Ach, mir ist da noch was eingefallen. Mit dem Ex-Stasimitarbeiter sollten Sie nicht allzu hart ins Gericht gehen, finde ich. Es erfordert viel Mut, sich in größerer Runde derart zu outen. Selbst, wenn man nicht mehr ganz nüchtern ist. Er scheint ja durchaus zu bereuen. Und er hat wiedersprochen, als die Anderen sein Tun verharmlosen wollten. Das zeugt doch von einem gewissen Charakter. Er hätte ja auch einfach schweigen oder mit faulen Ausreden kommen können. Unser Rechtssystem beruht eher auf dem Prinzip der Resozialisierung denn auf Schuld und Sühne. Das finde ich auch gut so. Was nicht heißen soll, dass man Leute für ihre Untaten nicht zur Verantwortung ziehen soll. Die meisten Stasiverbrecher wurden gar nicht oder nur sehr milde bestraft. Für die Opfer ist das sehr bitter. Aber es gibt auch Ex-Stasimitarbeiter, die heute noch ein völlig reines Gewissen haben. Da ist mir ein reuiger Sünder doch 100mal sympatischer.
Offenbar erleben viele von uns ähnliche Gespräche oder Bemerkungen. Erstaunlich, daß so viele Menschen nicht in der Lage sind zu erkennen, daß die jeweilige Ausgangslage in anderen Zeiten eine andere sein muß. Sehr häufig begreifen manche nicht, daß sie heute vielleicht nur deshalb in der Lage sind die Dinge auf eine bestimmte Art und Weise zu sehen und sie heute wissen was sie wissen, eben weil passiert ist, was passiert ist und nun einige Jahrzehnte oder Jahrhunderte Erkenntnisgewinn und Mentalitätsänderungen dazwischen liegen. So scheinen viele bei solchen Gedankenspielen davon auszugehen, sie wären eine Art Thomas Mann, Sophie Scholl oder der Kurfürst von Brandenburg (wenn man weiter zurück gänge) gewesen. Das ist aber nur eine Seite und nicht sehr wahrscheinlich (Schließlich gab es immer nur einen Kurfürsten von Brandenburg). Man könnte sich ja auch mal als Kind eines kriegsversehrten Arbeiters im Saarland des Jahres 1920 vorstellen. Das fördert vielleicht etwas andere Gedanken zu Tage. Weit verbreitet scheint auch der Fehler zu sein, insbesondere unter Journalisten, die sich historischen Themen widmen, die Geschichte rückwärts zu denken und ggfs. zu “analysieren”. Auf diese Weise kommt man der Wahrheit der Ereignisse und der Befindlichkeit der Menschen, die diese Ereignisse auslösten (ein nicht zu unterschätzender Faktor - beispielhaft sein hier ein persönlicher Schicksalsschlag bei einer Person, die gerade eine politische oder militärische Krise lösen muß, genannt, aber auch die “normalen” Lebensumstände einer Vielzahl von Menschen muß berücksichtigt werden) nicht nahe. Vielmehr ist die Gefahr von falschen Schlüssen sehr groß (“es mußte so kommen, weil…”). Das Spekulieren darüber, wie man sich in der Vergangenheit unter bestimmten Umständen verhalten hätte ist eben genau das - eine Spekulation. Und da man nie herausfinden kann ob es so gewesen wäre, halte ich hier immer Demut angebracht. Es fördert das Verständnis für menschliches Verhalten.
In der Schule gab es auch immer mal wieder ein paar Großmäuler, die vollmundig behaupteten, sie hätten im 3. Reich auf gar keinen Fall mitgemacht, sie hätten sich aufgelehnt. Schon damals kam mir der Gedanke, dass vermutlich gerade diese Leute besonders begeistert den Arm hochgerissen hätten. Ob man Mitläufer ist oder nicht, ist eher eine Frage des Charakters, weniger des vorherrschenden Systems. Manchen Leuten liegt kritisches Denken einfach generell nicht so. Sie schwimmen fast immer mit dem Strom. Manchmal, weil es ihren Überzeugungen tatsächlich entgegenkommt, manchmal aber auch weil sie den Konflikt scheuen und sich deswegen lieber anpassen. Mir persönlich ist diese Denke völlig fremd. Man sollte zu seiner Meinung stehen. Aber der Preis kann tatsächlich hoch sein. Den will nicht jeder zahlen. Aber auch wenn man selbst keinen Streit haben möchte, so kann man wenigstens versuchen mutigere Menschen moralisch oder finanziell zu unterstützen und sich nicht bei den Mitläufern und Aggressoren anbiedern. Das ist das Mindeste was jeder relativ gefahrlos tun kann.
Gut moeglich, dass diese Runde die Verhältnisse in dieser Gesellschaft abbildet, was nichts Anderes bedeuter als Widerspiegeln der geistug/psychischen Verfassung der Mehrheit, denn die war nicht nur in dieser Runde eindeutig. Das vorzeitige Verlassen der Runde und das zukünftige Fernbleiben wegen erwiesener Aussichtslosigkeit einer Teilnahme oder drohender Körperverletzung ist die einzig vernünftige Reaktion zur eigenen Gesunderhaltung. Die (soziale) Quintessenz ist klar und wurde von Lisson in seinem “homo absolutus” auch gut beschrieben. Sie ist alternativlos, auch wenn sie inzwischen alle! Bereiche bis hin zum Profifußball umfasst, bei dem sich politisch unsäglich dumme Typen wie Hoeneß im TV anlässlich Corona euphorisch ueber deutsche Politiker und negativ zu Trump und Johnson aeussern duerfen. Es bleibt offenbar nur noch die selbstgewaehlte (soziale und mediale) Enthaltung, um “gesund” zu bleiben.
@ R. Lindner Auch in diesem kleinen Punkt, glänzt das Halbwissen. Hitler war ein Sexsymbol seiner Zeit, viele Frauen vergötterten ihn, ja und gewählt haben sie ihn auch. Kann man wissen. Sollte man, wenn man so schlaumeiert. Wenn Merkel attraktiv wäre? Dann wär sie halt mehr in der Bunten. Ich kann nicht sehen, wieso “Schönheit” Merkel verhindert hätte. Außerdem ist Merkel ja “politisch schön”.
Herr Schneider, was kennen sie für Leute. Der Urgroßvater meines Sohnes hat immer gesagt “Verdrechen und die Treppe runterwerfen”. (1936 Wehrdienst für 2 Jahre, wegen Sudetenkrise 1938 keine Entlassung. 1939 Polen, Frankreich, Balkan, Ostfront, zwischendurch Kriegsschule, 1945 Gefangschaft in Russland bis 1949. Er mußte 13 Jahre für ein Scheißsystem opfern und er hatte dabei noch Glück. Auf den Klassentreffen war er der einzige Kriegsüberlebende von den Jungen.)
Ja, ja, diese die Widerstandskämpfer. Sehr schön beschrieben. Das größte Problem in D. : Alle haben viel Meinung und wenig Ahnung. Besonders von Geschichte. Also bestimmt die Haltung, was historisch richtig ist. Kleiner Tipp falls sie noch mal eingeladen werden, werter @ T. Schneider. 1. Erklären sie dem Widerstand doch mal, dass die DDR nationalSOZIALISTISCH war. National? Nationaler als diese Grenze geht ja kaum. Auch ins “befreundete sozialistische Ausland” durfte ja nicht jeder. Sozialistisch? ist ja wohl keine Frage. Die SED ist damit Nachfolgepartei der NSDAP. 2. Rechts/Links: Goebbels: “Der Idee der NSDAP entsprechend sind wir die deutsche Linke.” SED! 3. Oder wenn Sie richtig steil gehen wollen: Hätte Deutschland nach Versailles seinen eigenen Untergang so brav betrieben wie zur Zeit, hätte es den zweiten Weltkrieg nie gegeben. 4. Sie wollen ein Fass aufmachen? Nürnberger Prozesse. Haben wir ja im Kino gesehen. “Faires Verfahren oder Siegerjustiz? ... Die Einwände gegen den Nürnberger Prozess fasst Ahlbrecht dabei folgendermaßen zusammen: 1. Ein Teil der Gesetze sei auf den Sachverhalt zugeschnitten und schaffe rückwirkende Tatbestände, die zudem unzureichend bestimmt seien. 2. Die Urheber der Gesetze würden teilweise auch als Richter und Anklagevertreter an dem Verfahren mitwirken. 3. Die Angeklagten kämen ausschließlich aus den Reihen der Besiegten, während von den Siegern niemand, der sich ähnlicher Verletzungen des Kriegsrechtes schuldig gemacht hat, angeklagt worden sei. 4. Die Angeklagten seien willkürlich von jenen ausgewählt worden, die auch über sie zu Gericht sitzen. 5. Allein die Siegermächte hätten die Richter des Tribunals gestellt, was auf eine Siegerjustiz hindeute.” Aus: George Andoor, Das Nürnberger Tribunal vor 70 Jahren. PS.: Jeden Nazis, den die Amerikaner brauchen konnten, haben sie schon mitgenommen. Bekanntestes Beispiel: Werner v. Braun. (Keine Namenswitze, aber der ist schon gut.)
Widerstandskämpfer? Haha, das wären Menschen die sich gegen die Mächtigen, insbesondere Allmächtigen, wenden und nicht einfach nur die, die gegen Nazis sind. Das mag ja zufällig mal zusammentreffen. Menschen, die mit den Wölfen heulen, gab es damals wie heute zu Millionen. Sieht man ja allenthalben. Von denen ist kein Widerstand zu erwarten, egal wie der Wind weht.
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