Vera Lengsfeld / 09.05.2021 / 14:30 / Foto: Michael Thaidigsmann / 27 / Seite ausdrucken

Ein Nachruf auf Joschka Fischer

Wieso Nachruf? Joschka Fischer lebt noch und erfreut sich bester Gesundheit. Es handelt sich auch nicht um eine vorläufige Skizze, wie sie in den Schubladen gewichtiger Medien liegt, damit man im Falle eines unerwarteten Ablebens von Promis gewappnet ist. Nein, als Nachruf will der Autor Gerd Schumann sein neuestes Buch über den einstmaligen Ober-Grünen Joschka Fischer verstehen, das kürzlich mit dem Titel „Wollt ihr mich oder eure Träume?“ im Verlag Das Neue Berlin erschienen ist.

Gerd Schumann, ein bekennender, um nicht zu sagen unverbesserlicher, Kommunist, hat den Werdegang von Joseph Fischer analysiert, von dem er schon gleich am Anfang behauptet, dass dieser Mann auf ein Kriegsverbrechertribunal gehöre.

Wer nach dieser martialischen Ankündigung ein hysterisches Enthüllungsbuch erwartet, hat sich getäuscht. Schumanns Stil ist ruhig, analytisch und faktenbasiert. Jedenfalls bemüht er sich, hinter den zahllosen Legenden, die sich um Fischers Biografie ranken, die Fakten zu entdecken. Mal gelingt es, mal muss er passen, wenn die Erzählung, wie es heute heißt, die Wirklichkeit bereits zu stark zurückgedrängt hat. Das Ganze ist eher nachdenklich als anklägerisch, auf jeden Fall gut lesbar geschrieben.

Aus Revolutionären wurden Systemstützen

Natürlich irrt sich der Autor bisweilen in seiner Einschätzung. Das trifft besonders zu, wenn er auf die kommunistischen Experimente, die vergangenen und die noch bestehenden, zu sprechen kommt, in denen er immer noch die bessere Alternative für die Menschheit erblickt, aber das verdeckt nicht die Sicht auf den Politiker, den er beschreibt.

Ich hatte vorher noch nie eine Biografie von Fischer gelesen und war erstaunt über die negative Sicht, die etliche Biografen auf Fischer zu haben scheinen, wenigstens wenn man von den Zitaten ausgeht, die Schumann anführt.

Schumann sieht Fischer als Teil einer Generation, die um 1968 herum aufbrach, aber nicht dort ankam, wo sie hätte ankommen wollen, legte man ihre Ideale von damals zugrunde. Schumann sieht diese Generation als gescheitert an. Aus Revolutionären seien Systemstützen geworden. Daran hat Joschka Fischer einen großen, wenn auch nicht den alleinigen Anteil.

„Die Ergebnisse seines Schaffens allerdings sprechen für sich, und kaum jemand von den ehemaligen Umbrüchlern, Aufrührern, Nonkonformisten, Kriegsgegnern, Beatniks, Unsteten, Gammlern, Langhaarigen, Kurzröckigen, Hippies, Denkern, Kiffern, Antifas hätte sich einst vorstellen können, dass einige von ihnen zwei bis drei Jahrzehnte später verantwortlich zeichnen würden für den großen Epochenumbruch – nein, nicht wie geplant zur Revolution, sondern zurück in die Richtung, aus der die Eltern gekommen waren; und dass diese dann gar den schrecklichen ‚Meister aus Deutschland' (Paul Celan) neu entdecken würden, nunmehr neu eingekleidet in ein grün-rotes Gewand mit aufgedrucktem Anti-Atom-Signum.“ Das ist starker Tobak, aber Schumann bringt ziemlich viele Belege für seine These.

Dem Morden hilflos zusehen

Ich will jetzt nur feststellen, dass ich seine Einschätzung des Scheiterns dieser Generation nicht teile, sondern den von Rudi Dutschke angeregten „Marsch durch die Institutionen“ für viel zu erfolgreich halte, weil die 68er dabei sind, mit Hilfe einer Kanzlerin aus dem Osten Demokratie und Rechtsstaatlichkeit auszuhebeln zugunsten eines rigorosen Wertesystems, das durch gnadenloses Moralisieren errichtet und abgesichert wird.

Ich teile aber durchaus den kritischen Blick Schumanns auf einen Teil dieser Werte. Im Zentrum von Schumanns Kritik steht der angebliche Pazifismus der Grünen, die nicht nur als Antiparteien-Partei, sondern auch als Antikriegspartei gestartet sind und die, kaum an der Regierungsmacht, den ersten Einsatz deutscher Soldaten in einem ehemals von den Nazis besetzten Land ermöglicht haben. Das ist wieder nicht Fischers Verdienst allein, aber sein Anteil daran ist gewaltig.

Bevor mir das um die Ohren gehauen wird, gestehe ich, dass ich nach einem Besuch in Bosnien mit Gerd Poppe und einigen unserer Mitarbeiter der Bundestagsgruppe Bündnis 90/Grüne, wo wir durch den Kriegseintritt Kroatiens zwischen die Fronten und unter starken Beschuss gerieten, auch für ein bewaffnetes Eingreifen plädierte. Ausschlaggebend war das Erlebnis bei einem Besuch eines britischen UNPROFOR-Stützpunkts. Zwei Tage vorher war das naheliegende Dorf von Kroaten attackiert und die meisten Bewohner massakriert worden, davon Dutzende direkt vor den Absperrzäunen der UNPROFOR, wohin sich die Menschen flüchten wollten. Die Tore blieben verschlossen. Die jungen Soldaten drin mussten dem Morden hilflos zusehen, weil das Mandat es verbot, einzuschreiten. Wie verheerend das auf die blutjungen Männer gewirkt hat, erschütterte mich zutiefst.

Beginn der unerträglichen Relativierung der Nazi-Verbrechen

Ich weiß ziemlich viel über den Jugoslawien-Konflikt, auch durch den Kontakt mit Bärbel Bohley, die jahrelang erst in Sarajewo Aufbauhilfe geleistet hat und später mit ihrem bosnischen Mann in Kroatien lebte und weiter Aufbauprojekte initiierte, aber was Schumann an Fakten über die serbische Seite anführt, war mir zum größten Teil neu.

Ich wurde später skeptisch, als die Bombardements in Serbien mit deutscher Beteiligung begannen, aber habe lange Zeit tatsächlich daran geglaubt, dass es die Aufgabe der Demokratien des Westens wäre, Menschenrechte und Demokratie aktiv zu verbreiten. Allerdings stehen wir jetzt vor den Trümmern dieser Menschenrechtsinterventionen, deren fatale Folgen uns nun einholen. Höchste Zeit für eine kritische Auswertung.

Wenn ich Kommunisten wie Schumann einen Kredit einräumen muss, dann ist es der, an der Antikriegspolitik festgehalten zu haben. Schumann kritisiert nicht nur die Bereitschaft Fischers und der Grünen, sich wieder an Kriegen zu beteiligen, sondern vor allem die Begründung dafür, die Fischer der Weltöffentlichkeit präsentiert hat. Auschwitz dürfe sich nicht wiederholen, der serbischen SS müsse Einhalt geboten werden, so wie dem Neu-Hitler Milošević. Mit Fischer begann die unerträgliche Relativierung der Nazi-Verbrechen. Heute ist schon Nazi, wer die Regierungspolitik kritisiert.

Eingeständnis eines Angriffskrieges

Schumann belegt klar, dass die Regierung Schröder/Fischer genau wusste, was sie tat:

„Am 9. März 2014 äußerte Ex-Kanzler Schröder auf einer Veranstaltung der Wochenzeitung Die Zeit:

‚Natürlich ist das, was auf der Krim geschieht etwas, was auch Verstoß gegen das Völkerrecht ist. Aber wissen Sie, warum ich etwas vorsichtiger bin mit ’nem erhobenen Zeigefinger? Ich muss nämlich sagen: Weil ich es selbst gemacht habe … Als es um die Frage ging, wie entwickelt sich das in der Bundesrepublik, Jugoslawien, Kosovo-Krieg, da haben wir unsere Flugzeuge, unsere Tornados nach Serbien geschickt, und haben zusammen mit der NATO einen souveränen Staat gebombt – ohne dass es einen Sicherheitsratsbeschluss gegeben hätte.'“

Das ist, schlussfolgert Schumann, das Eingeständnis eines Angriffskrieges, der nicht nur nach §13 des Völkerstrafgesetzbuches strafbar ist, sondern auch nach Art. 20 Abs.1 des Grundgesetzes.

Warum sollten nicht auch westliche Politiker vor einem Internationalen Strafgerichtshof landen, fragt Schumann und verweist auf das 2017 gegründete „Internationale Kosovo Sondertribunal“, durch das erstmals die albanische UÇK wegen ihrer Kriegsverbrechen belangt wurde.

Sicher weiß auch Schumann, dass Fischer nicht vor solch einem Gericht landen wird. Er ist inzwischen in enger Kooperation mit der ehemaligen Außenministerin Madeleine Albright im Lobbygeschäft erfolgreich. Er nimmt noch mit seinen Büchern Einfluss auf die Politik, versucht es jedenfalls. Aber der einstige Global Player spielt in der Politik keine Rolle mehr. Die Grünen brauchen ihn als Aushängeschild nicht. Die haben jetzt mit Baerbock und Habeck ihre eigenen Stars und nehmen Kurs aufs Kanzleramt, wovon Fischer nicht einmal träumen konnte. Wenn man sich die Frage stellen will, wie es Fischer, heute mehrfacher Millionär, geht, fällt mir ein ehemaliger Staatssekretär, der nach dem Ende der DDR einen erfolgreichen Hollywood-Filmvertrieb nach Osteuropa aufbaute und mehrfacher Millionär wurde. Auf die Frage, wie es ihm ginge, antwortete er: „Weißt Du, früher hatte ich die Macht, heute habe ich das Geld. Aber wenn Du mich fragst, die Macht war mir lieber.“

Die Macht ist wahrscheinlich die härteste Droge der Welt, ihr Entzug dementsprechend schmerzhaft. Aber das Leid, das Fischer als Machtpolitiker über viel Menschen brachte, hat ihn anscheinend nicht sehr interessiert. Warum sollten wir uns dann um sein Leiden am Machtentzug sorgen?

„Wollt ihr mich, oder eure Träume?“ von Gerd Schumann, 2021, Eulenspiegel-Verlag, Berlin. Hier bestellbar.

Foto: Michael Thaidigsmann CC-BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons

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Heribert Glumener / 09.05.2021

Wie ich hörte, wurde Joschka Fischer zum Ehrenspielführer der Fußball-Nationalmannschaft des Kosovo auf Lebenszeit ernannt.

Irene luh / 09.05.2021

Der Kosovo gehört Serbien und diejenigen, die es an sich gerissen haben, müssen es zurückgeben. Denn, über die Verbrechen derjenigen, die den Kosovo gestohlen haben, wird kaum etwas gesagt. Der Verrat der europäischen Eliten besteht darin, den Feinden Europas geholfen zu haben. Die bedanken sich und greifen bereits nach Teilen Frankreichs und Deutschlands. Die Zeit wird es richten. Man hat ja gesehen, wie Erdogan und dieser europäischer Milchbubi mit der inkompetenten Verräterin von der Leyen umgesprungen sind, in Ankara, als die naive Frau, sich nicht zu den Männern hat setzen dürfen. Auch der europäische Milchbubi fand das ganz toll.

Frank Dom / 09.05.2021

Für diese differenzierten und sachlich fundierten Artikel liebe ich die Achse.

Rainer Mewes / 09.05.2021

Die Karriere des Joschka ist bezeichnend für den Werdegang eines echten Opportunisten. Und machen wir uns nichts vor, um als Politiker in einer Demokratie persönlichen Erfolg zu haben, muß man (oder frau) zwingend Opportunist sein und bereit sein, alles dafür zu tun. Fischer hat das bewiesen. Wenn ich mir das heutige Poliktik-Personal anschaue, kommen mir die Tränen, besser wird’s nicht!

Boris Kotchoubey / 09.05.2021

Ich finde das nicht überzeugend. Natürlich wusste ich nicht erst seit Schröders Worte 2014, sondern schon seit 1999, dass der NATO-Eingriff auf Serbien (im Gegensatz übrigens zum US-Krieg gegen den Irak 2003!) völkerrechtswidrig war. Wer für diese elementare juristische Erkenntnis auf Schröder 15 Jahre lang warten musste, hat einfach vergessen, im Internet zu recherchieren. Aber mir, genauso wie Frau Lengsfeld, wurde auch die Begründung für diesen Verstoß bekannt. Genau um diese Begründung geht es. Frau Lengsfeld sagt, dass sie damals nach ihrer Erfahrung in Bosnien diese Begründung gerecht gefunden hat. Sie sagt aber kein einziges Wort darüber, welche anderen Fakten, die sie damals nicht wusste, haben sie jetzt gezwungen, ihre Sicht zu ändern. Ganz einfach: Wurden bosnische Zivilisten massenweise massakriert? Oder waren das alles Fake News? Das ist die einzige Frage, die von Relevanz ist. Wenn ja, dann hatte Fischer damals Recht, egal wie unsympatisch er mir als Person erscheint.

Sabine Schönfelder / 09.05.2021

claude @de jean, (Sie sind sichärr Bildˋauèr in die Normohhhdi) typisch grün, noch nicht einmal einen anständigen Nachruf kann man bei Fischer erwarten!

Gerhard Mader / 09.05.2021

Der Name Madeleine Albright sagt doch eigentlich sehr viel.

Rolf Menzen / 09.05.2021

Ich vermute mal,  Herr Schumann hätte kein Problem damit gehabt, wenn die Rote Armee irgendwo einmarschiert wäre. Und in den Balkankriegen hat sich keine Seite mit Ruhm bekleckert. Dass es nach dem Zusammenbruch des Völkergefängnisses Jugoslawien Hauen und Stechen geben würde war auch jedem klar, der sich auch nur ein bisschen vorher damit beschäftigt hatte.

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