Peter Grimm / 30.08.2020 / 10:47 / Foto: Pixabay / 109 / Seite ausdrucken

Kein Mindestabstand beim Differenzieren?

Wer am Sonntagmorgen das mediale Echo auf die samstäglichen Demonstrationen Zehntausender gegen die Politik des Corona-Ausnahmezustands vernahm, dem ist vielleicht zunächst der Schreck in die Glieder gefahren. Unter wehenden Reichskriegsflaggen haben Rechtsextreme versucht, den Reichstag zu stürmen und konnten erst an der Treppe zum Eingang gestoppt werden. Dass darüber allenthalben Abscheu geäußert wird, ist natürlich verständlich und nachvollziehbar. Was auch sonst. Weniger nachvollziehbar ist, dass dieser Vorfall, wie auch die Festnahmen und Rangeleien vor der russischen Botschaft, in einen direkten Zusammenhang mit den Querdenken-Demonstrationen der Zehntausenden gestellt werden. Denn beides hat inhaltlich in etwa so viel miteinander zu tun wie eine Demonstration des DGB zum Tag der Arbeit mit einer „Revolutionären 1. Mai-Demo“. In der aufgeregten Berichterstattung spielte das allerdings eine Nebenrolle. Immerhin konnte man, wie hier im Demo-Newsticker von welt.de, aus den Meldungen herauslesen, dass es dort vielleicht eine ganz eigene Veranstaltung gegeben haben muss:

„Aufnahmen zeigen, wie Polizisten versuchen, das Gebäude [Reichstag] gegen Eindringlinge aus dem Kreis einer rechten Demonstration zu schützen. Sie seien die Treppe hoch gestürmt, berichtete ein dpa-Reporter am Ort. Polizeibeamte drängten die Menschen zurück, sie setzten Pfefferspray ein. Es kam zu Rangeleien. Am Reichstagsgebäude hatte es zuvor eine Kundgebung gegeben.“

Dass nicht etwas genauer, als von „einer rechten Demonstration“ geschrieben wird, kann man dem Berichterstatter nicht vorwerfen. Es gibt wohl kaum jemanden, der in dem Gewirr der vielen zwischenzeitlich angemeldeten Demonstrationen den Überblick behalten konnte. Auch der Autor dieser Zeilen hat ihn nicht. Insofern weiß ich nicht, ob die Kleindemonstrationen unter schwarz-weiß-roten Reichsfahnen vor dem Reichstag, der US-Botschaft am Pariser Platz und der russischen Botschaft Unter den Linden nun eigens angemeldete Versammlungen waren oder ob sie sich einfach an den Rand des „Querdenken“-Demonstrationsgeschehens eingeschlichen haben.

Letzteres wird ja den Demonstranten immer wieder vorgeworfen. Die Klage, sie würden sich gemein machen mit Rechtsradikalen und Rechtsextremen, schafft eine Möglichkeit der Ablehnung dieser Demonstration, ohne sich argumentativ mit den Anliegen der Demonstranten auseinandersetzen zu müssen. Dabei wäre es doch ein Leichtes, wenn diese nur aus dem Spektrum vielfältig versponnener Weltsichten kämen. Aber natürlich wissen auch die Demo-Gegner, dass sich – trotz vieler absurder Transparent-, Plakat- und Redebeiträge – dort ernstzunehmende Bürger befinden, die vor allem auf ihren Bürgerrechten bestehen und nicht länger im Ausnahmezustandsmodus durchregiert werden möchten.

Die Themen der Schwarz-weiß-rot-Träger

Doch zurück zu dem, was auch gern als „rechtsoffen“ gebrandmarkt wird, dem Vorwurf der mangelnden Abgrenzung gegen rechts. „Kein Mindestabstand zu Neonazis“ war beispielsweise ein Bericht der Zeit vom Demonstrationsgeschehen überschrieben. Vielleicht haben es aber manche Beobachter auch nicht vermocht, angemessen zu differenzieren, also vorhandene Mindestabstände zu erkennen.

Es waren, das ist unbestritten richtig, auf den Bildern von den Querdenken-Demonstrationen zunächst häufiger Reichsfahnen und Reichskriegsflaggen des Kaiserreichs zu sehen als am 1. August. Aber im Verlauf des Tages zeigte sich doch sehr deutlich, dass die Schwarz-weiß-rot-Träger eine ganz eigene Agenda hatten und dies auch deutlich machten. Vor der russischen und amerikanischen Botschaft demonstrierten sie für „Friedensvertrag jetzt“ und „Souveränität“. Das hat ziemlich eindeutig weder mit dem Corona-Virus noch mit den mittels Infektionsschutzgesetz eingeschränkten Grundrechten etwas zu tun. Viele Querdenken-Demonstranten, die beispielsweise Unter den Linden an der Versammlung der Reichsbürger vor der russischen Botschaft vorbeizogen, dürften selbige als eine eigene Veranstaltung wahrgenommen haben, die nichts mit ihnen zu tun hat.

Einer der Akteure der „Friedensvertrag jetzt“-Aktion unter der Reichsfahne – das war selbst für die Beobachter erkennbar, die das Demonstrationsgeschehen nur über Live-Streams verfolgten – war der mittlerweile einschlägig berüchtigte Vegan-Koch Attila Hildmann, der seine schwere Ideologieabhängigkeit offenbar nur noch mit immer absurderen Weltanschauungen zu stillen vermag. Dass Hildmanns Gefolgschaft aber eher übersichtlich ist, dürfte jeder wissen, der in die kurze Geschichte der Corona-Proteste geschaut hat. Und auch vor dem Reichstag war Hildmann präsent.

Letztlich hatten sich die Rechtsradikalen, Reichsbürger und Rechtsextremen im Demonstrationsgeschehen mit ihrer Beflaggung selbst ganz gut markiert. Und sie waren dabei an eigenen Orten mit eigenen Zielen präsent. Wer also den Querdenken-Demonstranten vorwirft, den geistigen Mindestabstand zu Rechtsextremen nicht einzuhalten, sollte zuvor noch einmal prüfen, ob er nicht vielleicht so manchen Mindestabstand lieber übersehen hat.

Das Abschieben in die rechte Ecke ist verlockend einfach. Dabei hätte, wer wollte, auch innerhalb der Querdenken-Demonstration und ihrer Redner viel Unausgegorenes entdecken können, um sich damit auseinanderzusetzen.

Wer war verantwortlich für den Reichstags-Schutz? 

Unter den jetzt ob des versuchten Sturms auf den Reichstag oder der Zusammenstöße vor der russischen Botschaft empörten Politikern, sind natürlich auch etliche, mit ganz eigenen Interessen. Insbesondere Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) muss daran ein doppeltes Interesse haben. Zum einen lässt sich unter Verweis auf das schändliche Treiben an der Pforte des deutschen Parlaments der missglückte Versuch eines politischen Demonstrationsverbots im Nachhinein noch etwas legitimieren. Zum anderen fällt vielleicht den Empörten in ihrer Empörung gegen rechts nicht auf, dass es doch wohl ein eher fahrlässig geringer Schutz des Reichstagsgebäudes ist, wenn es am Ende an drei Polizeibeamten gelegen haben soll, dass der Reichsfahnen-Gruppe das Eindringen in den Reichstag misslang. Verantwortlich für die innere Sicherheit in Berlin ist wiederum genau dieser Innensenator.

Aber dies nur am Rande. Wichtiger wäre doch, zur Kenntnis zu nehmen, dass offenbar im Lande wachsender Unmut vorhanden ist. Es kommen Zehntausende zum Demonstrieren, obwohl weite Teile in Politik und Medien eindringlich davon abrieten und es zwischenzeitlich ein Verbot gab. Es gibt eine Forderung nach Wiederherstellung der Grundrechte. Und nicht diese Forderung muss ihre Legitimität nachweisen, sondern jede Ausnahmezustands-Maßnahme.

Und wie ernst man diese Demonstrationen nehmen sollte, ist auch vollkommen unabhängig davon, ob es 38.000 Demonstranten waren, wie es Berliner Behörden mitteilen, oder Millionen, wie sie manch ein Redner wieder herbeiphantasierte. Letzteres ist natürlich irre, aber vielleicht dem Umstand geschuldet, dass viele niemals selbst einer Demonstration mit mehr als 100.000 Teilnehmern beigewohnt haben. Und für Nicht-Berliner: Bei hunderttausenden Demonstranten wäre die Verkehrsinfrastruktur der Hauptstadt vermutlich zusammengebrochen. Die ist längst nicht mehr in dem Zustand, dass sie einen solchen Zustrom einfach verkraften kann. Und dass man den amtlichen Berliner Zahlen nicht trauen kann, das hat die Polizei ja spätestens mit dem Demonstrationsverbot deutlich gemacht, als die offizielle Zahl der Demonstranten vom 1. August plötzlich von 20.000 auf 30.000 emporschnellte. Letztlich ist die genaue Zahl egal: Es ist in jedem Fall eine relevante Größe.

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Frank Baumann / 30.08.2020

Das war nicht nur fahrlässig (3 Polizisten), das war geplant, gewollt und sollte genauso sein, damit man eben die entsprechenden Bilder und die entsprechende Schnappatmung präsentieren kann. Nachträgliche Legitimation und vorgreifende Verbote inklusive.

Ilona Grimm / 30.08.2020

@Gudrun Meyer: Sehr gute Gedanken. Man muss aber Hirn haben, um darauf zu kommen. Doch das haben die Linken ja nicht, wie die Geschichte beweist und die Gegenwart bestätigt.

Marc Greiner / 30.08.2020

@Markus Rüschenschmidt—————Danke Hr. Rüschenschmidt, ich bin auch Rechts, weil Rechts=Freiheit; Links=Bevormundung. Aber eben, Sie haben schon alles gesagt. So ist es.

Markus Knust / 30.08.2020

@Dov Nesher : Sind Sie dort gewesen? Ich schon und ich kann nur lachen, wenn ich von angeblicher Provokation lese. Die gab es nur seitens der Polizei, genauer der Polizeiführung, denn die Beamten auf der Straße machten den Eindruck, als wüssten sie auch nicht so recht, was zu tun ist. Wir sollten stehen bleiben, dann wieder gehen, wir wurden abgedrängt, angeschoben, durch Sperren geleitet…. So ging das eine ganze Weile, während wir zwischen teils kuriosen, aber absolut friedlichen Gruppen, hin und her liefen. Wir haben alles angeschaut, mit den Leuten gesprochen, auch mit der Polizei, sogar mit den Gegendemonstranten. Deren Provokation war derart matt und hilflos und offenbar gab es auch kein Geld, denn die hat eigentlich kaum jemand beachtet. Wenn Sie auf jemanden zeigen wollen, dann auf Hildmann und irgendwelche NPD Funktionäre, die diese Reichstagssache inszeniert haben. Die hatten mit unserer Demo überhaupt nichts zu tun. Darauf lege ich auch viel Wert, ich lasse mich mit so einem Avocadolf und Reiskanzled nicht gemein machen. Wer das tut, der lügt. Wissentlich oder unwissentlich, spielt keine Rolle. Es gibt genug Bilder, die zeigen was dort passiert ist. Informieren Sie sich, bevor Sie hier Märchen verbreiten.

Marc Greiner / 30.08.2020

Den Sturm auf den Reichstag musste ich mir heute zusammen suchen. Es gibt wenige kurze Videos davon.————- Zuerst die von Bild-TV: Mangels der Bedrohlichkeit der Lage wurde absichtlich von Weitem aufgenommen und mehr gelabert als Beweise geliefert.————Die anderen privaten Videos waren aufschlussreicher. Hier sei nur eine erwähnt, welche mich auf dem ganzen Weg mitgenommen hat. Es rannten also 2-3 Dutzend Männer und Frauen, eher im mittleren Alter, über die Abschrankungen rauf auf die Treppen des Bundestages. Oben standen 4-5 verängstigte Polizisten, die zuerst wild um sich schlugen und sich dann beruhigten. Die Demonstranten hätten die leicht überwältigt hätten sie es gewollt. Sie waren aber einfach froh auf den Stufen zu stehen und sich als die Sieger zu fühlen. Sie schauten auch mehrheitlich runter und nicht Richtung Eingang Bundestag.————-Somit ist diese Meldung heute von der Stürmung des Bundestages fake-news und die Leute die dort anwesend waren, hatten mit der ursprünglichen Demo eher weniger zu tun. Bedrohlich waren sie auf keinen Fall. Gut und geschickt war die Aktion nicht, aber ich gönne ihnen diese Freude über die überrumpelte Staatsmacht. Das die Medien sich darauf fixieren sollte doch auch zeigen, dass mit unlauteren Mitteln gekämpft wird. Man könnte es auch Korruption nennen. Oder kommen irgendwo Teilnehmer ausgiebig zu Wort und werden die Organisatoren interviewt?

Wojciech Kacpura / 30.08.2020

“„Reichsflaggen und rechtsextreme Pöbeleien“ vor dem Parlament werde man „niemals“ hinnehmen.”-sagte BP nach dem Motto “was erlaubt ist, entscheide ich”. Reichsflaggen sind nicht verboten, Pöbeleien, oder laute Meinungsäußerung auch nicht. Noch ein Beispiel des Machtmissbrauchs und Amtsanmaßung. Das Drehbuch erinnert an “Hetzjagden” in Chemnitz. Völlig lächerlich, weil jeder kann im Internet den Verlauf des Demos nachverfolgen. Besonders die heutige Berichterstattung in MSM ist eine Lachnummer, man kann sich nur fremdschämen für den Berufsstand der MSM-Journalisten.  Weißt jemand ob verweilen auf der Reichstagstreppe eine Straftat, ein Verbrechen ist? Kann sich das Volk vor dem Gebäude nicht aufhalten, das “Dem deutschen Volke” gewidmet ist? Meint der Heiko.

sybille eden / 30.08.2020

Sehr gut ,Herr NIERSBERGER, dem ist nichts mehr hinzuzufügen. Traurig macht es mich trotzdem.

Karsten Paulsen / 30.08.2020

“Reichstag stürmem” klingt prima martialisch. In frei verfügbaren Videos ist eine gemischte Truppe auch mit Reichsflaggen zu sehen, die sportlich an der Polizei vorbei die Treppen hochflitzt und von oben fröhlich nach unten winkt. Die völlig übertriebenen Schlagzeilen und Kommentare vergiften nur die Stimmung.

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Peter Grimm / 18.05.2024 / 11:00 / 0

Dendi und Dinka für Deutschland

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mag mit seinen eigentlichen Aufgaben zuweilen überfordert sein, aber um weltweite Sprachpflege scheint es sich engagiert zu kümmern. „Den Menschen…/ mehr

Peter Grimm / 14.05.2024 / 11:00 / 132

Demokratie gefährdendes Irrlicht nach dem AfD-Urteil

Was bedeutet es, wenn ein CDU-Politiker wie Marco Wanderwitz (Foto) erklärt, eine „bedrohliche“ Partei nicht mehr „auf politischem Weg kleinbekommen“ zu können und deshalb nach…/ mehr

Peter Grimm / 09.05.2024 / 06:15 / 122

Sind normale Bürger Gewaltopfer minderer Güte?

Wer „demokratischen“ Politikern Gewalt antut, soll härter bestraft werden, als wenn er den gemeinen Bürger angreift? Welch undemokratische Idee. Selbst als es für Politiker der…/ mehr

Peter Grimm / 08.05.2024 / 06:15 / 61

Die CDU feiert Parteitag

In Berlin sollen ein neues Grundsatzprogramm und schöne Reden den einen zeigen, dass die Merkel-CDU Geschichte ist und den Merkelianern das Gegenteil beweisen. Und alle…/ mehr

Peter Grimm / 06.05.2024 / 10:00 / 103

Politik für ausgewählte Gewalttaten?

Nach dem brutalen Angriff auf einen SPD-Europaparlamentarier in Dresden rufen die Regierenden wieder zum „Kampf gegen rechts“, und die Innenministerin will mit „Maßnahmen“ reagieren. Die…/ mehr

Peter Grimm / 02.05.2024 / 12:00 / 29

Rauchfreie Wahlhilfe vom Tabakkonzern

Rauchfrei Rauchen mit Tabak-Lobbyisten, die mit dem Aufruf zum „richtigen“ Wählen die Demokratie retten wollen. Wenn man in den letzten Jahrzehnten Medien konsumierte, so gab…/ mehr

Peter Grimm / 01.05.2024 / 06:00 / 52

Durchsicht: Grenzen der Ausgrenzung

Die AfD solle nicht mehr zum städtischen Gedenken an NS-Verbrechen eingeladen werden, forderten die Grünen im Leipziger Stadtrat, und sorgten für eine interessante Debatte. / mehr

Peter Grimm / 26.04.2024 / 12:00 / 37

Keine Kästner-Lesung für „Freie Wähler“

Zweimal wollten die Freien Wähler in Dresden eine Lesung aus Erich Kästners „Die Schule der Diktatoren“ veranstalten. Beide Male wurde sie untersagt. Eine bittere Realsatire.…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com