüttelte energisch den Kopf: „Doch, ich wusste ziemlich genau, was passiert, ich war sehr gut informiert, ich habe Leute verhört, erpresst, gemeldet, verfolgt, mir ist die ganze Palette meiner Arbeit bewusst und bekannt. Ich kann mich da nicht ´rausreden!“

Ich bin dann auch gegangen

Und da explodierte dann plötzlich Dietmar, der Widerstandskämpfer, der eigentlich tot sein müsste: „Ich dulde es nicht, dass hier über die DDR so geredet wird, als sei sie das faschistische Deutschland gewesen. In der DDR mag nicht alles gut gewesen sein, aber das war es in der alten Bundesrepublik auch nicht. Sicher war die Stasi kein Gesangsverein, aber es war auch nicht die Gestapo oder die SS. Wenn Du…“, er deutete dabei auf den sichtlich angespannten Heiko, „… wenn Du also hier sitzt und Dir vor die Brust klopfst, dann ist das nur Wasser auf die Mühlen aller Rechtspopulisten und deren Hetze gegen die demokratische Gesellschaft. Man muss die DDR im Kontext des Kalten Krieges betrachten, Du hattest doch letztlich überhaupt keine Wahl …“

„Doch, hätte ich vielleicht schon gehabt …“, rief Heiko dazwischen, aber Dietmar machte eine wegwischende Handbewegung, „quatsch mir nicht dazwischen, Heiko. Die Frage stellt sich nicht mehr, Vergangenheit ist Vergangenheit und Du bist ein feiner Kerl und an irgendeinem Punkt Opfer der Umstände. Du gerierst Dich hier als Mittäter …“, „der ich war …“, rief Heiko abermals dazwischen, „nein, Du hast nur Deine Pflicht gegenüber Deinem Staat erfüllt, das hätte jeder hier am Tisch gemacht, also tu jetzt nicht so, als wäre die Stasi das abgrundtief Böse gewesen. Das kann man überhaupt nicht vergleichen! Und jetzt will ich kein Wort mehr darüber hören, sonst gehe ich!“

Ich traute mich dann nichts mehr zu sagen, denn exakt diese Argumentation kannte ich schon von den Nazi-Schergen und ihren Verteidigern, von Nürnberg bis Tel Aviv, aber als soziales Wesen war ich zu feige, dem Dietmar, dem Hitler-Mörder, das vorzutragen. Ich bin dann auch gegangen, weil ich die ganze Gesellschaft ziemlich schräg fand. Und reuiger „feiner Kerl“ hin oder her: Mit Ex-Stasi-Bütteln will ich ebenso wenig wie mit Rechtsextremen zu tun haben, ich war als Wessi seinerzeit schon mit den arroganten Grenzkontrollen in Ost-Berlin restlos bedient.

Aber so kam es, dass Heiko, der Stasi-Denunziant, der seine Mitbürger bewusst ins Gefängnis und ans Messer des Staatssicherheitsdienstes der Deutschen Demokratischen Republik geliefert hat, vollumfänglich durch die Merkelsche Gesellschaft rehabilitiert wurde. Denn immerhin war die DDR ja nicht so schlimm wie das Dritte Reich. Da muss man schon differenzieren. Und vergeben können …

(Weitere Befehlsnotstände des Autors unter www.politticker.de)

Foto: Timo Raab

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Dr.H.Böttger / 15.03.2020

Chapeau,. Herr Schneider. Einfach genial.

armin_ulrich / 15.03.2020

Tja - wie ging die Runde weiter ... wurden die Weinvorräte noch vernichtet? Kam Anetta-Viktoria doch noch vorbei, um an diesem Abend aus der gesellschaftlichen Isolation auszubrechen? Waren Bernds letzte Flaschen von der Sorte “Führerwein”, so daß die Attentäter*Innen schon mal üben könnten? Leider hat Thilo die Party zu früh verlassen - man/frau/div soll immer erst dann gehen, wenn es am schönsten ist.

armin_ulrich / 15.03.2020

Ich wäre in der Schlacht im Teutoburger Wald dabeigewesen, wenn ich damals gelebt hätte.

Karla Kuhn / 15.03.2020

“.... als mit denjenigen, die bei SED und Stasi mitgelaufen sind: ” SEHR gut Herr Lichti, daß Sie mir damit sagen, daß meine PEINIGER bei der STASI anscheinend harmloser waren als die ANTIFA ” Die SOGENANNTEN “Mitläufer” waren oft kaltblütige Denunziantenlumpen, die Menschenleben vernichtet haben, teilweise bis hin zum Tod oder Suizid !!  Und wegen so einem “MITLÄUFER” der Nazis, die Sie auch verstehen können, mußte mein jüdischer Stiefgroßvater sterben.  Für meine Eltern war es selbstverständlich daß sie gefährdete Menschen im Dritten Reich zusammen mit Freunden versteckt haben und weder mir noch meiner Familie ist im Unrechtsstaaat DDR auch nur einmal der Gedanke gekommen dieses Verbrechersystem zu unterstützen oder auch nur MITLÄUFER zu werden ! Die “sogenannten” Mitläufer der STASI, auch wenn viele davon nicht die hellsten Kerzen auf der Torte waren, wußten GENAU für WAS für ein verbrecherisches System sie arbeiten und daß sie davon PERSONLICH profitieren, finanziell und berufsmäßig !! Es gibt eine Auflistung davon,  was so ein STASI in Dresden monatlich zusätzlich verdient hat !!  Solche Lumpen gab es zu allen Zeiten und wird es immer geben, nur hier auf der Achse sollten solche Typen nicht relativiert werden !

Dietmar Blum / 15.03.2020

Diese Maulhelden sind doch heute nicht einmal in der Lage, sich die Lebensumstände in den 30ern überhaupt vorzustellen, geschweige denn, so zu leben. Kaum Wohnungen mit Toilette, noch weniger mit Bad. Kein Telefon, keine elektrischen Geräte. Nein, sie wären NIE einem Heilsbringer auf den Leim gegangen, tönen sie heute. Ja verdammt, warum laufen sie denn den Grünen hinterher? Weil sie zu dämlich sind, zu kapieren, dass sich an der Methode der Volksverführung rein nichts geändert hat, außer der “Farbe”. Nur Strunzdumme erkennen dies nicht.

Arnd Siewert / 15.03.2020

Lieber Herr Scneider, ihre FDP hat in Thüringen voll “verkakt” und sie reden von Widerstand? Gehts noch flacher….

sybille eden / 15.03.2020

Herr Lindner, ich würde vorsichtig sein mit der Beurteilung, Herr Schickelgruber wäre nicht intelligent gewesen !  Das Gegenteil war der Fall, man darf sich da nicht von seiner öffentlichen Inszenierung täuschen lassen !

Rolf Mainz / 15.03.2020

Mitläufer sind Mitläufer, ob heute oder im Dritten Reich. Insbesondere unter jenen, welche heutzutage, wohlbehütet im Merkelschen/rot-grünen Dunstkreis, mit dem Strom schwimmen, wären im Dritten Reich die strammsten Verfechter der NS-Politik zu finden gewesen. Geborene Claqueure und Trittbrettfahrer. “Widerstand leisten”? Dazu sind solche rückgratlosen Charaktere nur am Salontisch fähig, wie die heutige politische Landschaft Deutschlands bestens beweist.

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Thilo Schneider / 30.01.2024 / 16:00 / 20

Jahrestag: Die Schlacht von Stalingrad geht zu Ende

Heute vor 81 Jahren ernannte Hitler General Paulus, der mit seiner 6. Armee in Stalingrad dem Ende entgegensah, zum Generalfeldmarschall. Denn deutsche Generalfeldmarschälle ergaben sich…/ mehr

Thilo Schneider / 26.01.2024 / 16:00 / 20

Anleitung zum Systemwechsel

Ein echter demokratischer Systemwechsel müsste her. Aber wie könnte der aussehen? Bei den Ampel-Parteien herrscht mittlerweile echte Panik angesichts der Umfragewerte der AfD. Sollte diese…/ mehr

Thilo Schneider / 18.01.2024 / 16:00 / 25

Neuer Pass für einen schon länger hier Lebenden

Ich will einen neuen Reisepass beantragen. Doch um ihn zu bekommen, soll ich den abgelaufenen mitbringen, ebenso meine Heiratsurkunde und Geburtsurkunde. Warum muss ich mich…/ mehr

Thilo Schneider / 16.01.2024 / 15:00 / 73

Zastrow-FDP-Austritt: „Ich will den Leuten noch in die Augen schauen können“

Holger Zastrow, Ex-Bundesvize der FDP, kündigt. In seiner Austrittserklärung schreibt er: „Als jemand, der in der Öffentlichkeit steht und durch seinen Beruf mit sehr vielen…/ mehr

Thilo Schneider / 11.01.2024 / 14:00 / 64

Was würden Neuwahlen bringen?

Kein Zweifel, die Ampel hat fertig. „Neuwahlen!“ schallt es durchs Land, aber was würden die angesichts der aktuellen Umfrageergebnisse bringen, so lange die „Brandmauer“ steht…/ mehr

Thilo Schneider / 10.01.2024 / 14:00 / 35

Das rot-grüne Herz ist verletzt

Die Leute begehren auf, vorneweg die Bauern. Es wird viel geweint. In Berlin, Hamburg, München und Stuttgart. Aus Angst. Aus Angst, von den Futtertrögen des…/ mehr

Thilo Schneider / 24.12.2023 / 12:00 / 25

Meine Agnostiker-Weihnacht

Herrgottnochmal, ich feiere tatsächlich Weihnachten. Wenn es doch aber für mich als Agnostiker eigentlich „nichts zu feiern gibt“ – warum feiere ich dann? Die Geschichte…/ mehr

Thilo Schneider / 02.12.2023 / 12:00 / 15

Jahrestag: High Noon bei Austerlitz

In der auch „Drei-Kaiser-Schlacht“ genannten Schlacht in Mähren besiegt Napoleon Bonaparte am 2. Dezember 1805, genau ein Jahr nach seiner Kaiserkrönung, eine Allianz aus österreichischen…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com