Die somalischstämmige demokratische US-Abgeordnete Ilhan Omar fällt in ihrer politischen Heimat Minneapolis mit antisemitischen Äußerungen und fraglichen Identifikationsparolen immer wieder unangenehm auf.
Das Konzert fand am Samstag, den 2. Juli, aus Anlass des somalischen Unabhängigkeitstags (1. Juli) im Target Center von Minneapolis statt, einer Multifunktionshalle, die für rund 20.000 Besucher Platz bietet. Die Hauptattraktion war der somalische Sänger Suldaan Seeraar.
In dem Video, das mittlerweile knapp 2 Millionen Mal aufgerufen wurde, ist zu sehen, wie Mitarbeiter von Omar das Publikum um Ruhe bitten, doch vergeblich. Ilhan Omar selbst lächelt die ganze Zeit, als wollte sie zeigen, dass ihr die Buhrufe herzlich gleichgültig sind. Eine Person richtet sich an die Zuschauer mit den Worten: „Tut das nicht!“ Omar selbst sagt irgendwann: „Okay, okay, okay, okay, okay, wir haben nicht die ganze Nacht Zeit.“
Auf Twitter schrieb Omar nach dem Konzert, an die Adresse Suldan Seerars gerichtet: „Es war eine Ehre, dich in unserer unglaublichen Stadt willkommen zu heißen.“ Dazu teilte sie ein 14-sekündiges Video, das nicht den Sänger zeigt, sondern sie selbst, wie sie die Bühne betritt. Es bricht in dem Moment ab, in dem die Buhrufe beginnen.
Demokratische Hochburg
Ilhan Omar wurde in Somalia als jüngstes von sieben Kindern geboren. Im Alter von acht Jahren floh sie mit ihrer Familie ins Flüchtlingslager Dadaab an der Grenze von Somalia und Kenia. 1995 erhielt ihre Familie Asyl in den USA und zog nach New York City. 1997 siedelte die Familie nach Minneapolis über, wo es die größte somalischstämmige Community der USA gibt.
2018 gewann sie mithilfe der Lobbygruppe Justice Democrats – die auch Alexandria Ocasio-Cortez, Rashida Tlaib und Ayanna Pressley ins Parlament hievte – die innerparteiliche Abstimmung über die Kandidatur im fünften Wahlbezirk von Minnesota, zu dem die gesamte Stadt Minneapolis gehört und der eine sichere Bank für die Demokraten ist.
Die letzte Wahl im November 2020 gewann Omar mit 64 Prozent der Stimmen. So stark das auf den ersten Blick aussieht, war es ein schwaches Ergebnis in jener Hochburg der Demokratischen Partei, weit schlechter als jenes von Joe Biden, der im selben Bezirk 80 Prozent der Stimmen erhielt.
Am 9. August finden in Minneapolis die innerparteilichen Wahlen für die Nominierung zu den Wahlen zum Repräsentantenhaus im November statt. Beobachter halten es für wahrscheinlich, dass Omar ihren Sitz im Kongress behalten wird.
„Sie ist sehr unbeliebt bei den Menschen in Somalia und Minneapolis“
Die wahrscheinliche republikanische Herausforderin, Cicely Davis, versuchte, sich den Vorfall zunutze zu machen und als Anzeichen eines Stimmungswechsels in Minneapolis zu deuten. Dem Fernsehsender Fox sagte Davis in dem Zusammenhang:
„Ihre Politik ist bei den Menschen in ihrer eigenen Community sehr unbeliebt. Ich bin nicht sehr überrascht, dass sie sie ausgebuht haben. Sie ist sehr unbeliebt bei den Menschen in Somalia und Minneapolis.
Wissen Sie was? Sie haben entschieden, dass sie nicht länger als einheitlicher Block fungieren werden. Sie erkennen, dass [Omar] sie nicht repräsentiert, und sie sind bereit für Veränderungen. Sie suchen jemanden, der ihre konservativen Werte hier im Kongressbezirk fünf wirklich vertritt.“
Die Aussage, dass sich Minnesotas fünfter Kongressbezirk nach konservativen Werten sehnt, dürfte allerdings wohl Wunschdenken beziehungsweise Wahlkampfrhetorik sein: Der Wahlkreis wird seit fast sechzig Jahren von den Demokraten gehalten.
Bloße Spekulation
Wenn jemand Omar stürzen könnte, dann nur bei den innerparteilichen Wahlen der Demokraten. Und da agiert sie taktisch durchaus geschickt: Obwohl in politischen Fragen weit linksstehend, sucht Omar immer wieder die Nähe und Unterstützung rechtsradikaler muslimischer Kräfte wie der islamistischen US-Organisation Council on American Islamic Relations (CAIR) oder dem türkischen Präsidenten Erdogan.
Für ihre antisemitischen Äußerungen bekam sie in der Vergangenheit Zuspruch von Ku-Klux-Klan-Führer David Duke, der sie als das „wichtigste Mitglied des US-Kongresses“ bezeichnete, und dem Hitler-Bewunderer Louis Farrakhan, der sie öffentlich „Schatz“ nannte.
Wenn die Bevölkerung von Minneapolis solche Bündnisse satthaben sollte, wäre das zu begrüßen. Aber dafür wären mehr Belege notwendig als der Vorfall unlängst. Über den wahren Grund für den Protest der Konzertbesucher lässt sich aus der Ferne nur spekulieren. Auch die amerikanische Presse tappt im Dunkeln. Das Magazin Newsweek schreibt:
„Es ist nicht sofort klar, was die Buhrufe ausgelöst hat, aber einige Leute vermuten, dass es mit der Unterstützung der somalisch-amerikanischen Kongressabgeordneten für Abtreibung und LGBTQ-Rechte zusammenhängt.«
Die britische Tageszeitung Daily Mail erinnert an eine andere kontroverse Äußerung Omars. Nur zwei Tage vor dem Konzert hatte sie geäußert, die Stadt Minneapolis sei, was Gewalt angehe, schlimmer als ein somalisches Flüchtlingslager. Bei einer Podiumsdiskussion über Schusswaffengewalt, die am Donnerstag vor dem Konzert in einer Schule in Minneapolis stattfand, sagte sie:
„Sechs Jahre lang hatte ich das Privileg, keinerlei Gewalt mitzuerleben, bis ich nach Minnesota zog.“
Um zu erfahren, ob die Buhrufe sich wirklich gegen Ilhan Omars politische Agenda richten und wenn ja, gegen welche konkreten Punkte, hätte man die Konzertbesucher befragen müssen. Leider hat die Star Tribune, die Lokalzeitung von Minneapolis, keinerlei Notiz von dem Vorfall genommen.
Möglich wäre auch, dass die Konzertbesucher bloß ärgerlich waren, weil sie viel Geld für die Tickets bezahlt hatten – zwischen 65 und 120 US-Dollar –, um das einzige Konzert ihres Idols Suldaan Seeraar in den USA zu sehen und wenig begeistert waren, dass es von politischer Propaganda unterbrochen wurde. Gut möglich also, dass ein republikanischer Politiker ebenso ausgebuht worden wäre.
„Wir“ also
Der Unterschied ist allerdings, dass kein Republikaner auf die Idee gekommen wäre, jenes Konzert zu einem Wahlkampfauftritt umzufunktionieren. Die Attitüde „Ich komme aus Somalia, ihr kommt aus Somalia, also müsst ihr für mich stimmen“ ist eben typisch für Ilhan Omars Weltanschauung, wonach Menschen nicht in erster Linie Individuen sind, sondern Platzhalter von Ethnien, Hautfarben und anderen Kollektiven.
Sie selbst fühlte sich stets berufen, Sprecherin jener Kollektive zu sein. Nach ihrem Einzug ins Repräsentantenhaus von Minnesota im Jahr 2016 sagte sie:
„Ich denke, ich bin die Stimme von jungen Menschen. Ich denke, ich bin die Stimme von Frauen der ostafrikanischen Community. Ich bin die Stimme von Muslimen. Ich bin die Stimme von jungen Müttern, die nach Chancen suchen.“
Im April 2019 twitterte sie:
„Frauen – insbesondere schwarze Frauen – wurde viele Jahre lang gesagt, langsam zu gehen, nicht gesehen und nicht gehört zu werden. Wir sind nicht im Kongress, um unsichtbar zu sein. Mit den Worten des Kongressabgeordneten John Lewis: 'Wir sind hier, um gute Probleme zu machen.'“
„Wir“ also. Damals stand Omar nach einer Reihe antisemitischer Äußerungen auch in ihren eigenen Reihen unter starkem Druck und wurde von Parteioberen wie Nancy Pelosi, der Sprecherin des Repräsentantenhauses, öffentlich gemaßregelt. Und was tat sie? Versteckte sich hinter einer Gruppe, deren Stimme im Kongress sie angeblich ist – so, als hätten alle schwarzen Frauen Amerikas dieselben politischen Ansichten und wären diese zufällig identisch mit denen von Ilhan Omar?
Diese Art der Identitätspolitik wird Ilhan Omar nach dem Debakel vom 2. Juli vielleicht schwerer fallen. Wenn sie noch einmal behauptet, sie sei die Stimme der Somalier oder der schwarzen Frauen, braucht man ihr nur ein paar Sekunden aus dem Video vorzuspielen, das zeigt, wie das Publikum eines Konzerts aus Anlass des somalischen Unabhängigkeitstags, darunter sicherlich sehr viele schwarze Frauen, ihr zuruft: „Hau ab!“
Dieser Beitrag erschien zuerst bei Mena-Watch.