Kolja Zydatiss / 26.03.2023 / 11:00 / Foto: Pixabay / 23 / Seite ausdrucken

Beklagen wir uns zu viel?

Vielen Menschen auf der Welt geht es schlechter als uns. Warum also klagen? Draußen öffnen sich die Blütenknospen. Es ist wieder Frühling.

Berlin wird heute abstimmen, über einen Klima-Volksentscheid. Ich bin nicht hingegangen und habe mich mit den konkreten Forderungen nicht beschäftigt. Ein Freund sagte, die Initiatoren hätten gar nicht erklärt, wie sie ihr Ziel der „Klimaneutralität bis 2030“ denn überhaupt erreichen wollen. Genauso gut hätten sie ein Pony und ein Haus aus Gold für jeden Berliner fordern können. Die Kampagne erinnere ihn an das magische Denken von Stalins Lieblings-Agrarwissenschaftler Trofim Denissowitsch Lyssenko, der fest davon überzeugt war, die Genetik sei eine bürgerliche Lüge, und die Bananenpflanze könne am Polarkreis gedeihen, wenn man ihr nur den richtigen Klassenstandpunkt vermittle.

Bei rbb24 lese ich, dass „noch nie ein Berliner Volksentscheid so viel Geld zur Verfügung hatte“ wie „Berlin 2030 klimaneutral“. Satte 1,2 Millionen Euro an Spenden hätten die Initiatoren eingetrieben. Mit Abstand größter Geldgeber für die Kampagne sei ein deutsch-amerikanisches Ehepaar, das im US-Bundesstaat New York lebt. Fast eine halbe Million Euro hätten Albert Wenger und Susan Danziger über ihre Familienstiftung „Eutopia“ überwiesen. Wenger sei durch Risikokapital-Geschäfte reich geworden. Das Ehepaar unterstützt auch Projekte für ein bedingungsloses Grundeinkommen in den USA und Deutschland. Sie meinen es sicher gut. Das sage ich ausnahmsweise mal ganz und gar ohne Sarkasmus.

Im Supermarkt kostet alles etwa ein Viertel mehr als früher. Aber ich hungere nicht. Den Ukrainern geht es viel schlechter als mir. Auch das meine ich ohne Sarkasmus.

Ein Freund hatte im Winter 600 Euro Heizkosten im Monat. Faktisch eine zweite Miete für die Gasheizung.

Wir leben alle im Klima, sagen Wissenschaftler. Und das Klima verhandelt nicht.

Der Zentralverband der Deutschen Haus-, Wohnungs- und Grundeigentümer, „Haus & Grund“, warnt: Das geplante Verbot von Öl- und Gasheizungen und der damit verbundene Sanierungszwang zerstört die Altersvorsorge vieler Menschen. „Die meisten Eigenheimbesitzer haben über die Jahre hinweg ihr ganzes Vermögen in ihre Immobilie investiert“, so Verbandschef Kai Warnecke gegenüber der Bild. Daneben blieben „keine Ersparnisse, um jetzt solche Sanierungen zu bezahlen. Viele Menschen wären schlimmstenfalls gezwungen, ihr Haus zu verkaufen. Finanzielle Lebensplanungen werden so mutwillig und ohne Rücksichtnahme durchkreuzt.“ Nun, eine Immobilie zu besitzen, ist kein Menschenrecht.

Die Deutschen sind kein aufmüpfiges Volk

Laut der Deutschen Automobil-Treuhand (DAT) kostete ein Neuwagen vergangenes Jahr im Durchschnitt 42.790 Euro, ein Anstieg von 13 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Das durchschnittliche Jahresnettogehalt eines deutschen Arbeitnehmers liegt bei 26.868 Euro. Auch die Gebrauchtwagenpreise explodieren. Branchenexperten der Deutschen Bank fürchten, dass der Durchschnittsbürger Gefahr laufe, „sich kein Auto mehr leisten zu können“. Nun, ein Auto zu haben, ist kein Menschenrecht.

Vor ein paar Jahren zogen Millionen Franzosen gelbe Warnwesten an und protestierten. Sie waren wütend, weil die Regierung das Tanken deutlich teurer machen wollte und man in der ländlichen Normandie oder im Zentralmassiv nicht einfach in eine Metro steigen kann, wenn man irgendwo hin will. Die Regierung machte einen Rückzieher.

In meinem Auto haben sich vier dieser grellen Dinger angesammelt, die auch in Deutschland Pflicht sind, zwei in Orange und zwei in Gelb. Zu Demonstrationszwecken im buchstäblichen Sinne werde ich sie wohl nicht brauchen. Die Deutschen sind kein aufmüpfiges Volk. Wenn sie einen Bahnhof stürmen wollen, kaufen sie sich vorher noch eine Bahnsteigkarte, wusste schon Lenin.

Das Auto gehörte vorher meinem Vater. Er ist demenzkrank und lebt in einer Pflegeeinrichtung, die ganz in Ordnung ist. Die Krankenkasse übernimmt einen Teil der Kosten, es bleibt ein Selbstkostenbeitrag von rund 2.300 Euro im Monat. Zum Glück bezieht mein Vater als Professor a.D. ein recht großzügiges Ruhegehalt. Das hat nicht jeder.

„Wie eine fünfköpfige Familie glücklich in einer Ein-Zimmer-Wohnung lebt“, titelt die F.A.Z. Der Artikel ist hinter einer Bezahlschranke, die dazugehörige Fotostrecke nicht. Ich klicke sie halb neugierig, halb gelangweilt durch. „Minimalismus: ‚Mein Besitz passt in zwei Handgepäckstücke‘“, titelt der NDR. Der Artikel ist nicht hinter einer Bezahlschranke, aber ich habe keine Lust, ihn zu lesen.

Draußen öffnen sich die Blütenknospen

BASF streicht 2.500 Jobs in Ludwigshafen, berichtet der SWR. Das liege vor allem an den „explodierenden Energiekosten“ in Europa. Der Konzern wolle jetzt „vor allem außerhalb von Deutschland und Europa investieren – vor allem in Asien“, so der SWR weiter. Gut, der Unternehmenssitz bleibt in Ludwigshafen. In anderen Ländern gibt es nicht einmal milliardenschwere Technologiekonzerne wie die BASF. Nepal, Bhutan und San Marino haben zum Beispiel keinen einzigen.

Zahlreiche mittelständische Autozulieferer wollen wegen der gestiegenen Energiekosten je hunderte Stellen in Deutschland abbauen oder haben das bereits getan. Wen es interessiert, der suche auf Google. Für die Beschäftigten der Marelli Automotive Lightning in Thüringen will die IG Metall nun einen Sozialplan aushandeln, meldet der MDR.

China hat 2022 den Bau neuer Kohlekraftwerke mit einer Gesamtkapazität von 106 Gigawatt genehmigt, berichtet tagesschau.de. Das entspreche in etwa zwei großen Kraftwerksblöcken pro Woche.

Frankreichs Treibhausgasemissionen sind um 45 Prozent niedriger als die deutschen, steht in einem Artikel auf der seriös wirkenden Webseite Energy BrainBlog, der nur so vor Fakten, Zahlen und Infografiken strotzt. 443 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente pro Jahr für Frankreich, gegenüber 800 Millionen Tonnen in Deutschland. Ein Franzose produziert demnach durchschnittlich 6,5 Tonnen CO₂-Äquivalente pro Jahr, ein Deutscher 9,6 Tonnen.

Die sehr unterschiedliche Bilanz sei vor allem auf die Kernenergie zurückzuführen, die in Frankreich 43 Prozent des Primärenergieverbrauchs ausmache, gegenüber sechs Prozent in Deutschland, schreibt der Autor. In Frankreich befinden sich derzeit sieben neue Kernkraftwerke im Bau oder in Planung, im Jahr 2050 will der Staat prüfen, ob noch acht weitere dazu kommen.

Eine Gasmangellage ist nicht eingetreten. Draußen öffnen sich die Blütenknospen. Es ist wieder Frühling.

Foto: Pixabay

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Sabine Heinrich / 26.03.2023

“Uns geht es doch gut!” - Wenn ich diesen Satz aus dem Mund wohlsituierter Rentner und Pensionäre höre, schwillt mir der Kamm! Sie weisen stets auf die Situation in der Ukraine hin, meinen, wir sollten doch dankbar sein, dass wir keinen Krieg haben. Sie wollen partout nicht sehen, dass unser Land mit Karacho in den Abgrund gefahren, vielleicht sogar von kriegsgeilen Politikern in einen 3. Weltkrieg getrieben wird, verdrängen die negative Entwicklung, die Deutschland seit 2015 genommen hat, sehen nicht ihre armen Altersgenossen, die im Müll nach Flaschen suchen oder schüchtern bei den Tafeln anstehen, während Kinder aus großen Autos z.B. mit UA-Kennzeichen aussteigen und sich ihreTüten vollstopfen lassen. Sie sehen nicht das zunehmende Elend der einheimischen Alten, die oft in wohlhabenderen Gegenden unsichtbar bleiben - falls es sie dort überhaupt noch wegen der exorbitant hohen Mieten noch gibt. Diese “Uns- geht - es-doch-gut-Menschen” sind blind für die katastrophalen Veränderungen in der Gesellschaft; sie haben ja ihre Fernseher, ihre teuren Wohnungen, können sich alles leisten, vergießen Eimer von Tränen über das Elend in der Ukraine, ignorieren aber darüber, was an Kriegen und Menschenrechtsverletzungen in anderen Ländern und bei uns - siehe Corona - geschieht und geschehen ist- kein Wunder - darüber wird ja auch nicht berichtet - und sich selbst zu informieren - ach nein - das macht ja viel zu viel Mühe! Da verlässt man sich doch lieber vom bequemen Sessel aus den Talkshowkoryphäen, welche Haltung zeigen, die einzig gültige Wahrheit verkünden und an den entsprechenden Stellen Doppelpunkte, Unterstriche und allerlei anderen Schwachsinn glucksen. Ja - ich bin zornig! “Uns geht es doch gut!” Stimmt - die das sagen - die haben sicher recht; sie meinen aber nicht nur sich, sie meinen alle Deutschen und Deutschland. Ich möchte diesen Leuten mit einem Ruck ihre Scheuklappen von den Augen und Hirnen reißen!

S. Andersson / 26.03.2023

Was für ein Quark! Menschenrecht… was soll mir das sagen? Ich hab in meinen Leben mehr gearbeitet als die meisten. Mein Recht ist es das ich mir raus nehme zu sagen das die schmarotzenden Nichts Könner & Faulenzer nicht das Recht haben das von mir erwirtschaftete mit vollen Hände raus zu werfen! Wer soll was bezahlen? Bullshit Artikel. Ich brauche keine Maulhelden die nix bewegen und dann noch über Rechte fabulieren… Sorry… Schwachsinn. Geld regiert diese Welt

Michael Müller / 26.03.2023

Toller Artikel, flott geschrieben und flott zu lesen. “Im Supermarkt kostet alles etwa ein Viertel mehr als früher.” Genau. Und dieses “früher” war zumindest in meinen Supermärkten bis Ende Februar 2022. Viele Sachen, die ich mir gerne und häufig kaufe,  sind dort sogar bis zu 60% teurer geworden. Und ständig kriegen wir was vorgemacht von wegen 10 Prozent Preissteigerung. Es wird dann gerne angeführt, dass Pflanzenschutzmittel oder Tampons oder sonstwas nicht so viel teurer geworden sind. Das gleicht die Teuerungsrate irgendwie wieder aus. Nur: Die benutz’ ich halt nicht.

Gus Schiller / 26.03.2023

Singen Sie doch heurigenselig zusammen mit Hans Moser “Draussen in Sievering blüht schon der Flieder”. Die Deutschen sind kein aufmüpfiges Volk, sondern untertänige Idioten, die sich alles gefallen lassen, wenn denn es “von oben” kommt. Scheint auch Ihre Devise zu sein.

Ludwig Luhmann / 26.03.2023

@A.Schröder / 26.03.2023 - “Natürlich ändert sich Klima, schon seit es die Erde gibt.”—- Sie meinen das Wetter und nicht das sog. “Klima”. Das Klima ist nämich ein statistischer Mittelwert bzw. ein alter modellierter Datensatz auf Festplatten. Nur das Wetter ist konkret real. Das Klima ist eine Abstraktion vom Wetter.

Arnold Balzer / 26.03.2023

Ihr Artikel ist zwar mit einer Reihe von Fakten garniert, aber insgesamt kommt er als ziemliches Sammelsurium, oder wie Kraut & Rüben daher. Gestatten Sie mir, noch eine Rübe dazu beizusteuern: Nepal und Bhutan zusammen mit San Marino zu nennen soll erkennbar ein kleiner Scherz am Rande sein. (Was für ein Lacher!) Wenn die Deutschen so wenig Steuern zu zahlen hätten wie die Einwohner dieser drei Staaten, könnte man ihnen wohl vorwerfen, auf hohem Niveau zu meckern.  San Marino braucht keinen milliardenschweren Tech-Konzern, die haben genug Reiche und Superreiche, so dass alle bei geringen Steuern gut leben können, obwohl nicht zur EU gehörig und seit wenigen Jahren erzwungenermaßen keine Steueroase mehr. “San Marino gehört ... zu den reichsten Ländern der Welt, hat keine Staatsschulden (!) ... ” (Wiki), ist also vergleichbar mit Liechtenstein. Eine Daueraufenthaltsgenehmigung zu erlangen, ist in beiden Staaten ähnlich schwer. Wer keinen Grund, sich zu beklagen hätte, sind nicht die Deutschen, sondern eher die San Marinesen.

Rolf Mainz / 26.03.2023

Wirklich, es könnte schlimmer kommen. Und es kam schlimmer.

Christoph Baumann / 26.03.2023

Ich schätze,der Artikel wird ihnen nicht viel positive Resonanz bescheren. Erinnert mich an einen alten Witz: Woran erkennt man, dass ein Ausländer sich wirklich in Deutschland integriert hat: er jammert ständig grundlos herum….

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