Volker Seitz / 21.02.2023 / 06:00 / Foto: ITU Pictures / 120 / Seite ausdrucken

Ukraine-Einheitsfront? Die Afrikaner spielen nicht mit

Vor allem afrikanische Staaten tun sich schwer damit, Russland wegen des Ukrainekrieges zu verurteilen. Viele haben Angst, wie bereits in der Vergangenheit zwischen die Fronten zu geraten.

Kein Kontinent tut sich schwerer damit, Russland wegen des Ukrainekrieges zu verurteilen, als Afrika. Das fiel erstmals Anfang März 2022 auf, kurz nach Beginn des Krieges, als sich von den 54 afrikanischen Teilnehmern 17 enthielten (darunter Algerien, Mali und Südafrika), acht stimmten gar nicht erst ab (wie etwa Äthiopien, Kamerun und Burkina Faso), Eritrea sprach sich sogar gegen eine Verurteilung aus. Einige afrikanische Nationen sehen in den Kämpfen in der Ukraine zudem einen Stellvertreterkrieg zwischen Russland und den USA, in den sie sich nicht hineinziehen lassen wollen, hieß es sogar im US-Nachrichtensender CNN.

Aus Angst davor – wie bereits in der Vergangenheit – zwischen die Fronten zu geraten, enthielten sich deswegen viele Länder. Hinzu kommt, dass einige afrikanische Staaten der NATO die Schuld am russischen Einmarsch geben. Das Militärbündnis habe den Kreml über Jahre immer weiter in die Enge getrieben – bis Putin am Ende gar keine andere Wahl gehabt habe, als die russischen Sicherheitsinteressen militärisch zu verteidigen. „Der Krieg hätte vermieden werden können, wenn die NATO im Laufe der Jahre die Warnungen aus den eigenen Reihen beherzigt hätte, dass ihre Osterweiterung zu mehr und nicht zu weniger Instabilität in der Region führen würde“, sagte der südafrikanische Präsident Cyril Ramaphosa (oben im Bild).

Afrikanische Beobachter glauben, dass die bisherigen Waffenlieferungen zu einer immer umfassenderen Zerstörung der Ukraine geführt haben. Sie plädieren für einen baldigen Waffenstillstand und Verhandlungen, damit das Sterben aufhört. Sie fürchten vor allem, dass der Krieg langfristig ihre Ernährungssicherheit bedroht. (Derzeit sind vor allem Tunesien und Ägypten von Getreideimporten aus der Ukraine und Russland abhängig. In anderen Ländern im tropischen Afrika wird Weizen hauptsächlich in den Städten konsumiert. Auf dem Lande sind Maniok, Hirse, Gerste, Reis und Mais Grundnahrungsmittel.)

Während die Medien hierzulande der Realität vollkommen entrückt sind und behaupten, die Welt stehe mehrheitlich gegen Russland, zeigt ein Blick auf den afrikanischen Kontinent: Von einer Einheitsfront kann nicht die Rede sein. Der ehemalige Berater von Laurent Fabius und spätere Premierminister Benins, Lionel Zinsou, erläuterte im Debattierklub „Cercle des Nouveaux Mondes“ in Paris seine Einschätzung der Sicht afrikanischer Staaten angesichts des Verhaltens des Westens und insbesondere Frankreichs. Er erinnerte auch daran, dass viele afrikanische Staaten nach ihrer Unabhängigkeit von der Sowjetunion unterstützt wurden. Zugleich verurteilte Zinsou den medialen Lärm des Westens, der an größeren Kriegen und humanitären Katastrophen beteiligt war und ist, wie aktuell zum Beispiel im Jemen – ohne dass es hier zu einem öffentlichen Aufschrei, verbunden mit nennenswerter Hilfsbereitschaft, komme. „Ich will nicht über Demokratie sprechen, und Ihr werdet mich, einen Afrikaner, auch nicht mit Euren Geschichten über die unglückselige Ukraine und mit Rufen nach Humanität rühren. Eure Demokratie ist Eure Sache. Es besteht keine Notwendigkeit, uns Eure Vorstellungen aufzudrücken, wie wir Afrikaner leben sollten. Noch mal! Sucht nach Kompromissen, lasst die Diplomaten ran“.

Was die gegen Moskau verhängten Sanktionen anbelangt, so werden sie in Afrika im Allgemeinen als ein Instrument betrachtet, das der Westen selektiv und nicht unbedingt effektiv gegen Staaten einsetzt. Man beklagt westliche Doppelmoral: Der Westen kommuniziere der Welt, dass er das Recht der Ukrainer verteidige, selbst über das eigene Schicksal zu bestimmen. Er wolle aber anderen Staaten das Handeln diktieren. Das gilt z.B. für die Unterstützung von Saudi-Arabien im Krieg im Jemen. Damit verliere man den Rückhalt im globalen Süden. Im Moment entstehe der Eindruck, dass der Westen die Moral instrumentalisiere. 

Minsker Abkommen offenbar nie ernst genommen?

Die Aussage von Angela Merkel im Zeit-Interview vom 7. Dezember 2022, dass das Minsker Abkommen 2014 der Versuch war, der Ukraine Zeit zu geben, wurde auch in Afrika zur Kenntnis genommen. Die Ukraine habe diese Zeit auch genutzt, um stärker zu werden, wie man heute sehe. Diese Äußerung wurde in Afrika so verstanden, dass das Minsker Abkommen nie ernst genommen und ein Konflikt in Kauf genommen wurde.

Deshalb wird in vielen afrikanischen Staaten nicht nur ein Konflikt zwischen Russland und der Ukraine gesehen, sondern die Eskalation langjähriger Spannungen, die nicht auf diplomatischem Wege durch Vereinbarungen wie das Minsker Abkommen gelöst werden sollten. Afrikanische Politiker und Wissenschaftler verweisen daher auf die bereits bestehenden Spannungen, die durch die fortgesetzte Osterweiterung der NATO nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion entstanden sind, und auf das Versagen der betroffenen Parteien, diese auf diplomatischem Wege zu lösen.

Europa ist für die afrikanischen Länder auch immer weniger wichtig, während andere Akteure eine größere Rolle spielen: China finanziert zahlreiche Infrastrukturprojekte; Russland verspricht neue Investitionen, während russische paramilitärische Organisationen zunehmend auf dem Kontinent aktiv sind. Auch die Türkei baut ihre Rolle auf dem Kontinent aus.

Lawrow reist – Biden hat keine Zeit für bilaterale Gespräche

Seit 2015 hat Russland rund 19 Militärabkommen mit afrikanischen Regierungen geschlossen. Kürzlich war der russische Chefdiplomat wieder auf dem Kontinent unterwegs. Gerade hat Lawrow einen zweitägigen Besuch im westafrikanischen Mali beendet, von wo sich Frankreich und Deutschland mehr und mehr zurückziehen müssen. Im Anschluss reiste Lawrow in den Sudan. Auch Besuche in Tunesien, Mauretanien, Algerien und Marokko stehen Berichten zufolge an. Im Januar war Lawrow bereits im südlichen Afrika; davor in Ägypten, der Republik Kongo, Uganda und Äthiopien. Für Juli ist ein Russland-Afrika-Gipfel in St. Petersburg geplant. Es ist eine Charmeoffensive ohnegleichen, die auch zeigen soll: Der Kreml ist international nicht isoliert. Moskau ist dort willkommener, als es sich der Westen wünschen würde. Viele Regierungen stehen dem Kreml positiv oder neutral gegenüber.

Lawrows Afrika-Reisen sind auch eine Reaktion auf den von US-Präsident Joe Biden einberufenen Afrika-Gipfel im Dezember. Washington will die Wirtschaftsbeziehungen verbessern, Sicherheit, gute Regierungsführung und die Zivilgesellschaft stärken. „Dennoch wird Afrika kein Schwerpunkt der amerikanischen Regierung werden. Das dominierende politische Brennglas in Washington bleibt die geostrategische Konkurrenz mit China. Das ist keineswegs eine neue Entwicklung: Obwohl die Wahl des ersten schwarzen US-Präsidenten im Jahr 2008 in afrikanischen Ländern euphorisch gefeiert wurde, ignorierte dieser den Kontinent weitgehend“, schrieb Christian von Soest vom Giga-Institut in Hamburg 2021. Daran hat sich nach meinen Erfahrungen nichts geändert. Es war mehr als eine Ungeschicklichkeit, dass Biden auf dem Afrika-Gipfel keine Zeit für bilaterale Gespräche hatte.

Der Westen, und insbesondere Europa, könnte eine ernsthafte Politik entwickeln, um sein Engagement für Afrika zu untermauern und den weit verbreiteten Verdacht auszuräumen, dass er nur Verbündete gegen Russland braucht. Wenn man im Westen die Moral zum Argument macht, um Staaten zum Handeln zu bewegen, so ist das unglaubwürdig und unehrlich.

 
Volker Seitz ist Autor des Bestsellers „Afrika wird armregiert“. Inzwischen liegt das Buch aktualisiert und erweitert in elfter Auflage vor.

Foto: ITU PicturesCC BY 2.0 via Wikimedia Commons

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Ludwig Luhmann / 21.02.2023

“Gerade hat Lawrow einen zweitägigen Besuch im westafrikanischen Mali beendet, von wo sich Frankreich und Deutschland mehr und mehr zurückziehen müssen.” - Das geht unseren deutschen Deutschlandhassern runter wie Öl.

Fred Burig / 21.02.2023

@H. Adel:”... Patriotische Grüße aus meiner Heimatstadt Dresden, hier gedenkt man besonders an die Folgen einer unmenschlichen Politik. Wir wollen das “Nie wieder” als echte Handlungsanweisung!”.... Schließe mich dem Gedenken und der “Losung” vorbehaltlos an! .... und für sie ist es ja sowieso ein “MUSS”, da bekanntlich “Adel” verpflichtet ..... MfG

Reinmar von Bielau / 21.02.2023

Wir sollten Annalena mal auf eine Afrika Rundreise schicken, um den doofen Neschern mal zu erzählen, was Freiheit bedeutet. Das wäre doch mal echt was, da hätten wir endlich mal so richtig was zu lachen!

Brigitte Miller / 21.02.2023

@H.Adel: Obama hat wahrscheinlich Wichtigeres zu tun, muss er doch Biden steuern aus dem Hintergrund.

W.Leich / 21.02.2023

Kürzlich was ein junger Südafrikaner im Interview. Er sagte im Kongo und in Ruanda toben viel schlimmere Kriege als in der Ukraine und in Europa interessiert sich niemand dafür. Also warum sollten sich die Südafrikaner für den Krieg in der Ukraine interessieren ? Noch eine kurze Bemerkung zur freiheitlichen westlichen Welt: USA haben rund 300 Millionen Einwohner und Europa 500 Millionen, macht insgesamt rund 10 % der Weltbevölkerung (gerundet !) . Das ist nicht die Welt, sondern nur 10 % der Welt ! ! !

Ulla Schneider / 21.02.2023

Herr Seitz, herzlichsten Dank! Ich gehe kurz auf ein geografisches Thema ein. Absichtlich, damit manche bescheidener darüber räsonieren. AFRIKA hat 30.221 km2 Fläche. Zum Vergleich: die Oberfläche des Mondes 37.930. Was heißt das? Die USA passt zu einem Drittel hinein,China auch!  Deutschland ein lächerliches kleines Stück 357 km2, Indien mal gerade 3.287 km2.  Der Balkan zusammen halb so groß wie Indien etc.etc….. Alles was man an Bodenschätzen wünscht ist dort, inclusive Ackerland.  Unterschiedliche Völker aller Couleur. Das ist ein KONTINENT! -Was für eine Größe!  Und einige hier nörgeln über ganz kleine Ländchen dort, die manchmal “Mist” bauen. Dieser Kontinent ist gerade dabei, seine Zukunft zu organisieren. Das wird noch ein Weilchen dauern, aber es wird….  - Wer sich dafür interessiert: Die wahre Größe Afrikas, ein kleiner Beitrag im Kampf gegen das um sich greifende Unverständnis von Geografie von Kai Krause ,Kreativ Commons. Es ist eine Karte,, die bei uns an der Wand hängt. Warum? Wegen der Achtung!

Arne Witt / 21.02.2023

@Hubert Bauer; wenn ich mir das Führungs,- und Diplomatencorps Russlands ansehe und das dann mit unserem vergleiche, nun, spätestens seit Bärbock(eigentlich schon seit Maas) leugne ich im Ausland Deutscher zu sein. Es ist einfach zu peinlich und schmerzhaft.  Das wünscht man seinem ärgsten Feind nicht.

giesemann gerhard / 21.02.2023

@jan b.: ” ... können die Afrikaner mit unserer liberalen Demokratie wenig warm werden.” Gerne, sollen fort bleiben, habe kein Interesse an denen. Und Sie? Farbe bekennen, wenn meglich. Mir geht unsere FDGO über alles. Da kommen die Despoten und Unholde dieser Welt nicht mit, sollen sich zum Teufel scheren. Es gibt schon genug Zumutungen bei uns selbst, da brauche ich die Verrückten von außen nicht auch noch. Ein jeder kehre vor seiner Tür und sauber ist jedes Weltquartier. Sollen sie sich kloppen, aber nicht in meiner Nähe, klar? Ich will deren Unsinn gar nicht wissen. Jeder kann machen, was er/sie/es will, aber eines geht nicht: Zu mir rennen, die Hand aufhalten, mich anglubschen und sagen: Ich bin arm, ich habe viele Kinder, mach was, du reiches, weißes Arschloch, ungläubiges. Ernötigung von Hilfe: DAS geht mir zu weit.  Und darum geht es. Ich will doch denen nicht sagen, wie sie leben soll - das ist mir nämlich scheißegal. Wenn sie etwas zu Verkaufen haben, her damit, zahle Weltmarktpreise, fair. O.k.? Usw.

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Volker Seitz / 22.04.2024 / 12:00 / 16

Ungarns kluge Entwicklungshilfe

Entgegen seinem Ruf leistet Ungarn sehr kluge Beiträge in der Hilfe für afrikanische Länder und ihre Bewohner. Anders als bei uns gilt es nicht als…/ mehr

Volker Seitz / 18.04.2024 / 06:15 / 18

Anders sparen in Afrika

Auch wenn Afrika hierzulande vielleicht nicht als Hort der Sparsamkeit gilt, so hat sich auf dem Kontinent doch eine interessante eigene Form des Sparens entwickelt,…/ mehr

Volker Seitz / 09.03.2024 / 06:00 / 58

Kolonialismus auf dem Obstteller?

Überall werden Spuren des Kolonialismus aufgedeckt, denn es muss schließlich „dekolonisiert" werden. Auch in Botanischen Gärten und auf dem Obstteller. Doch woher kommen die Kolonialfrüchte wirklich?…/ mehr

Volker Seitz / 20.02.2024 / 10:00 / 39

Kein deutscher Wald für Afrika?

Das Aufforsten in Afrika ist sicher gut und hilft dem Klima, glaubt das Entwicklungsministerium und spendiert 83 Millionen Euro. Dafür gibts „Wiederaufforstung", wo nie Wald war, Monokulturen…/ mehr

Volker Seitz / 11.02.2024 / 10:00 / 6

Der Kartograf des Vergessens

Der weiße Afrikaner Mia Couto wurde zum wichtigsten Chronisten Mosambiks. Sein neuer Roman beschreibt die Wirren vor der Unabhängigkeit und die Widersprüche in der Gegenwart.…/ mehr

Volker Seitz / 06.02.2024 / 13:00 / 14

Afrikas alte Männer

Politische Macht wird von afrikanischen Langzeitherrschern als persönlicher Besitz angesehen. Etliche Autokraten klammern sich deshalb schon seit Jahrzehnten an ihre Sessel. Seit langem frage ich…/ mehr

Volker Seitz / 28.01.2024 / 11:00 / 21

Warum Wasser in Afrika nicht knapp sein müsste

Nicht das Fehlen von Wasser-Ressourcen, sondern ihre ineffiziente Nutzung, mangelnde Investitionen und Missmanagement sind der Grund für die Knappheit von Wasser in Afrika.  In der…/ mehr

Volker Seitz / 27.01.2024 / 10:00 / 31

Wieder Terror gegen Christen in Nigeria

Dass Christen in Nigeria regelmäßig Opfer islamistischer Angriffe sind und die Zahl der Getöteten immer weiter steigt, wird in Deutschland entweder ignoriert oder heruntergespielt.  Über…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com