Krisenpolitik: Empfehlungen eines Löschmeisters

“Brandstelle Wohnhaus, Wasserentnahmestelle Löschteich, Verteiler 10 m vor Gebäude, Angriffstrupp erstes Rohr auf Brandstelle vor! Zum Einsatz fertig!” So lautete der Einsatzbefehl für das Feuerwehrabzeichen in Bronze in Baden-Württemberg, den ich als Ausbilder jeden Montag meinen Kameraden der Schulfeuerwehr gab. Da habe ich Sonntagsfahrer Dirk Maxeiner („Tatütata, die Feuerwehr ist da") endlich einmal was voraus, wovon er nur träumen kann. Ich bin “Löschmeister der Reserve.” 

Geübt haben wir viel, zum Einsatz kamen wir selten. Das haben die heutigen Salemer uns voraus. In der Oberstufe Spetzgart nahe Überlingen sind die Feuerwehrleute Teil der Freiwilligen Feuerwehr Überlingen und wegen ihrer räumlichen Konzentration oft die Ersten am Einsatzort. Und die Kurt Hahnsche Erlebnispädagogik macht auch vor Grausamkeit nicht Halt. Die Spetzgarter Einsatzdienste waren 2002 mit die Ersten an der Absturzstelle, als über dem Bodensee zwei Flugzeuge zusammengestoßen waren. Es gab 71 Tote, darunter 49 Kinder. Die Spetzgarter halfen bei ihrer Bergung. 

Solche Erfahrungen habe ich nicht gemacht. Gott sei Dank gab es bei der örtlichen Freiwilligen Feuerwehr einen Feuerteufel, der alle Jahre eine einsame Scheune anzündete, wenn zu wenig zu tun war. Da durften wir manchmal mit der Wasserversorgung, mal bei der Absperrung und auch mal bei den Nachlöscharbeiten und der Brandwache helfen. 

Dabei erwirbt man viele Eigenschaften, die einem später im realen Leben mehr nützen, als man denkt. Ich war zu Gast, als 2005 Schloss Elmau in Brand geriet. Die doch schon 25 Jahre vorher eingeübten Routinen liefen dabei automatisch ab, obwohl ich aufgrund des Abschiedsabends des Großfamilienurlaubs schlaftrunken und voll des guten Weines war. Aufgrund des bereits wahrnehmbaren Brandgeruchs konnte ich ein paar Gäste aus dem Schlaf reißen und gemeinsam mit dem damaligen Assistenten des Chefs ein paar Gäste vor dem Ertrinken durch das bereits herablaufende Löschwasser retten. 

Politiker, die in kritischen Situationen kühlen Kopf behielten

Wichtiger war aber folgende Erfahrung aus jener Zeit: der Gefahr furchtlos aber vorsichtig ins Auge zu sehen und schnell eine Entscheidung zu fällen, die dieser unter der hinreichenden Bedingung des Eigenschutzes angemessen begegnet. Menschenleben zu retten, ist die erste Priorität, die zweite die mögliche Reduzierung des Gesamtschadens. Wie geschildert, verursacht auch der Einsatz von Löschwasser beträchtlichen Schaden. 

Deutschland war mit vielen Politikern gesegnet, die in kritischen Situationen einen kühlen Kopf behielten. Der Hamburger Innensenator nahm 1962 beherzt die Zügel in die Hand, als eine Sturmflut die Hansestadt überschwemmte – ganz ohne menschengemachten Klimawandel. Es wären mehr als die 315 Todesopfer geworden, wenn der ehemalige Wehrmachtsoffizier Helmut Schmidt seine Kompetenzen nicht überschritten hätte und etwa entgegen dem Grundgesetz die Bundeswehr gebeten hätte, die Menschen von den Dächern ihrer Häuser mit ihren Hubschraubern vor dem Ertrinken zu retten. 

Schmidt war es auch, der als Kanzler den deutschen Herbst 1977 meisterte. Nach den RAF-Morden an Generalbundesanwalt Siegfried Buback und dem Vorstandsvorsitzenden der Dresdner Bank Jürgen Ponto wurde der Chef des Arbeitgeberverbandes und des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Hanns Martin Schleyer, entführt. Seine drei Personenschützer und sein Fahrer starben im Kugelhagel der Roten Armee Fraktion. Die zwei Autos waren ungepanzert.

Schmidt richtete einen Krisenstab ein, der ständig tagte und an dem Regierung, Opposition und viele Fachleute beteiligt waren. Dort wurde kontrovers diskutiert und der Bundeskanzler ließ sich raten. Als die Lufthansa-Maschine Landshut von palästinensischen Terroristen entführt wurde, um der RAF Schützenhilfe zu geben, entschied er einsam. Statt der geforderten Freilassung der bereits inhaftierten Terroristen, entschied sich der Bundeskanzler für die Erstürmung durch die GSG-9, ein riskantes, aber kalkulierbares Husarenstück. Keine Geisel kam zu Schaden. Aber das war das sichere Todesurteil für Hanns Martin Schleyer. Auf dessen Trauerfeier zu erscheinen – für Schmidt eine Selbstverständlichkeit. 

Die Vollkaskomentalität maximiert die Kollateralschäden

Auch seine Nachfolger fanden noch Maß und Mitte: Helmut Kohl behielt während der friedlichen Revolution, die zur deutschen Einheit führen sollte, einen kühlen Kopf und Gerhard Schröder gewann nicht nur wegen des Elbehochwassers 2002 die Bundestagswahl. Sein Mut, mit der “Agenda 2010” eine Ära der Vollbeschäftigung und des wirtschaftlichen Aufschwungs auszulösen, wurde nicht gewürdigt. Den hatte er, das von ihm für Recht Erkannte durchzusetzen.

Der Generationswechsel von Kriegs- und Nachkriegsgeneration zu den nicht durch diese Erfahrung Geprägten hat uns nicht wirklich geholfen. Die Generation Merkel ist von der Angst getrieben, die eigene Macht zu verlieren. Die Vollkaskomentalität maximiert die Kollateralschäden. Die Prinzipienlosigkeit verzichtet auf die aus Erfahrung gewachsenen Regeln, die einen in kritischen Situationen vor dem Irrtum bewahren und Leitplanken für eine besonnene Entscheidung bieten. Und Halt. 

Im Mai 2010 soll der französische Präsident Nicolas Sarkozy gedroht haben, wenn Deutschland der Griechenland-Rettung nicht zustimme, trete Frankreich aus dem Euro aus. Merkel stimmte der Euro-Rettung zu, obwohl der Vertrag von Maastricht verbot, dass einzelnen Euro Ländern mit bankrotten Haushalten von anderen geholfen wird. Herbert Wehner hätte gesagt: “Wer rausgeht, muss auch wieder reinkommen”. Merkels Einknicken bedeutete einen Dammbruch. Seither haften wir gesamtschuldnerisch für alle Staatsanleihen des Euroraums. 

Ob Atomausstieg, Finanzkrise, Flüchtlingsstrom oder Corona: Stets warf die panikgetriebene Kanzlerin mit ihrer Regierung alle vorher gültigen Gesetze, Regeln und Prinzipien über den Haufen. Ihre Reaktion war stets schon nicht mal mehr unverhältnismäßig. Angst ist ein schlechter Ratgeber. Panik noch schlimmer. Dramatisch, dass Corona eine Panikpandemie unter den Regierenden weltweit ausgelöst hat. Man könnte auch von Kopflosigkeit sprechen.  

Erfahrung, Vertrauen, Sicherheit und Augenmaß

Bei der Feuerwehr ist Risikoabwägung alltäglich. Und manchmal eine Entscheidung über Leben und Tod notwendig. Die in der Panikpandemie als Schreckgespenst beschworene “Triage” gehört zum Handwerkszeug. Verletzte werden automatisch nach den Farben einer Ampel kategorisiert. Grün bedeutet ungefährdet, gelb ein kalkulierbares Risiko und rot lebensgefährlich verletzt. Wann stellt man die Wiederbelebung ein, welchen Menschen rettet man zu erst, welchen gibt man überhaupt auf? Und wann ist der Wasserschaden größer als der durch das Feuer?

Dabei hilft Erfahrung. Die der Generationen von Einsatzkräften wird in Regeln gegossen und immer wieder eingedenk der Situationen überprüft. Diese Erfahrung entsteht nicht nur durch viele Einsätze, sondern auch durch Übung. Die meiste Arbeit der Helden des Alltags besteht nicht aus retten, bergen und löschen, sondern aus üben, üben, üben. Das verschafft dem Verantwortungsträger Sicherheit und der Mannschaft blindes Vertrauen, dass jeder Handgriff sitzt. Erfahrung, Vertrauen, Sicherheit und Augenmaß fehlen der politischen Kaste seit geraumer Zeit. Auch das müsste man üben. 

Da das nicht geht, empfehle ich die bei Youtube abrufbare und mit einem riesigen Aufwand gedrehte WDR-Serie „Feuer und Flamme”, die Feuerwehrleute der Ruhrgebietswehren von Gelsenkirchen und Bochum liebevoll porträtiert. Daran kann man lernen, wie gelassen und ruhig diese Männer und Frauen mit Gefahrensituationen umgehen – von der Menschenrettung bis zum Brand eines Komposthaufens. In der Ruhe liegt die Kraft. Die würde ich mir von Merkel und Co. gewünscht haben. 

Als meine Ausbildungsgruppe die vorgegebene Minute und 10 Sekunden für das “Kuppeln” nicht schaffte, ließ ich sie vor Schulbeginn morgens um halb sieben zur Übung antreten: Die Tragkraftspritze mit VW-Motor musste aus dem Ford Transit gehoben werden, vier Saugschläuche “gekuppelt” und ein Saugkorb verbunden, mit einer Fangleine gesichert und zu Wasser gelassen werden. Im Einsatzfall musste dann noch die Pumpe mit einer Kurbel angeworfen werden. Das saß dann nach einer Woche. Aus dem bronzenen Leistungsabzeichen ist in jenem Jahr nichts geworden. Ich fiel – mit einem Bein – in den Löschteich. Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen.

 

PS: Wie es der Zufall will: Die Berliner Feuerwehr führt am morgigen Mittwoch auf der Kuppel des Reichstagsgebäudes eine Übung durch. Trainiert wird im Rahmen einer Höhenrettung die Bergung einer verletzten Person aus dem Innenraum der Reichstagskuppel.

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Wolfgang Kaufmann / 14.07.2020

„Angst ist ein schlechter Ratgeber. Panik noch schlimmer.“ — Das ganze Leben ist lebensgefährlich. Doch eine Generation, die mehr in der Virtualität lebt als in der Realität, die keinen Schritt macht ohne Navigation, die auf Verdacht bestellt und ungeliebte Waren zurückschickt, die keinen Handgriff tut ohne vorherige Desinfektion, ungeliebte Ehepartner in die Wüste schickt, ungeliebte Nachkommen abtreibt und ungeliebten Alten beim Sterben hilft, kann keine reale Verantwortung übernehmen in Bereichen, wo sich nicht mit Strg-Z oder Neustart jeder Fehler korrigieren lässt. Ein mediales Übergewicht von Frauen und Kindern, Alten und Beamten tut ein Übriges, denn mit beiden Beinen im Leben steht nur der Dritte Stand. Der Rest lässt sich ihren Sicherheitsfetischismus vom produktiven Teil der Bevölkerung finanzieren.

Jakob Mendel / 14.07.2020

Sehr geehrter Herr Jancke, wenn Sie schreiben, daß Frau Merkels Reaktion schon nicht mal mehr verhältnismößig war, muß ich widersprechen. Frau Merkel hat sich, Prinzip ihrer Machterhaltung, stets flexibel der veröffentlichten Meinung angeschmiegt – und in Bezug auf diesen Zeitgeist war ihre Reaktion immer verhältnismäßig. Der Zeitgeist mit Atomangst, EU-Europa-Verwechslung, Klimarettungs-Allmachtswahn, Corona-Panik, Identitätspolitik usw. zeigt halt heftige Ausschläge. Inzwischen wartet der interessierte Beobachter auf einen Satz wie: „Also ich persönlich, das muß ich einfach mal so sagen, bin in diesem Punkt, gerade angesichts unserer Verantwortung, sehr sensibel und werde in Zukunft noch mehr darauf achten, daß ich nicht in einer Mohren-Apotheke einkaufen gehe.“

Marcel Seiler / 14.07.2020

Nach oben kommen im politischen System keine Krisenbewältiger, sondern Selbstdarsteller und Intriganten. In den Medien: Solide Recherche ist OUT, Krawall ist IN. Einzelne können das nicht ändern; das System ist kaputt. Kein Wunder, dass Muslime und Chinesen uns verachten. Das System braucht Reparatur. Aber welche und wie?

Steffen Schwarz / 14.07.2020

Ich habe nie die Sozen gewählt oder gemocht aber Schmidt war ein Könner bis zu letzt, und er hatte Eier. Heute natürlich mit Parteiauschluß nicht mehr dabei. Brandt schon ein Opportunist. Die davor kenn ich nicht. Zumindest Adenauer wohl ein strammer Antikommunist. Kohl war nur am Anfang helle aber zumindest immer staatsmännisch. Die Wende hat ihm die Macht gerettet und am Ende hat er sich im Korruption verfangen, ohne es wahrhaben zu wollen. Sein Bimbes Schäuble hat sich bis heute halten können. Ohnehin ein Unding. Schröder, der 200%ge Opportunist und schon ein übler Schwätzer , hinter jedem Geld und jedem Rock hinterher. Hat sich von den Grünlingen zumindest nicht völlig einfangen lassen,  hat aber die Türken zu Deutschen gemacht und damit die Grundlage für das heutige Unheil gelegt. AM?.—ich beiß mich täglich— Ohne Worte . ich hab die 2005 gewählt,—war ich bekloppt—aber schon danach nicht mehr. Sie hat D auf Jahrzehnte—ja ich glaube für immer—in den Abgrund gerissen, Und in der CDU putscht einfach keiner. DAS ist der eigentliche Skandal. Ihre Strategie der Macht aus meiner Sicht ist mal ein eigener Kommentar wert. Fazit: D ist am A…..

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Carl Christian Jancke, Gastautor / 17.01.2022 / 13:00 / 14

Über den Tod in Zeiten der „Pandemie”

Die vermeintliche Pandemie verunsichert uns, weil sie eine mögliche Todesursache mit dem konkreten Tod zusammenbringt. Dabei ist das Natürlichste am Leben der Tod. Das Natürlichste…/ mehr

Carl Christian Jancke, Gastautor / 09.12.2021 / 10:00 / 72

Der Vize-Kanzler: Autorität oder autoritär?

Der smarte Wuschelkopf Robert Habeck kommt harmloser daher, als er ist. Er liebäugelt mit autoritären Mustern, etwa Grundrechtseinschränkungen zum Wohle des Klimas. „Freiheit ist die…/ mehr

Carl Christian Jancke, Gastautor / 18.11.2021 / 06:00 / 158

Und ewig grüßt die Merkel-Runde

Heute kommt die „MPK" wieder zusammen, um neue und härtere „Maßnahmen“ aufgrund der „Zahlen” zu beschließen. Das Kuriose ist, dass diese Zahlen die anstehenden Corona-Restriktionen nicht…/ mehr

Carl Christian Jancke, Gastautor / 03.11.2021 / 12:00 / 27

Die renitente Resistenz gegen die Realität

Unter künstlicher Intelligenz versteht man üblicherweise selbstlernende Systeme. Aber sie sind kein Heilmittel. Sie können nur erkennen, was ihre Programmierer erwarten. Von dem politischen System…/ mehr

Carl Christian Jancke, Gastautor / 12.10.2021 / 14:00 / 24

Zerschlagt Facebook!

Das Oligopol von Facebook, YouTube & Co. macht die Nutzer der sozialen Netzwerke machtlos. Sie sind der Willkür des Algorithmus ausgesetzt. Die vermachteten Strukturen gehören…/ mehr

Carl Christian Jancke, Gastautor / 03.09.2021 / 13:00 / 36

Wahlumfragen: Von Irrtümern und selbsterfüllenden Orakeln

Die SPD im Meinungshoch? Meinungsforschung mag ein Indikator für Stimmungen und Entwicklungen sein, ist aber keine exakte Wissenschaft. Schon oft lagen die Demoskopen gehörig daneben. …/ mehr

Carl Christian Jancke, Gastautor / 10.08.2021 / 06:00 / 55

Die Pandemie in Zahlen

Die Zahlen rechtfertigen keine epidemische Lage von nationaler Tragweite. Für den 6. August wurden 16 „Corona-Tote” gemeldet. Das sind 0,0000191 Prozent der Gesamtbevölkerung und 0,04% der…/ mehr

Carl Christian Jancke, Gastautor / 05.05.2021 / 15:00 / 62

Nüchtern betrachtet: Die Urteilsfähigkeit des Verfassungs-Gerichtes

Das Bundesverfassungsgericht hat gesprochen. Luisa Neubauer aus dem Elbvorort ist in ihrer zukünftigen Freiheit eingeschränkt, weil das Klimaschutzgesetz nicht rigide genug ist. Deshalb, so das…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com