Der Bundesrepublik fehlen Facharbeiter. Deswegen brauchen wir Zuwanderung. Dass die meisten Migranten, die in Deutschland ankommen, weder eine abgeschlossene Schul- noch eine Berufsausbildung haben, müsste sich inzwischen herumgesprochen haben. Hat es aber nicht. Dennoch soll die Zuwanderung das Problem der fehlenden Fachkräfte lösen.
Die linksliberalen Meinungsführer in Deutschland wurden in den letzten Wochen arg unter Stress gesetzt. Zuerst äußerte sich die Eisschnellläuferin Claudia Pechstein auf einer CDU-Veranstaltung in der Uniform der Bundespolizei kritisch zu Migrationsfragen und der Kriminalität bestimmter Herkunftsgruppen. Dann gewann im Thüringer Landkreis Sonneberg der Rechtsanwalt Robert Sesselmann als Kandidat der AfD die Landratswahl.
Der FAZ-Journalist Claudius Seidl beklagte daraufhin im Feuilleton seiner Zeitung das falsche Bewusstsein nicht nur von AfD-Wählern und -Sympathisanten, sondern von zahlreichen Konservativen, die sich den aus seiner Sicht notwendigen Veränderungen entgegenstemmen. Seine Polemik ist exemplarisch für blinde Flecken und Irrtümer im linksliberalen Mainstream.
Er kritisiert „Claudia Pechsteins Warnung vor allen, die dunkler als die weiße Mehrheit sind“. Das hat sie zwar nie so gesagt. Aber diese Formulierung fand er offenbar geeignet, um die von ihr angesprochenen Sorgen zu delegitimieren. Dabei stehen die Tatsachen auf Pechsteins Seite: Die Gruppe der Fluchtmigranten, die seit 2015 aus Afrika und dem Nahen und Mittleren Osten nach Deutschland kamen, weist unter ihren jungen Männern altersbereinigt eine dreimal so hohe Gewaltkriminalität (Raub, Vergewaltigung, Mord und Totschlag) auf, wie die übrige altersmäßig vergleichbare Bevölkerung in Deutschland. Das zeigen die Zahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS). Deutschlands öffentliche Orte wurden durch die Fluchtmigration unsicherer, und diese Bedrohungslage betrifft überproportional junge Frauen, die sich im öffentlichen Raum bewegen.
Junge Männer im Alter zwischen 15 und 25 Jahren
Die weiterhin ungebremste Fluchtmigration aus Afrika und dem Nahen und Mittleren Osten wird diese Problematik künftig noch verschärfen. Der Augenschein der Flüchtlingsboote, die in diesen Wochen aus Tunesien Richtung Italien ablegen, zeigt nahezu ausschließlich junge afrikanische Männer im Alter zwischen 15 und 25 Jahren.
Wir wissen, dass diese Migranten weitgehend ohne qualifizierte Schuldbildung und ohne Berufsausbildung zu uns kommen. Die Ingenieure und Facharbeiter, die im deutschen Arbeitsmarkt willkommen wären, werden wir unter ihnen kaum finden. Und aus diesen Kreisen werden auch nicht jene ausgebildeten Pflegekräfte stammen, die in Deutschland die hygienische Grundversorgung einer wachsenden Zahl hilfloser alter Menschen sicherstellen könnten.
Im weiteren Verlauf seiner Argumentation bringt Seidl Klimawandel und Fluchtmigration in einen ganz unsinnigen Zusammenhang: Die Fluchtmigranten fliehen aus ihren seit 60 bis 70 Jahren unabhängigen Herkunftsländern nicht vor einem steigenden Meeresspiegel, wie Seidl insinuiert, sondern weil Korruption, Bildungsmängel, schlechte Regierungspraxis und ein ungezügeltes Bevölkerungswachstum das eigene Land unattraktiv machen. Deshalb lockt der reiche alternde Norden. Mit dem Klimawandel hat dies gar nichts zu tun.
Japan macht es uns vor
Schon gar nicht brauchen wir im Norden diese Art von Einwanderung, um unsere eigenen Probleme zu lösen. So wird es aber von Seidl unterstellt, wenn er schreibt:
„Menschen müssen eingeladen werden und sich willkommen fühlen in Deutschland, ohne dass sie dauernd dem Claudia-Pechstein-Verdacht ausgeliefert sind: Nicht damit Deutschland sich abschaffte. Sondern weil ohne diese Leute die deutsche Wirtschaft kollabiert.“
Das ist ökonomischer Unfug. Es ist aufschlussreich, dass genau jene linksliberalen Kreise, die vor 50 bis 60 Jahren beim Einsetzen des säkularen Geburtenrückgangs gegen jede Art von Bevölkerungspolitik polemisierten, nun den Untergang der deutschen Wirtschaft heraufbeschwören, wenn jetzt die demografischen Lücken, die die Babyboomer hinterlassen, nicht aus Afrika und dem Nahen und Mittleren Osten aufgefüllt werden.
Deutschland kann wirtschaftlich sehr gut auch mit einer kontinuierlich schrumpfenden Bevölkerung leben, wenn der Eintritt ins Arbeitsleben zeitlich etwas vorgezogen wird und das durchschnittliche Rentenalter auf 70 Jahre steigt. Japan macht uns dies übrigens vor. Es bewältigt eine mindestens vergleichbare Geburtenarmut und Alterung weitgehend ohne Einwanderung. Damit erspart es sich unnötige Kulturkämpfe um Identitätsfragen, viel Kriminalität und hohe Sozialkosten.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der Zürcher Weltwoche