Henryk M. Broder / 09.05.2021 / 13:00 / Foto: Acgut.com / 42 / Seite ausdrucken

Für ein klimaneutrales Deutschland!

Es ist noch nicht lange her, da hat man sich zur Begrüßung die Hand gegeben und gefragt: „Kommst du gerade aus dem Urlaub?“ oder „Hast du den neuen Schirach schon gelesen?“ Eine leise vorgetragene Erkundung zum Stand des ehelichen Scheidungsverfahrens war ebenso OK wie das Geständnis: „Ich denke darüber nach, mir einen SUV zu kaufen.“ 

Das alles ist vorbei wie ein Polterabend oder eine Tupperware-Party. Man gibt sich nicht mehr die Hand, und die einzige Frage, die der Aufnahme der analogen Kommunikation dient, lautet: „Bist du schon geimpft?“ Lautet die Antwort „Ja“, darf man nachlegen: „BioNTech? Moderna? Oder etwa AstraZeneca?“

Ohne zu erröten oder ins Stottern zu geraten, erklären uns die Manager des Ausnahmezustandes, wie sehr sie sich eine Rückkehr zur Normalität wünschen und autorisieren „Modellversuche“, die den Ausnahmezustand fortsetzen. Vor ein paar Tagen erschien in der Welt eine Gebrauchsanweisung für Sylt – unter welchen Bedingungen man auf die Insel fahren, dort ein Quartier finden und Gaststätten aufsuchen dürfte.

Das Manual für den Urlauber las sich wie die Hausordnung einer Anstalt für schwer erziehbare Jugendliche. Kontrollen rund um die Uhr, sofortige Abschiebung bei Nichtein-halten der Vorschriften, betreute Ferien unter Corona-Bedingungen. Gemessen daran wäre sogar ein „Kraft-durch-Freude“-Urlaub in einem Heim der Deutschen Arbeitsfront die bessere Wahl.

Schlangen vor Lebensmittelgeschäften

Seit kurzem kann man wieder ein Phänomen beobachten, das es zuletzt während des Zweiten Weltkrieges und in der Nachkriegszeit bis zur Währungsreform gegeben hat: Schlangen vor Lebensmittelgeschäften. Der Grund ist nicht ein Warenmangel, der gerecht verteilt werden muss, es ist ein „Hygienekonzept“, das die Anzahl der Kunden ins Verhältnis zur Größe des Raumes setzt. Eine ähnliche Regelung für die zeitweise übervollen Nahverkehrsmittel gibt es nicht. Viren fühlen sich in Supermärkten wohl, während sie einen Bogen um Bahnen und Busse machen. Wer würde es ihnen verdenken.

Also stehen wir in der Schlange, vor dem Supermarkt, vor der Apotheke, vor der Sparkasse, ohne zu murren oder zu rebellieren, denn derjenige, der diese Regelung auf den Weg gebracht hat, wird sich dabei schon etwas gedacht haben, so wie er oder sie sich etwas dabei gedacht hat, einen kritischen Inzidenzwert von 100 festzulegen, weil sich das irgendwie vertraut anhört – nach Wasser, das bei 100 Grad Celsius zu kochen anfängt. Eine Inzident von 85 oder 125 würde dagegen völlig willkürlich klingen und nicht „evidenzbasiert“.

Was das Ganze zu vermarkten hilft, ist nicht das Versprechen, dass wir sehr bald zur „Normalität“ zurückkehren werden, wenn wir alle Regeln und Vorschriften einhalten, in diesem Jahr, im nächsten oder übernächsten, es ist das Wissen um die Größe der Aufgabe, die uns das Schicksal aufgebürdet hat. 

„Immer strebe zum Ganzen und, kannst du selber kein Ganzes werden, als dienendes Glied schließ an ein Ganzes dich an!“ Mit diesem Zitat von Friedrich Schiller sind Generationen von Schülern ins Leben geschickt worden, diese zwei Sätze sind der Inbegriff dessen, was Deutsche unter Gemeinschaft und Zusammenhalt verstehen. Entweder selber ein Ganzes werden oder sich als dienendes Glied dem Ganzen anschließen. Herr oder Hund. Autorität und Gehorsam.

Die Impfzentren sind die Feldlazarette von heute 

Da es keine Kriege mehr gibt, die geführt werden können, keine Boxer in China, die Aufstände anzetteln und keine Herero und Nama in Deutsch-Südwest, die der Kolonialmacht trotzen, bietet sich Corona als Ersatzkrieg an. Kanzlerin Merkel nennt den Kampf gegen Corona „eine nationale Kraftanstrengung“, der CSU-Generalsekretär Markus Blume fordert, „das Impfen sollte zur patriotischen Selbstverständlichkeit“ werden, während der Vorsitzende und Kanzlerkandidat der CDU, Armin Laschet, vor einem „Impfnationalismus“ warnt. Die täglichen Reportagen aus den Impfzentren folgen derselben Dramaturgie wie einst die Berichte über die Inbetriebnahme von Feldlazaretten an der Ostfront. 

Einige Politiker haben Corona bereits hinter sich gelassen, Gerd Müller z.B., Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Deutschland, sagt er, soll „Vorreiter in der Klimapolitik“ werden, das bedeutet, „über Deutschland hinaus zu denken und noch viel stärker in eine globale Energiewende zu investieren“.

Müller räumt ein, dass ein klimaneutrales Deutschland, „global betrachtet“, nur „ein Tropfen auf den heißen Stein“ wäre, weil „98 Prozent des CO2-Ausstoßes außerhalb Deutschlands stattfindet“, in Deutschland würden nur zwei Prozent erzeugt, nicht gerade viel für einen Vorreiter. Aber genug, um sich so zu fühlen. 

Zuerst erschienen in der Zürcher Weltwoche.

Foto: Achgut.com

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Johannes Hoffmann / 09.05.2021

Ja sitzen denn in unseren Regierungen nur noch Irre???????????????????????

Thomas Kache / 09.05.2021

Aber, aber- sehr geehrter Herr Broder, nicht so defätistisch. “Ja, wir leben heute im besten D…, hüstel; das ist voll Nazi! Wir Deutschinnen und Deutschen werden natürlich sämtliche Schlachten gegen Vieren (und Fünfen), gegen die von Menschinnen und Menschen gemachte Klimakatastrophe, und überhaupt. Na Sie wissen schon. Hach, ich freue mich ja so… auf die Jahre 2022 ff. Gelegentliche, aber regelmässige Blackouts, Strompreis bei ca. 2,50 € pro kWh, Spritpreis unterm Jahre bei 4,50 €, an Ostern und Weihnachten gern auch ein bissi mehr. Pro Monat Zuwanderung in der Grössenordnung etwan einer mittleren Grosstadt. Nicht zu vergessen: bedingungsloses Grundeinkommen für ALLE, welche sich in nirgend einer Form irgendwie und irgend wann mal in D. bemerkbar gemacht haben. Und es kann und darf keiner sagen, er hätte es nicht gewusst. Weil, es steht alles geschrieben. Schwarz auf Weiss. Und vieles wurde auch verbal verkündet… mehrfach. Lasst uns Froh und Munter sein

Johannes Schuster / 09.05.2021

Woran litt der Schwarzwald nach den Römern ? Kahlschlag ! Also ist es nichts verkehrtes nachhaltig zu sein, wenn man es kann - und zwar technisch. Intermodal klüger werden und weniger Diesel für 1 - Euro - Artikel verbraten ? Warum nicht ? Brauche ich für eine intelligente Energienutzung ein Programm ? Nein ! Ich brauche nicht “den Klimawandel” um smart zu werden, ich brauch auch nicht “Corona” um zu begreifen, daß mein Unternehmen vielleicht über seine Verhältnisse und diejenigen des Marktes hinausgewachsen ist. Nur Vernunft haben nicht alle und deshalb braucht man als motivierendes Aktivator - Spray für den Sekundenkleber halt ein Sujet, die Weltrettung. Wir brauchen sicher keinen Wahnsinn aus der Planwirtschaft, aber auch sicher nicht ein Internet, wo man ein ganzes AKW braucht, damit sich überdrüssige FFF Teenies Arsch - und Titten - Bilder zuschicken können um beim ersten mal rot zu werden, daß man meint, die Feuerwehr hätte Tag der offenen .....Tür natürlich - nicht Hose…. Diese ganzen Ersatz - Ichs brauchen Energie und diese einzusparen ist eine psychologische Aufgabe, Sex statt Daddeln, für manche Hausfrau in der Schlange vorm Testzelt wäre das eine Lösung, Erfüllung der Libido statt Abstrich um mal eine Mehrbedeutung als die Bedeutungslosigkeit zu spüren. ABER: Wegwerfkultur und Klimaschutz haben eines gemeinsam: Technische Unfähigkeit trägt beide. Ich kenne keinen Grünen, der eine Solarsteuerung (Konverter) reparieren kann, oder an seiner Karre bastelt um die Emission durch Wissen zu verbessern. Daher kommt es, daß die größten Schreihälse auf dem Gebiet meistens die größten Taugenichtse sind und also fortan mit Thementerror das Gesprächsklima zerstören. Pfui

Harald Hormess / 09.05.2021

Der menschengemachten CO2 Ausstoß liegt bei ca. 3,6%. Davon beträgt der Anteil Deutschlands keine 2%, lieber Herr Minister Müller. Macht 0,072%. Wieviel % davon sollen eingespart werden sagt Paris?

Claudius Pappe / 09.05.2021

Was halten sie vom Impfausweis ?..............................................Meine Nachbarin läuft mit dem Button:.........................Ich bin geimpft…..........................herum…..

Rainer Niersberger / 09.05.2021

Die Gruende bzw. Ursachen eines Wohlfuehlgefuehl, bekanntlich der Antrieb fuer den homo sapiens? schlechthin, sind im Laendervergleich durchaus unterschiedlich, wobei sich dieses Land oder die Gesellschaft schon immer von allen anderen “Normalos” abheben wollte und will. Die Zufriedenheit - oder Glueckstrigger wurden offenbar laenderspezifisch verteilt.  Ohne das, was schon vor 80 Jahren gewirkt hat, geht es nicht und der Protestant hat mit den (Erb) Suenden der Freiheit ohnehin ein Problem. Kompensationen diverser Art und Busse sind gefragt. Und wenn schon die 98 % nicht folgen, wovon auszugehen ist, sollten wir vielleicht nicht die 2, sondern 5 bis 10 % einsparen, wuerde Frau Baerbock, mathematisch geschult wie sie ist, einfordern. Der “Witz” ist, der deutsche Untertan wuerde auch dann noch folgen. Er kann einfach nicht anders. Er, der Neurotiker, muss die Suenden der Anderen übernehmen, um sich wohl zu fuehlen. Und dann ist auch eine Ansonsten strengstens verbotene martialische oder besser totalitaere Sprache wieder erlaubt, sogar erwuenscht, denn sie treibt den Michel nur noch mehr an. Hier werden keine Gefangenen gemacht, es geht um Alles oder Nichts. Das Virus und den Klimawandel total besiegen oder verdient! untergehen, das ist dem Deutschen wahr(wahn) haft würdig.

Karsten Dörre / 09.05.2021

Ja, wer hätte gedacht, dass man sich wegen Brot kaufen wieder anstellen muss. Aber wir haben es gut, anderen geht es schlechter. Und das ist auch unsere Politik: Wir orientieren und messen uns wirtschaftlich und sozial an Schlimmeren oder Schlechteren (z.B. Nordkorea, Kuba, Venezuela). Hilft das nicht, nennen wir uns Vorreiter, die eine komplett groteske Voltigiernummer darbieten.

R. Kuth / 09.05.2021

Vorreiter werden immer als erste aus dem Sattel geschossen.

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