Kolja Zydatiss / 27.11.2019 / 06:10 / Foto: Lowdown / 45 / Seite ausdrucken

Landwirte: Kein Bock mehr auf Schreckgespenst sein

Als ich am Dienstagmorgen ins Büro wollte, musste ich die letzten fünf Bushaltestellen laufen. Die Busse fuhren ab Turmstraße nicht mehr, da immer wieder Kolonnen von fünfzehn, zwanzig Traktoren die zum Teil recht engen Straßen von Berlin-Mitte einnahmen. Qualmend, hupend und mit flatternden Fahnen – ich sah vor allem die Landesflagge Schleswig-Holsteins – durchpflügten die riesigen Gefährte die Hauptstadt. Viele hatten vorne beschriftete Spanplatten angebracht, mit Variationen über das gleiche Thema: „Ohne uns wärst Du hungrig, nackt, nüchtern“; „Niemand soll’s vergessen, Bauern sorgen fürs Essen“. Die Trecker muteten martialisch an, fast wie eine erobernde Armee.

Später, gegen 11 Uhr, machte ich mich auf den Weg zur Hauptkundgebung vor dem Brandenburger Tor. Am S-Bahnhof Tiergarten konnte man das Ausmaß der Demo erahnen. Traktoren sowie einige Sattelschlepper, Tiertransporter und Pick-Up-Trucks hatten die Straße des 17. Juni aufgefüllt. Nach Westen hin erstreckte sich die Blechlawine bis zum Ernst-Reuter-Platz (oder vielleicht noch weiter, das war bei der trüben Witterung schwer zu erkennen), nach Osten durch den gesamten Tiergarten bis zum Brandenburger Tor.

Ich fuhr mit der S-Bahn bis zum Hauptbahnhof und lief von dort bis ganz nach vorne zur Rednertribüne, vorbei am Kanzleramts-Quader, dessen Verkleidung mir grauer erschien, als ich es in der Erinnerung hatte, und am halbmastbeflaggten Reichstagsgebäude, das demnächst mit einem 2,50 Meter tiefen Graben umgeben werden soll.

Am Brandenburger Tor erinnerte die Szene eher an eine klassische Demo und ein wenig auch an ein Volksfest. Zwischen den abgestellten Fahrzeugen liefen Menschen umher, aßen Bratwürste, rauchten und unterhielten sich. Viele trugen Arbeitskleidung, einige die aus Frankreich bekannten gelben Warnwesten. Aus Kartons wurden Äpfel verteilt. Über Lautsprecher wurden die Reden von der Bühne übertragen. Etwas abseits stand Greenpeace mit Flyern und dem fast schon konzilianten Spruchbanner: „Wasser, Klima, Tiere schützen, Bauern dabei unterstützen.“

„Man ist manchmal erstaunt, dass es überhaupt noch eine Wirtschaft gibt“, sagte vor einigen Jahren ein liberal-tickender Freund zu mir. Zumindest ein Wirtschaftszweig probt nun den Aufstand gegen aus seiner Sicht weltfremde, um nicht zu sagen existenzbedrohende rechtliche Bestimmungen.

Mobbing von Bauernkindern, auch durch Lehrer und Erzieher

Die Redner kamen, nach ihren Mundarten zu urteilen, aus allen Ecken Deutschlands – Brandenburg, Bayern, Baden. Die meisten fassten sich kurz. Es ging um Schnellschüsse der Politik, die einen „grün-linken“ Zeitgeist befriedigen sollten, etwa beim Thema Glyphosat; um die Nebenjobs, die viele Bauern annehmen müssten, um wirtschaftlich zu überleben; und um das Mobbing von Bauernkindern, auch durch Lehrer und Erzieher, die die Ideologie von „radikalen NGOs“ in die Klassenzimmer trügen. Bei Aussagen wie „Unsere Vorfahren haben den Dreißigjährigen Krieg überstanden, wir bleiben freie Bauern auf freier Scholle“ oder „Im Land der Erfinder sollte doch mehr möglich sein, als nur Verbote zu erlassen“ brandeten Hupkonzerte auf. Besonders laut wurde es, als der Rücktritt von Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) gefordert wurde.

Zu der Sternfahrt nach Berlin aufgerufen hatte die Gruppe „Land schafft Verbindung“. Sie steht auch hinter weiteren kleineren Protestaktionen in anderen deutschen Städten. Nach Angaben des „Bayerischen Rundfunks“ handelt es sich um einen losen Zusammenschluss von Bauern, der keinen Vereinsstatus oder andere rechtliche Struktur hat oder anstrebt und auch nicht in Konkurrenz zum Bauernverband treten will. Die Protestbewegung sei Anfang Oktober entstanden und organisiere sich vor allem über Facebook und WhatsApp.

Ähnliche „Treckerdemos“ mit zum Teil tausenden Teilnehmern hat es in den letzten Wochen auch in Frankreich und den Niederlanden gegeben. In letzterem Fall gab es einen sehr konkreten Anlass: Die linksliberale Regierungspartei „Democraten 66“ (D66) plant, aus Klimaschutzgründen die Viehhaltung zu begrenzen. Ein D66-Vertreter sprach sich im Oktober dafür aus, den Viehbestand der Niederlande um rund die Hälfte zu senken, daraufhin kochte die Wut der Landwirte über. Im gesamten Land legten Bauern mit Straßensperren den Verkehr lahm, in Groningen versuchten sie sogar, mit Treckern ein Verwaltungsgebäude zu stürmen.

Derartige Eskalationen sind – der Atmosphäre und den Zielen des Berliner Sternmarschs nach zu urteilen – in Deutschland äußerst unwahrscheinlich. Dennoch liegt etwas in der Luft. Denn die aktuellen Konflikte um die Landwirtschaft sind nur Teil eines größeren gesellschaftlichen Konflikts. Auf der einen Seite steht eine gut situierte, meist akademisch gebildete Mittelschicht. Sie sieht sich in den Worten des Philosophen Alexander Grau als „Speerspitze des Fortschritts“. Damit sind nicht etwa technologischer Fortschritt oder Wirtschaftswachstum gemeint, sondern „postmaterialistische“ Belange wie Umweltschutz, Identitätspolitik oder globale soziale Gerechtigkeit.

Die Politik wird sich auf selbstbewusste Bürger einlassen müssen

Bei Themen wie „Genderfluidität“, der Überwindung von Nationalstaaten und Grenzen oder diversen „Wenden“ (Energie-, Mobilität-, Agrar-...) kann es dieser Schicht gar nicht schnell genug gehen. Doch viele Bürger können mit diesem „Fortschritt“ (und dem selbstgerechten Ton, in dem er vorangetrieben wird) nichts anfangen oder merken schlichtweg, dass er ihre materiellen Interessen bedroht. Sie rebellieren zunehmend an der Wahlurne oder schließen sich neuen parteiunabhängigen Protestbewegungen an, von denen die beeindruckendste wohl die französischen „Gelbwesten“ waren.

Der amerikanische Geograph Joel Kotkin hat beschrieben, dass sich die heutige Meinungselite als eine gut ausgebildete Expertenklasse betrachtet. Ihr Ziel ist das „Überzeugen, Unterweisen und Regulieren der übrigen Gesellschaft“, die wichtigste Quelle ihrer Autorität „die Wissenschaft“. Interessant an den aktuellen Bauernprotesten ist nicht zuletzt, wie sie an dieser Selbtwahrnehmung und -darstellung kratzen.

Denn die Bauern werfen der Politik vor, dass sie gerade nicht von Sachverstand geleitet ist. „Fakten statt Ideologien“ stand auf einem Transparent, das ich am Dienstag sah. „Liebe Politiker, bitte macht Politik mit der Wissenschaft“, stand auf einem anderen. „Was Ihr macht, ist Populismus!“, tönte es in Richtung Reichstag von der Bühne. Die Politik wird sich auf solche selbstbewussten Bürger einlassen müssen. Denn Menschen, die die vorgegebenen Erzählungen und Skripte hinterfragen, werden nicht weggehen. Für die Demokratie kann das nur gesund sein.

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U. Unger / 27.11.2019

Für die Demokratie wäre das gesündeste, die Bauern verlangten die Abschaffung des EU Subventionsirrsinns. Wie sehr Sie selbst davon profitierten, könnten Sie sich mal von Ihren Kollegen aus Neuseeland erklären lassen. Bauern sind in den USA, Kanada, Neuseeland, Australien reicher, als in der EU. Ohne Subventionen! Nebenbei, in der Gesellschaft angesehener und mächtiger, wie es für eine Grundstoffindustrie angemessen ist. Ohne Bauern geht nichts! Nie und Nirgendwo. Wäre sinnvoll, diese Greenpeace Aktivisten beim Wort zu nehmen. Laut Flyer begehren Sie kostenlos mitarbeiten zu dürfen! Wäre ich Landwirt, hätte ich schon zugegriffen, vielleicht sogar den Versuch unternommen das schriftliche Angebot juristisch durchzusetzen.

Frank Mertes / 27.11.2019

Die Meinungs"elite” sieht sich als gut ausgebildete “Experten”? Köstlich, verbildet wäre treffender. Die sind doch Anhänger einer Pseudowissenschaft. Und das denken dieser links-grünen “Eliten” (also auch der CDU) bewegt sich doch eher auf dem Niveau von: “Wozu brauchen wir Bauern? Lebensmittel gibt es doch im Super- besser noch im Biomarkt! Wozu Kraftwerke? Der Strom kommt doch aus der Steckdose! Wind weht immer. Die Sonne schickt keine Rechnung!” Weshalb der Strom in Deutschland ja auch spottbillig ist.

Ilona Grimm / 27.11.2019

Danke für Ihre persönlichen Eindrücke, Her Zydatiss. Obwohl ich lieber ganz fern von Berlin lebe (und auch unbedingt bleiben möchte), wäre ich gestern gern dabei gewesen. Diese Bauern sind schließlich stellvertretend für alle Bürger angetreten, denen die „Gouvertanten“-Politik mit Erziehungsmaßnahmen, Bevormundung, ausufernden Vorschriften, Verboten, Strafen, Herablassung, Diffamierung, finanziellem Aderlass etc. pp. schon länger auf den Senkel geht. Es ist Zeit, den Bevölkerern des Berliner Elfenbeinturms (Reichstag) zu verdeutlichen, wer wem zu dienen hat. Hoffentlich ist das der Auftakt zu einer großen Protestwelle.

Gabriele Kremmel / 27.11.2019

Warum protestieren nur die Bauern? Vielleicht deswegen, weil das Gehalt der Bauern nicht regelmäßig und in stets gleicher Höhe vom Arbeitgeber kommt sondern sie selbst und ständig für ihr Ein- und Auskommen sorgen müssen. Sie genießen keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und erhalten keine 13. und 14. Monatsgehälter. Sie verstehen auber auch etwas von Ökonomie und Ökologie, was man von den ideologoisch verblendeten Besserwissern nicht behaupten kann; die sich einerseits für Biosprit (aus Maisanbau) und Windenergie, und andererseits für Bienenrettung und Insektenschutz einsetzen, ohne dass ihnen ein Widerspruch auffällt.

Katrin Drechsler / 27.11.2019

Ich finde es großartig und mutig, was die Landwirte da machen. Leider hört oder liest man in den restlichen Medien nur sehr wenig darüber. Aber was können wir tun, um die Landwirte zu unterstützen? Am ende wird es darauf hinauslaufen, dass immer mehr Landwirte aufgeben. Wenn ihnen schon das gepachtete Land nicht unterm Arsch weg spekuliert wird, macht man eben auf diese Art. Und wir beziehen dann unsere Lebensmittel von sonstwo her und haben dann erst recht keinen Einfluss auf die Produktionsbedingungen. Was kann man tun? Das einzige was mir einfällt ist, verstärkt in Agrargenossenschaften, Hofläden, kleinen Fleischereien mit Hausschlachtung oder an Milchtankstellen einzukaufen. Das ändert zwar nichts an den Vorschriften, verschafft den Landwirten aber vielleicht die Möglichkeit, mehr direkt vermarkten zu können. Was anderes fällt mir nicht ein.

Sabine Lotus / 27.11.2019

Unsere Bauern <3 ...aber von meiner morgentlichen Liebeserklärung mal ganz abgesehen, wie war das bitte? Mobbing von Bauernkindern? Wie muß ich mir denn das vorstellen? Steht dann da so eine billigstudierte pädagogische Spezialfachkraft vor den Kindern und erklärt ihnen, daß wegen ihrer NaziBauernEltern in 10 Jahren die Erde verbrennt? Ich hoffe, das nächste Mal nehmen die Wagenladungen voller Mist mit.

beat schaller / 27.11.2019

Danke auch Ihnen Herr Zydatiss für Ihre Beschreibung der Situation. Ich bin schon der Meinung, dass sie am Überkochen ist. Nicht nur da, denn die Brandherde sind mittlerweile vielschichtig und eben bedrohend, weil es nur in Regulierungswut und Rückschritt mündet. Probleme können so offensichtlich sein und werden schlichtweg überdeckt und schon gar nicht angegangen. Das geht so bestimmt nicht weiter. Neben Italien und Frankreich, ist EUtschland der blinde Vorreiter auf der Klippe. b.schaller

Peter Holschke / 27.11.2019

Laut Hannah Arendt besteht zwischen Mob und Elite Affinität, weil sie im Grunde austauschbar sind und sich neue Eliten aus dem Mob rekrutieren. Wenn man so will, ist die Meinungselite nutzloses Volk, welches um seine Daseinberechtigung kämpft. Mōbile vulgus, das aufgewiegelt Volk?  Heute eher das grenzenlose, wurzellose und mobile Volk. Noch Fragen, warum Flüchtlinge ins Land gekarrt werden? Das dient dem reine Selbsterhalt dieser Eliten. Solche Eliten schurriegeln die Bauern, legen also die Axt an die Nahrungsmittelproduktion und das im dichtbesiedelnsten Flächenstaat Europas, mit einer vom export abhängigen Wirtschaft ohne nennenswerte Rohstoffe? Das kann nicht gutgehen, weil so ewas nicht gut gehen kann. Diesmal nicht Generalplan-Ost, sondern Generalplan-West. Die Bauern revoltieren. Man sollte ihnen absolut zuhören, was die Leute nicht machen, welche sich von Café macchiato mit Sojamilch und Salat aus der Frischebox ernähren. 

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