Heute weiß keiner mehr, was er ist oder was er will. Wie der junge Mann, der sein schweres Schicksal als mutmaßliche Transgender-Lesbe schildert.
Ich sollte das wirklich lassen, noch vor dem Aufstehen in Twitter herumzublättern. Weil ich danach meistens das Bedürfnis habe, mich sofort wieder hinzulegen. Weil sie alle – ALLE – wahnsinnig sind.
Zum Beispiel der da: Ein junger Mann mit orange-roten Haaren, passend zur Farbe seiner Bionade, sitzt in einer Art Bar herum und verkündet wie folgt: „Ich hab mir früher eingeredet, dass ich schwul bin!“ Oha. Ich habe mir früher eingeredet, dass es beim Tanzen genügt, wenn nur einer eine Erektion hat. Dazu stehe ich auch heute noch. Aber es wird noch besser kommen!
Jetzt wird in dem Filmchen ein süßes Briefkuvert geöffnet, in dem ein Zettel mit der Beschriftung „L für lesbisch“ liegt. Aawhhh. Der junge, sehr gepflegte Mann schildert nun seine wahrhaft deprimierende Geschichte:
„Das ging sogar so weit, dass ich einen Typen gedatet hab. Wir haben uns getroffen, in Cafés, gequatscht. Und dann bin ich immer nach Hause und hab mir einen runtergeholt. Aber irgendwie hat das dann nicht so wirklich geklappt ...“
Gut, das kenne ich umgekehrt. Das Palmwedeln davor war gelegentlich besser als der Sex danach, der dann doch manchmal ziemlich enttäuschend war. Man baut da ja auch eine Erwartungshaltung auf. Ähnlich wie bei den Schnellrestaurants. Man sieht die leckeren Bilder von den Burgern, und wenn das Teil dann über den Tresen geht, folgt die große Ernüchterung, obwohl man ja eigentlich hungrig ist. Aber weiter im Text des jungen Burschen:
„… weil er war halt wirklich straight (Anm. des Übersetzers: heterosexuell) und ich hatte gar keinen Crush auf ihn … (Anm. des Übersetzers: Hat mich nicht scharf gemacht)“
Substanzloses Schlangengewürge
Übel. Unser junger Freund würgt den Aal hinten und vorne und es passiert nix. Weil er den anderen Typen nicht geil findet. Wie traurig. Aber Wunder isses keines, denn: „…sondern mir das alles nur eingeredet.“ Ja, blöd. Er dachte, er sei schwul, aber er ist es nicht. Und dafür das substanzlose Schlangengewürge. Ärgerlich. Da hat er sich quasi selbst die Zeit gestohlen. Das würde mich auch nerven.
„Aber ich hab halt gewusst, ich bin queer… (Anm. des Übersetzers: schräg)“ Doppelfehler: Sich für schwul halten, aber es nicht sein, ist schräg. „…und dann dacht‘ ich, ich müsste auf Männer stehen…“ So ist es. Sonst wärst du ja nicht schwul, junger Padawan! Sonst wärst du einfach ein heterosexueller Cis-Pfosten mit einer dämlichen Haarfarbe, die dich für Frauen so attraktiv wie ein Verkehrshütchen macht. Es muss also eine Lösung her!
„Und erst später hab ich dann gecheckt: Ich bin zwar queer…“ Nein, im Ernst, diesmal hat er sich nichts eingeredet, dochdoch, ganz ehrlich! „…aber ich bin halt kein schwuler Cis-Mann… (Anm. des Übersetzers: ein homosexueller Mann, der im Körper eines Mannes geboren ist), sondern ich bin einfach ´ne nicht-binäre, transfeminine Lesbe (Anm. des Übersetzers: Was? Was?).“
„Ich hab das nur nicht so schnell gewusst…“ Klar, auf sowas muss frau ja erstmal kommen, sowas lernt man nicht in der vierten Klasse Sexualkunde. Gottseidank! „…weil ich keine Vorbilder hatte.“ Ja, das ist verständlich. In welchem Film geht es auch schon um nichtbinäre, transfeminine Lesben? Also, außer in Pornos? „James Bond“ und „Terminator“ fallen jedenfalls als Vorlage aus. Am nächsten dürfte noch „Captain Jack Sparrow“ oder Boy George kommen. Schwierig. Nicht, dass sich der Karottenkopf nicht bemüht hätte, aber: „Die Trans-Frauen, die es gab, waren alle Mordopfer in Krimiserien!“ F*ck, beziehungsweise eben nicht f*ck. Wer will schon etwas mit ermordeten Transfrauen anfangen? Das wäre Nekrophilie, und er kann sich ja beim Sex nicht totstellen oder in der Leichenhalle anfangen. Sowas kommt erst später, in der Ehe. Da war jetzt guter Rat teuer:
„…und Trans-Lesben gab´s ja sowieso überhaupt keine!“ Ja, wie doof. Niemand will eine Trans-Lesbe sein. Und die echten Lesben können nicht so gut auf Penisse. Zumindest auf solche, an denen hintendran ein Mann hängt. Auch, wenn es eine Frau in einem Männerkörper ist. Ein Teufelskreis! Oder Teufelsständer. Wie auch immer. „Und für alle, die es immer noch nicht gecheckt haben…“, wie beispielsweise mich und Sie, liebe Leserin und lieber Leser, weil wir nämlich verdammte Nazis sind, „Lesben gibt’s nun auch als Transgender!“ Kapiert? Ja? Dann Ruhe im Glied, Ihr Maden, denn „…und gab es schon immer!“
Regenbogenumkränzte Einhornweiden
Ich wüsste gerne, ob das funktioniert. Weil Ens ja ein Ens braucht, das auf Ens steht. Das wird da mit der Partnersuche nicht einfach. Immerhin muss als Gespielens ja ebenfalls eine nicht-binäre, transfeminine Lesbe gefunden werden. Oder ein nicht-binärer, transmaskuliner Schwuler. Also, ein Mann, der auf Männer steht, aber in einen und einem Frauenkörper steckt. Die gibt es nicht in der familienfreundlichen 20er-Packung bei Tinder. Und regenbogenumkränzte Einhornweiden sind bestenfalls in Glaucha in so manchem queerfeministischen Wohnprojekt zu finden.
Ich selbst war als junger Mann auch eher der feminine Typ. Wenig Muskeln, viel großes Maul. Weswegen ich bei so manchem Knäuel auf dem Schulhof zweiter Sieger blieb. Aber ich wäre niemals – niemals – auf die Idee gekommen, eine lesbische Frau in blöderweise einem Männerkörper zu sein. Allerdings – das war ja auch Mitte der 80er, als wir uns noch sorgten, dass die 6. Sowjetische Stoßarmee durch den Fulda-Gap huscht. „Ich bin Soldat, ich könnte morgen tot sein“ war jedoch ein viel besseres Argument als „ich bin eine nichtbinäre transfeminine Lesbe und du willst ja wohl kein Nazi sein“. Also, zumindest hat das damals ganz gut funktioniert.
Nun, wir haben 2021 und keiner weiß mehr, was er ist und was er will. Und obwohl „selber machen“ viel nachhaltiger und risikoärmer und klimaschonender ist als „es zu zweit machen“, ist es doch auch irgendwie traurig, allein mit gefärbten Haaren und gemachten Fingernägeln bei leckerer Bionade in der Bar zu sitzen.
Also, Ihr Lesben und Cis-Frauen: Hier ist Euer Hauptgewinn! Eine Lesbe mit einem Penis. Oder, wie wir alten weißen binären Cis-Männer sagen: ein Heterosexueller. Mit schönen Fingernägeln.
(Weiterer mega-sexueller Kram des Autors unter www.politticker.de)
Von Thilo Schneider ist in der Achgut-Edition erschienen: The Dark Side of the Mittelschicht, Achgut-Edition, 224 Seiten, 22 Euro.