Diese Zeilen, die ich jetzt schreiben werde, fallen mir sehr schwer. Sie werden Illusionen zerstören, sie werden Frauenherzen brechen, und die Leser werden sich fragen, wie ich dies all die Jahre verheimlichen konnte.
So sehr ich gegen meine eigene Überzeugung schreiben konnte. Aber wenn ich auf den richtigen Zeitpunkt warte, wird es immer nur falsche Zeitpunkte geben, daher ist dieser Zeitpunkt jetzt: Ich will mich outen. Ich hasse nämlich Baumärkte.
Gerüchten zufolge ist der Baumarkt für den Mann das, was ein Schuhgeschäft für Frauen ist: ein Hort voller Mysterien, eine Verheißung des Glücks, ein Land voller wunderbarer Dinge, der Endpunkt alles Strebens und Seins, der Sinn des Lebens, der so manche Kreditkarte zum Glühen bringe. Eine Religion, die Männern im Jenseits einen Baumarkt und Frauen ein Schuhgeschäft verspräche, würde quasi über Nacht sämtliche Weltreligionen inklusive Klimapanik pulverisieren. Nur nicht bei mir.
Diese angebliche Faszination, die von Aufsitzrasenmähern, Falttüren, 8er-Dübelpackungen oder Toilettenschüsseln ausgeht – ich habe sie nie gespürt. Sicher, ich muss manchmal zum Baumarkt, weil der Schatz irgendwas mit der Dachlatte erledigen will oder weil Geranien und Begonien im Sonderangebot sind, dann gehe ich eben hin, aber ich habe mich noch nie zwischen den Regalen dieser Städte von Heimwerkern für Heimwerker verirrt.
Schaufeln, Spaten und Stripper
Es ist nicht so, dass ich es nicht versucht hätte: Einmal wollte ich einen Hammer kaufen, weil ich den nicht vom Nachbarn leihen und unglücklich sein wollte, aber ich stand dann vor einem Metallregal und es gab sage und schreibe acht Sorten von Hammern. Oder Hämmern. ICH wollte ja nur ein paar Nägel in die Wand donnern, aber da gibt es dann so Hämmer mit so Spitzen, mit denen man Nägel auch wieder herausziehen kann und andere Hämmer aus Gummi, bei denen es vielleicht nicht so weh tut, wenn man den Daumen trifft. Dann gab es Hämmer, die wie sehr große Hämmer aussehen, die heißen dann „Schlage“, als ob man mit einem dämlichen Hammer etwas anderes tun könnte, als zu schlagen.
Die Dinger waren richtig sauschwer und ich sah mich einen Moment, wie ich in unserem Garten einen zünftigen Weidezaunpfahl in den Boden ramme, dabei haben wir gar keine Kühe. Niemand hat Kühe, in der Stadt nicht und auf dem Land auch nicht. Und wenn jemand welche hat, dann hat er mit Sicherheit bereits eine Schlage, sonst hätte er die Kühe nicht, und die sehen ja auch nicht so aus, als würden sie nach dreimal Benutzen kaputt gehen. Also, die Schlagen. Nicht die Kühe. Wozu, in Teufels Namen, sollte also irgendjemand eine Schlage brauchen? Stand aber da. Direkt neben den Pickeln. Nur falls jemand angeseilt an einer Hochhausfassade hinaufklettern möchte. Ebenfalls eher übersichtliche Kundschaft.
Und es gab da Schaufeln. Ich hatte schon im Sandkasten mehr Spaß an diesen kleinen Plastikwassermühlen als an Schaufeln. Die Mühlen drehten sich lustig mit Sand oder Wasser oder Urin. Eine Schaufel kann gar nichts, außer zu schaufeln. „Klappspaten“ verstehe ich zur Not noch. Mein Ururopa hat damit wohl Gräben in Flandern ausgehoben und den Klappspaten vielleicht einem Franzmann über den Schädel gezogen, aber was soll an einer Schaufel schon toll sein? Man kann Dreck damit in eine Schubkarre befördern, die wohl ein ebenso bronzezeitliches Relikt wie mein Hammer ist. Und trotzdem gibt es Schaufeln, die vorne rund sind und solche, die gerade sind. Haben die Schaufeln nur ein gerades Blatt, sind es Spaten. Ist dieses Blatt stark invertiert, ist es eine Schneeschaufel. Ist es breiter als lang, ist es ein Stripper. Ein Stück Holz mit Metall vorne dran, in jeweils leicht abweichenden Ausführungen. Gähn.
Hochregal mit 112.321 Arten von Gips, Mörtel, „Raco Fix“, „Rotband“ und Fliesenklebern
Ich ging dann etwas weiter, meine Betrachtungen über die stille Erotik und Vielfältigkeit von Handspachteln erspare ich Ihnen. Was will ich mit einem Spachtel? Wenn ich nichts zu spachteln habe? Kurz hat mich dann ein Hochdruckreiniger fasziniert, aber seit ich das Moos von unserer Gartenmauer auf den Nissan vom Nachbarn gekärchert habe, lässt mich der Schatz sowieso nicht mehr an schweres Gerät. Er sagt, ich mache damit nur Blödsinn. Natürlich hätte ich auch Spaß an etwas Bauschaum gehabt, beispielsweise um die Türschlösser des besagten Nissan einer Schaumkur zu unterziehen, aber das ist wohl strafbar? Der Kollege Steinhöfel kann mich ja nicht dauernd raushauen.
Als nächstes kam ein Hochregal mit 112.321 Arten von Gips, Mörtel, „Raco Fix“, „Rotband“, Fliesenkleber und Fliesenkleber für große Kacheln, mittelgroße Kacheln und kleine Kacheln. Als ob die alle unterschiedliche Kleber bräuchten? Das ist doch Verarschung? Wozu gibt es Unterschiede zwischen Schnellzement, Renovierspachtelmasse, Haftputzgips und Flächenmasse? Dem verdammten Loch in der Wand dürfte es egal sein, ob ich Gips, Renovierspachtelmasse oder Flächenmasse reinschmiere? Hauptsache, es ist zu? Stand jemals ein Fliesenleger auf seiner Baustelle und dachte sich: „Whatdafugg, ich habe nur den Kleber für die mittelgroßen Kacheln, aber das sind ja kleine Kacheln“? Ich finde das sehr verwirrend und seltsam.
Danach kam ich an den Sonderangeboten mit Japanspachteln vorbei. Ja, was jetzt? Spachteln sie in Japan anders als im Rest der Welt? Sind die Japaner Spachtelweltmeister? Das Ding war einfach nur irgendwie geriffelt! Nein, ich habe im Baumarkt keinen Spaß. Im Baumarkt werde ich auf die grundlegenden Fragen meiner Existenz zurückgeworfen und habe den Satz aller Handwerker inklusive Schatz im Kopf, den sie mir wie auf einer CD ins Gedächtnis gebrannt haben, wen ich mal wieder „helfen“ wollte: „Naja, du hast eben andere Qualitäten“, was sich dann in meinen Ohren ungefähr so wie „naja, du bist eben behindert“ anhört… Da gehe ich echt lieber ins Schuhgeschäft.
(Weitere verblüffende Artikel des Autors unter www.politticker.de)
Von Thilo Schneider ist in der Achgut-Edition erschienen: The Dark Side of the Mittelschicht, Achgut-Edition, 224 Seiten, 22 Euro.