Im Arbeitszimmer von Angela Merkel im Berliner Kanzleramt ist eine von drei behängbaren Wänden neuerdings ganz leer. Früher hingen da zwei Bilder des Malers Emil Nolde: der „Brecher“ und der „Blumengarten“. Die Hausherrin hat sie abnehmen lassen, weil sie mit dem Missverhältnis von Ethik und Ästhetik, das sich da auftat, nicht leben wollte.
Die Kunstwerke waren einst von Merkels Vorvorgänger Helmut Schmidt ausgesucht worden. Für ihn waren Nolde und der Bildhauer Ernst Barlach „die größten Künstler unseres Jahrhunderts“.
Jetzt werden die Nolde-Bilder im Museum „Hamburger Bahnhof“ an der Berliner Invalidenstraße gezeigt. In einer Ausstellung wird dort auch die Verstrickung des Künstlers in den Nationalsozialismus thematisiert. Es soll nichts mehr verschleiert werden. Später sollen die zwei Werke dann an die Stiftung Preußischer Kulturbesitz zurück gehen.
Die zwei prominenten expressionistischen Meisterwerke sind für das Kanzleramt nicht mehr seriös genug, weil sich herausgestellt hat, dass ihr Schöpfer ein forscher Faschist war. Emil Nolde hatte seit 1933 das Parteibuch der Nazipartei in der Tasche, verehrte Adolf Hitler und hatte diesem sogar einen „Entjudungsplan“ gewidmet. Über seinem Haus in Seebüll wehte schon um die Zeit der Machtübernahme die Hakenkreuzflagge.
Es war aber von Noldes Seite eine unglückliche Liebe. Es heißt, der Führer, der sich ja auch als Künstler verstand, habe ihn verachtet. Als 1937 die Ausstellung „Entartete Kunst“ in den Münchner Hofgartenarkaden eröffnet wurde, war Nolde mit wichtigen Exponaten dabei. Er hatte im Dritten Reich zeitweilig sogar Ausstellungsverbot.
Nolde vor Nolde schützen?
Nein, mit Nazischund will die Kanzlerin ihr Büro nicht länger schmücken, und wenn er künstlerisch noch so wertvoll sein mag. Nur, was antwortet sie, wenn ihr jemand infamerweise eine falsche Interessenidentität unterstellt: „Sie mögen Nolde nicht? Da haben Sie recht. Hitler mochte ihn auch nicht.“
Nach dem Krieg versuchte sich Emil Nolde als Widerstandskämpfer zu stilisieren. In seinem Freundeskreis war seine finstere Vergangenheit aber kein Geheimnis. Der Präsident des PEN-Zentrums, Walter Jens, sprach schon 1967, zum hundertsten Geburtstag des Malers sibyllinisch, man müsse Nolde vor Nolde schützen. Jens wusste Bescheid über alte PG´s. Er war selbst NSDAP-Mitglied.
Werden Noldes Bilder jetzt im Giftschrank verschwinden? Wohl kaum. Dazu sind sie immer noch zu teuer. Man darf nach wie vor Kunst von moralisch nicht einwandfreien Künstlern genießen. Man wird auch weiterhin die Bücher von Günter Grass lesen, der ja in der Waffen-SS war. Von Martin Luther weiß man seit langem, dass er ein hartgesottener Antisemit war, ohne dass sich ernsthafter Widerstand gegen ihn geregt hätte. Johann Sebastian Bach hatte seine Gründe, in seiner Passionsmusik vor allem die judenfeindlichen „Wutchöre“ herauszuarbeiten.
Schmidt-Rottluff statt Nolde?
Und dann Bertolt Brecht. Er war ein guter Dichter, aber auch zeitweilig ein Stalin-Verehrer. Der Schriftsteller Erwin Strittmatter, der sein Mitarbeiter war, berichtete, Brecht habe den Panzern zugejubelt, die am 17. Juni 1953 den Arbeiteraufstand in der DDR niederwalzten.
Die Kanzlerin wollte ihre zwei Noldes zunächst durch zwei Bilder des Chemnitzer Malers Karl Schmidt-Rottluff ersetzen. Nur, der war auch politisch suspekt. Noch rechtzeitig wurde ein Schriftwechsel aus der Zeit des Ersten Weltkriegs entdeckt, in dem Schmidt-Rottluff schrieb, die Engländer seien ein Volk, das durch die „Juden verseucht“ sei.
Eine Empfehlung zur Sache wird hier nicht gegeben. Künstlerische Talente sagen wenig über den Charakter der Künstler. Sie sind auch Menschen, und Menschen neigen dazu, sich bei den Mächtigen anzubiedern.
Der Hamburger Kunsthändler Thole Rotermund, Schatzmeister des Bundesverbands Deutscher Galerien, hat kein Verständnis für die Boykottentscheidung der Bundeskanzlerin. Er sagt, sie sollte besser in Bayreuth bei Wagner nicht mehr in der ersten Reihe sitzen. Denn Richard Wagner war auch ein Judenhasser.
Die Kunstsinnigen können es nicht lassen, in den Künsten immer das Schöne und Wahre zu suchen. Das ist oft enttäuschend. Die Kunst hat ihnen niemals einen Rosengarten versprochen.