Der Handelsverband Deutschland warnt vor einer Verwaisung der Innenstädte durch weiteres Ladensterben. Einzelhandel und Politik sind gefragt, Lösungen zu finden, damit Geschäfte den Kampf gegen den Onlinehandel nicht gänzlich verlieren.
Nach einer Prognose des Handelsverbands Deutschland (HDE) wird das Ladensterben auch in diesem Jahr weiter voranschreiten. 9.000 Geschäfte dürften demnach für immer schließen. Schuld seien die sinkende Kaufkraft der Menschen sowie die gestiegenen Kosten. In der dazugehörigen dpa-Meldung heißt es: „Abgesehen von Kleinstbetrieben bleiben damit bundesweit laut HDE noch 311.000 Geschäfte übrig. Zum Vergleich: 2015 waren es noch fast 373.000.“
HDE-Präsident Alexander von Preen warnt sogar: „Angesichts der Zahlen der letzten Jahre müssen in allen Innenstädten und bei der Politik alle Alarmglocken läuten. Denn ohne erfolgreichen Einzelhandel haben die Stadtzentren kaum Zukunftsperspektiven.“
Vor allem kleinere Fachhändler abseits des Lebensmittelhandels seien vom Ladensterben betroffen. Die zunehmenden Leerstände in vielen Innenstädten würden Standorte unattraktiver machen und weitere Unternehmen gefährden, mahnte von Preen außerdem. Das Ladensterben scheint also eine Kettenreaktion in Gang zu setzen.
Besonders viele Läden machten während der Coronapolitik dicht, 2020 bis 2022 waren es pro Jahr 11.000. Aber auch zwischen 2015 und 2019 schlossen pro Jahr rund 5.000 Geschäfte, heißt es in der Meldung.
Sargnagel Onlinehandel
Dass der Einzelhandel in der Klemme steckt, dürfte wenig überraschen. Seit der Coronazeit fällt ein vermehrter Leerstand von Gewerbeflächen zum Beispiel im Berliner Stadtbild auf. Selbst in Einkaufszentren ist ungenutzte Ladenfläche keine Seltenheit mehr. Dies sind völlig neue Entwicklungen, die vorher in der Hauptstadt undenkbar waren. Handlungsbedarf scheint also geboten. Doch welche Lösungen gibt es?
Alexander von Preen schlägt eine Gründungsoffensive vor: „Unbürokratische und schnelle Genehmigungsprozesse für Umbauten und Umwidmungen müssen ganz oben auf die Prioritätenliste.“ Doch was sollten beliebige Gründungen nutzen? Ginge es nicht darum, den Ursachen für den Ladenschwund auf den Grund zu gehen und diesen etwas entgegenzusetzen?
Wenn es dem Einzelhandel schlecht geht, dann bedeutet das im Klartext, dass er nicht genügend Umsatz macht und nicht ausreichend Kunden gewinnt. Es ist bekannt, dass der Onlinehandel boomt und damit ein entscheidender Faktor für das Ladensterben ist. Wie es etwa im Branchenreport Onlinehandel 2022 des IFH Köln (Institut für Handelsforschung) heißt, seien die meisten Konsumenten, „die während der Corona-Pandemie das Onlineshopping für sich entdeckt haben, dabeigeblieben“. Der Onlineanteil am Einzelhandel sei im Jahr 2022 in Deutschland um 7,5 Prozent auf 13,5 Prozent angestiegen.
Laut des Statistischen Bundesamts seien die beliebtesten Onlineprodukte 2022 Elektroartikel mit knapp einem Viertel des gesamten Onlineumsatzes gewesen, mit geringem Rückstand gefolgt vom Bereich Mode/Accessoires. Die Vorteile liegen auf der Hand: Man kann aus einem schier unbegrenzten Angebot Produkte bequem nach Hause bestellen, meistens deutlich günstiger als im Laden. Sofern es einem nicht zu umständlich ist, Fehlkäufe wieder zurückzuschicken, gewinnt man dadurch als Kunde viele Vorteile.
Kein zukunftsweisendes Konzept
Bis auf wenige Ausnahmen kann der Einzelhandel da nicht mithalten: Dem unsinnlichen und unpersönlichen Onlinehandel hätten klassische Geschäfte nur ein besonderes Einkaufserlebnis durch eine angenehme Atmosphäre und ein erlesenes Angebot sowie eine gute persönliche Beratung entgegenzusetzen. Doch auf derartiges legt man heute meist nur noch bei besonderen und hochwertigen Anschaffungen Wert.
Ich persönlich habe große Sympathien für den Einzelhandel und kaufe grundsätzlich meine Kleidung gerne in kleinen Boutiquen ein – jener Zielgruppe, die laut Handelsverband Deutschland besonders gefährdet ist. Ich lege Wert auf Qualität und trage eher wenig „Massenware“. Doch natürlich kann ich mir diesen Idealismus gerade in Krisenzeiten nur bedingt leisten, sodass auch ich das meiste online bestelle – entweder direkt und deutlich günstiger bei kleinen Modelabels oder ich mache mal wieder ein Secondhand-Schnäppchen bei Ebay.
Bücher kaufe ich noch häufig im Laden, gerne auch in inhabergeführten Geschäften. Doch selbstverständlich war das böse Amazon Prime auch bei mir schon Retter in der Not, etwa in der stressigen Adventszeit, wenn mir wenige Tage vor Weihnachten einfiel, dass ich doch noch nicht alle Geschenke zusammen habe… Momentan scheint der Einzelhandel auf Stammkunden und Sympathisanten angewiesen zu sein, ein Konzept, das natürlich nicht zukunftsweisend ist.
25-prozentige Onlinesteuer
Galeria Karstadt Kaufhof, „Deutschlands letzter großer Warenhauskonzern“, überlebte zuletzt nur durch zweimalige „Rettung per Schutzschirm-Insolvenzverfahren“, wodurch Gläubiger auf Milliardenforderungen verzichten mussten. Einer davon ist der staatliche Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF), der rund 500 Millionen Euro abschreiben muss. Laut Eigendarstellung dient der WSF der „Stabilisierung der Wirtschaft in Folge der Coronavirus-Pandemie. Er stellt Unternehmen branchenübergreifend Stabilisierungsmaßnahmen zur Stärkung ihrer Kapitalbasis und zur Überwindung von Liquiditätsengpässen bereit“.
Im Klartext wurde für Galeria Karstadt Kaufhof also vergeblich Steuergeld verbraten. Dank üppiger Rabattaktionen können Kunden in den dazugehörigen Filialen gerade eine Menge Schnäppchen machen, doch dies ist natürlich nicht im Sinne des Erfinders. Eine zukunftsträchtige Überlebensstrategie für den Konzern scheint nicht in Sicht, vorerst sollen 47 der 129 Filialen schließen und rund 4.000 Arbeitsplätze gestrichen werden. Wie die WirtschaftsWoche berichtet, „will sich das Unternehmen künftig stärker auf den Verkauf von Modeartikeln konzentrieren, die Eigenmarken optimieren und das Angebot an Produkten wie Spiel- oder Schreibwaren zurückfahren“. Außerdem sollen Filialen künftig auch dezentraler gesteuert und das jeweilige Sortiment stärker an die lokalen Gegebenheiten angepasst werden. Ob diese vagen Pläne helfen werden?
Der Kampf gegen den Onlinehandel scheint nicht so leicht gewonnen werden zu können. Damit scheint sich der Teufelskreis des Innenstadtsterbens fortzusetzen – schließlich profitiert auch die Gastronomie von Einkaufsbummlern, die sich zwischendurch mal mit einem Kaffee oder einer Pizza stärken wollen. Richard David Precht warnte schon vor Jahren vor einer Verwaisung der Innenstädte durch den Schwund an Fachgeschäften, er hält dies für problematisch für die Demokratie und das Gemeinschaftsgefühl. Seine Lösung besteht in einer 25-prozentigen Steuer „auf all den Kram, den wir tagein, tagaus online bestellen. Und dieses Geld sollte den Kommunen für die Strukturentwicklung zur Verfügung gestellt werden“. Ich glaube, dass statt Protektionismus nur neue, zeitgemäße Konzepte im Einzelhandel künftig eine Chance haben werden.
Kreativität und Initiative vonseiten der Einzelhändler
Da fällt mir zum Beispiel ein gutgehendes Modegeschäft für kleine Berliner Designerlabels ein, das sich schon einige Jahre hält. Wann immer ich dort stöbere, ist der Laden gefüllt – die Inhaberin versteht es, genau das richtige Angebot für Touristen auf der Jagd nach dem Berliner Look und für Berliner auf der Jagd nach dem besonderen Outfit zusammenzustellen. Da sie hauptsächlich Nachwuchs-Designer vertritt, sind die Preise moderat und die Qualität gleichzeitig außergewöhnlich.
Vor einer Weile fand ich dort ein Unikat in Gestalt eines Spitzenkleides für 100 Euro – so viel wird man auch schnell los, wenn man bei H&M oder Zara nach einem Abendkleid sucht. Im hippen Innenstadtbezirk, wo der Laden liegt, scheint die Betreiberin damit genau den richtigen Nerv zu treffen. Ich könnte mir vorstellen, dass derartige Konzepte sich auch in Zukunft werden halten können.
Es ist also Kreativität und Initiative vonseiten der Einzelhändler gefragt, denn ohne ein besseres Angebot werden Kunden nicht vermehrt im Laden kaufen. Darüber hinaus sind natürlich politische Entscheidungen ebenso maßgeblich für die Kaufkraft der Kunden. Exorbitante Energie- und Mietpreise verschärfen die Situation noch, sowohl auf Händler- als auch auf Kundenseite. Dass bei den aktuell explodierenden Preisen jeder spart, wo er kann, ist klar. Und im Zweifel lieber günstiger online einkauft. Wie nun bekannt wurde, wird Noch-Bürgermeisterin Franziska Giffey die neue Berliner Wirtschaftssenatorin. Ob sie einen Blick für die Not des Einzelhandels hat und mit pragmatischen Lösungen aufwarten kann, erscheint fraglich.