Thomas Rietzschel / 25.03.2018 / 12:00 / Foto: Pixabay / 17 / Seite ausdrucken

Gelesen, gesehen, gehört, verpasst:  Eva wacht

Lange nichts gehört vom VS, dem Verband deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller. Manche mögen sich noch erinnern, in den siebziger und den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts hatte die Dichter-Gewerkschaft öfter von sich Reden gemacht. Die globale Organisation der Weltliteratur lag ihr während des Kalten Krieges besonders am Herzen.

Zwar verstanden sich die Funktionäre nicht sonderlich gut mit den Dissidenten des Ostens, dafür pflegten sie umso engere Kontakte mit den Kollegen der Verbände im real existierenden Sozialismus. Nach der Wende sorgte das noch für gelegentliche Aufregung, dann wurde es still. Erst in dieser Woche mussten wir wieder feststellen, dass der Verein weiter vor sich hin lebte, dass er nicht entschlafen ist. Die literarische Bedrohung der Demokratie, angezettelt von Uwe Tellkamp, hat ihn wachgerüttelt.

Im Anschluss an die Kampagne „Verlage gegen Rechts“ startete am Freitag das VS-Projekt „Stimmen gegen Rechts“. Um es vorzustellen, war die Vorsitzende Eva Leipprand, eine an ihrem Wohnort Augsburg weltberühmte Autorin, extra nach Berlin gereist. Was Uwe Tellkamp und andere Unterzeichner der „Erklärung 2018“ an der massenhaften Zuwanderung moslemischer Aktivisten auszusetzen hätten, erklärte die Schriftstellerin, sei „unterkomplex und einer intellektuellen Auseinandersetzung nicht angemessen“.

Ehemals hauptamtliche Politikerin der Grünen

Nun mögen wir sprachlich nicht eben auf der poetischen Höhe der Gewerkschaftschefin deutscher Dichter sein, jedenfalls wissen wir nicht, was das Wort „unterkomplex“ bedeutet. Auch habe ich weder Frau Leipprands Buch „Politik zum Selbermachen“ gelesen, noch kenne ich ihr Prosawerk „Dornröschen und Eva – zwei Seiten der Frau“, doch bin ich mir sicher, dass die ehemals hauptamtliche Politikerin der Grünen Klartext reden wollte: Von nun an wird großreinegemacht im Verband deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller.

Journalistische Schützenhilfe hatte die Bundesschrifttumskammer schon vorab von der taz bekommen. Unter der Überschrift „Mit Nazis reden bringt nichts“ war da Anfang der ablaufenden Woche zu lesen gewesen, dass es an der Zeit sei, gegenüber der neuen Rechten „ganz konkret“ zu werden: „Räume blockieren, Räume besetzen“, nicht länger mit ihnen reden, sondern sie „sozial ächten“: „Bis sie sich nicht mehr trauen, auch nur zum Bäcker zu gehen.“

Als sich das viele Schriftsteller in Deutschland schon einmal nicht mehr trauten, flohen sie ins Exil. Glücklich durfte sich damals schätzen, wem es gelang, dem Einfluss deutscher Künstlerverbände zu entkommen. Wer wollte uns da noch erzählen, dass sich Geschichte nicht wiederholen könnte. An Funktionären, die das organisieren würden, fehlt es auch heute nicht.

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Leserpost

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Werner Arning / 25.03.2018

Falls unsere bundesdeutschen Meinungsdiktatoren demnächst „ganz konkret“ werden sollten, dann rette sich, wer kann. Was das bedeutet, wenn sie „ganz konkret“ werden, können wir uns ausmalen. „Räume blockieren“ und „Räume besetzen“ tun sie doch bereits, „sozial ächten“ ebenfalls. „Reden“ tun sie mit uns auch schon lange nicht mehr, das haben sie im Grunde nie getan. Das kann also nur bedeuten, dass man uns bald nicht mehr „zum Bäcker gehen“ lässt. Und wenn man uns nicht mehr zum Bäcker gehen lässt, wird man sicher auch bald unsere Scheiben einwerfen, unsere Autos anzünden, die Wände unserer Häuser beschmieren, uns bespucken. Das macht man ja schon? Na dann dürfte es nicht mehr lange dauern, bis man uns zusammenschlägt, verhaftet, verurteilt, wegsperrt. Vorher sollten wir allerdings ins Exil gehen. Rechtzeitig. Dann suchen wir uns ein freies Land, eines, in dem die andere Meinung respektiert wird, eines, in dem man Bücher veröffentlichen darf, die von den Maßgaben eines Verbandes deutscher Schriftsteller abweichen dürfen.

Gabriele Schulze / 25.03.2018

Vielleicht wird schon an Schildern gebastelt: “Bäcker, verkauft nicht an Rechte”? Auf Parkbänken: “Nur für Nichtrechte”? Der “rechtsfreie Raum” bekäme eine ganz neue Bedeutung…

Andreas Kollmann / 25.03.2018

„Bis sie sich nicht mehr trauen, auch nur zum Bäcker zu gehen.“ Ich lese die TAZ nicht, weiß daher auch nicht, wer es dort geschrieben hat. Aber es scheint mir nicht ein “einsamer Denker” zu sein, der dieses meint. Es ist das, was uns allen, die wir eine “abweichende Haltung” haben und sie offen äußern, bevorstehen dürfte.  Ich frage mich wirklich: Haben solche Leute nie etwas über das Dritte Reich gelesen?

Nils Warnecke / 25.03.2018

“...eine an ihrem Wohnort Augsburg weltberühmte Autorin.” Danke, Sonntag gerettet. Muhahhaha

Monika Schimpke / 25.03.2018

Nicht nur in ihrem Wohnort weltberühmt, sondern auch bei Amazon: Politik zum Selbermachen.  –  Amazon-Verkaufsrang:  304.797 Dornröschen und Eva. Zwei Seiten der Frau.  -  Amazon-Verkaufsrang:  4.783.616 Woher alles kommt.  – Amazon-Verkaufsrang:  1.824.549 “By a Lady”: Jane Austen Lesebuch.  – Amazon-Verkaufsrang:  1.824.549 A Reader. Ein Lesebuch.  – Amazon-Verkaufsrang: 1.632.409 i

Roland Stolla-Besta / 25.03.2018

Sehr geehrter Herr Rietzschel,  wie Recht sie (leider) haben! Die gegenwärtige deutsche Literatur ist zum Fremdschämen, günstigstenfalls bedeutungslos (vielleicht gibt es ein paar wenige Ausnahmen, die mir noch nicht bekannt sind, ich will ja nicht ungerecht sein). Aber mit dem moralisierenden Getue, das tatsächlich wie Sie schreiben, verdächtig viel Ähnlichkeit hat mit den Intentionen der Reichsschrifttumskammer, kann man sich natürlich auch zu einer „gesellschaftlich relevanten Bedeutung“ hochstilisieren!

Elmar Schürscheid / 25.03.2018

Die für die Freiheit stehen wollen, hängen sich an die Unfreiheit. Bekloppte Welt!

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