Großer Andrang an der Eingangskasse zum Phantasialand. Obwohl wir früh da waren, kämpft die Kassiererin jetzt schon seit 10 Minuten mit dem Ehepaar zwei Gäste vor uns. Sie diskutieren, dann zieht der Mann sein T-Shirt aus und wirft es in die Mülltonne neben dem Kassenhäuschen. Dann betreten – er mit freiem Oberkörper – und seine Frau oder Freundin oder Schwester oder Cousine im Sommerkleid den Park.
Dann kommt die muslimische Familie vor uns mit den drei Kindern dran. Er, vollfusselbärtig mit Häkelhäubchen und weißem Ganzkörpergewand, fischt aus den Falten seines Kaftans sein Portemonnaie heraus, während sie, trotz der Hitze in Kopftuch und Mantel nebst Handschuhen, aufpasst, dass sich die hypernervösen, weil freudig erregten Kinder nicht wie Spreu in alle Winde zerstreuen. Geld gegen Eintrittskarte und dann, endlich, endlich sind wir dran.
„Zwei Erwachsene, drei Kinder“ sage ich der bebrillten Dame an der Kasse brav. Und sie antwortet: „Tragen Sie da ein Lonsdale-Polohemd?“ Ich bin etwas verblüfft. „Nein“ sage ich „tu ich nicht.“ Die Kassiererin mustert mich streng. „Ihre Jeans – von welcher Marke ist die?“ „Ehm – keine Ahnung. Levis?“ Sie blickt mich vom oberen Rand ihrer Brille streng an, sagt „Moment“, vollführt eine 90 Grad Drehung auf ihrem Hocker und tippt etwas in ihren Computer.
„Levi Strauss war Jude, das geht in Ordnung“ sagt sie mit einem leichten Lächeln, als sie sich wieder zu mir dreht. „Was soll das?“, frage ich verärgert, „Wollen Sie mir Klamotten aus Ihren Klamottenshops oder lieber endlich Eintrittskarten verkaufen?“ Sie blickt mich ausdruckslos an: „Ich tu hier nur meine Pflicht“ erklärt sie. „Wir sind angehalten, unsere Besucher auf korrekte Kleidungslabel zu kontrollieren. Wir möchten niemanden in den Park lassen, der Kleidung trägt, die auch Rechtsradikale tragen!“ „Das ist ein Witz, oder?“ Sie seufzt. „Leider nein. Meine Kollegin hat neulich Leute in den Park gelassen, die Thor-Steinar-Klamotten getragen haben, und dann hat der Spiegel darüber berichtet und jetzt ist sie ihren Job los.“
Mit braunen oder schwarzen Schnürsenkeln?
Ich bin stocksauer. „Sie verarschen mich! So einen Schwachsinn habe ich noch nie gehört!“, begehre ich auf. Sie zuckt die Schultern. „Nehmen Sie es hin oder lassen Sie es. Hinter Ihnen warten eintausend weitere Gäste“, meint sie trocken. „Nein nein, ich bin drei Stunden gefahren, um hier und heute mit meiner Familie einen bunten Tag voller Frohsinn, Freude, Spiel und Spaß zu verbringen. Was noch?“, beschwichtige ich sie. Hinter mir sind vereinzelte Rufe wie „Wird’s bald?“ und „Wenn ihr flirten wollt, dann sucht euch ein Café“ zu hören.
Aber da müssen wir jetzt durch. Die Kassiererin rutscht auf ihrem Hocker herum. „Welche Schuhe tragen Sie?“, will sie wissen. „Schwarze!“, gebe ich zurück. „Schwarze Herrenhalbschuhe von Harrington, Half-Brogue, um genau zu sein.“ Sie mustert mich wieder mit dem strengen Blick der Lehrerin, die den dümmsten Schüler vor sich hat. „Mit braunen oder weißen Schnürsenkeln?“ fragt sie nach und steht halb auf, um einen kontrollierenden Blick auf meine Fußbekleidung zu erhaschen. „Bei Gott, nein. Ich bin doch nicht geschmacksverirrt“, empöre ich mich.
Sie setzt sich wieder. „Gut! Tragen Sie oder einer ihrer Familienangehörigen Kleidung der Marken Lonsdale, Thor Steinar, Consdaple, Fred Perry, Helly Hansen, Alpha Industries, Dobermann, Pitbull, Troublemaker, Pro Violence, Ansgar Aryan, Eric and Sons, Masterrace Europe, Outlaw, Reconquista, Rizist, Dryve by Suizhyde, Greifvogel Wear, Hate-Hate, Hermannsland, Sport Frei oder Ben Sherman?“ fragt sie weiter.
Ich bin hilflos. „Schatz?“, ich drehe mich zur besten Lebensgefährtin von allen um, „haben wir sowas? Hast du sowas an?“ Die beste Lebensgefährtin denkt nach. „Ich bin mir nicht sicher“, sagt sie und streift die Lederjacke ab, um das Etikett zu studieren. „‚Echt Leder‘ steht da. Und als Marke Yves Saint Laurent.“, verkündet sie unsicher. Die Kassiererin nickt zufrieden.
„Blond und geflochtene Zöpfe. Noch Fragen?“
„Kommen wir zum Schmuck“, stellt sie fest und greift sich ein offensichtlich kopiertes Faltblatt von ihrem Schreibtisch. „Tragen Sie Schmuckgegenstände oder Tätowierungen in Form einer Triskele, einer „schwarzen Sonne“, eines Hakenkreuzes, eines Thor-Hammers oder eines Keltenkreuzes?“, will sie wissen. Elvira, oder Elvi, wie wir sie nennen, unsere mit 15 Jahren Älteste, meldet sich spontan und unaufgefordert: „Ich habe einen Anhänger in Form eines Keltenknotens. Gilt der?“ Die Kassiererin runzelt die Stirn. „Geben Sie ihn hier bei mir sicherheitshalber ab, Sie können ihn beim ’rausgehen hier wieder abholen“, sagt sie und tippt mit dem rechten Mittelfinger auffordernd auf die kleine Klappe, in der vor 10 Minuten schon mein Geld im Austausch für fünf Eintrittskarten hätte liegen sollen, und Elvira tut brav, was Kassierwoman von ihr fordert. „Und wenn sie das verdeckt trägt?“, will ich wissen. „Ich gehe auf Nummer Sicher“, gibt Kassierwärterin zurück.
Während hinter uns die Menge langsam zu toben und zu kochen beginnt, mustert der Kassierzerberus meinen Anhang. „Ihre Frau und das große Mädchen und der Junge können rein!“, stellt sie fest. „Das kleine Mädchen da…“, sie tippt mit dem rechten Zeigefinger auf die Scheibe in Richtung Julia, der jüngsten, „…bleibt draußen!“
„Was? Wieso das denn?“, will ich zornig wissen und möchte wetten, dass mein Kopf mittlerweile den bunten roten Ballons am Eingang zum Verwechseln ähnlich sieht. Kassierbrygida schaut mich so mitleidig an, wie wohl auch eine Mutter ihr schwachsinniges Kind anschaut: „Blond und geflochtene Zöpfe. Noch Fragen?“
Ich drehe mich um, reiße mir das Poloshirt vom Leib, brülle meine verängstigte Tochter an, sie soll sofort die Zöpfe lösen und knote ihr das Shirt in Form eines schlampigen Turbans um den Schädel. Speichelsprühend drehe ich mich wieder zum Kassenhäuschen: „So! jetzt zufrieden. Jetzt trägt sie Kopftuch."
„Was glauben Sie, warum das hier ‚Phantasialand‘ heißt?“
Superkassierwoman lächelt zufrieden und fragt: „Waren Sie und/oder Verwandte ersten und zweiten Grades jemals AfD-Mitglieder oder haben Sie und/oder Verwandte ersten und zweiten Grades jemals AfD gewählt oder haben das in Zukunft vor?“ Ich strample mit den Beinen und raufe mir die Haare. „Nein“, brülle ich, und ich habe das auch in naher und ferner Zukunft nicht vor! Ich schwöre beim Leben meiner Multiethnischen Kinder! Ich darf sogar Mitglied bei Eintracht Frankfurt sein!"
„So ist es recht“, sagt sie lächelnd und händigt uns die Eintrittskarten aus. „Bitte, noch eine Frage“, sage ich, bevor ich mich umdrehe, um dem Rest der Familie die Karten zu geben. „Warum ging das bei dem offensichtlichen Salafisten und seiner Frau so schnell?“ Sie blinzelt mir neckisch unter der Brille zu. „Was glauben Sie, warum das hier ‚Phantasialand‘ heißt?“ Dann winkt sie das junge Paar hinter uns heran.
Und ich stelle mir während des aufregenden und fröhlichen Parkbesuchs inmitten halbnackter Nichtmuslime und züchtig gekleideter Muslime den ganzen Tag zerknirscht nur die eine Frage: Ob ich ihr wohl hätte sagen müssen, dass ich Gastautor bei der „Achse des Guten“ bin?
Der Auslöser für diese kleine Satire ist hier zu lesen.