Vera Lengsfeld / 20.07.2018 / 12:00 / 18 / Seite ausdrucken

Merz will kein Hoffnungsträger sein

Bei der verzweifelten Suche nach einem möglichen Merkel-Nachfolger wurde immer mal wieder der Name von Friedrich Merz genannt. Welch ein Irrtum! In den Diadochenkämpfen nach dem Sturz von Wolfgang Schäuble war dem bislang nicht zum inneren Kreis gehörenden Merz unerwartet der Bundestags-Fraktionsvorsitz zugefallen, nachdem Angela Merkel sich ebenso überraschend den Parteivorsitz gesichert hatte. Damit verwehrte man Merkel vorerst den Zugriff auf den Fraktionsvorsitz. Damals glaubte der Rest des berühmten, aber bereits lahmen „Andenpaktes“ jüngerer, ehrgeiziger CDU-Männer, sich noch aussichtsreiche Positionen für die Zeit nach der nächsten Kanzlerwahl sichern zu können. Die Rechnung war, dass Edmund Stoiber den Kampf um die Kanzlerkandidatur gewinnen würde und Merkel danach leicht als Vorsitzende zu stürzen wäre.

Bis dahin hatte „Kohls Mädchen“ noch niemand als ernsthafte Konkurrenz gesehen. Merkels Stärke war immer, dass sie unterschätzt wurde. Mit ihrem Coup, nach Wolfratshausen zu Stoiber zu fliegen und ihm beim Frühstück die Kandidatur auf dem Tablett zu servieren, hatte keiner gerechnet. Nun war sie die Kanzlerkandidaten-Macherin und unangreifbar. In dieser Situation ließ sich Merz, wie in der Unions-Bundestagsfraktion kolportiert wurde, von Stoiber versprechen, dass er nach der Wahl Fraktionsvorsitzender bleiben würde, angeblich sogar für den Fall, dass Stoiber verlieren sollte. Fakt ist, dass er es in den zwei Jahren als Fraktionsvorsitzender nicht vermocht hat, eine stabile Anhängerschaft zu gewinnen. Er war vor allem nicht Manns genug, mit Merkel um diese Position zu kämpfen.

Merz saß dann noch ein paar Jahre als beleidigte Leberwurst im Bundestag herum, ehe er sich auf einen hoch dotierten Posten verabschiedete. Wegen seiner scheinbar wirtschaftsliberalen Positionen wurde er für einen Konservativen gehalten, wenigstens von den orientierungslosen Konservativen als Verlust betrauert. Vor wenigen Monaten hat sich Merz kurz als Merkel-Kritiker zu Wort gemeldet, aber wieder nicht den Schneid gehabt, auf den Parteitag zu gehen und sie herauszufordern.

Mit seiner Ablehnung des Preises der Ludwig-Erhard-Stiftung hat Merz endgültig klar gemacht, dass man ihn vergessen kann. Wenn er schon Angst hatte, diesen Preis aus den Händen von Roland Tichy entgegenzunehmen, hätte er es wenigstens für sich behalten sollen. Dabei vertritt Tichy mehr oder weniger die Positionen, für die Merz selbst stand, zuletzt als Merkel-Kritiker. Mehr Selbstverleugnung aus Feigheit vor dem linken Mainstream geht kaum.

Das Handelsblatt, das Merz Ablehnung des Preises zum Skandal hochgeschrieben hatte, präsentierte kurz darauf den „Beifall von der Politik“. Allen voran Alexander Lambsdorff, der ein eifriger Arbeiter für das FDP-Projekt "Unter-5-Prozent" ist. Er twitterte:

„Endlich steht jemand aus dem bürgerlichen Lager auf und entlarvt @RolandTichy, dessen rechtspopulistischer @TichysEinblick nicht zufällig so oft auf den Pulten der @AfD im Bundestag liegt. Danke, Friedrich #Merz”.

Was der Freiherr und Graf offensichtlich nicht zu begreifen imstande ist, ist die einfache Tatsache, dass eine Oppositionspartei die Regierung zu kontrollieren hat, statt der Oppositionsführerin die alleinige Opposition zu überlassen. Es liegt auch an der lauen Performance der FDP, dass die Zustimmung für die AfD unaufhaltsam wächst. Hoffen kann die FDP nur, dass der nächste Fauxpas von Alexander Gauland diesen Trend stoppt. Was würde wohl Otto Graf Lambsdorff sagen, wenn er das erleben müsste?

Die versuchte Stigmatisierung Roland Tichys wirft nur ein erneutes Schlaglicht auf die Hypernervosität des Merkel-Lagers. Man spürt immer stärker, dass der Boden unter den Füßen ins Rutschen kommt. Aber statt soliden Grund zu suchen, lenkt man lautstark mit der Schaffung von Pseudo-Skandälchen davon ab, dass man jeden festen Halt verloren hat.

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Daniel Gildenhorn / 20.07.2018

Liebe Frau Lengsfeld, bei allem Respekt, sind Sie aber mittlerweile immer weniger glaubwürdig, wenn Sie auch jetzt immer noch bei der CDU sind (und es bei jeder Gelegenheit betonen). Die heutige CDU ist Lichtjahre weit entfernt von der CDU der Sie mal beigetreten sind. Sie wird durch Ihre Mitgliedschaft auch nicht besser. Sehr wohl färbt es aber auf Sie ab. Sehr stark sogar! Bereits mehrere Kommentatoren haben Sie darauf hingewiesen, daß dieser Widerspruch zwischen Ihrem Lebensweg und Ihrem Tun und der Mitgliedschaft in dieser… ...sagen wir mal Partei, enorm ist. Aber in diesem Punkt scheinen Sie nicht weit von der GröKAZ entfern zu sein. Diese blendet an einigen Stellen die Realität auch vollständig aus. Seien Sie konsequent. Ihr Ruf ist es Wert!

W.Schneider / 20.07.2018

Selbstverständlich versucht man durch “Skandälchen” von den wahren Skandalen abzulenken. Es wird immer deutlicher, dass es bei uns in der Politik drunter und drüber geht. Dies merken auch die Brüsseler, wobei obendrein der US-Präsident ständig den Finger in die Wunden legt. Lambsdorff interessiert seine FDP nicht, da er ausgesorgt hat.  Mir fällt zu ihm nur der Volksmund ein, der das in dem Bild vom Fusse des Leuchtturms beschreibt.

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Vera Lengsfeld / 21.04.2024 / 10:00 / 34

„Der General muss weg!” Der Fall Siegfried Buback

Als ich noch in der DDR eingemauert war, hielt ich die Bundesrepublik für einen Rechtsstaat und bewunderte ihren entschlossenen Umgang mit den RAF-Terroristen. Bis herauskam,…/ mehr

Vera Lengsfeld / 11.03.2024 / 16:00 / 20

Wie rettet man eine Demokratie?

Warum lässt die schweigende Mehrheit zu, dass unter dem Schlachtruf, die Demokratie und das Grundgesetz zu verteidigen, beides ausgehöhlt wird? Was man ganz einfach tun…/ mehr

Vera Lengsfeld / 10.03.2024 / 16:00 / 9

Eine Schulung im Denken

Denken ist ein Menschenrecht, aber wer beherrscht die Kunst des Denkens? Warum ist Propaganda so wirksam und für viele Menschen so schwer zu durchschauen? Volker…/ mehr

Vera Lengsfeld / 06.02.2024 / 12:00 / 38

Wie man Desinformation umstrickt – und noch schlimmer macht

Wenn man gewisse „Qualitätsmedien" der Fehlberichterstattung und Manipulation überführt, werden die inkriminierten Texte oft heimlich, still und leise umgeschrieben. Hier ein aktuelles Beispiel.  Auf diesem Blog…/ mehr

Vera Lengsfeld / 04.02.2024 / 15:00 / 20

Die Propaganda-Matrix

Die öffentlich-rechtlichen Medien und die etablierten Medien leiden unter Zuschauer- und Leserschwund, besitzen aber immer noch die Definitionsmacht. Das erleben wir gerade wieder mit einer Propaganda-Welle. …/ mehr

Vera Lengsfeld / 02.02.2024 / 06:05 / 125

Wie man eine Desinformation strickt

Am 30. Januar erschien bei „praxistipps.focus.de“ ein Stück mit dem Titel: „Werteunion Mitglied werden: Was bedeutet das?“ Hier geht es darum: Was davon kann man davon…/ mehr

Vera Lengsfeld / 06.01.2024 / 06:25 / 73

Tod eines Bundesanwalts

Als ich noch in der DDR eingemauert war, hielt ich die Bundesrepublik für einen Rechtsstaat und bewunderte ihren entschlossenen Umgang mit den RAF-Terroristen. Bis herauskam,…/ mehr

Vera Lengsfeld / 29.12.2023 / 13:00 / 17

FDP #AmpelAus – Abstimmung läuft noch drei Tage

Die momentane FDP-Führung hatte offenbar die grandiose Idee, die Mitgliederbefragung unter dem Radar über die Feiertage versanden zu lassen. Das Online-Votum in der FDP-Mitgliedschaft läuft…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com