Thilo Schneider / 15.09.2019 / 06:25 / Foto: Ryan Lintelman / 49 / Seite ausdrucken

Mitten in der Fleischhölle

Manchmal überkommt einen das ja. Du läufst so deines Wegs und plötzlich steigt dir der unwiderstehliche Duft von Fleischzubereitungen, egal, ob gekocht, gebraten, gebacken, frittiert oder filetiert, in die Nase. Und du bekommst Blitzhunger. So ging es mir jedenfalls, als ich letzthin durch unsere im Stil der 70er Jahre zu Tode gesteinigte Fußgängerzone gelaufen bin. Die Quelle des Geruchs war auch schnell lokalisiert, also bin ich voller Vorfreude, wie einst die Wehrmacht in Polen, in die Metzgerei einmarschiert.

Vor mir türmten sich wunderbare Fleischberge aus Rind, Schwein, Pute, Ente und Huhn in allen möglichen Formen und gesund aussehenden Farben, unterschiedlich gewürzt – und als Krönung stand unter einer Wärmelampe das wohl schönste Stück Leberkäse, das es in Bayern je gegeben haben mag und roch, wie es dereinst nur in einem bayerischen Leberkäsehimmel riechen wird.

„Von dem da, zwei – ach: vier Scheiben, gepresst zwischen jeweils Brötchenhälften bitte!“, verkündete ich gut gelaunt. Der Metzger hinter dem Tresen schaute mich nur traurig an. Ich schaute erwartungsvoll zurück. Der Laden war leer, wir waren allein. Nach etwa zwanzig Sekunden des gegenseitigen Beschauens verging mir das Lächeln. Der Herr des Fleischs rührte sich nicht. Was war mit ihm? War er vielleicht nur eine Puppe im Metzgerkostüm? Nein, er blinzelte ja. Hatte er einen spontanen Schlaganfall? Aber seine beiden Mundwinkel zeigten Richtung Erdmittelpunkt. Hatte er irgendeinen Kummer?

„Ich bin Vegetarier! Ich fresse das Zeug nicht. Niemals!“

„Hallo?“, fragte ich zaghaft, „geht es Ihnen gut?“ Er seufzte. Dann antwortete er: „Vier Scheiben Leberkäse. Das muss sein, oder?“ Ich war etwas überrascht. „Äh – ja. Bitte. Wenn es recht ist“, antwortete ich verblüfft. Und wieder seufzte er. „Sie wissen schon, dass dafür ein Tier gestorben ist?“, fragte er mich. In diesem Moment schwankte ich, ob ich ihn über die Leberkäsebäume in Tansania oder das furchtbare Leben der Leberkäseantilopen in Uganda aufklären sollte. Aber eigentlich wollte ich ja nur vier Leberkäseweck oder -Semmeln oder -Brötchen haben. Also antwortete ich brav: „Ja, weiß ich!“ Und, um ihn etwas zu beeindrucken und gebildet zu wirken, fügte ich ein „sowohl eine Kuh, als auch ein Schwein“ hintendran. Er nickte bestätigend. „Und Sie wollen das trotzdem haben…“, stellte er sachlich richtig, aber in vorwurfsvollem Ton fest. Irgendetwas stimmte hier nicht. Ich kam mir ein wenig wie bei der „Versteckten Kamera“ vor. „Ähm, ja. Das möchte ich. Vier Leberkäsweck“, wiederholte ich meine Bestellung. Der Metzgermann vor mir zuckte angeekelt die Schultern. „Bitte – wenn Sie gerne Aas essen… kein Problem“, meinte er und sah sich augenscheinlich nach einem Messer um. „Ihre Verantwortung“, sagte er auch.

Meine anfängliche Verblüffung wich Ärger. „Sagen Sie – haben Sie überhaupt Lust, mir etwas zu verkaufen?“, fragte ich. Der Metzger sah mich direkt und scharf an, dann stütze er sich mit beiden Händen auf der Schneidefläche vor mir ab: „Um ehrlich zu sein: Nein! Die Herstellung dieses Leberkäses geschah alles andere als klimaneutral, hierfür wurden mehrere hundert Liter Wasser und mehrere hundert Kilogramm CO2 verbraucht. Ihr Leute latscht hier einfach rein und wollt nur Fleisch, Fleisch, Fleisch. Wie das hergestellt wird, was das für ein Aufwand ist, was das für den Planeten und meine Kinder und Enkelkinder bedeutet – das ist euch alles im wahrsten Wortsinn wurstegal. Fressen und Scheißen – das ist das, was ihr könnt!“

OK, „blöd von der Seite kommen“ konnte ich auch: „Was wollen Sie eigentlich von mir? Sie sind doch der verdammte Metzger, Sie haben das Zeug doch vom Schlachthof gekauft, Sie haben es doch geschnitten, zerkleinert, zerwürfelt, gewürzt und in den Tresen gepackt. Ich will doch nur etwas von Ihnen kaufen!“ „Sehen Sie?“, brüllte er zurück, „genau darum geht es doch. Ich mache das doch nur wegen Leuten wie Ihnen! Aber glauben Sie ernsthaft, ich würde auch nur ein einziges Stück Fleisch hier anrühren?“ „Das hoffe ich doch sehr!“, antwortete ich in der gleichen Dezibelzahl, „immerhin sind Sie der Höllenmetzger. Sie sollten schon wissen, wie das Zeug schmeckt, das Sie ja offensichtlich nicht verkaufen wollen!“ Er schlug mit der rechten Hand dreimal fest auf den Tresen, und ich war sehr froh, dass er das Messer noch nicht gefunden hatte. Vielleicht wäre ich dann die nächste Leberkäsezutat geworden. „Nein! Nein! Nein“, begleitete er jeden Handschlag, „ich bin Vegetarier! Ich fresse das Zeug nicht. Niemals!“

Sterben und Gefressenwerden

Das war es also. Ich hatte einen Metzger in einer Sinn- und Lebenskrise erwischt. Einen Vegetarier mit einer Mission, die er mitten in der Fleischhölle starten musste. Das verstand ich. Das war ähnlich furchtbar, als würde man als Teetrinker bei Tchibo arbeiten oder als Fitnesstrainer und Ernährungscoach in der Konditorei Pralinees gießen und Torten backen. Oder als Journalist beim Spiegel.

„Hören Sie“, sagte ich in ruhigem Ton, während er wutschnaubend vor mir stand, „die Tiere sind doch schon tot und die Ware ist nun einmal da. Ich hätte echt gerne …“ „Ja klar“, unterbrach er mich mit unterdrücktem Zorn, „und deswegen kaufen Sie ja den Leberkäse und Sie und der nächste und für den Übernächsten ist dann nichts mehr da, weswegen ich dann wieder neuen Leberkäse machen muss und so ist das eine endlose Kette von Sterben und Gefressenwerden, Sterben und Gefressenwerden… Ihr Leute denkt einfach nicht nach!“ „Warum machen Sie eigentlich den Job, wenn Sie ihn offensichtlich hassen?“, fragte ich, ohne auf seinen Vorwurf einzugehen. „Na, weil ich ja auch von irgendetwas leben muss“, erwiderte er etwas milder. „Und wenn Sie einen Gemüseladen aufmachen?“, schlug ich vor. „Dann verliere ich meine Stammkundschaft“, gab er zurück. Als ob er sie nicht sowieso verlieren würde, wenn er sie für ihre Einkäufe verachtete. Aber ich verstand ihn.

„Ich verstehe Sie“, sagte ich deswegen, „darum mache ich Ihnen einen Vorschlag, der uns beiden und der Umwelt und Ihren Kindern und Ihren Enkelkindern hilft: Ich bezahle zwar den Preis für den Leberkäse, nehme aber nur die vier Brötchen mit, in denen der Leberkäse liegen sollte. Wie finden Sie das?“ Er wirkte erstaunt. „Das ist ja mal wirklich ein guter und vernünftiger Vorschlag“, antwortete er, „und wissen Sie was? Dafür sollen Sie auch eine Belohnung erhalten!“ Er nahm sich vier Brötchen, schnitt sie mit dem mittlerweile gefundenen Messer und tupfte den Leberkäselaib vorsichtig mit jeweils einer Brötchenhälfte ab. „So, das macht dann acht Euro“, verkündete er, während er mir die acht Brötchenhälften über den Tisch gab und ich rundete großzügig auf zehn Euro auf.

Wenn wir alle etwas bewusster werden und aufeinander achten, dann kann dem Planeten gar nichts passieren. Und den Metzgern und ihren Nachfahren und den Leberkäseantilopen auch nicht. Das hat mir dann auch der Bäcker nebenan noch einmal bestätigt, der sein jüngerer Bruder ist.

Mehr Fleisch auf die Rippen des Autors gibt es unter www.politticker.de

Foto: Ryan Lintelman CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons

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S.Clemens / 15.09.2019

Bitte, bitte noch veröffentlichen: Angesichts der bedeutungsschweren Einwände gegen: ...“also bin ich voller Vorfreude, wie einst die Wehrmacht in Polen, in die Metzgerei einmarschiert.” muss ich zu Protokoll geben, dass ich dabei am lautesten losprusten musste. So herrlich inkorrekt und subversiv- ein echter Schneider. Es liesse sich jetzt eine tiefgehende Analyse anfertigen, welche Aspekte damit angesprochen sein könnten und ob das jetzt so voll korrekt halal ist; man kann’s aber auch lassen. Ich muss immer noch kichern…

HaJo Wolf / 15.09.2019

Ein “Schneider” ohne AfD-Bashing. Geht doch! Respekt!

H. Schmidt / 15.09.2019

Liebe Mitmenschen. Selbst in einer Zeit viele Millionen Jahre vor dem Menschen gab es die allgemein bekannten Dinosaurier. Da waren die meisten Fleischfresser. Und jetzt kommen 2019 so ein paar Gutmensch-Faschisten daher und wollen einfach mal so die ganze Evolution in die Tonne treten und umerziehen. Es wird Zeit das solche Zeitgenossen endlich mal lernen was das wahre Leben ist.

Roland Stolla-Besta / 15.09.2019

@ Karsten Dörre   Diesen Bio- und Weddschi-Hype finde ich die genialste Marketing-Strategie seit Jahrzehnten, dagegen war „der Tiger im Tank“ ein süßes Kätzchen. Und ich finde es richtig, daß die Leute, die ein gutes Gewissen nötig haben, ordentlich abgezockt werden! Es gibt nicht nur die böse Sonstwas-Lobby, nein auch die sowas von gute „Öko-und Umwelt-und Welterlösungs-Lobby“. Also ran an die Geldbeutel der „edlen Seelen“!

Ferdi Genüge / 15.09.2019

Wunderbare kishonhafte Satire! “Oder als Journalist beim Spiegel”!!! ROTFL! :-D Made my day!

Wieland Schmied / 15.09.2019

“Die Quelle des Geruchs war auch schnell lokalisiert, also bin ich voller Vorfreude, wie einst die Wehrmacht in Polen, in die Metzgerei einmarschiert.” Geehrter Herr Schneider, ein amüsanter Artikel - wie gewohnt - von Ihnen, über alles was einem Fleischfresser so lieb und teuer ist und wie ihm dieses vermiest werden kann. Was hat denn dann aber solch ein Satz, der nun wirklich großer Käse ist, darin zu suchen? Waren Sie anno schnuff dabei, daß Sie die Vorfreude der Wehrmacht dingfest machen können, und wie dokumentiert sich dann erst die Freude derselben, als sie Polen kassiert hatte? Ich biss nach der Lektüre dennoch nicht in die Tischkante, sondern in duftendes Brötchen, belegt mit leckerem, geräucherten Kochschinken.

B. Zorell / 15.09.2019

Die ScheinOpposition opponiert gegen die Opposition. Jede Woche zu erleben im Bundestag. Oberlehrer sind überall. Die wollen auch noch vorschreiben, wo ich mich erleichtere. Demnächst reichen sie mir das Klopapier.

Manni Meier / 15.09.2019

@Karsten Dörre “Ich muss immer schmunzeln, wenn in Supermärkten abgepackte Wurst mit einem Schweinelogo abgebildet ist. Bei Veggie-Wurst bzw. Veggie-Fleisch zeigt sich die Verblödung des Wohlstandes.” Ich denke hier liegen Sie falsch mit ihrer Vermutung, Herr Dörre. Ein befreundeter Marktleiter hat mir zumindest erklärt, diese Piktogramme (Schwein oder Huhn und Kuh) sollen in erster Linie der Orientierung “der noch nicht so lange hier Lebenden” dienen. Denn es gibt Glaubensgemeinschaften, bei denen sind die Essensvorschriften mindestens zu streng, wie bei den Veganern.

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