Vera Lengsfeld / 23.06.2024 / 10:00 / Foto: WikiCommons / 7 / Seite ausdrucken

Sensationelle Eröffnung der Schlossfestspiele Sondershausen: Turandot

Die Premiere von Turandot in Berlin war qualitativ nicht mit der Aufführung in Sondershausen vergleichbar.

Großstädter neigen dazu, besonders was die Kultur betrifft, auf die Provinz herabzusehen, in dem trügerischen Gefühl, nur in den Metropolen gäbe es hochwertige Inszenierungen. Das war schon immer ein Irrtum, aber er hält sich hartnäckig und muss immer wieder widerlegt werden.

Jüngstes Beispiel sind zwei Inszenierungen von Puccinis schwierigem Alterswerk Turandot an der Staatsoper Berlin und bei den Thüringer Schlossfestspielen in Sondershausen. Letztere ist eine Stadt mit großer Musiktradition, die von keinem Geringeren als Franz Liszt bewundert wurde, der hier mehrere Konzerte gab und länger in der Stadt verweilte. Das hiesige Lohorchester, im Jahre 1619 gegründet und damit das älteste Berufsorchester Deutschlands, besticht bis heute mit hoher künstlerischer Qualität. Das Theater der im benachbarten Nordhausen ansässigen Theater Nordhausen/Loh-Orchester Sondershausen GmbH hat nach einer längeren Durststrecke unter verschiedenen Intendanten nach Übernahme der Intendanz durch Daniel Klajner eine künstlerische Qualität gewonnen, die keine Vergleiche zu scheuen braucht.

Auch wenn ich eine Freundin der Staatsoper bin und die meisten Aufführungen sehr schätze: Die Premiere von Turandot wurde in Berlin durch mangelnde Choreografie regelrecht verstolpert. Dem Musikkritiker, der mir das erzählte, konnte ich nur empfehlen, die Schlossfestspiele in Sondershausen zu besuchen. Hier stimmte bei der Choreografie (Luca Villa) alles, obwohl in die Aufführung Damen aus dem Karnevalsverein Grün Weiß als weibliche Garde der Turandot eingebunden waren. Das Zusammenspiel von Sängern, Chor, Orchester und Statisten dieser Inszenierung (Benjamin Prins) ist einfach perfekt. Zum Gelingen trägt das grandiose Bühnenbild (Wolfgang Kurima Rauschning) bei, das gekrönt wurde von der Idee, den chinesischen Kaiser als Drachen über dem Ganzen schweben zu lassen.

Puccinis letzte Oper war eine schwierige Geburt

Selbst der Einsatz des Kinderchores, der die Ankündigungen des Drachen untermalte, kam auf den Punkt. Wer glaubte, dass dies mit einer Tonkonserve sichergestellt wurde, fand seinen Irrtum spätestens beim Schlussapplaus heraus, wo auch die Kinder auf die Bühne kamen. Von der Kostümbildnerin Birte Wahlbaum weiß man, dass sie immer hervorragende Arbeit leistet. Diesmal hat sie sich aber selbst übertroffen. Ob die blauen Gewänder der Wache, die roten Clownskostüme der Minister, die an die chinesischen Terracotta-Krieger erinnernden Gewänder der Pekinger, die auf den ersten Blick gleich, beim genaueren Hinsehen im Detail unterschiedlich waren, die annonnenhaften Kleider der Weisen – sie machten aus der Inszenierung ein Fest für die Augen. Der Höhepunkt war die leuchtend blaue Robe von Turandot, auf deren Rock die Köpfe der bereits hingerichteten Bewerber prangen.

Selbst die Nebenrolle des zur Hinrichtung geführten persischen Prinzen war so ausgestattet, dass an seiner königlichen Abkunft keinerlei Zweifel aufkommen. Dazu trägt die stolze Haltung und der elegante Gang von Mohammad Yousufi bei.

Puccinis letzte Oper war eine schwierige Geburt. Er suchte lange nach einem Sujet, entschied sich dann für den aus einer persischen Sage entstammenden Turandot-Stoff. Die chinesische Prinzessin, die ihren Bewerbern drei Rätsel aufgibt und das mit der Forderung verbindet, dass hingerichtet werden soll, wer die Rätsel nicht löst, ist eine der schillerndsten Figuren der Literatur und der Oper. Erschwert wird die Deutung von Puccinis Sichtweise dadurch, dass er die Oper nur bis zur Sterbeszene der Skalvin Liú fertiggestellt hatte und der Komponist Franco Alfano, ein Freund Puccinis, die Vollendung aus den hinterlassenen Skizzen übernehmen musste.

Eine überaus gelungenen Premiere

Auch die Sondershäuser Aufführung warf die Frage auf, wer Turandot eigentlich war, die sich selbst als eine Tochter des Himmels sah und aus ihrer Jungfräulichkeit ein Dogma machte. Eine brutale Eiskönigin oder eine eher unglückliche, in ihren Zwangsvorstellungen und Ängsten gefangene Frau? Was den tatarischen Prinzen Calàf an ihr faszinierte, ist weniger schwer zu erraten. Neben ihrer Schönheit ist es die Aussicht auf Wiedererlangung der Macht, die seinem Vater Timur genommen wurde.

In der großen Auseinandersetzung zwischen Turandot (Hye Won Nam) und Calàf (Kyounghan Seo) endet Turandot als die Besiegte. Beide Hauptdarsteller meistern die schwierigsten Partien mit Bravour. Kyounghan Seo hat mit seiner Interpretation des Nessum Dorma bereits in den Konzerten zur Corona-Zeit das Publikum begeistert. Er wiederholt nun den Triumph auf der Bühne.

Ein besondereres Erlebnis sind die drei Minister Ping (Florian Tavic) Pang (Marian Kalus) und Pong (Jasper Sung), die nicht nur stimmlich, sondern bis ins Pantomimische überzeugen. Für sie gab es am Schluss die ersten Bravo-Rufe. Auch Thomas Kohl als Timur riss das Publikum hin, die zweiten Bravorufe waren die Belohnung. Bei aller Brillanz der Hauptfiguren, meine Favoritin war Mariya Taniguchi als Sklavin Liú. Sie war mit ihrer Liebserklärung an Calàf so bewegend, dass ich unwillkürlich wider besseren Wissens wünschte, der tatarische Prinz würde, davon überwältigt, von der chinesischen Prinzessin ablassen und mit Liú das Weite suchen. Aber natürlich hatte die Sklavin keine Machtoption zu bieten.

Nach der überaus gelungenen Premiere ist Turandot nur zu wünschen, dass es auch der Publikumserfolg wird, den sie verdient.

 

Vera Lengsfeld, geboren 1952 in Thüringen, ist eine Politikerin und Publizistin. Sie war Bürgerrechtlerin und Mitglied der ersten frei gewählten Volkskammer der DDR. Von 1990 bis 2005 war sie Mitglied des Deutschen Bundestages, zunächst bis 1996 für Bündnis 90/Die Grünen, ab 1996 für die CDU. Seitdem betätigt sie sich als freischaffende Autorin. 2008 wurde sie mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande geehrt.

Foto: Leopoldo Metlicovitz - Originally from here Gemeinfrei, via Wikimedia Commons

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Wolfgang Zoubek / 23.06.2024

Der Turandot-Stoff mag aus Persien stammen, doch in Italien wurde er populär durch Carlo Gozzi. Der hatte im 18. Jahrhundert ein Stück im Stil der Commedia dell’arte daraus gemacht, deshalb waren dort die komischen Ministerrollen Commedia dell’arte Typen wie Brighella, Pantalone, Tartaglia und Truffaldino zugedacht. Im Endeffekt hat Puccinis “Turandot” mit China so viel oder so wenig zu tun wie “Madama Butterfly” mit Japan, obwohl beides schöne Opern sind.

gerhard giesemann / 23.06.2024

Für die Kunst gilt: Frage nie nach dem Was, sondern immer nur nach dem Wie, @Helmut Dr.

gerhard giesemann / 23.06.2024

Nessun dorma ... - aufwachen, woker werden in der richtigen Hinsicht, nicht die Augen etc. verschließen wie die drei Affen. Eine wichtige Botschaft für uns Heutige: Niemand soll weiter schlafen, darf er/sie/es nicht.  Sonst winkt der Darwinpreis, unversehens.

Franz Klar / 23.06.2024

«Dieses Ensemble ist wirklich großartig. Stellt euch kurz vor, da wären nur deutsche Namen auf der Besetzungsliste » . Elisabeth Grümmer , Fritz Wunderlich , Hermann Prey ... au wei . Berlin mit dessen eigenen Mitteln schlagen ist das Erfolgsrezept unserer Zeit !

Helmut Driesel / 23.06.2024

  Ich finde es toll, wie Sie es immer wieder schaffen, die pöbelhafte Masse der Ungebildeten hier in der Provinz an den Kunstgenüssen der oberen Zehntausend teilhaben zu lassen, sehr geehrte Frau Lengsfeld. Dieser Fall ist ja geradezu symbolträchtig bis staatsfeindlich gewählt. Der über allem schwebende chinesische Drache (Jahr des Drachen) und die Notwendigkeit, jene, die das Rätsel nicht lösen können, dem Scharfrichter zu übergeben. Viel näher kann Theater der Politik nicht kommen. Die Thüringer CDU-Politiker haben weder ihre von niederen Motiven getriebenen Menschenrechtsverletzungen noch ihren Vandalismus bei der innovativen Energietechnik aufgearbeitet oder nach Schuldigen gesucht, sie waren nicht bereit, Entschädigungen oder Bußgelder zu zahlen, sie waren nicht bereit, eine Legislaturperiode auszusetzen, gieren aber schon wieder nach der Macht. Was soll man noch an Gerechtigkeit erwarten, wenn nicht die Hinrichtung im alliierten Stil vor den nächsten Wahlen. Meinetwegen mit stolzer Haltung und elegantem Gang, der auf die katholisch-käufliche Herkunft all des Unglücks hinweist. Nun, jetzt überlege ich, was Turandot mit Jim Knopf und Lukas dem Lokomotivführer zu tun haben? Da war doch was? Nebenbei: Ist es nicht unpassend, Schulkinder in ein Schauspiel zu bringen, in denen Menschen hingerichtet werden sollen? Und seien es nur Sklaven. Was heißt überhaupt Sklaven? Könige, Prinzen und Sklavinnen? Als Schauspiel 2024? Als Kunstgenuss? Das ist kaum so erbaulich wie 21 Abgeordnetenköpfe in Müllsäcken. Zeichen setzen! Wenn es dem Land dient.

Dirk Kern / 23.06.2024

Vielen Dank für diesen tollen Tipp! Es gibt also in den neuen Bundesländern nicht nur die fantastische Semperoper.

Thomas Szabó / 23.06.2024

Liebe Frau Lengsfeld. Sie waren bis 1996 bei den Grünen. Ab wann & wie setzte die Selbstradikalisierung der Grünen ein? Die Grünen sind heute eine deutschlandfeindliche, autorassistische, linksextreme Partei. Sie framen ihren Linksextremismus als die neue progressive gesellschaftliche Mitte. Ich glaube, wir können bereits heute mit der “grünen Vergangenheitsbewältigung” beginnen, schon bevor die destruktive grüne Politik wie eine Atombombe einschlägt. Wir können schon mal die Sitzplätze im Justizpalast Nürnberg reservieren.

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