Das Festival „Musik & Wort in Weimar“ brachte Künstler und Aktivisten zusammen, die sich gegen die Konformität der Kultur stellen. Neben prominenten Rednern wie Ulrike Guérot oder Hans-Joachim Maaz brillierten rebellische Musiker wie Tobias Morgenstern, Markus Stockhausen und Jens Fischer-Rodrian.
Die Idee für das Festival „Musik & Wort in Weimar“ entstand bei einem Treffen professioneller Musiker am Bodensee: im „Netzwerk Musik in Freiheit“, das vom Saxophonisten Roger Hanschel initiiert wurde. Diese Netzwerk zählt über 700 Mitglieder und forderte 2021 vom Bundestag, „der Musik und der Kunst im direkten Austausch mit allen Menschen ihren dringend notwendigen, gewohnten, diskriminierungsfreien und freiheitlichen Raum zurückzugeben“.
Dass dieses Festival keine Idee blieb, sondern vom 1. bis 3. September im Schießhaus in Weimar realisiert wurde, ist Almut und Uli Masuth und ihren Helfern zu verdanken. Es war ein voller Erfolg. Mehr als das. Es hat Menschen zusammengebracht, die aus unterschiedlichen Schichten und Gegenden unseres Landes stammen, die aber eins eint: Sie lassen sich nicht nehmen, ihren eigenen Verstand zu gebrauchen und sie haben ihre Angst überwunden, das öffentlich zu tun. Hier herrschte Toleranz und Frohsinn, etwas, das in der Mehrheitsgesellschaft fast zum Verschwinden gebracht wurde.
Musik und Wort versprach der Untertitel. In der Diskussion kamen daher unterschiedliche Menschen und Meinungen zu Wort, von Gabriele Gysi über Ulrike Guérot, Jürgen Fliege und Pfarrer Martin Michaelis bis hin zu hin zu Hans-Joachim Maaz. Diese Diskutanten sind weitgehend verbannt aus öffentlichen Foren, wegen ihrer Ablehnung von Krieg als Mittel der Politik, ihrer Skepsis gegenüber den Corona-Maßnahmen und der Klimarettung.
In Weimar war man nicht einer Meinung, sondern respektierte selbstverständlich andere Ansichten. Nicht der Gleichschritt, sondern die Kontroverse ist das Lebenselixier einer freien Gesellschaft. Entsprechend anregend waren die Pausengespäche. Freie Rede macht nicht nur klüger, sondern glücklich.
Gegen künstlerische Verarmung
Hauptsächlich ging es den Veranstaltern aber darum, den Konformitätsdruck, dem Kunst und Kultur durch staatliche Förderung ausgesetzt sind, etwas entgegenzusetzen. Das Festival wurde ohne jede staatliche Zuwendung auf die Beine gestellt und bot vor allem Künstlern eine Bühne, die vom offiziellen Kulturbetrieb weitgehend aussortiert worden sind, weil sie nicht der geforderten Meinung waren.
Genannt sei der Akkordionist Tobias Morgenstern, dem das Bundespräsidialamt 2021 die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an ihn absagte, weil es ihn der Querdenker-Szene zuordnete. Er sollte es bekommen, weil er zusammen mit dem Schauspieler Thomas Rühmann („In aller Freundschaft“) seit 1998 im Oderbruch das „Theater am Rand“ als einzigartigen ländlichen Kulturort entwickelte (Achgut berichtete).
Unbeabsichtigt geriet das Festival zum Beweis dafür, wie sehr die Kultur durch die zur Praxis gewordene Ausgrenzung Andersdenkender verarmt. Ich bitte alle Musiker um Verzeihung, dass ich im Folgenden nur drei Aufführungen erwähne und versichere, dass alle nicht Genannten von gleich hoher Qualität waren.
Musik verbindet ohne Worte
Das Ensemble Ost-West Klang, gegründet vom Iraner Afshin Chavami und am Anfang gesponsert von der Gates-Stiftung, bot Weisen iranischer oppositioneller Künstler. Die Worte verstand kaum einer im Saal, persische Poesie lässt sich auch schwer ins Deutsche übersetzen, aber die Melodien berührten die Seelen aller Anwesenden. Die erfahren dadurch die notwendige Stärkung in einer Zeit, wo die Seelen der Menschen unter permanenter Attacke stehen, weil jede ihren eigenen Klang hat, was der Gleichmacherei Schranken setzt. Musik verbindet ohne Worte.
Ein besonderes Erlebnis war der Auftritt der Markus Stockhausen Group. Die aktuelle Besetzung spielt erst seit kurzer Zeit zusammen, aber Trompeter und „Echo Jazz“-Preisträger Stockhausen verbindet die Musiker wie mit unsichtbaren Drähten und fordert sie zu Höchstleistungen heraus. Ob Klavier (Tomasz Kowalczyk), Cello (Jörg Brinkmann) oder Schlagzeug (Bodek Janke) – alle drei waren brillant. Besonders gespannt war ich bei der Zugabe, eine freie Improvisation. Die vier Musiker spielten, als wären sie ein Körper.
Eben habe ich erfahren, dass ein Veranstalter aus der Nähe von Hannover die Markus Stockhausen Group aus seinem Winterprogramm entfernt hat, weil ihm Stockhausens Skepsis bezüglich des angeblich menschengemachten Klimawandels nicht gefällt. Zwar sollte Stockhausen keinen Vortrag halten, sondern Jazz spielen, aber der Veranstalter, ein Fan der Letzten Generation, ist der Meinung, die richtige Haltung, nicht die musikalische Qualität wären für die Auftritte auf seiner Bühne entscheidend. Der Leidtragende ist das Publikum, dem eine exzellente Aufführung entgeht.
Das Erlebnis, wegen angeblich falscher Haltung ausgeladen zu werden, kennt Jens Fischer-Rodrian zur Genüge. Ihm sind etwa 80 Prozent seiner üblichen Veranstaltungsorte weggebrochen. Dafür hat es jede Menge neue gegeben, Yoga-Studios, Antiquitätenläden, Wohnungen, Privatgärten. Als ich das hörte, hatte ich das Gefühl, die DDR sei auferstanden, mit ihrer Kulturszene, die sich nur in Privaträumen und ein paar Kirchen entfalten konnte. Aber Fischer-Rodrian lässt sich davon nicht unterkriegen. Er freute sich sichtlich, wieder einmal vor mehreren hundert Leuten im ausverkauften Schießhaus spielen zu können. Und er riss sein Publikum mit, brachte es zum Singen. Als er nach einer knappen Stunde aufhören musste und es trotz stürmischen Beifalls keine Möglichkeit für eine Zugabe gab, sangen die Zuschauer für ihn. Die Überschrift für diesen Artikel stammt von Fischer-Rodrian. Seinen Song „Ihr kriegt uns niemals auf die Knie“ können Sie hier selbst anhören. Am Ende hätte ich nur einen Wunsch: Es sollte nicht das letzte Festival gewesen sein.
Vera Lengsfeld, geboren 1952 in Thüringen ist eine Politikerin und Publizistin. Sie war Bürgerrechtlerin und Mitglied der ersten frei gewählten Volkskammer der DDR. Von 1990 bis 2005 war sie Mitglied des Deutschen Bundestages zunächst bis 1996 für Bündnis 90/Die Grünen, ab 1996 für die CDU. Seitdem betätigt sie sich als freischaffende Autorin. 2008 wurde sie mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande geehrt.