Keine Kästner-Lesung für „Freie Wähler“

Zweimal wollten die Freien Wähler in Dresden eine Lesung aus Erich Kästners „Die Schule der Diktatoren“ veranstalten. Beide Male wurde sie untersagt. Eine bittere Realsatire.

Gestern Abend hätte in Dresden eine Lesung aus Erich Kästners „Die Schule der Diktatoren“ stattfinden sollen. Veranstaltet von der Stadtratsfraktion der Freien Wähler sollte im "Haus der Presse" nach einer Einführung der Buchhändlerin Susanne Dagen als kulturpolitische Sprecherin der Stadtratsfraktion und dem Kabarettisten Peter Flache aus dem Werk gelesen und dann darüber diskutiert werden. Auf dem Podium sollten der Kabarettist Uwe Steimle und die Ex-Grünen-Politikerin Antje Hermenau sitzen. 

Die Einladung zu diesem Abend begann mit einem Kästner-Zitat zu diesem Buch:

„Dieses Buch ist ein Theaterstück und hat ein Anliegen. Der Plan ist 20 Jahre alt, das Anliegen älter und das Thema, leider, nicht veraltet. Es gibt chronische Aktualitäten.“ (Erich Kästner zu „Die Schule der Diktatoren“, 1956)

Die Gefährdung der Demokratie hat insbesondere in vorgeblichen wie tatsächlichen Notstands- und Krisenzeiten stets eine gewisse "chronische Aktualität", da hatte Kästner recht. Kästners Werk ist auch kaum missverständlich, was Fragen von Demokratie und Diktatur angeht. Insofern sollte es jeder begrüßen, wenn das Werk des gebürtigen Dresdners in Zeiten großer Demokratie-Gefährdung Würdigung und Verbreitung erfährt.

Doch in den heutigen Zeiten kann auch Kästners Werk leider durch die Kontaktschuld, dass die "Falschen" daraus lesen und darüber reden wollen, mit einem Bann belegt werden. Sicher finden manche Menschen, insbesondere Medienschaffende, die politische Gesinnung von Frau Dagen, Frau Hermenau und Herrn Steimle irgendwie anrüchig, weshalb sie ihnen gern das Etikett "umstritten" anheften. Aber selbst wenn man das so empfindet, kann das doch kein Grund sein, eine Kästner-Lesung zu verhindern.

Keine Leserechte für politische Parteien

Aber genau das ist mit der geplanten Lesung gestern geschehen, auf dass die Öffentlichkeit durch angewandte Realsatire lernt, wie zutreffend Kästners Diktum von der "chronischen Aktualität" seines Werkes sein könnte. Die Stadtratsfraktion der Freien Wähler teilte die erzwungene Absage der Veranstaltung am Tag zuvor mit diesen Worten mit:

"Leider müssen wir unsere geplante Lesung aus dem Buch von Erich Kästner „Die Schule der Diktatoren“ am 25. April 2024 absagen. Der Atrium Verlag hat uns kurzfristig die bereits genehmigte Lesung bzw. die Aufzeichnung der Lesung untersagt.

Diese Untersagung erfolgte, nachdem unsere Veranstaltung beim Verlag als „politische Veranstaltung“ denunziert wurde. Der Verlag machte uns gegenüber daraufhin einen „geheimen Vorbehalt“ geltend, wonach Leserechte zu den Werken Erich Kästners grundsätzlich nicht an politische Parteien und Wählervereinigungen vergeben würden. Die von uns daraufhin recherchierten und seit Jahrzehnten überall in Deutschland und Österreich stattfindenden Lesungen aus Kästners Werken durch die SPD oder die Grünen seien unter Verletzung des Urheberrechtes erfolgt."

Nun, wer die Veranstaltung beim Verlag "denunziert" hat, sagen die Freien Wähler zwar nicht, aber im Netz findet man beim Volksverpetzer einen passenden Artikel von Matthias Meisner über das Vorhaben dieser Kästner-Lesung. Vor allem die handelnden Personen stören den Journalisten und Autor: 

"Mit auf der Bühne sollen zu einer anschließenden Podiumsdiskussion der nach weit rechts gedriftete Kabarettist Uwe Steimle und die einstige Politikerin Antje Hermenau sitzen, die ihre einstige Partei Bündnis 90/Die Grünen extrem weit links liegengelassen hat."

Als Steimle sich politisch eher im Sinne der SED-Erben von den Linken äußerte, störte das deutsche Meinungsbildner kaum. Nun gilt er als rechts, und da kennen die meisten Medienwerktätigen keine Unterschiede mehr zu rechtsradikal oder rechtsextrem. Gegenüber Jüngeren muss man vielleicht erwähnen, dass es Zeiten gab, in denen demokratische Linke selbstverständlich wussten, dass es demokratische Rechte gibt und beide sich gegenseitig zustanden, dass ihre jeweilige Gesinnung nichts mit Radikalismus oder Extremismus zu tun haben muss. Wer nicht hören möchte, was Steimle oder Hermenau zu Kästners Werk sagen, muss ja nicht zu der Veranstaltung gehen, aber es hat ein gewaltiges Geschmäckle, wenn man sie nicht öffentlich darüber reden lassen will. 

„Strategien der modernen Rechten“

Und dann wirft Meisner den Veranstaltern vor, dass sie sich 

"aus dem reichen Werk von Kästner nicht zufällig" die "Schule der Diktatoren" ausgesucht haben. Damit sei "die Anspielung auf die gegenwärtigen politischen Verhältnisse in Deutschland sehr wohl beabsichtigt: „Die Schule der Diktatoren“ ist ein Lehrstück über eine Gesellschaft, die unfreier kaum zu denken ist. Der Missbrauch politischer Macht, Manipulation, Kontrolle, Repression – alles kehrt demnach immer wieder. Ist es längst wieder soweit? Wollen das die Freien Wähler sagen? (...)

Die Dresdner Kulturbürgermeisterin Annekatrin Klepsch (Linke) sagte dem Volksverpetzer, sie halte es für „bemerkenswert“, dass sich die Freien Wähler kurz vor den Kommunalwahlen am 9. Juni entschieden hätten, „ausgerechnet aus der ,Schule der Diktatoren‘ zu lesen und nicht zum Beispiel aus ,Fabian‘ oder Kästners Lyrik, vielleicht auch seinen Büchern zum Thema Krieg und Militarisierung“. Die dahintersteckende Absicht ist aus der Sicht von Klepsch leicht durchschaubar: „Das soll einzahlen auf die behauptete Gesinnungsdiktatur.“

Der Geschäftsführer des Kulturbüros Sachsen, Michael Nattke, sieht das ähnlich. Er sagte dem Volksverpetzer:

„Eine der wichtigsten Strategien der modernen Rechten ist die Delegitimierung des Staates, seiner Vertreter und Institutionen, zum Beispiel durch Vergleiche mit Unrechtsregimen, immer allerdings als ‚Balancieren auf der Grenze des gerade noch Sagbaren‘.

Und genau an dieser Stelle würden die Freien Wähler den Schriftsteller Erich Kästner für sich einspannen. Geradezu provoziert werden sollten so Proteste und Kritik, um dann die Kritiker:innen als diejenigen darzustellen, die Meinungsfreiheit oder kulturelle Freiheit einschränken wollten.“

Also wollten die Freien Wähler demnach ein Verbot provozieren? Dann wäre es ziemlich dumm, sich genau so zu verhalten. Aber Verbots-Liebhaber halten sich mit solchen Widersprüchen nicht lange auf.

Der dritte Versuch

Wie reagieren die verhinderten Veranstalter jetzt? In der Absage-Mitteilung heißt es:

"Wir haben die Verlags-Absage rechtlich prüfen lassen und sind zu der Überzeugung gekommen, dass wir trotzdem einen gültigen Vertrag haben. Jedoch sehen wir uns nicht in der Lage, einen Rechtsstreit darüber mit einer spezialisierten Anwaltskanzlei, die vom Verlag beauftragt wurde, zu führen. Die Kosten für einen solchen Streit würden am Ende der Stadtkasse zur Last fallen und für andere Zwecke fehlen. Natürlich wollten wir die Veranstaltung nicht ausfallen lassen und in veränderter Form, dann eben ohne Lesung, durchführen. Dies ist jedoch nicht mehr möglich, da uns nunmehr das Haus der Presse den Mietvertrag mit Bezug auf die Untersagung der Lesung gekündigt hat. Dies ist inzwischen der dritte Veranstaltungsraum, der uns entzogen wurde."

Bereits im Februar hatten die Freien Wähler eine Kästner-Lesung veranstalten wollen, doch seinerzeit verwehrte ihnen die Stadt den Veranstaltungsort. Begründung:

"Nach rechtlicher Prüfung durch das Rechtsamt der Landeshauptstadt Dresden wurde die Anfrage der Fraktion Freie Wähler/Freie Bürger Dresden, im April eine Lesung zu Erich Kästner im Landhaus durchzuführen, abgelehnt. Darüber wurde die Fraktion am Freitag, 2. Februar 2024, durch die Städtischen Museen in einem Schreiben informiert.

Die Fraktion hatte Mitte Januar die Städtischen Museen der Stadt Dresden angefragt, im Festsaal des Landhauses eine Lesung anlässlich des 125. Geburtstags und des 50. Todestags Erich Kästners zu veranstalten. Aufgrund der bereits begonnenen Vorwahlzeit dürfen städtische Räume zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht mehr für Veranstaltungen von Parteien, politischen Organisationen und Initiativen zur Verfügung gestellt werden. Diese Vorwahlzeit beginnt sechs Monate vor den Wahlen." 

Und auch für die gestrige Lesung war ursprünglich ein anderer Veranstaltungsort vorgesehen, das Programmkino Ost, das aber von dieser Veranstaltung wieder Abstand nahm.

Irgendwie wirkt es schon wie eine bittere Realsatire auf heutige deutsche Zustände, wenn auf diese Weise darum gerungen wird, wer denn aus Kästners Werk öffentlich lesen und darüber diskutieren darf. 

(Eine Hörspielfassung der "Schule der Diktatoren" finden Sie hier)

Foto: Basch/Dutch National Archives, The Hague CC0 via Wikimedia Commons

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Sam Lowry / 26.04.2024

Am 10. Mai 1933 sah Erich Kästner in Dresden zu, wie seine Bücher verbrannt wurden…. und schrieb dazu: “Ich stand vor der Universität, eingekeilt zwischen Studenten in SA-Uniform, den Blüten der Nation, sah unsere Bücher in die zuckenden Flammen fliegen und hörte die schmalzigen Tiraden des kleinen abgefeimten Lügners. Begräbniswetter hing über der Stadt. Der Kopf einer zerschlagenen Büste Magnus Hirschfelds stak auf einer langen Stange, die, hoch über der stummen Menschenmenge, hin und her schwankte. Es war widerlich ...”

Volker Kleinophorst / 26.04.2024

@ J. Fischer Originaltitel war: WIRR. Hat ein Verlagsmitarbeiter verbockt. War wohl ein Opfer des Verschissmus.

Dr. Eberhard Schmidt / 26.04.2024

Kästner darf nur von den amtlich zugelassenen gelesen werden. In die KZ-Gedenkstätte dürfen ja auch AfD-Mitglieder nicht gehen, weil sie ja Nazis und Antisemiten sind. Was durch den Nichtbesuch automatisch bewiesen ist.

sybille eden / 26.04.2024

Hiermit zeigen die sogenannten ” Demokraten ” was sie unter Demokratie verstehen.

Dr. Ralph Buitoni / 26.04.2024

Linke beklagen die “Deligitimierung des Staates” - genau des Staates, den sie über Jahrzehnte mit Gewalt, Aktionen, Terrorismus und diffamierenden Publikationen zu delegitmieren versuchten! Das zeigt, um was für lupenreine Faschisten es sich bei ihnen handelt

Werner Arning / 26.04.2024

Dass die Leute schon so „tief gesunken“ sind, und „von dem Kakao, durch den man sie zieht, auch noch trinken“, das hat man leider kürzlich bei den inszenierten Anti-Rechts-Demos gesehen. Durchaus nachvollziehbar, dass Kästner-Lesungen unerwünscht sind. Soll ja schließlich nicht jedem auffallen, was da läuft.

Dirk Jungnickel / 26.04.2024

Das Auge des Großen Bruders wacht auch in Sachsen und beschäftigt sich sogar mit dem Mundart - Kabarettisten U.Steimle. Der dürfte womöglich dann auch in Preußen ankommen…

Jürgen Fischer / 26.04.2024

Genau, Kästner ist (aus der Sicht der Machthaber) mega-out. Kästner darf man nicht lesen. Die Leute sollen stattdessen lieber das kürzlich erschienene Machwerk lesen, das der Uhu unter seinem Namen schreiben hat lassen: „Wir“. Moment, den Titel gab’s doch schonmal. Von Jewgeni Samjatin. Da steht aber was ganz anderes drin. Man stellt sehr schnell fest, das wird unseren Machthabern auch nicht gefallen. Wahrscheinlich hat’s der Uhu deshalb neu schreiben lassen.

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