In schlechten Zeiten entdecke ich in mir eine Neigung zum Optimismus, die sonst nicht zum Zuge kommt. Eigentlich liebe ich es, Probleme in all ihrer Düsternis und Gefährlichkeit zu betrachten, meine Fantasie ist darin geübt, mir die denkbar schlimmsten Folgen vorzustellen. Seit meiner Jugend in einem kommunistischen Land bin ich trainiert in gnadenloser Problemanalyse: Nur keinen negativen Aspekt übersehen – gerade er könnte die tödliche Gefahr in sich bergen. Das vergangene Jahr, mit Corona-Panik und fortschreitender Erosion der demokratischen Strukturen des Westens, hat mein und vieler anderer Menschen Misstrauen vertieft. Doch nicht selten enthalten desaströse Ereignisse den Keim zu einer Erlösung.
Am vergangenen Wochenende wurde nahe Ashkelon an der israelischen Mittelmeerküste ein siebzehn Meter langer toter Finnwal angetrieben. Erste Untersuchungen des Kadavers zeigten Klumpen von Bitumen in seinen Lungen. Man fand schwarz verschmierte Meeresschildkröten und Seevögel mit verklebtem Gefieder. In den nächsten Tagen sollte sich erweisen, dass der größte Teil der israelischen, vermutlich auch libanesischen Mittelmeerküste – allein auf israelischer Seite 160 Kilometer – von Ölresten verunreinigt ist. In Eile ausgewertete Satellitenbilder zeigten fünfzig Kilometer vor der Küste einen großen schwarzen Fleck, ausgehend von einem der zehn Schiffe, die zu diesem Zeitpunkt die internationale Route zwischen ägyptischer und zypriotisch-europäischer Küste befuhren.
Recherche-freudige Journalisten, die ermitteln wollten, von welchem Schiff genau, wurden durch ein Urteil des Bezirksgerichts Haifa daran gehindert, das eine für sieben Tage gültige gag order („Maulkorb-Verordnung“) über die Untersuchungen verhängte und die Nennung von Namen, Nationalität und anderen Details der betreffenden Schiffe verbot. Keine angenehme Nachricht für Anhänger von Demokratie und freier Meinungsäußerung. Gerade hatte das Feuerwerk der Vermutungen und Spekulationen eingesetzt. Die israelische Umwelt-Aktivistin Leehee Goldenberg von der Organisation Adam, teva ve din (Mensch, Natur und Recht) erinnerte daran, dass neuerdings arabische Öltanker an Israels Küstenlinie entlang fahren dürfen, gemäß der sogenannten Red-Med-Vereinbarung (Red für Red Sea, Med für Mediterranean) zwischen den Golf-Emiraten und der israelischen Eilat Ashkelon Pipeline Company, getroffen im Zuge des von der Trump-Administration ausgehandelten Friedensabkommens zwischen den Golf-Emiraten und Israel, das den Transport von Erdöl vom Golf über Israel nach Europa regelt.
Die problematischen Seiten des viel gefeierten Abkommens
In diesem Sinne gingen die Spekulationen vieler Israelis in Richtung „Umwelt-Terrorismus“, wie etwa ein englischsprachiger Leserbrief in der Zeitung Yediot Acheronot suggerierte: „A foreign interest decided to 'tar and feather' Israel as premeditated act of environmental terrorism“. Der Vorfall erinnerte an das Desaster vom Dezember 2014, als bei einem mysteriösen Schaden an der Pipeline von Eilat nach Ashkelon mehrere Millionen Liter Rohöl ausliefen und einen großen Teil des Evrona-Naturschutzgebiets in der Wüste Negev ruinierten. Die dafür zuständge Eifrat Ashkelon Pipeline Company wurde 2019 zu einer Strafzahlung 26 Millionen Euro verurteilt, die der Revitalisierung der Landschaft zugute kamen. Auch damals vermuteten viele einen Anschlag gegen die durch offenes Wüstengebiet führende Ölleitung. Noch deutlicher zeigt die Ölpest an der Mittelmeerküste die problematischen Seiten des viel gefeierten Abkommens zwischen den arabischen Golf-Staaten und Israel.
„Sollte Eilat in einen großen Ölhafen verwandelt werden, wäre die ganze Gegend bedroht“, erklärte der frühere Parlaments-Abgeordnete Dov Khenin, der sich für den bislang vernachlässigten Umweltschutz in Israel einsetzt. Die gag order des Bezirksgerichts Haifa vom 22. Februar sollte vermutlich Enthüllungen verhindern, die im Sinne der Annäherung zwischen Israel und den Golfstaaten derzeit politisch unerwünscht sind. Allerdings wurde dieses Urteil bereits am nächsten Tag nach Petitionen israelischer Medien-Organisationen von einem höheren Gericht widerrufen – erstaunlich, wie schnell in Israel die Gerichte arbeiten können, wenn es wirklich drauf ankommt. Dieses Gericht ordnete an, dass zwar die offiziellen Ergebnisse der Untersuchung des israelischen Umwelt-Ministeriums vorerst unter Verschluss zu bleiben hätten, zugleich aber unabhängige, durch „offene Quellen“ vorgenommene Untersuchungen veröffentlicht werden dürfen („While the actual details on the investigation must remain under wraps, findings that could be deduced independently and through open sources can be published“).
Währenddessen sind Reinigungsfirmen, tausende Freiwillige und Einheiten der israelischen Armee mit einer gründlichen Reinigung von 160 Kilometern israelischer Mittelmeerküste beschäftigt. Für das Publikum bleiben die Strände vorerst gesperrt, bitter in den Tagen um das Purim-Fest, da hunderttausende Israelis Ausflüge mit ihren Kindern machen wollen – in diesem Jahr nach wochenlangem „Lockdown“ nötiger denn je. Umweltschutz-Ministerin Gilad Gamliel hat versprochen, die Strände binnen zwei Wochen reinigen zu lassen, und da glücklicherweise in vier Wochen Parlaments-Wahlen anstehen, wird sie keine Mühe scheuen, ihr Versprechen zu halten.
Pressefotos zeigen den Einsatz neuester Technik, die Bemühungen von Spezialisten und weiträumige Maßnahmen. Da nun in großem Umfang moderne Maschinen und Transportmittel eingesetzt werden, kann auch endlich der Müll von Jahrzehnten, der sich im umweltsündigen Israel an den Stränden angesammelt hatte, tausende Plastikteller von Picknicks am Meer, Industrie-Abfälle, entsorgte Kühlschränke, alte Möbel oder Baumüll, beseitigt werden – ein segensreiches Unternehmen. Wer wie ich gern weite Wanderungen in Israels Landschaften macht, kennt die trübsinnigen Details der Vernachlässigung und Verachtung der Umwelt. Ohne die Ölkatastrophe der vergangenen Woche wäre es wahrscheinlich nicht so bald zu diesem Großansatz gekommen, der in Wahrheit seit langem fällig war. So sehe ich meinen Optimismus bestätigt, dass katastrophale Ereignisse positive Folgen haben können. Oder wie es im biblischen Buch Kohelet heißt: Ejn ra bli tov, Es gibt nichts Schlechtes, das nicht auch sein Gutes hätte.