Jesko Matthes / 24.04.2021 / 12:00 / Foto: Olaf Kosinsky / 46 / Seite ausdrucken

Monika Grütters: Empathy for the Devil?

Als Herbert Grönemeyer, der Reiche, die Solidarität der Reichen mit notleidenden Künstlern in der Corona-Krise einforderte, erhielt er Zuspruch. Als Der Wendler sich reichlich polemisch gegen die Corona-Maßnahmen der Bundesregierung äußerte, flog er bei RTL raus. Als Nena sich mit Querdenkern solidarisierte und sogar der längst geächtete Xavier Naidoo sich einschaltete, war es eine seltsam kurze Zeilenmeldung. Aha! Die Reaktionen auf solche Äußerungen richten sich also nach der Popularität. Wer sie lange genug genießt, der darf; wer nicht, der ist mindestens „umstritten“ oder wird ausgestoßen. Kein Wunder, dass der gesamte Mainstream aufheult, weil sich nun auch Künstlerinnen und Künstler gegen die Corona-Zwangsmaßnahmen der Bundesregierung zu Wort gemeldet haben, die seit Jahren – viele seit Jahrzehnten – im Mainstream von Fernsehen und Neuen Medien etabliert sind und hoch geachtet. 

Und prompt meldet sich laut RTL auch die Kulturstaatsministerin Monika Grütters, Spitzenkandidatin der Berliner CDU, zu Wort:

Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) hätte sich „deutlich mehr Empathie für die Menschen gewünscht, die vom Coronavirus betroffen sind oder im Gesundheitssystem harte Arbeit leisten". Es gehe in dieser Naturkatastrophe um die Rettung von Menschenleben, „das dürfen wir nie vergessen". 

So billig lasse zumindest ich die Dame nicht davonkommen: Wie hatte die Kulturstaatsministerin noch im November 2020 auf die genannte Initiative Herbert Grönemeyers reagiert? – So: In einem ARD-Interview nannte sie die Idee „ganz großartig". Grütters freue sich, wenn ein berühmter Künstler wie Herbert Grönemeyer eine solche Initiative starte und sich selber beispielhaft äußere. Das sei ein Beweis für den Zusammenhalt innerhalb der Kulturszene. 

Was also hat Frau Grütters seit November beispielhaft zur Unterstützung der Kulturszene und ihres Zusammenhalts getan, dass sie jetzt deren Kritik am totalen Lockdown der Kultur mit scheinheiligen, pseudomoralischen Invektiven beantwortet? Welche Empathie hat sie für Künstlerinnen und Künstler gezeigt, denen die Existenzgrundlage genommen wird? Hat Grütters so wenig Gespür und Empathie für Zusammenhalt unter Künstlern, dass sie unfähig geworden ist, wahrzunehmen, wie Künstler, deren Existenzen gerade nicht bedroht sind, weil sie von Fernsehen, Film, Neuen Medien und Musikproduktion reichlich beschäftigt sind, sich mit ihren Not leidenden Kolleginnen und Kollegen solidarisieren, im Sinne des Zusammenhalts? – Frau Grütters unterstützt Künstlerinnen und Künstler mit dem Mund. Und wenn es sie nichts kostet, noch nicht einmal Gedanken oder gar Arbeit, siehe den Fall Grönemeyer.

Vielleicht sollten die beiden, Grütters und Spahn, die Ämter tauschen

Doch weiter – und schlimmer: Wann hat Frau Grütters Menschen, die vom Coronavirus betroffen sind oder im Gesundheitswesen harte Arbeit leisten, besucht, sich von den Zuständen auf den personell unterbesetzten Isolier- und Intensivstationen überzeugt, die angespannte Finanzlage der Kliniken auch nur wenigstens erwähnt, wann sich ein Bild von den Überstunden auch in den Arztpraxen, wann von der mangelhaften Organisation der deutschen Impfkampagne gemacht? Wie also hat Frau Grütters Empathie für die Menschen gezeigt, die sie jetzt mit verbal erhobenem Zeigefinger gegen die Künstlerinnen und Künstler ins Feld führt, für die sie selbst verantwortlich ist?

Fast schon eine Lanze brechen und „Empathie zeigen" möchte ich für den Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), der wenigstens auf die Künstlerinnen und Künstler zugehen will: Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) machte den Initiatoren ein Dialogangebot. – Dennoch: Verkehrte Welt! Vielleicht sollten die beiden, Grütters und Spahn, die Ämter tauschen, denn sie bekümmert sich vollmundig um Kranke und Kliniken, und er will sich nun um die Künste bemühen. Ich weiß nicht, was das werden soll: Beide haben ihre Jobs nicht so toll gemacht, dass dieser seltsame Rollentausch ihnen sonderlich gut stünde. Wenigstens Spahn hat allerdings noch so viel Anstand im Leib, nicht mit erhobenen Zeigefinger inhalts- und maßlose gesinnungsethische Vorverurteilungen auszusprechen. Allein das ist ihm hoch anzurechnen, auch im Sinne des demokratischen Diskurses, den Frau Grütters frontal angreift.

Es wird höchste Zeit, dass dieses Land solche unmöglichen, weil verantwortungslosen, antidemokratischen und in allem Scheitern an den eigenen Ansprüchen unverschämten Politikerinnen und Politiker endlich los wird, und ich sehne mich im Frühling schon nach dem Herbst... Frau Grütters wünsche ich für ihre Spitzenkandidatur in Berlin von Herzen – Verzeihung: mit Empathie – den dementsprechenden Erfolg.

Am Ende daher noch ein bisschen Kulturhuh, huh.

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Leserpost

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Andreas Rochow / 24.04.2021

Es wird deswegen immer schlimmer, weil wir uns Führerfiguren leisten, die in der Weltpolitik ganz vorne dabei sein wollen. Dem kleinen Heiko und der Physikerin sind EU-ropa längst zu klein geworden. Die Neue Weltordnung verlangt beherztes Versenken alter Werte, alter Gesetze, der alten Verfassung. In dieser Stunde Zeit und Geld zu aufzuwenden, um sublime Schenkelklopferkunst zu produzieren, ist wie Bordkapelle auf der sinkenden Titanic. Haben denn schon alle auftragsgemäß den Verstand verloren?

G. Böhm / 24.04.2021

Zum Ende (Link): Lucifer der Neuzeit ist weiblich, also LUCIFA - woohoo! [M. m. wg!] PS: Kultur, was für ein erbärmliches und gestriges Wort. Wie man seit längerer Zeit weiß, hat D-Land gar keine eigene Kultur, na ja, vielleicht mit Ausnahme der Görlitzer-Park-Szene. Daß man für diese extra eine Staatssekretärin braucht, ist schon erstaunlich.

Frances Johnson / 24.04.2021

Große Klasse, Herr Laschet. Mit Laschet zurück zur Meinungsfreiheit? Weg vom Hauen und Stechen? Höchste Zeit. Aber hier hatte ja nie jemand Augen für Laschets Humanität, die ganz offensichtlich war und ist im Vergleich zu Zügel-Söder.

N.Hodgson / 24.04.2021

Wie bitte? Dem Spahn das Dialogangebot hoch anrechnen? Die Dompteurin im Kanzleramt hat auch Gespräche angeboten. Das ich nicht lache. Im Sinne des demokratischen Diskurses? Wenn wir den in den letzten 12 Monaten gehabt hätten, wären wir nicht da wo wir jetzt sind.

Dieter Kief / 24.04.2021

Der Erfolg von Frau Grütters wird sich schon wieder einstellen, ob uns das passt oder nicht. Ich sehe kein bisschen, ehrlich geagt, wie sich die wahlausssichten von Frau Grütters auch nur im geringsten vermindert hätte durch ihre - zugegeben: unsinnigen - Bemerkungen über die CO-19-Satire-Spots. Die Republik tickt so einfach nicht. Auch im Oktober nicht. Hunderprozentig.

Emmanuel Precht / 24.04.2021

An Frau Grütters: Ich hatte Covid-19, ich habs ohne Inanspruchnahme von dokternden Doktoren überlebt und ich finde die Aktion der Liefers-Truppe hervorragend. So wie mir geht es anderen, mit denen ich gesprochen habe. Wohlan…

Andreas Rochow / 24.04.2021

“Dialogangebot?” für privilegierte Künstler, die sich selbst den Klartext verboten haben, einfach zu feige dazu sind und sich hinter satirischer, zynischer, sarkastischer Fassade verstecken? Leben wir etwa schon in einer Diktatur? Mir jedenfalls macht der Auftritt von J.J.Liefers und Co. nicht Mut, er ängstigt mich!

Helmut Frenzel / 24.04.2021

Wer hätte das gedacht, Biermannaffäre in der BRD.

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