Freundeskreiswechsel und Untergrundkultur

Eine kulturelle Veranstaltung im Untergrund zu besuchen, hat heutzutage schon etwas Dissidentes. Und man ist unter lauter Gleichgesinnten.

Von Martina Binnig.

Kürzlich erzählte mir eine Sechzehnjährige mit leuchtenden Augen, dass sie sich alle paar Jahre neu erfindet, wobei sie ihren Style und auch ihren Freundeskreis wechselt. Daran muss ich jetzt denken, während ich im Untergrund sitze und an einer kulturellen Veranstaltung teilnehme. Im Untergrund findet diese Veranstaltung statt, weil keine G-Regelungen gelten. Sie wurde auch nicht öffentlich beworben, sondern ausschließlich über Mund-zu-Mund-Propaganda. Abgesehen davon, dass sie also offiziell nicht existiert, ist sie jedoch völlig normal: Das Publikum ist durch und durch bürgerlich, hat ordentlich eine – organisatorische – Eintrittskarte gelöst und unterhält sich gepflegt. Es sind die unterschiedlichsten Berufsgruppen vertreten, darunter Steuerberater, Lehrer, Musiker, Therapeuten und Unternehmer.

Viele kenne ich nicht, und die, die ich kenne, kenne ich erst seit kurzem – höchstens seit einem halben Jahr. Das ist ungewöhnlich für mich, denn ich neige dazu, wenige, dafür aber langlebige Freundschaften zu pflegen. Dennoch würde ich manche hier im Untergrund schon als echte Freunde bezeichnen. Und obwohl ich mich in einer wesentlich gesetzteren Altersklasse befinde als die begeisterte Sechzehnjährige, deren Aussage mich schmunzeln ließ, kann ich auf einmal nachfühlen, was sie meint – wenn auch eher unfreiwillig. Denn meinen Style habe ich zwar nicht gewechselt – habe ich überhaupt so etwas? –, doch meinen Freundeskreis. Zumindest teilweise. Einige – zum Glück nicht alle – langjährigen Freundschaften sind schlichtweg versandet: Zu unterschiedlich sind die Ansichten in wesentlichen Fragen.

Wie etwa kann ich weiterhin befreundet sein mit jemandem, der sich für eine 2G-Regelung ausspricht – also für den vorsätzlichen Ausschluss einer Gruppe von Menschen, die zwar sogar daraufhin getestet wurden, dass sie eine bestimmte Krankheit nicht haben, aber dennoch im Verdacht stehen, dass sie eben diese Krankheit übertragen an Menschen, die wiederum gegen genau diese Krankheit geimpft sind? Dazu fällt mir einfach nichts mehr ein. Das macht mich im Wortsinn sprachlos. Sich schweigend gegenüberzusitzen, ist allerdings wenig förderlich für eine Freundschaft. Und auch wenn ich mich bemühe, langjährige Freundschaften nicht vorsätzlich zu beenden, legen sie sich dann sozusagen von selbst auf Eis. Aktiv beteiligt am Wechsel meines Freundeskreises war ich nur insofern, als ich Augen und Ohren öffnete für Gleichgesinnte und entsprechende Initiativen wahrnahm.

Und jetzt sitze ich hier also, im Untergrund, und wundere mich darüber, wie das alles geschehen konnte. Aber ich genieße das analoge Zusammensein natürlich auch. Die Atmosphäre ist entspannt. Es wird gelacht. Und ich weiß, dass die Menschen in diesem Raum es sich nicht nehmen lassen, selbst nachzudenken; dass sie nicht bereit sind, eine Minderheit vorsätzlich auszuschließen; dass sie sich vernetzen, einander helfen und füreinander einstehen möchten. Jedenfalls hoffe ich das. Fest steht: Schon in wenigen Monaten ist auf diese Weise eine quicklebendige – bürgerliche! – Szene entstanden, die sich schlichtweg der staatlichen Kontrolle entzieht.

Wenn das Karl Lauterbach wüsste.

 

Martina Binnig lebt in Köln und arbeitet als Musikerin, Musikpädagogin und Musikwissenschaftlerin. Außerdem war sie als freie Journalistin tätig, darunter fünfzehn Jahre lang für die Neue Osnabrücker Zeitung.

Foto: Martin Bock/Pixabay Creative Commons CC0 Pixabay

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Ludwig Luhmann / 17.10.2021

Atomisierung ist eine Frage der aufgewendeten Energie. Den Eliten ist es also gelungen, langjährige Freundschaften zu zerstören. Nun, da sucht man sich einfach flugs neue Freunde, mit und bei denen man sich wohlfühlen kann.

Eugen Karl / 17.10.2021

Wie kommt man in denKreis der Mund-zu-Mund-Propaganda? Gibt es einen Newsletter?

Marcel Best / 17.10.2021

Sie möchten mit Freunden ausgehen und essen und trinken? Ohne Test und Impfung? Kein Problem. Wir haben hunderte Untergrund Locations in ganz Deutschland. Alles privat organisiert. Und leicht zu finden. So ähnlich war es auch mal in der DDR, da gab es genug Discos, man durfte halt nicht so sehr FDJ sein. Für mehr Infos dürfen sie mich per Mail kontaktieren.

Peer Doerrer / 17.10.2021

Ach Gottchen , es gibt wieder Widerständler und sogar Dissidenten ? Genau das möchte Vater ( oder besser ” Mutti ” ) Staat : Spaltung im ganzen Land , kleine Grüppchen , die vor sich hin - wuseln und sich den Anordnungen der Regierung fügen und ins Private abtauchen . Auf gar keinen Fall eine starke Gemeinschaft die zahlenmäßig wächst und offen als Opposition auftritt . Wir hocken dann im Keller , lesen Kant oder Kafka ( die intellektuelle Lieblingssülze hier im Westen ) und singen Revolutionslieder im Verborgenen . Die richtige Antwort wäre eine Vereinigung bestehender Gruppen und Flash - Mob -artig in Berlin und anderswo blitzartig ohne Anmeldung auftauchen und Rabatz machen und berechtigte Forderungen stellen . Diese angemeldeten Groß -Demos sind ein Witz und können durch Antifa und Polizeikräfte zerbröselt werden .

Fabian Heidenreich / 17.10.2021

Unsere Politiker sagen ja gerne, daß die Ungeimpften sich durch ihre Impfweigerung selbst von der Gesellschaft abspalten und somit auch selbst schuld seien… ihnen fehlt jedoch jegliche Weitsicht. Daß sich dadurch eine Art Subgesellschaft bildet, dürfte ja jedem, der einfach mal weiterdenkt, klar sein. Und nein, ich fühle mich nicht schuldig. Ich lehne zwar ein Impfangebot ab, aber ich lehne nicht die Gesellschaft ab. Teile der Gesellschaft hingegen lehnen mich ab, ich sei ein Sozialschädling, unsolidarisch, dickköpfig - das alles wurde ihnen wohl so von den Regierenden eingetrichtert, es ist nur erschreckend, daß sie diesen Unsinn auch noch glauben. Dabei nehme ich doch nur mein Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit wahr. Ich bin nicht einmal traurig darüber, daß sich diese Menschen von mir abwenden. Diese Zeit gerade zeigt eigentlich sehr gut, wer von den Menschen, mit denen man sich umgibt, als Freund bezeichnet werden kann oder nicht. Ich kenne welche, die zwar geimpft sind, denen aber mein Impfstatus vollkommen egal ist. Aber ich kenne auch die anderen, die den Kontakt zu mir inzwischen meiden. Vielleicht sollte ich mich auch nach Gleichgesinnten umschauen. Weil aus Gleichgesinnten können auch eines Tages Freunde werden. Und, ganz ehrlich, ich mag tolerante Menschen.

Jochen Schaaf / 17.10.2021

Liebe Frau Binnig, ich bin auch Musiker und habe ähnliche Erfahrungen gemacht wie Sie. Gerne würde ich Ihnen ausführlicher antworten! Herzliche Grüße Jochen Schaaf, joschaaf@web.de

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Martina Binnig, Gastautorin / 23.04.2024 / 06:00 / 62

Die EU-Konvolute des Grauens – und die Ahnungslosigkeit der Bürger

Die EU hat jetzt Gesetze zu Verbrennungsmotoren, Wohngebäuden und vieles mehr endgültig beschlossen. Ziemlich unbeeindruckt von fachlichen Einwänden und versteckt in unverdaulichen Gesetzes-Konvoluten. Wir haben für…/ mehr

Martina Binnig, Gastautorin / 25.03.2024 / 16:00 / 11

EU-Gipfel: Krieg und Kasse

Die Ukraine wird weiterhin unterstützt, die UNRWA trotz Verstrickung mit der Hamas weiter finanziert und Beitrittsverhandlungen mit Bosnien und Herzegowina sollen aufgenommen werden. Am 21.…/ mehr

Martina Binnig, Gastautorin / 15.03.2024 / 06:00 / 30

EU fördert ihr genehme Journalisten

Die EU-Kommission mischt sich mit Hilfe von Förderprogrammen derzeit bereits zum vierten Mal aktiv in den Journalismus ein. Schauen wir uns die deutschen Förderkandidaten einmal…/ mehr

Martina Binnig, Gastautorin / 12.03.2024 / 06:00 / 37

Vom Green-Deal zur EU-Rüstungswirtschaft?

Bislang hatten die EU-Staaten ihr Militär eigenständig mit Ausrüstung, Waffen und Munition versorgt. Jetzt will sich die EU um mehr "gemeinsame Beschaffung" kümmern. Für Beteiligte…/ mehr

Martina Binnig, Gastautorin / 27.02.2024 / 06:00 / 53

Unternehmer-Rebellion gegen die EU-Politik?

70 Unternehmer, die zusammen 7,8 Millionen Beschäftigte in Europa repräsentieren, fordern in der Antwerpen-Deklaration eine industriefreundlichere EU-Politik. Es läuft nicht mehr ganz rund für Ursula…/ mehr

Martina Binnig, Gastautorin / 26.02.2024 / 14:00 / 20

Niveau-Limbo im Bundestag

Die Debatten über den WHO-Pandemievertrag und über Meinungsfreiheit hinterlassen beim Bürger einen durchaus verstörenden Eindruck. Inhaltlich und in der Form war das eines Parlaments nicht würdig.…/ mehr

Martina Binnig, Gastautorin / 22.02.2024 / 06:00 / 66

Goodbye Bargeld? Scheindebatte um den digitalen Euro

Offenbar ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis das digitale Zentralbankgeld in der EU eingeführt wird und damit die Möglichkeit totaler Kontrolle. Ein Bericht über…/ mehr

Martina Binnig, Gastautorin / 20.02.2024 / 06:15 / 41

Deutschland sitzt im Wirtschaftsloch –  EU gräbt weiter

Die EU gibt in ihrer Winterprognose zu: Die Wirtschaft schrumpft. Vor allem in Deutschland. Mit ihrem Green Deal, der mitverantwortlich für den Niedergang ist, will…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com