Gunter Weißgerber / 28.07.2021 / 12:48 / Foto: Rob Bogaert/Anefo / 76 / Seite ausdrucken

Konzerte “keine politische Bühne“? Seit wann denn das?

Konzerte nicht als politische Bühne nutzen? Seit wann ist das Usus in der Bundesrepublik? Mir ist das neu. Oder gilt das nur für Künstler, die in der Ära Merkel nicht zu den Haltungskünstlern gerechnet werden?

Es liest sich wie DDR. Es schmeckt wie DDR (allerdings noch mit Bananen). Es riecht wie DDR. Wenn das nicht DDR ist, was ist es dann?

Im Jahr siebenundfünfzig nach Klaus Renfts erstem Verbot 1965, im Jahr siebenundvierzig nach dessen zweitem Verbot 1975, im Jahr siebenundvierzig nach Wolf Biermanns Rausschmiss aus der DDR 1976, im Jahr sechsundvierzig nach Manfred Krugs Unterschrift 1976 unter das Protestschreiben gegen Wolf Biermanns Ausbürgerung, im Jahr neununddreißig nach Udo Lindenbergs 1983er DDR-Auftrittsbettelsong „Sonderzug nach Pankow“ an Erich Honecker fällt einem bundesdeutschen Veranstalter nichts anderes ein als im Stil des DDR-Kulturministers Hans-Joachim Hoffmann folgendes abzusondern:

„Es war uns wichtig und daher auch bereits im Vorfeld vertraglich vereinbart, dass die Konzerte nicht als politische Bühne genutzt werden dürfen“, erläuterte Veranstalter Dennis Bahl

Konzerte nicht als politische Bühne nutzen? Seit wann ist das Usus in der Bundesrepublik? Mir ist das neu. Oder gilt das nur für Künstler, die in der Ära Merkel nicht zu den Haltungskünstlern gerechnet werden? 

Seit ich Konzerte von bundesdeutschen Künstlern verfolge, und das sind nicht wenige, kenne ich fast nur Auftritte, die ohne politische Statements nicht abgingen. Ob Udo Lindenberg, ob BAP, ob Herbert Grönemeyer, ob Sebastian Krumbiegel und wie die mit der guten Haltung alle heißen, sie alle hämmerten uns ihre politische Sicht zwischen ihre Titel. Ungefragt. Einfach so. Was ja an und für sich in Ordnung war und wäre, würde dasselbe Recht für alle gelten. Tut es aber offensichtlich nicht mehr. 

Im Gehorsam vorauseilende informelle Maschinerie

Selbstverständlich kommen jetzt die Einwände. In der DDR war es der Staat, der Verbote erließ, der Existenzen durch Auftrittsverhinderungen bedrohte und vernichtete. Das jetzt mit Nena und den dreiundfünfzig aufmüpfigen Schauspielern, es werden noch viele mehr dazu kommen, das ist doch was gaaanz anderes. Private Veranstalter wollen eben keine politischen Aussagen in ihren Veranstaltungen. So und ähnlich framen es die Diederich Heßlings der Republik in die sozialen Netzwerke und schreiben es im Feuilleton und merken nicht einmal, dass es zur Zerstörung der Meinungsfreiheit keiner SED, keines Hans-Joachim Hoffmanns, keines Kurt Hagers bedarf. Es genügt eine gutgeölte und im Gehorsam vorauseilende informelle Maschinerie, die sich eins mit den Regierigen weiß. 

Frau Merkel und ihre Kameraden haben es vollbracht. Die Internetzensur wurde an die Plattformbetreiber delegiert, die Auftrittszensur übernehmen willige Konzertveranstalter. Die Frau in Berlin hat weiße Hände, ihre Geschöpfe machen die Drecksarbeit. Der Michel staunt, so er es überhaupt bemerkt. 

Was mich auch interessiert: Was denkt ein Wolf Biermann über die Ausschließeritis von Künstlern? Feilt er bereits an einem Protestschreiben an die Veranstalter und an die Bundeskanzlerin? Klaus Renft und Manfred Krug sind bereits im Himmel der Aufmüpfigen, die kann er nicht um Unterschriften bitten. Aber einige seiner Unterstützer von damals könnte er sicher fragen. Ins Gefängnis kämen die heute (noch) nicht, nur mit Framing und Zersetzung durch das Feuilleton und die Antifa müssten sie rechnen. Was auch nicht angenehm ist. 

Wird Nena jetzt an Ausreise denken (müssen)? Die Bundesrepublik ist auf Talfahrt. In jeder Hinsicht. 

Für das Verständnis der Siituation ist es sogar aufschlussreich nachzulesen, was die eher links-dominierte Wikipedia zu Klaus Renft und Manfred Krug sagt:

„Ihre Songs, deren Themen häufig von staatlicher Repression (Ketten werden knapper) handelten oder vielschichtig/zweideutig waren wie (Zwischen Liebe und Zorn, Ermutigung, Nach der Schlacht), hinterfragten das durch die Staatsmacht vorgegebene Bild. Daher geriet die bereits 1964 unter dem Decknamen „Wanderer“ geführte Band verschärft ins Visier der Staatssicherheit. Neue Musikaufnahmen wurden nach dem 1974 veröffentlichten Titel Aber ich kanns nicht verstehen (Platz 2 bei der NBI-Beatparade) nicht mehr zugelassen, die „Klaus Renft Combo“ im September 1975 erneut verboten. Die Musiker beschwerten sich beim damaligen Kulturminister der DDR Hans-Joachim Hoffmann. In der Folgezeit entstanden heimliche Aufnahmen wie die Rockballade vom kleinen Otto, die eine mögliche Flucht aus der DDR zum Inhalt hatte, oder das Lied Glaubensfragen, das mit dem Thema Bausoldat ein staatliches Tabu ansprach. Ende Oktober 1975 verlor Renft seine Zulassung durch das Kulturministerium.“ (Wikipedia Renft).

„Ende 1976 hatte Krug das Protestschreiben gegen die Ausbürgerung von Wolf Biermann unterzeichnet. Infolgedessen bekam er keine Rollenangebote mehr, was einem Berufsverbot gleichkam – er wurde als Künstler kaltgestellt.“ (Wikipedia Krug)

 

Gunter Weißgerber war von 1990 bis 2009 Bundestagsabgeordneter und in dieser Zeit 15 Jahre Vorsitzender der sächsischen Landesgruppe der SPD-Bundestagsfraktion (1990 bis 2005). Den Deutschen Bundestag verließ er 2009 aus freier Entscheidung. 2019 trat er aus der SPD aus. Er sieht sich, wie schon mal bis 1989, wieder als “Sozialdemokrat ohne Parteibuch”. Seine Webseite finden Sie hier.

Foto: Rob Bogaerts/Anefo CC0 via Wikimedia Commons

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Leserpost

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Reinmar von Bielau / 28.07.2021

Alles für das Dogma. Freiheit? Frag doch mal Marius Müller Westernhagen. Mal sehen, ob der auch “Haltung” zeigt. Nena hat mehr Eier, als so mancher ihrer Kollegen. Grüße nach Rahlstedt!!! @Gunter Weißgerber: ich bin auch irgendwann schlau geworden. Diese SPD besteht nur noch aus ihrem Namen, Inhalte sucht man vergebens.

Ulla Schneider / 28.07.2021

Klappt doch prima! Es ist der altbekannte rote Faden der, wenn er sich neu erfindet, durch Zubrot und Unterstützung der Regierung, keinerlei Aufforderung zum Denunzieren bedarf.  Ganz brav sind sie, diese kleinen privaten Größen. - Auch vor langer Zeit brauchte der Staat für sowas kein Gesetz. Es “schnurrte” von ganz alleine. Wie denn sonst wären die Mengen an Anzeigen und “Berufsverboten” möglich, damals und heute. Ich bekam eine Info, daß Macron’sLeibwache geschlossen zurückgetreten sei. “Macron ist es nicht wert, für ihn zu sterben,” sagen sie. - Hier! könnte das nicht passieren, bei den Weltmeistern im Sabbeln.

Marc Blenk / 28.07.2021

Lieber Herr Weißgerber, inzwischen gilt auch wieder die Kontaktschuld, wie schon bei den Nazis und in der DDR. Ganz offen, unverblümt. Wer mit den ‘Falschen’ redet, kann seines Jobs verlustig gehen oder wird über einen Shitstorm plattgemacht. Meine Empfehlung an alle, die sich prinzipiell noch trauen: Geht in die Offensive, bleibt nicht in der Verteidigungs - und Rechtfertigungsposition. Welche sich für die Guten halten, sind es meist nicht. Schon lange nicht mehr. Sagt ihnen ins Gesicht, was sie sind: Totalitaristen, Antidemokraten, Heuchler, Lügner…. Klagt an. Und klärt Schwule, Lesben, integrierte Migranten usw. auf, dass ihre Sache von einer gemeingefährlichen radikalen pseudolinken Meute gekapert wurde, die unsere freie Gesellschaft teilen und zerstören will und dass ein maskenfreier CSD daran nichts ändert. Klärt auf, dass linke Identitätsideologie geradewegs in den Faschismus führt und durch und durch rassistisch ist. Und niemand lasse sich zwingen, gender zu sprechen oder zu schreiben. Und jeder darf wissen, dass die ‘Coronamaßnahmen auch nicht im Ansatz dafür da sind, um Menschen zu schützen, sondern sie zu beherrschen, auszuzutzeln, sie zu enteignen und zu entmündigen.  

Dietmar Richard Wagner / 28.07.2021

Zitat Nena: „Die Frage ist nicht, was wir dürfen. Die Frage ist, was wir mit uns machen lassen“. Die Antwort darauf für “uns” in einer Demokratie ist, was “wir” wählen, um nicht was mit “uns” machen zu lassen. Für Nena ist es zusätzlich die Antwort, ob sie ihr Konzert am 01.04.2022 in Wetzlar < konzertbuero-bahl Nena-Tour 2022 > beim Veranstalter gleichen Namens, Dennis Bahl, absagen wird, oder es als politische Bühne nutzen wird.

s.Braun / 28.07.2021

Die haben bestimmt gemeint, daß nur linke, genderbekloppte und politisch devote Ansagen auf einer Bühne gemacht werden dürfen; -  wo kommen wir denn hin, wenn Jeder seine Meinung vor Publikum verbreiten darf !

Dietmar Schubert / 28.07.2021

Der Unterschied zwischen den Ostbands Renft (und den geannten Titeln), Lift (Nach Süden), Electra (Nie zuvor, Tritt ein in den Dom), Karussell (Als ich fortging) , City (Glastraum), Silly (Batallion d’Amour) usw. und Westkünstlern besteht darin, dass erstere in der Lage waren (und sicher auch noch sind), ihre politischen Botschaften verschlüsselt in die Texte zu packen und es nicht nötig haben, zwischen den Songs zu agitieren, wie Grönemeyer, Campino, Lindenberg usw.. Das ist etwas, was westdeutschen Künstlern eindeutig fehlt. Da müssen die Wessis noch tüchtig was lernen, wie man provokante Kunst in einer Diktatur macht, ohne einen Rauswurf zu riskieren.

Claudius Pappe / 28.07.2021

Auch ein Sozialdemokrat ohne Parteibuch, der 19 Jahre im Bundestag saß, ist am jetzigen Zustand Deutschlands mitschuldig. ( Euro, EU, Schulden hoch zehn)

Rainer Niersberger / 28.07.2021

Danke fuer die zutreffende Beschreibung. Zur Ergänzung : Es gibt hier Kommentatoren, die sich bereits längere Zeit (vergeblich) damit abmuehen, die zahlreichen Autoren und Podcast Teilnehmer davon zu ueberzeugen, was in dieser Republik mit welchem Ziel ablaeuft. Besonders treffend, aber ebenfalls fuer Hellsichtige bekannt, die Beschreibung der Rolle der Autokratin, die das Ganze vorsaetzlich iniierte und nun den “Selbstlaeufer"mit den bekannten Narrativen steuert, ihre “weissen Haende”, wie bei jedem totalitaeren Machthaber wichtig fuer das “Sauber(Frau) image” und die Erklärungen auch hier bei einigen Autoren geben ihr Recht.  So ist es nun das von ihr ueber “Herrn” Braun bestellte und (zeitlich) passend gelieferte Panikpapier des RKI, der Virologie Stoehr erkannte zutreffend,, daß es damit keine Rückkehr zur Normalitaet gaebe, an dem Madam natuerlich voellig ” unschuldig” ist. Nun sollten wir nur noch begreifen, dass exakt dieses Ziel, die “neue Normalitaet”, so gewollt war und seit Maerz 2020 verfolgt werden konnte. Das eigentliche Elend in diesem Land sind die halbseidenen Liberalkonservativen, die es mit fadenscheinigen Begründungen und ohne klare Positionierung zulassen, welchen Weg dieses Land unter Merkel geht.  Ein bisschen Waschen, aber nicht nass werden wollen. Und natuerlich gehoeren alle (relevanten) Bereiche zur Transformation, auch Kunst und Unterhaltung. Das muss man Merkel ganz gewiss nicht einfluestern. Es laeuft. Vor dem Hintergrund dieser gewollt totalitaeren Entwicklung faellt es mit Verlaub sehr schwer, einige schriftliche und mündliche Beiträge auch auf Achgut nachzuvollziehen, Herrn Weiss gerber ausgenommen.

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