Folgt man den internationalen Medien, hat in Frankreich ein Bürgerkrieg angefangen, der die Fünfte Republik in Schutt und Asche zu legen droht. Aber Frankreich brennt nicht, dazu ist es viel zu groß und hat im Gegensatz zu gewissen anderen Ländern robust funktionierende Ordnungskräfte.
Meine Freunde aus Südafrika riefen gestern an und fragten: „Seid Ihr in Sicherheit?“ Folgt man den internationalen Medien, hat in Frankreich ein Bürgerkrieg angefangen, der die Fünfte Republik in Schutt und Asche zu legen droht. Europäische Regierungen geben Reisewarnungen für Frankreich aus. Gern wird die französische Mehrheitsgesellschaft verantwortlich gemacht, die es versäumt hat, den nordafrikanischen Einwanderern gleiche Chancen zu gewähren. Davon stimmt so gut wie nichts.
Da möchte ich doch mal kurz ein paar gegenteilige Erfahrungen der letzten Tage schildern. Wir wohnen 500 Meter von den Champs-Elysées entfernt und haben bisher nicht das Geringste von einem Bürgerkrieg bemerkt. Eine Sperrung der Champs-Elysées ist nun wirklich nichts Unnormales. Während der Gelbwesten-Proteste bin ich regelmäßig am Samstag zum Etoile und dem Arc de Triomphe gepilgert, um mir das wöchentliche Spektakel anzusehen. Das war auch aus nächster Nähe nicht gefährlich. Meist waren es ein paar hundert Randalierer, die sich einen Spaß daraus machten, sich Scharmützel mit der Polizei zu liefern. Da wurden in der Avenue Kléber Geschäfte geplündert – vorrangig ein Nicola-Alkohol-Geschäft – und ein paar Bankfilialen verwüstet. Die große Polizeipräsenz auf den Champs-Elysées besteht nämlich hauptsächlich im weiträumigen Schutz des Elysée-Palastes, des Amtssitzes des Präsidenten.
Die heutigen Randalierer sind meist zu faul, sich aus ihren angestammten Ghettos zu bewegen. Dort kennen sie sich aus und fühlen sich sicher im Schutz von ihresgleichen. Dort wird randaliert, dort werden die Geschäfte geplündert, die oft selbst ehemaligen Migranten gehören, und dort werden die Autos ihrer Nachbarn abgefackelt.
Die Polizei traut sich in solche No-Go-Areas nur in Zugstärke rein und wird schon seit langer Zeit traditionell angegriffen, wenn sie sich nur zeigt. Ich erinnere nur an das „Grillfest“, das Verbrecher begingen, als sie einen Streifenwagen mit einer Polizistin und einem Polizisten blockierten, ein Fenster einschlugen und einen brennenden Molotowcocktail hineinwarfen. Beide Polizisten wurden schwer verletzt, weil sie am Aussteigen gehindert wurden.
Auf dem Land ist sowieso alles anders
Derzeit halte ich mich in der Bourgogne in einer kleinen Stadt mit 5.000 Einwohnern auf. Hier auf dem Land verläuft das Leben in seinen absolut normalen, ruhigen Bahnen. Die Gewalttaten sind höchstens ein Kneipengesprächsstoff. Am Wochenende gab es einen 10-Kilometer-Lauf mit ein paar hundert meist jugendlichen Teilnehmern. Die trugen keine Sturmhauben, sondern ihr Sportzeug, an das sie stolz ihre Teilnehmernummern geheftet hatten.
Die Medien berichteten, dass es im 40 Kilometer entfernten Dijon zu einigen Scharmützeln zwischen Polizei und Randalierern gekommen ist. Es kam zu mehreren Sachschäden, darunter der Brand eines Divia-Busses im Stadtteil Grésilles. Während die Zentralregierung versucht, die Wut zu besänftigen, reagieren Politiker aus der Côte-d'Or (französisches Département, Anm. d. Red.) eher erbost.
Der Abgeordnete der Côte-d'Or, Didier Martin (1. Wahlkreis, „Renaissance“-Partei), äußerte sich am Freitagmorgen auf Twitter, nachdem er sich Bilder der Gewalttätigkeiten in der Nacht angesehen hatte. Er sagte, dass „eine Ausgangssperre notwendig ist, um Ruhe und Sicherheit wiederherzustellen“.
Benoît Bordat, Abgeordneter des 2. Wahlkreises (Partei „Fédération progressiste“), „bekräftigt“ seine „volle Unterstützung für die Polizisten, Gendarmen und Feuerwehrleute, die in den letzten Tagen an vorderster Front standen“. Er sagte: „Gewalt ist auf keinen Fall eine Antwort auf die Tragödie, die sich ereignet hat. Ich verurteile die Verantwortungslosen, die diese Gewalttaten instrumentalisieren. Das ist weder seriös noch ihres Amtes würdig.“
Wer randaliert denn da eigentlich?
Meiner Meinung nach ist das die übliche Mischung. Sie besteht aus kleinkriminellen Migrantenkindern, den „verlorenen Jugendlichen“, nun schon in der dritten oder vierten Generation, den Casseurs – dem schwarzen Block, der schon die Gelbwesten- und Rentenproteste missbrauchte, um seine Zerstörungswut auszuleben – sowie diversen Kriminellen, die bei den Plünderungen eine schnelle Mark machen wollen.
Die „verlorenen Jugendlichen“ stellen dabei meiner Meinung nach eine besonders beklagenswerte Gruppe dar. Das Gros der Einwanderer nach Frankreich ist nämlich gut integriert und genauso leidtragend wie die anderen Franzosen. Es sind auch ihre Geschäfte und Arbeitsplätze, die geplündert werden. Es sind auch ihre Autos, die abgefackelt werden. Ich sah eine Aufnahme einer mutigen Frau, die sich den Brandstiftern in den Weg stellte und rief: „Nicht die Schule, nicht die Schule!“
Meist stammen diese Verlorenen aus zerrütteten Verhältnissen von gescheiterten Familienclans aus dem Maghreb ab. Diese Menschen zeigen seit Generationen nicht das geringste Interesse an den vielfältigen Bemühungen der französischen Gesellschaft, ihnen bei der Eingliederung und beim Aufbau eines bürgerlichen Lebens zur Seite zu stehen. Besonders mit der Schule stehen sie auf Kriegsfuß.
Wie soll man auch einem 15-Jährigen erklären, dass er sich in der Schule anstrengen muss, um später einen anständigen Beruf zu ergreifen, bei dem er 3.000 Euro verdient, wenn er mit 15 durch Drogenhandel ohne größere Anstrengung 5.000 Euro verdienen und mit einer Protzkarre umherfahren kann? Auch in Frankreich gilt ein strikter Jugendschutz und die falsch verstandene Toleranz mit den vermeintlichen Migranten-Opfern. So bleibt es meist bei einem: „Du, du, du!“, wenn sie erwischt werden.
Beides – Täter und Opfer
Wer das Verhalten der Mutter des erschossenen Jugendlichen bei der Protestdemonstration gesehen hat, ahnt um die Werte, die diese Frau bei der Erziehung ihres verlorenen Sohnes vermitteln konnte. Sie gab sich auf der Bühne lächelnd und triumphierend, eher wie eine Politikerin auf einer Wahlkampf-Veranstaltung. Sie genoss die Zustimmung zu ihren Parolen. Dabei hatte ihr Sohn mit 17 Jahren schon ein recht beachtliches Kerbholz mit 15 polizeilichen Strafverfahren am Hals. Diebstahl, Körperverletzung, Drogenbesitz und Drogenhandel, Fahren ohne Versicherung und ohne Führerschein, Fahrerflucht … Der Starfußballer Kylian Mbappe bezeichnete so jemand auf Twitter als „kleinen Engel“.
Als die Motorradgendarmen ihn stellen wollten, war er mit einem Mercedes AMG ohne Führerschein und Versicherung viel zu schnell und mit Überfahren einer roten Ampel unterwegs, wobei er mehrere Menschen gefährdet hatte. Er wollte sich der Kontrolle durch Fahrerflucht entziehen. Und wo sind die drei Anderen, die mit ihm im Auto saßen? Für mich ist die Geschichte dieses Jugendlichen eine traurige französische Variante der Tragödie um den Kleinkriminellen George Floyd. Wieder reicht den Linken ein Videoschnipsel zur Bestätigung ihrer Vorurteile gegenüber der Polizei.
Brennt Frankreich?
Viele französische Medien üben sich noch in Verharmlosung des erschossenen „Kindes“, wie es heißt und in Rechtfertigung des Krawallmobs als „sozial Benachteiligte“. Schuld soll die Mehrheitsgesellschaft sein. Doch wer Geschäfte plündert, Schulen und öffentliche Verkehrsmittel anzündet, übt keinen sozialen Protest aus, sondern plündert und brandschatzt. Was haben Busse, ein Lidl-Markt oder ein arabischer Minisupermarkt mit dem Protest gegen den französischen Staat zu tun?
Es ist in Frankreich wie in Deutschland – es gibt in fast jeder größeren Stadt Glutnester eines seit langem schwelenden Bürgerkriegs. Wir haben es nicht mit Benachteiligten zu tun, sondern mit Kriminellen, die auf jede Gelegenheit lauern. Oh nein, Frankreich brennt nicht, dazu ist es viel zu groß. Frankreich hat im Gegensatz zu gewissen anderen Ländern robust funktionierende Ordnungskräfte und eine funktionierende Armee.
Ich habe persönlich bisher von dem vermeintlichen Bürgerkrieg nicht das Geringste mitbekommen und halte die Schreckensberichte in den Medien für übertrieben. Es wird wahrscheinlich kommen, wie es immer in Frankreich kommt. Die Regierung Macron wird sich auf ihre Aufgabe besinnen und versuchen, die Glutnester wenigstens temporär auszutreten. Gelingt ihr das nicht bald, heißt die nächste französische Präsidentin womöglich Marine Le Pen.
Manfred Haferburg wurde 1948 in Querfurt geboren. Er studierte an der TU Dresden Kernenergetik und machte eine Blitzkarriere im damalig größten AKW der DDR in Greifswald. Wegen des frechen Absingens von Biermannliedern sowie einiger unbedachter Äußerungen beim Karneval wurde er zum feindlich-negativen Element der DDR ernannt und verbrachte folgerichtig einige Zeit unter der Obhut der Stasi in Hohenschönhausen. Nach der Wende kümmerte er sich für eine internationale Organisation um die Sicherheitskultur von Atomkraftwerken weltweit und hat so viele AKWs von innen gesehen wie kaum ein anderer. Im KUUUK-Verlag veröffentlichte er seinen auf Tatsachen beruhenden Roman „Wohn-Haft“ mir einem Vorwort von Wolf Biermann.