Volker Seitz / 02.11.2020 / 16:00 / Foto: Jay Hill / 27 / Seite ausdrucken

Keine Autos für Afrika?

„Millionen gebrauchter Personenwagen, Vans und Minibusse, die von Europa, Japan und den USA in die Entwicklungsländer exportiert werden, tragen erheblich zur Luftverschmutzung bei und behindern Anstrengungen, die Effekte des Klimawandels abzumildern“, heißt es in einem am 26. Oktober 2020 veröffentlichten Bericht des UN-Umweltprogramms (UNEP). Die UN rufen zum sofortigen Stopp der Praxis auf, um die gesetzten Klimaziele nicht zu gefährden. „Industrieländer müssen den Export von Fahrzeugen stoppen, die Umwelt- oder Sicherheitsüberprüfungen nicht standhalten und nicht mehr als verkehrstauglich in den Herkunftsländern gelten, während Importländer strengere Qualitätsstandards einführen sollten“, fordert die UNEP-Direktorin und dänische Ökologin, Inger Andersen. In Afrika führe das zu vielen Verkehrstoten, Umweltschäden und konterkariere den Kampf gegen den Klimawandel.

Die Mehrheit der Afrikaner ist auf die importierten Fahrzeuge aus Europa, Japan oder den USA angewiesen. Auf einigen von ihnen kleben jahrelang die Logos und Namen der einstigen Besitzer. Oft sind mir in Kamerun Lkws und Busse mit Werbeaufschriften aus Heilbronn, Bopfingen, Augsburg, Stade oder Neumünster begegnet. Mein damals 15 Jahre alter Ford Sierra mit vier Türen, fährt heute noch – zwanzig Jahre später – als Taxi  in Cotonou in Benin. Ich hatte ihn an einen Fahrer der Botschaft für 200 Euro verkauft. Auch Afrikaner benötigen nun einmal Mobilität, die man sich dort auch leisten kann. Oder hat Frau Andersen keine Ahnung von den Bedürfnissen der Bevölkerung vor Ort ?  

Fabrikneue Autos können sich in Afrika nur Reiche leisten

Ein neues Fahrzeug könnten viele Afrikaner doch gar nicht bezahlen. Die große Mehrheit der afrikanischen Bevölkerung wird sich nie einen neuen Pkw aus den Montagewerken in Ruanda, Kenia, Namibia, Nigeria und Ghana leisten können. Wer in Afrika gelebt hat, weiß, dass das Alter der Kraftfahrzeuge nur eine untergeordnete Rolle im Unfallgeschehen spielt. Jeder, der in Afrika unterwegs ist, kennt es: Hinter dem Steuer sind viele Afrikaner seltsamerweise immer in Eile. Obwohl sie im täglichen Leben viel Zeit haben, rasen sie mit halsbrecherischer Geschwindigkeit die Hänge herunter und mit riskanten Überholmanövern in die Kurven hinein.

Die Überlandstraßen, oft in schlechtem Zustand, sind gesäumt von zahlreichen ausgebrannten Fahrzeugen. Viele Straßen gelten insbesondere nachts als Todesstrecken. Unbeleuchtete LKWs sind dann häufig tödliche Fallen. Es ist die Möglichkeit, Führerscheine zu kaufen, das Fehlen der Fahrerschulung und eine kaum stattfindende Verkehrsaufsicht, die das Unfallrisiko mitbestimmen. Die Unfallgefahr beruht nicht nur auf unsicheren Autos.

Viele Afrikaner verdienen ihren Lebensunterhalt mit KfZ-Import und -Reparatur. Ohne die importierten alten Autos würde die Mehrheit der Menschen dort auf Grund fehlender Mobilität einen sehr schlecht bezahlten Job haben oder gar keinen. Afrikaner sind Meister der Reparatur und Improvisation ihrer alten Kraftfahrzeuge. Diese Autos werden niemandem aufgezwungen, sondern sind offenbar aufgrund des günstigen Preises begehrt. Das ist das Spiel von Angebot und Nachfrage. 

In welchem Zustand PKWs als verkehrstüchtig und damit zulassungsfähig angesehen werden, obliegt den Regierungen der importierenden Länder. Sie können für die entsprechenden Gesetze sorgen. Und was das Thema Sicherheit betrifft, liegt es ja immer noch in der Entscheidung der Staaten – nicht der UNO oder der EU – selbst entsprechende Regelwerke zu schaffen. Es muss endlich Schluss sein mit der ewigen Bevormundung der afrikanischen Länder. Ruandas Präsident Paul Kagame sagte 2018 in einem Interview mit der Zeitschrift Jeune Afrique: „Afrika braucht keine Babysitter. Je weniger sich die Welt um Afrika kümmert, umso besser geht es Afrika.“ 


Volker Seitz war von 1965 bis 2008 in verschiedenen Funktionen für das deutsche Auswärtige Amt tätig, zuletzt als Botschafter in Kamerun, der Zentralafrikanischen Republik und Äquatorialguinea mit Sitz in Jaunde. Er gehört zum Initiativ-Kreis des Bonner Aufrufs zur Reform der Entwicklungshilfe und ist Autor des Bestsellers „Afrika wird armregiert“. Die aktualisierte und erweiterte Taschenbuchausgabe erschien im September 2018. Drei Nachauflagen folgten 2019 und 2020. Volker Seitz publiziert regelmäßig zum Thema Entwicklungszusammenarbeit mit Afrika und hält Vorträge.

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Leserpost

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Petra Wilhelmi / 02.11.2020

Sorry, ich habe jetzt nur an die EU gedacht und der UN die EU gemacht. Mein Fehler. Ich sehe in jedem Kürzel nur noch EU.

Petra Wilhelmi / 02.11.2020

Naja, nun ist es soweit. Wir gönnen den Afrikaner keine Autos, keine gebrauchten, um es näher zu beschreiben. Ist das nicht Rassismus? Erst zerstören wir europäische Unternehmen und Arbeitsplätze in der Industrie, in den Dienstleistungsunternehmen aller Art bis hin zum Hotel- und Gaststättenwesen. Das hätte sich die FDP sicherlich auch mal nicht gedacht, da sie doch die Mövenpick-Steuer einstmals durchsetzte. War für die Katz. Als nächstes wurden außereuropäische Arbeitsplätze geschleift. Brave Europäer sollen ja nicht mehr mit dem Flugzeug fliegen und überall auf der Welt Urlaub machen dürfen. Hat ja bis jetzt ganz gut geklappt. Es wurden sicherlich Millionen von Arbeitsplätzen schon zerstört. Jetzt geht der Wahn in Afrika weiter. Wir verbieten denen unsere Gebrauchten zu kaufen. Wir vernichten kleine Händler und Autowerkstätten und wiederum viele Familien, die nun nichts mehr zu essen haben. Bravo. Gut gemacht EU. Im Wahn wird die Welt zerstört. Dazu benötigen die durchgeknallten Europäer überhaupt keinen Krieg mehr.  Ziel: Zurück ins Mittelalter, aber nicht nur für Europäer, sondern für die ganze Welt. Das nenne ich mal Sendungsbewusstsein. Ob sich das die anderen Länder gefallen lassen?

Thomas Taterka / 02.11.2020

Das ist ungerecht , denn schließlich verdient man in Delhi auch ‘ne Menge Geld mit zig Tonnen Computerschrott, der jedes Jahr beträchtlich anwächst, in einem Ausmaß, daß man es mit der Angst zu tun bekommt. Wird da interveniert? - Dort, wo es passt, arbeitet man ganz systematisch und raffiniert versteckt an der Kurzlebigkeit von Produkten , um das Geschäft anzukurbeln. Wieviel Milliarden von Alt- Mobiltelefonen gibt es eigentlich? - Die Frage ist rhetorisch - ironisch -illusorisch. “Supercallifragilistischexpialligorisch” ?

Lutz Serwuschok / 02.11.2020

Meine letzten beiden Autoverkäufe waren ein VW-Polo-Harlekin, der nach 28 Jahren zur Kostenfalle wurde, und ein Renault Kangoo, der nach 10 Jahren nicht mehr gebraucht wurde, weil die Kinder mittlerweile auf eigenen Füßen stehen und laufen konnten, mithin die Mitnahme eines Kinderwagens schlichtweg nicht mehr nötig war. Der VW wurde beim Händler für einen Twingo in Zahlung gegebenen ( Aufrechnung gegen Überführungskosten), der Kangoo ging an den Araber/Libanesen… Das kann ich nicht wirklich auseinander halten. Wer sowas wie Text aber fordert, müsste die Betriebserlaubnis im Verkaufsland außer Kraft setzen. Ein weiterer Grundrechtseingriff (hier Eigentum). In normalen Zeiten sollte man sagen, knicken, l(o|a)chen, abheften. Aber heute? Jene meinen das Ernst. Zügel straffer ziehen - Mistgabel.

E Ekat / 02.11.2020

Dann wird ein Import eben verboten, und folgsame afrikaniche Regierungen werden eben durch Kompensationen belohnt. Ich weiß auch schon, wie diese begründet und bezeichnet werden, und wer diese bezahlen wird. Geht nicht, gibts nicht.

Marcel Seiler / 02.11.2020

Als ich das las: Die UNO empfiehlt… da musste ich gleich lachen: diese Traumtänzer von der UNO mal wieder! – Diese internationalen Organisationen, ebenso wie die EU-Bürokratie, zeichnet sich durch zunehmende Weltfremdheit aus.

Andreas Rühl / 02.11.2020

Denselben Unfug hörte man bei den Altklamotten. Diese würden die “traditionelle afrikanische” Kleidungsproduktion kaputt machen. Nun. Vielleicht stimmt das. Aber es ist nicht der Import von Ronaldo-Trikots, die das bewerkstelligen, sondern die schlichte Tatsache, dass der “Afrikaner” ein Ronaldo-Trikot will. Eine unselige Mischung aus “Wilden-Romantik” und nun auch noch ökologischen Schwachsinn. Lasst doch endlich die Menschen in Ruhe “ihr Ding” machen, sonst kommen sie nie aus dem Loch raus, verdammt noch mal.

Frances Johnson / 02.11.2020

Ich hätte lieber, das man mal studiert, ob die verminderten Flugbewegungen einen positiven Einfluss auf den Jetstream haben. Es ist nicht bewiesen, klingt aber immerhin plausibel, dass für viele Phänomene der veränderte Jetstream verantwortlich sein könnte. CO2 kann man bekanntlich auffangen und dürfte daher ein minderes hochgepushtes Problem sein. Was die Verkehrstüchtigkeit von alten Fahrzeugen betrifft, liegen oft Welten zwischen einem TÜV und einem Mechaniker. Die Afrikaner, was obigen Vorschlag betrifft, werden mal wieder als Underdogs betrachtet, die kein Auto haben sollen. Ökofaschisten sind gleichzeitig oft die übelsten Rassisten, aber kaschiert, oben hui, unten pfui.

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