Während wir in Deutschland meinen, für den Frieden frieren zu müssen, bringt Elon Musk bereits Weltraumtouristen ins All. Machen wir es wie Musk und trotzen der Schwerkraft – der physischen und der gedanklichen.
Wenn es nach den meisten Politikern und Medien geht, dann hat der Durchschnittsbürger bald nicht mehr viel zu lachen. Zumindest in Deutschland. Reduktion heißt das neue Zauberwort. Nach den mehr als fragwürdigen Corona-Maßnahmen, die eingeschränkte Sozialkontakte und verdeckte Gesichter als „neue Normalität“ verkauften, geht das Streichen und Kürzen munter weiter. Da Strom, Gas, Sprit und Lebensmittel teurer werden, wird die Bevölkerung ermahnt zu sparen. Robert Habeck verkündete Ende März die „Gas-Frühwarnstufe“ mit einem Aufruf an alle Bürger, Gas zu sparen. Die BILD-Zeitung nahm dies zum Anlass für folgende Schlagzeile: „Weniger duschen, Energiekosten senken. Es genügt, diese vier Körperstellen zu waschen.“ Der Stern versucht uns das erzwungene Energiesparen sogar als Chance zu verkaufen. Joachim Gauck rief salopp zum „Frieren für die Freiheit“ und gegen Russland auf: „Wir können auch mal ein paar Jahre ertragen, dass wir weniger an Lebensglück und Lebensfreude haben.“ Und Friedrich Merz holte ganz trocken zum Rundumschlag aus: „Der Höhepunkt des Wohlstands liegt wohl vorerst hinter uns.“
Wäre es nicht so ernst, könnte man fast darüber lachen. Im 21. Jahrhundert fällt einem – noch – hochentwickelten Land wie Deutschland angesichts der gegenwärtigen Krisen nichts Besseres ein als demütiger Verzicht? Auf die Gründe der Teuerungen, die größtenteils hausgemacht sind – Energiewende, CO2-Abgabe und Missmanagement in der Landwirtschaft – wird nicht eingegangen, geschweige denn eine Kurskorrektur angestrebt, sondern lieber der Ukrainekrieg verantwortlich gemacht. Vielmehr erfreuen wir uns am dargebrachten Opfer und verdonnern sogar Kinder zum Warmer-Pulli-Tag an Schulen. Verbunden mit den medial dominierenden Diversity-Diskursen – Quote statt Leistung, Inklusion statt Integration, Tribalismus statt Individualismus – ist das vermittelte Gesellschaftsbild geradezu kläglich und einer Industrienation absolut unwürdig. Als junger Mensch erscheint es mir ausgesprochen deprimierend, einer Nation anzugehören, die neuerdings ins Mittelmaß verliebt ist und hemmungslos mit immer neuen Einschränkungen flirtet.
„Utopie der freien Rede“
Desillusioniert wie ich war, überredete mich mein Freund, mir die neue Netflix-Doku über Elon Musk und sein Raumfahrt-Unternehmen SpaceX anzusehen. Mein Liebster ist ein eingefleischter Science-Fiction-Fan und lebt gedanklich längst in einem O’Neill-Zylinder. Mich kann man mit den Themen Raumfahrt & Co. normalerweise nicht hinter dem Ofen hervorlocken, und über Mond und Mars zu spazieren, gehört ebenfalls nicht zu meinen vordergründigen Lebenszielen. Zu meiner eigenen Überraschung hat mich der mehr als zweistündige Bericht dann doch gefesselt. Die Netflix-Reportage zeigt, wie Elon Musk „nach den Sternen greift“ – und hat mir den Glauben an die Menschheit zurückgegeben.
Bis dato hatte ich mich nie näher mit dem Paypal-Pionier beschäftigt. Ich kannte ihn als reichsten Menschen der Welt, Tesla-Leiter, Tech-Milliardär und mutmaßlich nerdigsten aller Nerds. In der Vergangenheit ärgerte ich mich über seine Beeinflussung des Bitcoin-Kurses. Positiv fiel er mir auf, weil er auf Twitter mehrmals die Corona-Maßnahmen kritisierte. Er schrieb in diesem Zusammenhang unter anderem: „Wenn man den Leuten genug Angst macht, werden sie die Beseitigung der Freiheit verlangen. Das ist der Weg in die Tyrannei.“ Aktuell ist Musk in den Schlagzeilen, weil er Bill Gates geärgert hat. Und außerdem Twitter gekauft hat.
Er kritisiert die Einschränkung der Redefreiheit auf der Plattform und schlägt stattdessen vor, dass alle Postings erlaubt sein sollten, die von der Meinungsfreiheit im Sinne der amerikanischen Gesetzgebung gedeckt sind. Dafür wird er in einschlägigen Kreisen kritisiert, die Washington Post nannte diesen Ansatz beispielsweise eine „Utopie der freien Rede“, „naiv“ und befand, Musk würde die Plattform damit „unsicher“ machen. Eine Expertin wurde mit der Ansicht ins Spiel gebracht, Tweet-Moderation würde die freie Rede sogar fördern. Solche eigenartigen Vorstellungen sind es wohl, die rationale Menschen wie Musk in den Wahnsinn treiben. Warten wir ab, was die Zukunft den sozialen Medien bringt, nun, da der Twitter-Kauf durch den Milliardär geglückt ist.
Alle Versuche scheiterten
Wie freiheitsliebend Musk ist, zeigt nun auch die Netflix-Produktion „Rückkehr ins Weltall“. Ironischerweise bekam auch der Streaminganbieter gerade von dem Tech-Giganten sein Fett weg, als er Netflix‘ Zuschauerschwund einschlägig kommentierte: „Das Virus woker Geister macht Netflix unschaubar.“ In der ihm gewidmeten Doku jedenfalls wird der Weltraum-Visionär als willensstarker, aber sensibler Mann porträtiert, dessen langgehegter Traum es ist, auf den Mars zu fliegen. Die Verwirklichung dieses Wunsches ist für Musk eine Herzensangelegenheit, die ihm vermutlich mehr bedeutet als andere seiner Gründungen wie Paypal oder Tesla. So wird mehrmals in der Reportage ein sichtlich bewegter Elon Musk gezeigt. Als er zum Beispiel darüber spricht, wie sein Kindheitsheld Neil Armstrong und andere Astronauten Zweifel an seinen privatwirtschaftlichen Weltraumplänen äußerten, hat Musk Tränen in den Augen.
Aus Kostengründen stellte die NASA 2011 Flüge mit den eigenen Space Shuttles ein und wollte sich für Weltraum-Missionen nur noch bei der russischen Sojus einmieten. Die USA ohne eigene Raumschiff-Flotte – für den Weltraum-Visionär wohl ein unerträglicher Gedanke.
2002 hatte Elon Musk sein Raumfahrt-Unternehmen SpaceX gegründet, mit dem Ziel, das menschliche Leben „multiplanetarisch“ zu gestalten und eine Rakete zu entwickeln, die bemannt zum Mars fliegen kann, um diesen zu kolonisieren. Seit Ende 2019 fertigt er Prototypen der Starship-Rakete, die dies in naher Zukunft bewerkstelligen soll. Für 2025 ist eine Mondlandung mit zwei Astronauten auf Ausschreibung der NASA geplant.
Bis dahin war es jedoch ein weiter Weg, wie Netflix nachzeichnet. Die NASA wollte zunächst von Musk, dem Weltraum-Träumer, und seinen Plänen mit SpaceX nichts wissen. Als Raumfahrt-Behörde haftet der NASA eine gewisse Trägheit an – alles muss nach Vorschrift laufen und die Kooperation mit einem ambitionierten Start-Up schloss sich quasi von selbst aus. Elon Musk investierte also sein privates Vermögen in seinen Traum, baute ein Team von 30 und später 150 Mitarbeitern auf und begann, die in Teilen wiederverwendbare Rakete Falcon 1 zu entwickeln. Sehr dramatisch wird dies im Film nachgezeichnet: Elon Musk hatte angekündigt, Geld für nicht mehr als drei Raketenstarts zu haben – alle Versuche scheiterten und die jeweiligen Raketen explodierten kurz nach dem Start. Akribisch suchten Musk und sein Team jedes Mal die Trümmerteile zusammen, um eine genaue Fehleranalyse betreiben zu können.
Riskante Missionen
Nachdem Musk praktisch sein letztes Hemd in einen vierten Raketenstart investiert hatte, hatte er endlich Glück – im September 2008 schickte er schließlich eine Falcon 1 in den Weltraum, die erfolgreich den Orbit erreichte. Zum allerersten Mal hatte ein Privatunternehmen mit einer Flüssigtreibstoffrakete solches geleistet. Daraufhin meldete sich die vormals skeptische NASA, um mit Elon Musk einen 1,6-Milliarden-Dollar-Vertrag über 12 Versorgungsflüge zur Raumstation ISS abzuschließen. Zum Einsatz kamen hierfür die weiterentwickelten, in Teilen wiederverwendbaren Falcon 9-Raketen in Kombination mit der ebenfalls wiederverwendbaren Dragon-Kapsel. Weitere NASA-Aufträge folgten. Ein Erfolgsgeheimnis von Elon Musks Flotte ist genau diese Wiederverwendbarkeit: Somit werden einzelne Flüge erheblich günstiger, als wenn – wie bis dato üblich – jedes Mal eine vollkommen neue Rakete gebaut werden müsste (Wenige Ausnahmen wie etwa das Space Shuttle waren auch schon in Teilen wiederverwendbar. Das Space Shuttle war dafür jedoch in der Instandhaltung sehr teuer). Falcon 9-Raketen gelten mittlerweile als „Lastenpferde“ von SpaceX und sind allein im letzten Jahr 31-mal für unterschiedliche Missionen der NASA und anderer zahlender Kunden in den Weltraum gestartet. Für SpaceX arbeiten heute über 10.000 Mitarbeiter.
Ein weiterer NASA-Auftrag bestand darin, Astronauten zur ISS zu transportieren. Mit der Dragon 2 plante Elon Musk diesen nächsten Meilenstein. Der erste bemannte Start Ende Mai 2020 ist das Herzstück der Netflix-Doku: Die beiden für diese Mission ausgewählten NASA-Astronauten waren Douglas Hurley und Robert Behnken, beide befreundet, beide mit Astronautinnen verheiratet und beide mit Söhnen im Grundschulalter. Im Film schildern sie und ihre Frauen sehr bewegend den Widerstreit zwischen der Faszination Weltraum und der Sorge um das Wohl der Familie, wenn ein Elternteil sich auf eine derart riskante Mission begibt.
Doch das Abenteuer glückt, Hurley und Behnken gelangen sicher in den Weltraum und verbringen zwei Monate auf der ISS, bevor sie von der Dragon 2 wieder wohlbehalten zur Erde zurückgebracht werden. Dies ist der Höhepunkt des Films, genauso spannend, emotional und bombastisch erzählt, wie man es aus einer Hollywood-Produktion kennt. Dies ist kein Wunder, angesichts der Oscar-prämierten Filmemacher Elizabeth Chai Vasarhelyi und Jimmy Chin.
Die Doku endet mit einem weiteren Raumschiff-Start, diesmal Ende April 2021 mit vier Astronauten, die sechs Monate auf der ISS verbringen sollen, einer davon ist Megan McArthur, die Ehefrau von Robert Behnken. Ihrem kleinen Sohn wollen sie so gut es geht vermitteln, „was sie tun“, damit er mit Verständnis für den Weltraum und die Raumfahrt aufwächst.
Grenzen überwinden
Viele weitere Weggefährten Elon Musks kommen in der Reportage zu Wort. Unter anderem die temperamentvolle Gwynne Shotwell, als Präsidentin und COO Betreuerin des Tagesgeschäftes von SpaceX und nicht zuletzt Managerin der Raketenstarts. Oder der deutsche Ingenieur Hans Königsmann, der bis vor Kurzem einer der wichtigsten Manager und technischen Mitarbeiter von SpaceX war. In der Reportage gibt er sich ebenfalls als Weltraumbegeisterter zu erkennen und erzählt, dass ihn in Deutschland alle für verrückt halten, wenn er von Expeditionen zum Mars spricht. Er berichtet auch, dass er Monate brauchte, um sich von einem der anfänglich missglückten Raketenstarts zu erholen. Mittlerweile ist Königsmann nicht mehr für Musk, sondern für den Bremer Raumfahrtkonzern OHB tätig.
Allen Protagonisten der Doku ist die unbedingte Begeisterung für die gemeinsame Arbeit und die daran geknüpften Visionen anzumerken. Menschen verschiedener Herkunft, Männer wie Frauen, kommen zusammen, um an etwas Außerordentlichem zu arbeiten, etwas, das die Menschheit weiterbringen soll. Etwas, das dem Fortschritt verpflichtet ist. Ich fühle mich inspiriert und begreife plötzlich, warum so viele von der Raumfahrt fasziniert sind: Es ist die personifizierte Möglichkeit, über sich hinauszuwachsen und Grenzen zu überwinden, auch wenn man persönlich nicht beteiligt ist.
„Fortschritt“ und „Grenzen überwinden“ sind jedoch im heutigen Deutschland toxische Begriffe geworden. Und das ist fatal. Wir Menschen sind nun einmal darauf ausgelegt, zu wachsen und uns zu entfalten. Wir mögen Krisen bewältigen, uns durch harte Phasen kämpfen und in der Zeit sparen, um in der Not zu haben. Aber ohne den unbedingten Glauben an eine Verbesserung, eine Weiterentwicklung, an das Erreichen der nächsten Stufe ist wohl niemand willens, Mühsal auf sich zu nehmen. Selbstverwirklichung ist immer expansiv angelegt und geht mit dem Streben nach „mehr“ einher. Dies muss bei weitem nicht in Gier münden, sondern sollte als Ausdruck einer vitalen Funktion verstanden werden.
Diesem natürlicherweise in uns angelegten Wunsch zur Ausbreitung mit künstlich auferlegter Restriktion und Einschränkung begegnen zu wollen, ist nicht nur grundlegend falsch, sondern auch realitätsfern. Niemand will Armut um der Armut willen. Kreative, begabte und wagemutige Menschen wie Musk werden immer Mittel und Wege finden, ihre Zukunftsvisionen zu verwirklichen. Auch wenn mittelmäßige Politiker andere Pläne haben. Während wir also in Deutschland meinen, für den Frieden frieren zu müssen, bringt Elon Musk bereits Weltraumtouristen ins All. Machen wir es wie Musk und trotzen der Schwerkraft – der physischen und der gedanklichen.
Mehr von Ulrike Stockmann finden Sie auf ihrem YouTube-Kanal.