Claudio Casula / 06.09.2023 / 14:00 / Foto: Screenshot bearbeitet / 78 / Seite ausdrucken

Im Reichstag: Kanzler-Rede mit NPD-Vokabel

Generaldebatte im Bundestag. Am zweiten Tag der Haushaltswoche sprechen Oppositionsführer und Regierungschef. Der eine bleibt handzahm, der andere liefert eine tolldreiste Suada in Sachen Realitätsverleugnung und Schuldumkehr ab. Scholz + Merz = Schmerz.

Von Wolfgang Neuss stammt die schöne Parole „Stell dir vor, es geht, und keiner kriegt’s hin.“ Da konnte der Kabarettist (1923 - 1989) noch nicht einmal eine entfernte Ahnung vom Deutschland des Jahres 2023 haben. Jetzt gibt es hier so viele Baustellen, dass allen klar ist: So kann es nicht weitergehen. Nur wie dann? Konservative meinen: indem man zu einer vernunftgeleiteten Politik zurückkehrt, die dem Land seine besseren Zeiten beschert hat. Linke möchten die Gelegenheit nutzen, jetzt wirklich restlos alles abzuräumen, was ihnen verhasst ist. Das wurde heute im „Schlagabtausch“, der keiner war, zwischen dem Bundeskanzler Olaf Scholz und Oppositionsführer Friedrich Merz einmal mehr deutlich.

Der CDU-Vorsitzende hätte nun angesichts der desolaten Lage richtig Gas geben können. Auf der Autobahn (linke Spur) von hinten heranrasen, die Lichthupe betätigen, Scholz zur Seite drängen, beim Überholmanöver noch den Vogel zeigen und ihm dann davonbrausen. Merz gab sich aber damit zufrieden, gemächlich hinter der Sozen-Schrottkarre herzuzuckeln, und verspürte keinerlei Neigung, bei erlaubten 130 km/h gemächliche 90 zu überschreiten. Er begann staatstragend mit der „Zeitenwende“, bemühte die „Sicherung unseres Friedens und unserer Freiheit“ und ging zur sanften Kritik an der Unterfinanzierung des „ungeliebten Kindes Bundeswehr“ über. Selbst Lindner habe gestern von einem „Eisberg“ gesprochen, auf den Deutschland zulaufe, deshalb, so Merz, hätten wir nun „zwei Oppositionsführer: einen im Parlament und einen in der Regierung – auf gute Zusammenarbeit, Herr Lindner!“

Merz beklagte, dass die Bürger „nur noch mit Verboten, Regulierungen, unkalkulierbaren Kosten und bürokratischen Auflagen belastet werden“. Sie hingegen (also die Union) würde das Bürgergeld so ausgestalten, dass sich Arbeit mehr lohnt als der Bezug von Sozialleistungen, älteren Beschäftigten Anreize geben, länger zu arbeiten und den vielen illegalen Grenzübertritten durch mehr Kontrollen ein Ende setzen. Das Problem der illegalen Migration spalte das Land zutiefst und drohe uns „demnächst um die Ohren zu fliegen“. Zur Finanzpolitik meinte Bierdeckel-Fiete, es müsse eine Ausgaben- und Aufgabenverteilung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden geben, was vielleicht finanzielle Spielräume für eine Steuerreform („Abschaffung des Soli“) schaffen könnte. Er wünschte sich eine einheitliche Unternehmenssteuer und international wettbewerbsfähige Steuersätze.

Bester Satz:

„Wir widersprechen Ihnen in Ihrem ganz grundsätzlichen Staatsverständnis. Sie bauen nämlich… den betreuenden, bevormundenden, alles regulierenden und dann auch finanzierenden Staat, einen geradezu paternalistischen Staat immer weiter aus, der möglichst hohe Steuern einnimmt, um sie dann, nach Abzug eines immensen Verwaltungsapparates, den Sie natürlich am liebsten aus Ihren eigenen Reihen besetzen… dann gönnerhaft an die Bevölkerung nach Ihren parteipolitischen Vorstellungen wieder einen Teil davon zurückzugeben.“

Der große Schub nach vorn

Nach Merz stieg Kanzler Olaf Scholz in die Bütt, mit Augenklappe, aber leider ohne Papagei auf der Schulter. Dafür, dass es gerade nicht gut aussieht für ihn, machte er auf ziemlich dicke Hose nach dem Känguru-Prinzip: mit leerem Beutel große Sprünge machen. Apropos große Sprünge: Im Verlauf seiner über 30-minütigen Ausführungen sprach Scholz davon, den „Investitionsstau bei der kaputtgesparten Bahn“ anzugehen. Ein Wahnsinnsvorhaben, „seit der Dampflok“, glaube er, „ein großer Schub nach vorn“ – und im Pekinger Mao-Mausoleum kichert jemand in seinem Sarkophag.

Hier ein kleiner Einschub: Auf der Regierungsbank waren interessanterweise lauter betretene Mienen zu sehen. Insbesondere Robert Habeck sah schwer angeschlagen aus. Die schlechte Laune, die Scholz kürzlich noch der AfD attestierte, scheint das ganze Kabinett erfasst zu haben. Auch der Kanzler selbst wirkte fahrig und verhaspelte sich ein ums andere Mal, wenn auch nicht so spektakulär wie Außenministerin Annalena Baerbock, die eben mit dem Neologismus „kokainisches Getreide“ Aufsehen erregte.

Die Umfragen ignorierend, denen zufolge die Zufriedenheit mit der Regierung einen neuen Tiefstwert von gerade mal 19 Prozent erreicht hat und die Kanzlerpartei in Bayern mit neun und in Sachsen mit sieben Prozent im einstelligen Bereich dümpelt, pries Scholz die Tatkraft, mit der er und seine Kabinettskollegen die Herausforderungen der Zeit angehen würden. „Gewaltige Veränderungen“ verursachten Verunsicherung, die Leute wollen Orientierung und „zupackende Arbeit für unser Land“. Denn es liegt zwar furchtbar viel im Argen, Scholz und die SPD haben aber gar keinen Anteil daran, obwohl sie in 21 der letzten 25 Jahre in der Regierung saßen, entweder als Junior- oder als Seniorpartner. Das hat Olaf der Vergessliche allerdings verdrängt, schuld war eine „Koalition unter Unionsführung“. „Never forget! Never forget!“, rief der Kanzler aus, dabei wäre das eher eine vom Vorsitzenden des Cum-ex-Untersuchungsausschusses an ihn selbst zu richtende Aufforderung. „Sie waren das!“

Mehltau, an dem er keinen Anteil hat

Das war schon dreist, aber Frechheit siegt ja bekanntlich. Bahn-Chaos, Fahren der Infrastruktur auf Verschleiß und jahrelange Vernachlässigung der Bundeswehr zu beklagen und das eigene Versagen dabei komplett auszublenden, das nötigt einem schon fast ein bisschen von dem Respekt ab, den Scholz immer wieder zu bemühen pflegt. Einmal gelang es ihm, den ganzen Plenarsaal zu homerischem Gelächter zu animieren, als er wider jede Erfahrung behauptete: „Wer hier kein Aufenthaltsrecht hat, der muss unser Land natürlich wieder verlassen!“ Aber eigentlich ging es immer um das gleiche: Alles laufe irgendwie viel zu umständlich, man müsse alles schneller machen, „Tempo“ machen, um den „Mehltau aus Bürokratismus, Risikoscheu und Verzagtheit“ abzuschütteln.

Man wolle die „Deutschlandgeschwindigkeit zum Maßstab für alle großen Erneuerungsprojekte machen“, das Ausland wird noch staunen, wie toll wir das mit unserer Regierung hinkriegen. Überholen, ohne einzuholen! Bürokratische Hürden abbauen, Genehmigungen mit Lichtgeschwindigkeit erteilen und Milliarden und Abermilliarden an Steuergeldern ausschütten. Allein der „Klima- und Transformationsfonds“ (58 Milliarden) und dazu Rekordinvestitionen – macht wieder 110 Milliarden Euro! So bauen wir 400.000 neue Wohnungen jedes Jahr und vier bis fünf Windräder am Tag, bauen eine schnelle, leistungsfähige und digitale Verwaltung auf, modernisieren und digitalisieren die Infrastruktur, errichten im Handumdrehen Flüssiggas-Terminals, schaffen Hunderttausende Arbeitsplätze und werden zum führenden Halbleiter-Standort in Europa!

Die Plansollübererfüllung zwecks Gelingens der Großen Transformation erfordert allerdings, dass wir alle – „Bund, Länder, Gemeinden, Unternehmer, Behörden, Verbände und Gewerkschaften“ –, also wirklich alle „an einem Strang ziehen und natürlich auch in eine Richtung“. Nämlich nach oben, während unten der Bürger zappelt, könnte man sarkastisch einwerfen. Wir bräuchten, meinte Scholz, eine „nationale Kraftanstrengung“, denn der Genius von Spitzenkräften wie ihm, Lauterbach, Baerbock und Habeck allein reicht ja nicht, man müsse „alle Kräfte bündeln“.

Und das alles, liebe Kinder, nennt Olaf Scholz im Reichstag den „Deutschland-Pakt“. „Deutschland-Pakt", wie das Wahlbündnis, das 2005 die rechtsextremen Parteien NPD und DVU miteinander schlossen. Wenn das der Aiwanger gesagt hätte...

 

Claudio Casula arbeitet als Autor, Redakteur und Lektor bei der Achse des Guten.

Foto: Screenshot bearbeitet

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

S.Busche / 06.09.2023

Lasst Scholz und Merz mal mit Besen einen Hof fegen. Wetten die bringen entweder sich, sich gegenseitig oder die Besen um. Die sind selbst dazu nicht zu gebrauchen. Die Glatze weiss wahrscheinlich nach wenigen Minuten nicht mehr wir er schon gefegt hat… Alles völlige Blindnieten. Eigentlich erwarten wir nichts mehr von denen, nur das sie schnell dauerhaft verschwinden.  Kein „Schmerz“ mehr !

Peter Wagner / 06.09.2023

Ich bin immer wieder schwerst beeindruckt, wie man mit so wenig Hirn so viel Shit von sich geben kann.

D. Katz / 06.09.2023

Ich finde, die Augenklappe sollte regenbogenfarben sein. Von innen wie von außen.

Judith Panther / 06.09.2023

Ist der Kanzler womöglich über die Rote Linie gestolpert?

Dr. Klaus Schmid / 06.09.2023

Ein kleines Plauderstündchen auf der Titanic. Sonst nix. Näher mein Gott zu Dir ...

M. Neland / 06.09.2023

Also, dem blauschwarzen Auge des Kanzlerdarstellers liegt wohl ein Initiationsritual einer Verbindung oder so zugrunde, es traten schon mehrere Darsteller mit blauem Auge auf, sogar ein oder mehrere Päpste, soweit erinnert.

D. Brauner / 06.09.2023

Deutschland Pakt? - Nee, Deutschland packt! Tschüss Freunde! - Viel Spaß noch hier!

Thomin Weller / 06.09.2023

Wenns nicht so traurig wäre, könnte man über diese Bunsenverbrecher lachen. Diese Bärbock ist untragbar. Mit dem „kokainisches Getreide“ hat sie ein freudschen Fehler. Es ist Monsanto/Bayer die die Ernte in Afghanistan einfährt und nun die landwirtschaftlichen Flächen der Ukraine aufkauft. Ralf Dahrendorf, ex FDP “Nicht um die Arbeit gehe es den Machthabern, sondern um sich selbst, um die Möglichkeit, den Reichtum der Bürger so zu verteilen, wie es ihnen passt. Deshalb sind die Mächtigen um die Arbeit besorgt, sagt Dahrendorf “Wenn sie ausgeht, verlieren die Herren der Arbeitsgesellschaft das Fundament ihrer Macht.” Und als es noch so etwas wie Journalismus gab, DIE ZEIT, 12.03.2009 “CROSS - BORDER - LEASING Für dumm verkauft. Weitgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit haben sich Lokalpolitiker großer deutscher Städte auf Investoren aus den USA eingelassen und ihnen Schulen, Messehallen, Krankenhäuser überschrieben. Jetzt können sie den Bürgern nicht einmal erklären, wie groß der Schaden sein wird. ” VON ROLAND KIRBACH Mit anderen Worten, aus dem Reichstag kommt “Du machst kein Sinn, nur Geld.”

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Claudio Casula / 16.05.2024 / 14:00 / 90

Deutsche Ficosophie

Ein politisch motiviertes Attentat auf den slowakischen Premier Robert Fico (Foto oben) ruft in Deutschland seltsame Reaktionen hervor. Teils weist man dem Opfer selbst die…/ mehr

Claudio Casula / 16.05.2024 / 10:00 / 31

Volksverpetzer ab sofort nur noch eigennützig

Dem Linksaußen-Portal „Volksverpetzer" ist der Gemeinnützigkeitsstatus aberkannt worden. Aber war der jemals angemessen? Dem Johannes-Evangelium zufolge hat der römische Prokurator Pontius Pilatus auf die Bemerkung Jesu,…/ mehr

Claudio Casula / 14.05.2024 / 06:15 / 58

Tesla: „Klassenkampf“ für den „Klima-Kommunismus“

Linksextremisten laufen Sturm gegen das Tesla-Werk in Grünheide. Ums Klima geht es ihnen nicht: Es sind Elon Musk und der Kapitalismus, den sie bekämpfen. Es bleibt…/ mehr

Claudio Casula / 08.05.2024 / 12:00 / 44

Noah, Mohammed und die fehlenden Kinder

Die jetzt kursierende Liste mit den beliebtesten Namen für Neugeborene macht eine Entwicklung deutlich und ignoriert eine andere.  Und da ist sie wieder, die Liste…/ mehr

Claudio Casula / 04.05.2024 / 06:15 / 111

Wollt Ihr den totalen Stuss?

Jüngst brillierte SPD-Chefin Saskia Esken in einer unter deutschen Politikern beliebten Disziplin: dem Nazi-Vergleich, ohne zu begreifen, wie geschichtsvergessen und verleumderisch dieser ist. „Wer heutzutage in einer…/ mehr

Claudio Casula / 03.05.2024 / 06:15 / 138

Good Buyx!

Nach acht Jahren, davon vier als Vorsitzende, ist Alena Buyx aus dem Deutschen Ethikrat ausgeschieden. Anlass, ihr Wirken in der Corona-Zeit noch einmal angemessen zu würdigen. In einer…/ mehr

Claudio Casula / 01.05.2024 / 06:15 / 82

Der Tag der verschmähten Arbeit

Auch an diesem 1. Mai werden Politiker wieder über Arbeit sprechen und dabei reichlich heiße Luft emittieren. Selbst haben sie immer häufiger mit echter Arbeit…/ mehr

Claudio Casula / 29.04.2024 / 12:00 / 103

Hamburg auf Kalifat-Kurs

Seit vielen Jahren ist Hamburg eine Hochburg des Islamismus, doch die Behörden haben vor allem ein Auge auf den Rechtsextremismus. Am Wochenende riefen hier über 1.000 Islamisten…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com