Die Erfurter Domstufenfestspiele haben sich in den letzten 30 Jahren zum Besuchermagneten entwickelt. In diesem Jahr stand „Fausts Verdammnis“ von Hector Berlioz auf dem Programm.
Es gibt sie, die ostdeutschen Erfolgsgeschichten! Die Domfestspiele in Erfurt sind eine davon. Anfang der 90er Jahre war sich der damalige Generalintendant der Erfurter Theater, Dietrich Taube, sicher, dass das Kirchenensemble von Dom und St. Severi eine wunderbare Kulisse für eine Open-Air Bühne bietet. Er hatte recht. Schon die erste Aufführung von 1994, Carl Orffs Carmina Burana, war ein voller Erfolg. Damals war der Festspielort noch so offen, dass sich Touristen bis in die Nähe der Bühne verirrten. Ministerpräsident Bodo Ramelow berichtet, dass er zufällig auf den Domplatz kam, die Musik hörte und stehen blieb.
In den folgenden 30 Jahren entwickelten sich die Domstufenfestspiele zum Besuchermagneten. Wer einmal dabei war, kommt gern wieder und erzählt so begeistert von seinen Erlebnissen, dass es manche Zuhörer inspiriert, sich selbst ein Bild zu machen. Bei der diesjährigen Premiere von „Fausts Verdammnis“ kam ich mit einer Dame ins Gespräch, die genau wegen solcher Mund-Propaganda nach Erfurt kam. Sie hatte schon einen Rundgang durch die Stadt unternommen und war begeistert und erstaunt, wie schön Erfurt ist.
Das 30-jährige Jubiläum veranlasste viele Besucher, sich an die Vorstellungen zu erinnern, die ihnen am besten gefallen hatten. Bei mir waren es „Carmen“, dicht gefolgt von „die Jungfrau von Orleans“ und „Nabucco“. Als ich dies niederschrieb, fiel mir ein lang zurückliegender „Fliegenden Holländer“ ein, der besonders romantisch wurde durch einen feinen Regen, wegen dem die Vorstellung nicht abgebrochen werden musste, sondern der zum Special-Effect wurde.
Gewaltig, leidenschaftlich, aber auch zart
In diesem Jahr stand „Fausts Verdammnis“ von Hector Berlioz auf dem Programm. Das Stück ist weniger eine Oper als eine Chorsymphonie, was durch den 65 Personen starken Chor unterstrichen wurde. Berlioz hat ganze 15 Jahre an seinem Werk gearbeitet. Dabei hat er sich einerseits am Faust von Johann Wolfgang Goethe orientiert, andererseits aber seiner berühmten Phantasie freien Lauf gelassen. Seine Musik ist gewaltig, leidenschaftlich, aber auch zart.
Die Geschichte ist bekannt. Faust, der Gelehrte, der wissen wollte, „was die Welt im Innersten zusammenhält“, ist ausgelaugt und müde. Er sehnt sich nach Ruhe und ist genervt von den Menschen um ihn herum, die ausgelassen feiern und tanzen. Er will sich umbringen, wird aber durch die christlichen Gesänge einer Oster-Prozession davon abgehalten. Statt den Tod findet er Mephisto, der ihm die Erfüllung all seiner Wünsche und Sehnsüchte verspricht. Allerdings ist der erste Versuch Mephistos in Auerbachs Keller ein Schlag ins Wasser. Faust kann mit den trinkfreudigen Studenten und ihren Liedern nichts anfangen.
Im zweiten Versuch führt Mephisto Faust die schöne Margarethe zu und weckt seine Begierde. Margarethe, die, von Mephisto veranlasst, Faust als ihren Geliebten im Traum sieht, gibt sich ihm, als sie sich begegnen, sofort hin. Aufgescheucht von Nachbarn, die beobachtet haben, dass Margarethe nicht allein im Haus ist, muss Faust fliehen. Er verspricht, am andern Tag wiederzukommen, lässt Margarethe aber sitzen. Die wird, als sie sich des Kindes ihrer Liebe entledigt, ins Gefängnis geworfen. Faust, als er dieses von Mephisto hört, verkauft ihm seine Seele, wenn er Margarethe retten kann. Er landet stattdessen in der Hölle, während Margarethe in den Himmel gehoben wird. Das Stück ist grandios, auch wenn der Goethe-Freund Carl Friedrich Zelter sich seinerzeit ablehnend geäußert hatte.
Wohlverdiente Bravo-Rufe
Die Kulisse von Dom und Severi-Kirche war diesmal mehr als sonst Teil des Bühnenbildes, das mit wenigen architektonischen Versatzstücken auskam. Die Sänger waren hervorragend und lieferten sehr berührende Momente, besonders Margarethe, die vergebens auf ihren Geliebten wartet. Während der Vorstellung habe ich mich immer wieder gefragt, warum es keinen Szenenapplaus gibt. Vielleicht war die Inszenierung insgesamt zu düster. Die Osterprozession ähnelte einem Begräbnis mit schwarzen Fahnen, die Kostüme waren, mit Ausnahme von Fausts grüner Weste und Margarethe in pink und türkis, schwarz mit scharlachroten Versatzstücken.
Schade, denn was an Leistung auf der Bühne geboten wurde, war allen Applaus wert. Zu nennen wäre besonders das Ballett. Der Beifall kam aber nur bei der akrobatischen Einlage. Die scheinbar nackte Margarethe als Seilartistin. Das war ein ästhetischer Genuss.
Wie gut das Bühnenbild funktionierte, wurde spätestens klar, als Margarethes Mutter als überdimensionale Puppe auf die Bühne getragen wurde. Plötzlich wurden hunderte Handys gezückt, um das Schauspiel festzuhalten. Der Herr schräg vor mir hat während der gesamten Vorstellung Handyfotos gemacht, und das war schon nervend genug. Die hunderte leuchtenden Bildschirme störten erheblich. Ich fragte mich, warum den Zuschauern nicht untersagt wird, während der Vorstellung Aufnahmen zu machen.
Ein Manko war auch, dass vor der Aufführung und in der Pause auf den Bildschirmen die Namen der Sänger, die an diesem Abend auftraten, nur kurz zu sehen waren, weil sie immer wieder von der Werbung der Sparkasse verdrängt wurden. Ich bin nur ziemlich sicher, dass die Margarethe von der wunderbaren Julie Rabard-Gendre gesungen wurde, weniger sicher, dass Christopher Berry der Faust war. Bei Mephisto kann ich nur vermuten, dass es sich um Jan-Luc Ballestra handelte. Die Darsteller sollten eigentlich die Hauptrolle spielen und nicht der Hauptsponsor, so dankbar man ihm für seine großzügige Förderung auch sein muss.
Der Schlussapplaus war erst eher verhalten, aber ehe ich die Akteure bedauern konnte, brach sich dann doch die Begeisterung Bahn und es kamen die wohlverdienten Bravo-Rufe. So kann ich sicher sein, dass auch diese Aufführung Lust auf die nächsten Domstufenfestspiele gemacht hat.
Die nächsten Vorstellungen finden Sie hier.
Dieser Beitrag erschien zuerst auf Vera Lengsfelds Blog.