Wolfram Weimer / 26.09.2019 / 06:16 / Foto: EPP / 47 / Seite ausdrucken

Macht Sebastian Kurz Jamaica?

Rechte diffamierten ihn als “Milchbubi” und “Wunderkind-Weichei”, Linke beschimpften ihn als “Steigbügelhalter der Nationalisten” und “bürgerliche Version des Rechtspopulisten”. Er wurde nach der Regierungskrise im Mai politisch für erledigt erklärt. Erste Leitartikler wähnten ihn bereits als Leichtgewicht enttarnt, entmachtet und vom Ballhausplatz gejagt.

Doch die meisten Österreicher sehen Sebastian Kurz offenbar ganz anders. Aus dem Florian Silbereisen der Politik ist ein Macron Österreichs geworden. In den letzten Umfragen kurz vor der Wahl am Sonntag liegt Kurz mit der ÖVP um mehr als 10 Prozentpunkte vor der sozialdemokratischen SPÖ und der rechten FPÖ. Kurz kann damit auf ein starkes Comeback als Bundeskanzler hoffen.

Nachdem seine Mitte-rechts-Regierung mit der FPÖ in den Turbulenzen der Ibiza-Affäre zerbrochen war, wählte ihn eine schräge Parlamentsmehrheit von Sozialdemokraten und Rechtspopulisten aus dem Amt und machte ihn zum jüngsten Altkanzler der Geschichte. Nun kommt er stärker zurück als zuvor.

Kurz überzeugt im Bürgertum der Alpenrepublik offenbar als ein Garant für Seriosität, für eine Politik mit Maß und Mitte. Er wird als derzeit einziger Politiker von Kanzlerformat wahr genommen. Mit seinem Wahlsieg könnte Kurz vier strategische Ziele gleichzeitig erreichen:

Erstens drängt er die Rechtspopulisten massiv zurück. Es gelingt ihm geschickt, vom rechten Konkurrenten viele verlorene Wähler wieder zur ÖVP zurück zu holen. Die FPÖ strotzte vor zweieinhalb Jahren bei Umfragewerten von mehr als 30 Prozent noch vor Kraft, viele sahen die ÖVP hingegen schon den Weg der italienischen Democrazia Cristiana in die Bedeutungslosigkeit gehen. Nun haben sich die Machtverhältnisse zwischen den beiden Parteien vollkommen verkehrt.

Den Volksparteienstatus beinahe verloren

Zweitens hat er die ÖVP sowohl bei den Europawahlen als auch nun bei den Nationalratswahlen wieder als deutlich stärkste Partei Österreichs etabliert. Das schien noch vor zwei, drei Jahren als unmöglich. Damals war die ÖVP Juniorpartner der SPÖ, klar unter 20 Prozent abgerutscht, sie zerbröselte unter dem lautstarken Druck der Rechten und hatte ihren Volksparteienstatus beinahe verloren. Bei der Bundespräsidentenwahl 2016 blieb der ÖVP-Kandidat bei weniger als zehn Prozent. Dann kam Kurz, 31 Jahre jung, Außenminister der Großen Koalition unter sozialdemokratischer Führung. Er übernahm nicht nur die Führung der ÖVP geradezu rauschhaft, er macronisierte sie und richtete die Partei ganz auf sich aus, färbte selbst die Parteifarbe von schwarz auf türkis. Heute hat Kurz die Zustimmung zur ÖVP glattweg verdoppelt.

Drittens überragt er persönlich nun alle Konkurrenten als politische Führungsgestalt. In seiner eigenen Partei hat er keine Konkurrenz mehr zu fürchten. Die Führungskräfte der FPÖ wiederum sind nach den Skandalen in ihrer Autorität und Integrität beschädigt. Und die SPÖ-Chefin Pamela Joy Rendi-Wagner muss sich innerparteilichen Machtkämpfen erwehren. Der burgenländische SPÖ-Chef und ehemalige Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil, der sicherheits- und migrationspolitisch für einen “dänischen Kurs” der Sozialdemokraten steht, bedrängt sie schwer.

Viertens wird Kurz wahrscheinlich eine für Österreich seltene Gelegenheit erhalten, zwischen mehreren Koalitionsoptionen auswählen zu können. Zum einen könnte er die mitte-rechts Koalition mit der FPÖ wieder aufleben lassen, nur diesmal mit einer deutlich gestärkten ÖVP. Er hält sich im Wahlkampf diese Option noch offen, auch wenn er die skandalträchtigen Beziehungen von Freiheitlichen mit den Identitären als “grauslig” kritisiert. Zum anderen könnte er womöglich eine Große Koalition zwischen ÖVP und SPÖ schmieden. Nur diesmal mit klar bürgerlicher Kontrolle.

Die dritte Option wäre etwas völlig Neues, und gerade darum hat sie für Kurz den größten Charme: eine Dreier-Koalition mit den beiden kleineren Parteien. Mit den liberalen “Neos” und den Grünen könnte es ebenfalls zu einer Regierungsbildung reichen. Die Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger hat im Vorgriff auf “Türkis-Grün-Pink” – in Wien als “Dirndl-Koalition” der politische Schrei der Saison – schon einmal eine “Erklärung für eine anständige Regierung” veröffentlicht und vier unverhandelbare Voraussetzungen für eine Koalition verkündet: Außer “absoluter Transparenz bei Posten- und Auftragsvergaben”, einer “Bildungspflicht” zur mittleren Reife für alle Schüler und der Abschaffung der kalten Progression gehört dazu auch ein “nationaler Klima-und Umweltpakt”.

Das kann man auch als Hochzeitsantrag für die Dirndl-Koalition verstehen. Die Grünen lesen es gerne. Und Sebastian Kurz auch. Ihm würde damit etwas gelingen, woran Angela Merkel vor zwei Jahren noch gescheitert ist – eine Jamaika-Koalition unter einem bürgerlichen Kanzler. Nur dass sie in Wien schon gleich gemütlicher heißt.

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Lutz Herzer / 26.09.2019

Sebastian Kurz ist Mitglied im European Council on Foreign Relations (ECFR). Es Handelt sich dabei um eine Organisation, die vom Milliardär George Soros im Jahr 2007 gegründet wurde. Über die Politik, die Soros von europäischen Politikern fordert, sollte jeder informierte Bürger mittlerweile halbwegs aufgeklärt sein, auch wenn Mainstream-Journalisten, zu denen Wolfram Weimer offenbar zählt, nicht darüber berichten wollen. Mit seiner Mitgliedschaft im ECFR verfolgt Kurz gewiss nicht die Absicht, die Agenden dieser Organisation von innen heraus in Frage zu stellen, denn um einen Debattierclub dürfte es sich hier weniger handeln. Er gab bei einem offiziellen Treffen mit Soros im November 2018 in Wien grünes Licht für einen Umzug der von Soros finanzierten Central European University (CEU) aus Budapest nach Wien. In Sachen Klima- und Migrationspolitik können wir als aufmerksame Bürger gebannt beobachten, wie ausgezeichnet die Ausübung von antidemokratischer Macht allein über gekaufte Wissenschaftler funktioniert. Es stellt sich die Frage, warum Soros dieses Geld nicht in Bildungsinitiativen vor Ort in z.B. Afrika investiert, sondern in elitäre Kaderschmieden, die niemand braucht, abgesehen von internationalistischen Netzwerken.

beat schaller / 26.09.2019

Danke Herr Weimer für Ihre Einschätzung.  Einiges kann treffen aber, wenn sie Kurz mit Macron vergleichen, dann sind Sie nicht im Bild, wie die Königreiche in Frankreich auf Staats- und Gemeinde-ebene   funktionieren. Sie sollten sich das Buch <Opération Macron> zu Gemüte führen um zu verstehen wer hier die Strippen zieht und Frankreich seit 40 Jahren in Richtung Abgrund führt.  Wenn Sie auch Kurz als einen Rechtspopulisten erkennen, dann sind Sie auch schon schwer infiziert von dieser bösen Krankheit. Und wenn Kurz wirklich gewählt wird und das in der scheinbar vorhersehbaren Weise, dann sollte er sicherheitshalber nicht mit den Grünen koalieren sondern mit der FPÖ, weil die vorher schon gemeinsam viel erreicht hatten. Gute Teams sollte man nicht trennen und dafür die anderen Parteien nicht ausschliessen. Man kann auch so , im Gespräch, eine umweltschonende Politik machen.! So müsste der anständige Umgang in der Politik sein um voran zu kommen.  b.schaller

Michael Stoll / 26.09.2019

Unter S. Kurz hat eine ehemalige Volkspartei mehr als 20% dazugewonnen, indem er den konservativen Kern der ÖVP wiederbelebte. Merkels Bilanz fällt spiegelverkehrt aus. Sie verwandelt eine Volkspartei in eine Ehemalige, indem sie der CDU ihre konservative Seele geraubt hat. FREIHEIT STATT SOZIALISMUS hat in der Union keine Heimat mehr.

Th. Rosché / 26.09.2019

Viel Glück, Sebastian !!! Lasse dich Clonen !  Ich bin übers Wochenende in Salzburg und könnte ihn mitnehmen ;-)

Rolf Mainz / 26.09.2019

“Aus dem Florian Silbereisen der Politik ist ein Macron Österreichs geworden.” Dieser Satz sagt mehr über den Autor als über den derart - gleich zweifach - geschmähten Herrn Kurz.

Sepp Kneip / 26.09.2019

Jamaica? Warum Jamaica? Dass Kurz nicht unbedingt auf eine große Koalition scharf wäre, ist nach den Erfahrungen mit der SPÖ verständlich, auch wenn er jetzt der größere Partner wäre. Kurz hatte eine erfolgreiche Regierungsarbeit mit den Freiheitlichen gestaltet. Sie ist durch eine krimimelle Handlung, auch wenn die Ursache hierfür ein unappetitliches Gebaren seines Koalitionspartners war, zerbrochen. Strache ist weg vom Fenster. Was würde gegen ein erneutes Bündnis mit der FPÖ sprechen? Oder will sich Kurz mit denen ins Koalitionsbett legen, die mit unlauteren Mitteln die vorangegangene Regierung zerstört haben und seine Migrationspolitik torpedieren könnten? Er hätte mit der FPÖ eine satte Mehrheit

Werner Arning / 26.09.2019

Viele, von Kanzlerin und bundesdeutschen Politikern schwer enttäuschte Deutsche setzen einen Teil ihrer Hoffnungen auf Kurz. Er scheint die Art Politik durchsetzen zu wollen, die sich die Deutschen von ihren eigenen Regierenden wünschte. Er ist ihr Hoffnungsschimmer an einem mit dunklen Wolken verhangenem Polit-Himmel. Er könnte die unterschiedlichen Interessen innerhalb der EU auf einen gemeinsamen Weg bringen. Er hat das Zeug dazu, Merkel Paroli zu bieten. Hoffen wir, dass ihn die österreichischen Wähler mit der Mehrheit und den Koalitionspartnern „ausstatten“, die er für dieses mögliche Vorhaben braucht.

alexander meyer / 26.09.2019

Die SPÖ und die Grünen- wie ihre Freunde Deutschland- haben ganz andere Vorstellungen u. a. was Migration und die damit verbundenen Sozialleistungen betrifft , so dass hier eine Koalition unmöglich erscheint. Die Neos dürften zu schwach für eine Mehrheit Beschaffung sein also bleibt die FPÖ übrig. Die letzte Regierung war hoch beliebt, und hat somit beste Chancen eine Neuauflage zu erleben!

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