Es gibt gutes Wetter und schlechtes Wetter. Gutes Wetter ist, wenn es warm ist und die Sonne scheint, schlechtes, wenn es kalt ist und regnet. Soweit nicht besonders kompliziert. Man erinnert sich vielleicht noch an Rudi Carrells berühmten Song von 1975 „Wann wird's mal wieder richtig Sommer?“ Oder Gerhard Polts Sketch aus seiner Sendung „Fast wia im richtigen Leben“: Eine bayerische Familie urlaubt im früheren Jugoslawien in einem heruntergekommenen Ferienhaus, Tito-Porträt an der Wand, es regnet ununterbrochen, aber Vati versucht, die genervte Gattin und die erkälteten Kinder bei Laune zu halten. Bald werde es besser: „Das ist doch Mittelmeerraum.“ Doch es hört nicht auf zu schütten. Der Nachbar erscheint im Ölzeug und verkündet seine vorzeitige Abreise: „In Deutschland – Traumwetter!“ Damals war ein verregneter Sommer ein schlechter Sommer.
Deutschland ist zwar nicht Mittelmeerraum, obwohl man die letzten Jahre manchmal dachte, jetzt wäre es endlich soweit und Palmen in Bayern lägen in Reichweite. Aber nun das: Seit einem gefühlten halben Jahr Regen, Regen, Regen und nicht enden wollende Kälte. Kältester April seit 40 Jahren! Auch der Mai macht bislang wenig Anstalten, die Scharte auszuwetzen. Jetzt haben wir schon die Mitte des angeblichen Wonnemonats überschritten und immer noch läuft ohne Steppjacke und Wollmütze nichts, wenn man sich nicht erkälten will. Erkälten darf man sich nicht, weil es sonst gleich heißt, man habe Corona. Man braucht sich auf der Straße nur mal räuspern, da schauen einen die Leute schon scheel an und machen einen Riesenbogen um einen.
Schlimm ist, dass sich keine durchgreifende Änderung der „eingefahrenen Wetterlage“ einstellen mag. Noch schlimmer ist, dass man sich nicht mehr, wie Rudi Carrell, über das Schietwetter beklagen darf. Im Gegenteil. Wenn heute die Rede aufs Wetter kommt, und sie kommt immer und überall ebenso zuverlässig aufs Wetter wie auf die „Pandemie“, heißt es: „Warum regen Sie sich denn auf? Die Natur braucht den Regen.“ Oder, etwas persönlicher, als sei die Natur der gute Kumpel von Nebenan: „Die Bäume freuen sich“. Heute ist schlechtes Wetter gutes Wetter.
„Klimaleugner“ reiben sich schon die klammen Hände
Die Umwertung aller Werte, sie funktioniert prächtig. Pandemie ist, wenn in Kliniken so wenig los ist wie noch nie, Kinder lernen besser zu Hause am Computer und zwei mal zwei ist fünf. Im Übrigen bin ich als Mensch auch Natur und freue mich nicht!
Gerade hat Söder, der größte Ministerpräsident aller Zeiten, die Biergärten und die Außengastronomie wieder öffnen lassen und jetzt herrscht gähnende Leere, weil es selbst für hartgesottene Schwabinger Öko-Hipster zu kalt ist, um länger in einem der eilig aufgeschlagenen „Schanigärten“, die die Stadt München wie einen riesigen Wertstoffhof erscheinen lassen, bei einer Bio-Rhabarberschorle zu verweilen. Schlotternd drängen sich die Menschen, wenig pandemiegerecht, zwischen den Plexiglastrennwänden, die weniger dem Schutz vor ansteckenden Aerosolen als der Abwehr von Luftmassen polaren Ursprungs dienen. Heizpilze sind unerwünscht, weil Klimakrise herrscht.
Apropos: Die Mainstreammedien mühen sich wacker, jeden Tag die neueste Horrormeldungen von der Klimafront zu präsentieren, um angesichts dieses Bibberfrühlings keine defätistische Stimmung aufkommen zu lassen und den „Klimaleugnern“, die sich schon die klammen Hände reiben, keinen Vorschub zu leisten. Gerade ist wieder ein Eisberg in der Antarktis abgebrochen, in Kalifornien brennt es bereits, obwohl erst Frühling ist. Ach, Frühling! Und das Regendefizit der letzten Jahre soll immer noch nicht ausgeglichen sein. Schweine, soll es ewig regnen?
Über das bisschen Frösteln im Mai nicht aufregen
Erst „Märzwinter“, dann ein viel zu kalter April mit Nachtfrösten ohne Ende und jetzt ein ebenfalls unterkühlter, gar nicht wonniger Mai. Wie es aussieht, dürfte es das kälteste Frühjahr seit 1987 werden. „Dass wir nun erstmals wieder einen wirklich kalten Frühling erleben, ist ein klarer Hinweis auf den schnell fortschreitenden Klimawandel“, heißt es in einem Wetterportal. Diese Logik erschließt sich mir nicht auf den ersten Klick. Aber eins habe ich gelernt: Warm ist immer Klima, kalt nur schlechtes Wetter.
Die Deutschen sind das einzige Volk auf der Welt, mit Ausnahme vielleicht von einigen Nomadenstämmen in der Sahara, die sich über Regen und Kälte freuen wie die – passt hier einfach gut – Schneekönige. Andere Völker, Italiener, Franzosen, Griechen, blühen auf, wenn sich das Thermometer schon im Mai an die 30-Grad-Marke heranpirscht, räkeln sich satt in der Sonne und hoffen inständig, dass es sich mit Regen und Kälte bis zum nächsten Winter erledigt hat. Die Deutschen dagegen schütteln besorgt den Kopf, wenn sich doch mal ein Hoch bequemt, sich über unserem kalten und dunklen Land einzunisten, über das Heinrich Heine befand, ein deutscher Sommer sei ein grün angestrichener Winter. Sie räsonieren über den Klimawandel und die bevorstehende Apokalypse und überlegen, was man „der Natur“ noch Gutes tun könne.
Und wir Deutsche haben ja wirklich so vieles wiedergutzumachen. Angesichts eines über Jahrhunderte aufgehäuften Schuldenkontos von Kolonialismus, rücksichtsloser Industrialisierung, Frauenverächtung, Nationalismus, Nazismus und Jahrzehnte langen schändlichen Wohllebens darf man sich über das bisschen Frösteln im Mai nicht aufregen. Wir haben es verdient!
Wobei all dies, wohlgemerkt, nur fürs eigene Land gilt. Denn wenn die Deutschen verreisen, wollen sie am Strand einen makellos blauen Himmel und Wärme ohne Ende. Da darf kein Wölkchen das ewige Sommerfeeling trüben. Und die Klimakrise ist auf einmal ganz weit weg.