Das Ende der logischen Verknüpfungen in der Realität, das Ende der Beschreibung von Ursache und Wirkung, das Ende der Verbindung zwischen erlebbarer Realität und Nachrichten, das Ende jeglicher Reaktion auf Missstände außer ungläubigen Staunens, das wäre für mich das Ende des Denkens selbst. Ich bin allerdings überzeugt, dass - zum Glück - die meisten Menschen die fehlenden Enden selbst zusammenknüpfen und ihre eigenen Schlüsse aus all dem ziehen. Dafür ist es nicht unbedingt wesentlich, ob die Medien die Geschichten zu Ende erzählen. Wenn Biden ankündigt, im Falle des russischen Einmarsches in die Ukraine würde es kein Nordstream mehr geben und es wird tatsächlich gesprengt. Und es kommen nur wenige Akteure überhaupt in Frage und die USA ist einer davon. Dann hat wohl praktisch jeder dieses Puzzle in gleicher Weise zusammengesetzt, nämlich so, dass die USA mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Deutschlands Infrastruktur angegriffen haben. Und ich ziehe auch persönliche Handlungskonsequenzen, indem ich sämtliche Produkte zu meiden versuche, die irgendeinem US-Unternehmen Gewinne einbringen könnten. Ich könnte mir vorstellen, dass die USA jetzt bei vielen sehr unbeliebt sind, besonders dann, wenn sie die monatlichen Energieabrechnungen von Heizung und Strom betrachten, die Abneigung könnte sich auch in gleichen Teilen zwischen den USA und der Ampel verteilen. Es ist doch nicht so, dass wir hypnotisiert darauf warten müssen, dass uns jemand die Welt zu Ende erklärt oder dass jemand etwas unternimmt. Alles hat Konsequenzen, manches früher oder später und die Menschen verstehen, was passiert und sie vergessen nicht.
Nietzsche: „Jenseits von Gut und Böse 1886“: Die längste Zeit der menschlichen Geschichte hindurch … wurde der Werth oder der Unwerth einer Handlung aus ihren Folgen abgeleitet: die Handlung an sich kam dabei ebensowenig als ihre Herkunft in Betracht, … so war es die rückwirkende Kraft des Erfolgs oder Misserfolgs (!), welche den Menschen anleitete, gut oder schlecht von einer Handlung zu denken. Nennen wir diese Periode die vormoralische Periode der Menschheit … (dann will man) nicht mehr die Folgen, sondern die Herkunft der Handlung über ihren Werth entscheiden zu lassen: … die unbewusste Nachwirkung von der Herrschaft aristokratischer (guter) Werthe und des Glaubens an “Herkunft”, das Abzeichen einer Periode, welche man im engeren Sinne als die moralische bezeichnen darf: der erste Versuch zur Selbst-Erkenntniss ist damit gemacht. Statt der Folgen die Herkunft: welche Umkehrung der Perspektive! … Freilich: ein verhängnissvoller neuer Aberglaube, eine eigenthümliche Engigkeit der Interpretation kam eben damit zur Herrschaft: man interpretirte die Herkunft einer Handlung im allerbestimmtesten Sinne als Herkunft aus einer Absicht; man wurde Eins im Glauben daran, dass der Werth einer Handlung im Werthe ihrer Absicht belegen sei. Die Absicht als die ganze Herkunft und Vorgeschichte einer Handlung: unter diesem Vorurtheile ist fast bis auf die neueste Zeit auf Erden moralisch gelobt, getadelt, gerichtet worden. … sollten wir nicht an der Schwelle einer Periode stehen, welche, negativ, zunächst als die aussermoralische zu bezeichnen wäre: heute, wo wenigstens unter uns Immoralisten der Verdacht sich regt, dass gerade in dem, was nicht-absichtlich an einer Handlung ist, ihr entscheidender Werth (Anmerkung: oder die nicht beabsichtigten aktuellen Katastrophen wie die wirtschaftlichen Katastrophen, die aus nicht zu Ende gedachten Absichten entstehen) belegen sei, … dass Absichten-Moral … (unzulänglicher Politik) ein Ding etwa vom Range der Astrologie und Alchymie (ist).
Die Bibel ist der Spiegel der damaligen Zeit. Alle, bis auf ein paar Aussenseiter, glaubten an eine lineare Zeitachse, an deren Anfang die Schöpfung steht und an deren Ende der Weltuntergang. Deshalb ist die Genesis vorne und die Apokalypse hinten. / Nach dem 2. WK sollte ja alles besser werden und grundsätzlich war die Welt auch erstaunlich friedlich. Die Parteien, die sich heute aufspielen, sie seien die Lösung, sind die Altparteien und regieren seit dem 2. WK. Wie kann das Problem die Lösung sein? Die Krisen und Kriege und Völkerwanderungen kochen mittlerweile über, und es sind die Alparteien, die darin kräftig mitgemischt hat. Mit Waffenlieferungen zum Bleistift. Ohne zu sehr ins Detail zu gehen. Bin schließlich kein Detaileur. Sich hinzustellen, man wolle hier irgendwas in Ordnung bringen, die haben noch nie irgendwas in Ordnung gebracht. Die haben nur Baustellen, die nie fertig werden, wie die völlig sinnlose Eisenbahnlinie Stalins, die schließlich abgesoffen ist und dann aufgegeben wurde.
Es ist wahr, dass es viele Anfänge ohne Enden gibt - aber es gibt auch einige Enden (und noch mehr Fortsetzungen) ohne Anfang, indem wir nur wissen, dass fortgesetzt wird, wissen aber nicht, was. Der Satz hat kein Subjekt. Auffälige Beispiele sind der Reichsbürgerprozess oder rechte Verschwörung von Potsdam.
Die Medienwelt ist ein Universum des Potentialis, vielleicht noch des Irrealis. Der Realis ist schnell ausverkauft.
Wer das Nicht-Weitererzählen einmal amüsant lesen möchte: Italo Calvino, „Wenn ein Reisender in einer Winternacht“. - In der Politik allerdings gibt es eine Brandmauer, die das Erzählen der ganzen Geschichte verhindert, denn sie würde mit dem permanenten Staatsversagen enden und davon künden, dass der Kampf gegen Rechts gerade der Kampf ist gegen das Erzählen der ganzen Geschichte. Nach Calvino also: Dürrenmatt; er hat festgestellt, dass eine Geschichte nicht zu Ende erzählt ist, bevor sie ihre schlimmstmögliche Wendung genommen hat.
Man kann nur hoffen, dass eine Geschichte im Sande verläuft: “Macron will Truppen in die Ukraine entsenden!” Dann ist ganz sicher Schluss mit lustig…
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