Hamed Abdel-Samad, Gastautor / 17.03.2019 / 06:20 / 75 / Seite ausdrucken

Hamed Abdel-Samad zu Christchurch

Die, die nach einem islamistischen Terroranschlag immer betonen, dass der Terror keine Religion hat, haben nach dem Anschlag auf die Moschee in Neuseeland festgestellt, dass der Terror doch eine Rasse hat. Die gleichen Leute, die zu recht verlangen, Muslime nicht unter Generalverdacht zu stellen, reden nun ungehemmt vom "weißen Mann" als Kategorie.

Wir neigen oft dazu, eine ganze Gruppe entweder als Opfer oder als Täter abzustempeln. Doch Selbstüberhöhung, Selbstgeißlung und Opferhaltung sind Mechanismen, um vor der Realität zu fliehen. 

Jeder Mensch, egal aus welcher Rasse oder Religion, ist zu allem fähig, im positiven wie im negativen Sinne. Es gibt jedoch Faktoren und Denkstrukturen, die Hass und Ausgrenzung befördern, wie zum Beispiel zu glauben, dass die eigene Gruppe auserwählt ist und über der Menschheit steht. Dieses Denken ist sowohl unter Muslimen als auch unter weißen Männern verbreitet. Die "white supremacists" unterscheiden sich nicht viel von den "muslim supremacists". Beide sind exklusiv und glauben an eine Weltverschwörung gegen sie. Beide haben ein kolonialistisches Projekt und träumen davon, die Welt unter ihrer Kontrolle zu bringen. Beide hassen sich nach außen hin, doch in Wirklichkeit beflügeln sie sich gegenseitig und liefern einander Argumente für den Fortbestand.

Die Moderne hat drei Säulen der klassischen Identitäten massiv geschwächt: Nation, Religion, Männlichkeit. Sie hat uns in die Lage versetzt, uns von diesen Identitätsankern zu distanzieren oder sie zu relativieren. Nicht viele können mit dieser Ambivalenz leben. Sie brauchen klare Identitätskonturen. Die white supremacists und muslim supremacists führen nun eine Konterrevolution gegen die Moderne und wollen diese Dreifaltigkeit zur alten Stärke zurückbringen. 

Immer mehr Brennstoff für den Hass

Die Frage ist nun, was haben wir an Identitätsmodellen in der islamischen Welt und im Westen als Antwort auf diese Konterrevolution? 

Die wirtschaftliche, politische und kulturelle Asymmetrie zwischen Ost und West wächst und bietet den Extremisten auf beiden Seiten mehr Brennstoff für den Hass. Die Bildung in der islamischen Welt schafft es nicht, sich von diesem exklusivistischen Denken zu lösen und sich für moderne, flexible Identitätsmodelle zu öffnen. Im Westen dagegen wird die Moderne und Aufklärung teilweise relativiert, um inflexible und zum Teil radikale Lebensweisen zu integrieren. Das beflügelt sowohl die white supremacists als auch die muslim supremacists sowie andere radikale Strömungen – und schwächt die Vernünftigen. Wir haben den Pluralismus so weit ausgedehnt, aber keinen gemeinsamen Nenner für ein friedliches Zusammenleben. 

Das Problem liegt daran, dass unser Bekenntnis zur Freiheit so schwach ist wie seit langem nicht mehr!

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Leserpost

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Frank Pressler / 17.03.2019

Schwaches Bekenntnis zur Freiheit? Ein ganz starkes Bekenntnis zur Freiheit hat doch Jacinda Ardern, Neuseelands PM, abgelegt, als sie nach dem Attentat im schwarzen Hidschab der muslimischen Gemeinde kondoliert hat.

Margit Broetz / 17.03.2019

Dieser Anschlag wird nichts, aber auch gar nichts daran ändern, daß weiterhin, Woche für Woche, irgendwo Menschen bei einem Anschlag von Moslems sterben, und die Medien das herunterspielen oder verschweigen.

Hans Meier / 17.03.2019

“White Supremacist” ist ja zunächst ein Schimpfwort für “Weiße” aus der US-amerikanischen Debatte. Menschen, die tatsächlich glauben, als Weiße über dem Rest der Menschheit zu stehen, gibt es heute so gut wie nicht mehr. Oswald Spengler hat schon vor hundert Jahren festgestellt, daß den “Weißen” (also den europäischen Kolonialmächten) die Selbstverständlichkeit, mit der sie Herrschaft weltweit ausüben, abhanden gekommen wäre. Thomas Mann hat das Schwinden einer unreflektierten Souveränität, die als Triebkraft zupackenden Unternehmertums in den Vorfahren lebendig gewesen war, in der Person Thomas Buddenbrooks anschaulich geschildert. Das Symptom ist da, die Ursache kaum erklärbar. Die Erklärungsansätze Spenglers laufen auf eine Analogie zum organischen Lebenskreis hinaus, sind folglich auch nur ein Notbehelf. Das Problem ist, daß man von uns Weißen heute Dinge verlangt, die kaum je von Menschen verlangt werden können. Während jede noch so entlegene Ethnie präzise beschrieben, katalogisiert und beschützt wird, heißt es nunmehr, uns “Weiße” gebe es ja gar nicht. Besonders hat es auch hier die Deutschen erwischt. Es ist bekanntlich stafbar, Menschen aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit verächtlich zu machen - nur Deutsche, so belehren uns die Juristen, haben gar keine ethnische Identität. Deutscher ist jeder, der einen deutschen Paß hat; darüber hinaus gebe es nichts Deutsches. Wir sollen also anerkennen, daß das, was unseren unhinterfragbaren, geschichtliche Wesenskern ausmacht, gar nicht existiert. Und diese Forderung pulsiert tagtäglich durch zahllose, allfällige Anspielungen im gesamten öffentlichen Leben. Mein türkischer Mitschüler mit doppelter Staatsbürgerschaft, läßt keinen Zweifel daran, daß er ein Türke ist. Er spricht, ißt, flucht und feiert als Türke so, wie es die Türken seit Alters her tun. Und ich sei in dieser nämlichen Kategorie - nichts. Das ist eine Art “Ling Chi”, eine voll empfundene Zerstückelung, die einen wahnsinnig machen kann.

Edward Fulper / 17.03.2019

An “Gabriele Klein”: —- Das Problem des Monotheismus ist, dass er keine moderne Freiheit ermöglicht. Deshalb wurde dieser durch die Dreifaltigkeit in der Religion schon vor einiger Zeit ersetzt (Vater, Sohn, Geist), wo sich z.B. der Sohn in Freiheit zu etwas entschließen kann, auch einmal “Nein” sagen könnte. —- Moderner ggf. mit Wollen - Fühlen - Denken, oder Brüderlichkeit - Gleichheit - Freiheit zu benennen, und dabei jeder Individualität den Raum zur Entwicklung ermöglicht. —- Ich fände es außerordentlich schade, wenn jemand den Rückfall in den Vater-Monotheismus als Lösung der Freiheitsprobleme jedes einzelnen modernen Individuums propagieren würde, ohne dabei zu verstehen was er damit eigentlich tut, nämlich ein geistiges Knechtungssystem einzuführen (einen “Frame”, der Freiheit verunmöglicht). Das wäre eine etwas sehr verwerfliche vergangenheitsverhaftete Religionsanwendung. —- Dieser Konflikt eines Monotheismus mit einer Dreifaltigkeit ist nicht unbekannt, und nur das Individuum kann dabei die Lösung selber aktiv herbeiführen indem es die drei verschiedenen Gebiete individuell bearbeitet und individualisiert in sich verbessert. Man nimmt dabei der Dreifaltigkeit nichts weg, sondern man verbessert diese. —- Zum 1. Gebot der 10 christlichen Gebote, dass diese zwar volle Gültigkeit behalten, jedoch aus dem Altem Testament sind. Das Neues Testament hat soweit mir bekannt, eben gerade die Dreifaltigkeit hinzugebracht, womit das eben kein Monotheismus (kein Vater-Monotheismus) mehr ist. Das würde ich als Fortschritt in der Geistentwicklung der Menschheit ansehen, wobei diese Dreifaltigkeit die dann doch Eines ist, schon schwierig zu verstehen ist, aber unter dem individuellen Freiheitsaspekt dann wieder Sinn macht (das Individuum ist doch auch Eins, aber dann auch wieder drei mit Wollen - Fühlen - Denken).

Hans-Peter Dollhopf / 17.03.2019

Kommt jemand, um dich zu töten, stehe früher auf, töte ihn zuerst. Sein oder nicht sein. Notwehr ist Menschenrecht, aber keiner der Ermordeten sah Brenton Tarrant kommen. Fünfzig Menschen liegen erschlagen und die Stimme ihres Blutes schreit von der Erde.

Karl-Heinz Vonderstein / 17.03.2019

Wenn ein Afro-Amerikaner sagt, er sei stolz ein Afro-Amerikaner zu sein, ist es gut. Wenn ein Hispanics-American sagt, er sei stolz ein Hispanics-American zu sein, ist es gut. Wenn ein Native American sagt, er sei stolz ein Native American zu sein, ist es gut. Wenn ein Inder sagt, er sei stolz ein Inder zu sein, ist es gut. Wenn ein Chinese sagt, er sei stolz ein Chinese zu sein, ist es gut. Wenn ein Araber sagt, er sei stolz ein Araber zu sein, ist es gut. Wenn ein Afrikaner sagt, er sei stolz ein Afrikaner zu sein, ist es gut. Wenn ein Weißer sagt, er sei stolz ein Weißer zu sein, ist es Rassismus.

sybille eden / 17.03.2019

“Das Problem ist, das unser Bekenntniss zur Freiheit so schwach ist wie seit langem nicht mehr.” Ich glaube das dieses “Bekenntniss”  bei den Völkern Westeuropas noch niemals wirklich konseqent stattgefunden hat ! Seit dem WK 1 wählte und installierte man doch in allen diesen Ländern mehr oder weniger sozialistische bzw,staatskapitalistische Systeme. Bis auf ein kleines Häuflein Liberaler Kämpfer hat sich das kollektivistische Denken tief in die Gene der westlichen Bevölkerung gefressen. Das Ergebniss sind die heutigen Probleme, und sind das Gegenteil von einer freiheilichen Grundordnung. Die steht doch nur noch auf dem Papier. Das sozialistische Krebsgeschwür lässt sich besonders in Deutschland wie auch Frankreich nicht mehr stoppen. Und somit auch nicht der Islam. Und damit weder Terror von links,rechts oder religiösem. Nicht nur die Politiker sind Schuld, nein das verblendete und gleichgeschaltete Volk ist es, denn sie haben in wahrheit Angst vor der Freiheit !

Anders Dairie / 17.03.2019

BREYVIK hat die Kinder der sozialistischen, norwegischen Politiker auf der Insel ÜTOYA zusammengeschossen, die seineserachtens an der Flutung mit muslimi-schen Zuwanderern schuld hatten. B.  hat an kommende Konflikte mit den Einheimischen geglaubt, die auch blutig werden könnten.  Er sah sich als Warner und Beispielgeber. Als Erster, der sich opfern muss !?  Der Christchurch-Terrorist ist als erkannter Einzeltäter offenbar in gleicher Mission unterwegs gewesen.  Diesmal traf es Muslime, die sich offenbar schon integriert hatten.  Es soll inzwischen 50 Tote geben.  Meine Intention daraus:  Die Konfrontation zwischen Muslimen und dem Rest der Welt ist nahe.  Die Parteien sind Antagonisten.  Der Kampf umfasst von Kindern, die Politiker, die einfachen Leute alle Gruppen.  Ergo, es gibt kaum Differenzierungen.  Es gibt den totalen Bürgerkrieg, wo Kombattanten nur noch unterscheiden in “Gläubige” oder “Westler”.  Es sieht schlecht aus für die Muslime, überall.  Die Weltkriege organisierter Armeen könnten ein Kinderspiel gewesen sein.

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