Dr. Roland Wiesendanger nimmt gegenüber Achgut Stellung zu dem Urteil, das ihm auch weiterhin erlaubt, zu behaupten, dass Christian Drosten „Unwahrheiten“ verbreite und eine „Desinformationskampagne“ betreibe.
Der Virologe Christian Drosten hat, wie vor zwei Wochen bekannt wurde, den Hamburger Physikprofessor Roland Wiesendanger verklagt, wegen Äußerungen, die Wiesendanger in einem Interview mit der Zeitschrift „Cicero“ getätigt hatte, das am 2. Februar 2022 veröffentlicht wurde.
Dieses Gespräch fand kurz nach einem Interview statt, das Wiesendanger mir gegeben hatte und das am 21. Januar auf Achgut erschienen war. In unserem Interview hatte Wiesendanger Drosten u.a. eine „Irreführung der Öffentlichkeit“ und „Vertuschung“ vorgeworfen und gesagt: „Herr Drosten hat als Wissenschaftler jegliche Glaubwürdigkeit verloren.“
Knapp zwei Wochen später veröffentlichte die Zeitschrift „Cicero“ ein eigenes Interview, in dem Wiesendanger die Vorwürfe wiederholte. Im „Cicero“-Interview hatte Wiesendanger eine etwas andere Wortwahl benutzt.
Das Landgericht Hamburg untersagte ihm nun zu behaupten,
1. „Christian Drosten habe die Öffentlichkeit gezielt getäuscht“.
2. dass es „jeglicher Grundlage“ entbehre, dass Drosten sich früh auf die Hypothese eines natürlichen Ursprungs des Virus SARS-CoV-2 festgelegt habe
3. dass die Aussage von Christian Drosten im NDR-Podcast vom 12. Mai 2020 „Dieses Thema ist einfach erledigt“ sich auf die These eines Laborursprungs bezogen habe
4. dass die Bewegung „Scientists for Science“, zu deren Mitbegründern Drosten zählte, das Ziel gehabt habe, die virologische Forschung frei von Beschränkungen zu halten.
Verbot Nr. 3 ist vielleicht das seltsamste. Tatsächlich hatte Drosten nicht gesagt „erledigt“, sondern „vom Tisch“:
„Die Auffassung, so eine Spaltstelle gehört doch in ein SARS-Virus gar nicht rein, die muss doch jemand künstlich im Labor da reingebaut haben, daran kann man doch sehen, dass das ein Laborvirus ist, die ist damit vom Tisch. Wir sehen, genau das kommt in der Natur vor.“
(hier ab Minute 41:38). Macht das in den Augen der Richter wirklich einen Unterschied? In dem NDR-Podcast ging es u.a. um „Verschwörungstheorien“.
Das Landgericht erlaubte hingegen die Aussagen, dass Drosten „Unwahrheiten“ verbreitet und eine „Desinformationskampagne“ betrieben habe; diese Formulierungen seien als „zulässige Wertungen im wissenschaftlichen Meinungskampf anzusehen“.
Wiesendanger, der vom Gericht nach eigener Aussage gar nicht angehört wurde, will gegen das Urteil Berufung einlegen.
Wer den Hintergrund des Streits verstehen will, sollte das Interview mit Wiesendanger lesen, das Achgut am 21. Januar veröffentlichte: „Fauci, Drosten und die Dynamit-Mails“.
„Cicero“ hat sein zwei Wochen später geführtes Interview mittlerweile „vorübergehend offline“ genommen. „Cicero“-Chefredakteur Alexander Marguier teilt mit:
„Cicero wartet das juristische Verfahren zwischen Christian Drosten und Roland Wiesendanger ab, bis alle strittigen Punkte rechtskräftig geklärt sind. Wir werden zu gegebenem Zeitpunkt reagieren. Die Redaktion hat entschieden, den Beitrag dafür vorübergehend offline zu nehmen. Wir behalten uns vor, es zu gegebenem Zeitpunkt wieder ganz oder teilweise zu veröffentlichen.“
Die Fauci-Mails
Anlass meines Interviews mit Roland Wiesendanger waren E-Mails von Anthony Fauci aus der Frühphase der Corona-Pandemie im Februar 2020 im Anschluss an eine Telefonkonferenz führender Virologen. Abschnitte aus den E-Mails waren durch die veröffentlichte Korrespondenz von republikanischen Abgeordneten des US-Repräsentantenhauses bekanntgeworden. Ein großer Teil war geschwärzt, aber auch das, was nicht geschwärzt war, war so explosiv, dass es mir dringend schien, mit Professor Wiesendanger darüber zu reden. Wiesendanger hatte am 18. Februar 2021 eine Studie zum Ursprung des Coronavirus veröffentlicht und dabei aus öffentlich zugänglichen Quellen Hinweise auf einen möglichen Laborunfall im Wuhan Institute of Virology zusammengetragen. In dieser Einrichtung wurden – und das ist unbestritten – jahrelang gain-of-function-Experimente mit Coronaviren aus Fledermauskot durchgeführt, um diese Viren infektiöser für Menschen zu machen. Ziel war es, herauszufinden, wie groß die Gefahr einer weltweiten Pandemie wäre, sollten solche Viren eines Tages auf den Menschen überspringen.
Diese Experimente fanden im Auftrag von Einrichtungen aus den USA statt. Sie in den USA durchzuführen, galt als zu gefährlich für die amerikanische Bevölkerung, da eine unabsichtliche Freisetzung von Viren nie auszuschließen ist und immer wieder vorkommt. Tatsächlich ereigneten sich solche Unfälle „jedes Jahr Dutzende Male in Hochsicherheitslabors auf der ganzen Welt, einschließlich in den Vereinigten Staaten“, schrieben zwei Journalisten der „Washington Post“ im Mai 2020. Aufzeichnungen über Unfälle in US-Labors zeigten etliche „versehentliche Infektionen mit tödlichen Mikroben, einschließlich der Erreger von Milzbrand, Ebola und der Pest“. Für chinesische Labore gebe es keine derartigen Aufzeichnungen, doch in einem 2019 veröffentlichten wissenschaftlichen Artikel seien „weit verbreitete systemische Mängel bei der Schulung und Überwachung von Hochsicherheitslabors beschrieben“, in denen mit Krankheitserregern gearbeitet werde.
Die Telefonkonferenz vom Februar 2020
Worum ging es bei der genannten Telefonkonferenz? Wiesendanger sagte in unserem Interview:
„Das Brisante ist, dass hieraus ganz klar ersichtlich wird, dass wir es mit einer riesigen Vertuschung zu tun haben, was den Ursprung der Coronavirus-Pandemie anbelangt. Es ist offensichtlich so, dass bereits im Januar 2020 – bevor überhaupt allererste Infektionsfälle in Deutschland aufgetreten sind – mehrere führende Virologen Anthony Fauci darüber informiert haben, dass die Gensequenz des SARS-CoV-2-Virus, die ja seit dem 11. Januar 2020 weltweit bekannt war, eine Besonderheit aufweist, nämlich eine sogenannte Furin-Spaltstelle, die in der Untergattung von Coronaviren, zu der SARS-CoV-2 gehört, überhaupt nicht vorkommt. Diese Furin-Spaltstelle sorgt dafür, dass SARS-CoV-2-Viren besonders leicht in menschliche Zellen eindringen können und es zu einer sehr leichten Mensch-zu-Mensch-Übertragung kommen kann, welche bislang für Coronaviren nicht bekannt war. Das war also etwas vollkommen Neues und gab mehreren Virologen Anlass, daraus zu schließen, dass es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um einen nicht natürlichen Ursprung handele – dass also SARS-CoV-2 tatsächlich aus einem Labor in Wuhan stammen könnte.“
Im E-Mail-Verkehr, der an die Telefonkonferenz anschloss und der im Januar dieses Jahres teilweise bekannt geworden ist, gehe hervor, so Wiesendanger,
„dass es offensichtlich eine Absprache gab, koordiniert durch Anthony Fauci, Francis Collins – dem damals obersten Leiter der National Institutes of Health in den USA, der ja Ende letzten Jahres zurückgetreten ist – und Jeremy Farrar vom Wellcome Trust. Die wesentliche Konsequenz dieser Absprache war, dass diejenigen, die an dieser Telefonkonferenz beteiligt waren, innerhalb von wenigen Tagen ihre ursprüngliche Vermutung aufgegeben und ihre Meinung um 180 Grad gedreht haben.“
Einige E-Mails legen nahe, dass bei dem Versuch, die These eines Laborursprungs zu diskreditieren, eigennützige Motive eine Rolle spielten. In einer dieser E-Mails von Anthony Fauci verleiht dieser der Befürchtung Ausdruck, dass eine Diskussion über einen Laborursprung der „Wissenschaft im Allgemeinen“ und „insbesondere der in China“ „unnötigen Schaden“ zufügen und Wissenschaftler „ablenken“ könnte. In einer E-Mail vom April 2020 äußert er die Hoffnung, dass die Diskussion irgendwann von allein verschwinden werde.
Wiesendanger vertrat in unserem Interview die Ansicht, dass „der größte Schaden bei ihm (Fauci) selbst entstanden wäre, weil er diese gefährliche gain-of-function-Forschung über viele Jahre hinweg vehement verteidigte und förderte und er selbst in der Verantwortung stand, nicht zuletzt, weil er das Moratorium der amerikanischen Regierung unter Barack Obama umgangen hatte.“ Fauci trage die „volle Verantwortung“.
Er und andere der Virologen, wie etwa Peter Daszak, hätten damals in einem Interessenkonflikt gestanden, sagt Wiesendanger: Sie hätten ein objektives Eigeninteresse daran gehabt, den Verdacht von dem Labor in Wuhan wegzulenken, weil sie selbst ja in dessen gefährliche gain-of-function-Forschung involviert gewesen seien.
Was taten sie dann?
Wiesendanger: „Schon zwei bis drei Tage nach dieser Telekonferenz haben sie drei Dinge eingeleitet: Sie haben unter Federführung von Peter Daszak jenen bekannten offenen Brief in der Medizin-Zeitschrift „The Lancet“ organisiert, der von 27 führenden Virologen unterschrieben und in dem die Labortheorie als ‚Verschwörungstheorie‘ gebrandmarkt wurde. Dies erfolgte zu einem Zeitpunkt, als niemand einen Laborursprung ausschließen konnte.“
Einer der Unterzeichner war Christian Drosten.
Wie ist Drostens Sicht der Dinge?
In einer eidesstattlichen Versicherung gegenüber dem Landgericht Hamburg, die der Verfasser einsehen konnte, bestätigt Drosten, dass er am 1. Februar 2020 an einer Telefonkonferenz namhafter Virologen teilnahm, und zwar längere Zeit. Beim letzten Teil der Konferenz sei er allerdings nicht mehr dabei gewesen. Warum, sagt Drosten nicht.
Zu dieser Konferenz habe Jeremy Farrar auf Bitten von Anthony Fauci eingeladen. Das Thema sei gewesen, ob es eine mögliche gentechnische Veränderung des Virus gebe und ob es denkbar sei, dass SARS-CoV-2 aus dem Labor stamme. Der Virologe Kristian Andersen habe diese Hypothese zur Diskussion gestellt.
Die Diskussion habe zu dem Ergebnis geführt, dass diese Möglichkeit unwahrscheinlich sei und nicht zu beweisen. Während Drostens Teilnahme sei nicht darüber gesprochen worden, dass eine mögliche Laborherkunft vertuscht werden solle. Er wisse auch nicht davon, dass dies zu einem späteren Zeitpunkt verabredet worden wäre.
Er betreibe keine „Gain-of-function-Experimente“ und habe kein Interesse, den Verdacht über den Ursprung des SARS-CoV-2-Virus in eine bestimmte Richtung zu lenken. Er habe kein Interesse daran, die Laborursprungstheorie auszuschließen. Würde er sie für richtig halten, würde er sie vertreten, so Drosten.
Stellungnahme von Roland Wiesendanger
Roland Wiesendanger hat Achgut eine zwölfseitige Stellungnahme zukommen lassen, in der er auf Ausführungen von Drostens Anwalt eingeht. Im Folgenden zitieren wir daraus: Was Drostens Anwalt behauptet und was Wiesendanger dazu sagt. Drostens Anwalt schreibt:
„Der Antragsteller vertrat mit anderen Diskussionsteilnehmern zum damaligen Zeitpunkt die Auffassung, es gebe keine ausreichenden wissenschaftlichen Erkenntnisse, um sich endgültig für oder gegen einen Laborursprung festzulegen.“
Wiesendanger erwidert:
„Diese Aussage steht im Widerspruch zu der Mitunterzeichnung des ‚Offenen Briefs‘ in der Fachzeitschrift ‚THE LANCET‘ durch Herrn Drosten.“
In diesem von Drosten unterzeichneten Text heißt es, dass die These, das SARS-CoV-2-Virus habe „keinen natürlichen Ursprung“ eine „Verschwörungstheorie“ sei, die die Unterzeichner „scharf verurteilen“. („We stand together to strongly condemn conspiracy theories suggesting that COVID-19 does not have a natural origin.“).
Wiesendanger kommentiert:
„Die Brandmarkung aller Pandemieursprungstheorien, welche besagen, dass COVID-19 einen nicht-natürlichen Ursprung hat (und damit auch der Laborursprungstheorie), als ‚Verschwörungstheorien‘ widerspricht eindeutig der von Ihnen zitierten ‚Auffassung, es gebe keine ausreichenden wissenschaftlichen Erkenntnisse, um sich endgültig für oder gegen einen Laborursprung festzulegen‘, da die Brandmarkung der Laborursprungstheorie als ‚Verschwörungstheorie‘ in eindeutiger Weise eine Festlegung gegen diese Theorie impliziert.“
Drostens Anwalt schreibt:
„Allein der Umstand, dass in dem offenen Brief, der am 19.02.2022 im Internet veröffentlicht wurde, die sog. Laborthese ausdrücklich angesprochen wurde, widerlegt die Behauptung, dass die beiden Virologen, die auch an der Telefonkonferenz vom 01.02.2020 teilnahmen, den Verdacht der Laborthese gegenüber der Öffentlichkeit verschweigen wollten.“
Wiesendanger:
„Die Logik dieser Argumentation erschließt sich an dieser Stelle für mich nicht. Unbestrittenermaßen wurde die Labortheorie in dem oben zitierten ‚Offenen Brief‘ von den Autoren indirekt erwähnt, jedoch als ‚Verschwörungstheorie‘ gebrandmarkt. Dies ist ja gerade der vorliegende Beweis dafür, dass das Verdachtsmoment eines Laborunfalls gegenüber der Öffentlichkeit frühzeitig aus dem Weg geräumt werden sollte, wie dies in zahlreichen internationalen Medienberichten des vergangenen Jahres zum Ausdruck gekommen ist.“
Drostens Aussage, er habe „kein persönliches Interesse“ gehabt, „die sog. Laborthese als Ursprung des Virus auszuschließen“, kommentiert Wiesendanger wie folgt: Drosten habe den offenen Brief unterzeichnet,
„obwohl er durch seine Teilnahme an der Telekonferenz vom 1.2.2020 davon Kenntnis hatte, dass namhafte Kollegen aus dem Fachgebiet der Virologie starke Indizien für einen Laborursprung von SARS-CoV-2 bereits im Januar 2020 gesehen und während der o.g. Telekonferenz vortragen hatten…“
Wiesendanger fordert von Drosten eine Erklärung, auf welche Weise er und seine Virologenkollegen, mit denen er am 1. Februar 2020 konferierte, zu dem Schluss eines natürlichen Ursprungs des Virus gekommen sind, den sie dann anschließend so vehement gegenüber der Öffentlichkeit vertraten. Wiesendanger schreibt:
„Es wurde bisher von keinem der Teilnehmer der Telekonferenz vom 1.2.2020, welche zugleich Autoren des ‚Offenen Briefs‘ in der Fachzeitschrift ‚THE LANCET‘ waren, eine – auch im juristischen Sinne – nachvollziehbare Begründung dafür geliefert, welche entscheidend neue (wissenschaftliche) Einsicht zwischen dem 1.2.2020 und dem Einreichungsdatum des o.g. ‚Offenen Briefes‘ bei der Zeitschrift ‚THE LANCET‘ dazu führte, die Labortheorie kategorisch auszuschließen durch die Gleichsetzung mit einer ‚Verschwörungstheorie‘. Eine solche Begründung wäre jedoch notwendig, um den erhobenen Vorwurf der Täuschung der Öffentlichkeit durch die Autoren des ‚Offenen Briefs‘ in der Fachzeitschrift ‚THE LANCET‘ zu entkräften.“
Kirchgänger der Zoonose-Theorie
Was sagt Drosten in seiner eidesstattlichen Versicherung zu diesem Punkt? Die Diskussion habe zu dem Ergebnis geführt, dass die These „aus mehreren wissenschaftlich-technischen Gründen unwahrscheinlich“ und in „jedem Fall nicht belegbar“ sei. Die möglichen Begründungen seien „in einem kollegialen Gespräch wissenschaftlich ‚zerpflückt‘“ worden. „Zerpflückt“? Das ist vage. Die Argumente, die seinerzeit vorgebracht wurden und ihn zum Kirchgänger der Zoonose-Theorie machten, nennt Drosten nicht.
Wiesendanger prangert in seiner Stellungnahme an, dass Autoren des „Offenen Briefs“ vom Februar 2020 es versäumt hätten, „nachweislich vorhandene Interessenkonflikte offenzulegen“, was „zumindest ein wissenschaftliches Fehlverhalten“ darstelle. „Erst im Folgejahr wurde hierzu eine Korrektur in der gleichen Fachzeitschrift veröffentlicht, welche jedoch erst nach massivem internationalen Druck zustandegekommen ist.“
Wiesendanger wirft Drostens Anwalt zudem vor, seine Argumente verdreht zu haben. Drostens Anwalt schreibt etwa:
„Die in dem Interview aufgestellte Behauptung, es habe keine Grundlage für die von dem Antragsteller und anderen Virologen mehrheitlich vertretene Auffassung gegeben, dass die besseren Argumente für einen natürlichen Ursprung des Coronavirus sprechen würden, ist unzutreffend.“
Wiesendanger bemerkt dazu:
„Diese Behauptung habe ich so nicht geäußert und ist in dieser Form im Cicero-Interview auch nicht zu finden. Ich habe nicht gesagt, dass es keine Grundlage für die von Herrn Drosten und anderen Virologen (angeblich mehrheitlich) vertretene Auffassung einer Zoonose gegeben habe, sondern dass es keine wissenschaftliche Grundlage für die Brandmarkung der Labortheorie als Verschwörungstheorie und damit die einseitige Festlegung auf eine Zoonose im Zeitraum von Februar 2020 bis Sommer 2020 gab.“
Ferner habe er entgegen den Ausführungen des Anwalts auch nicht behauptet, dass Herr Drosten „ohne wissenschaftliche Grundlage die Zoonose für wahrscheinlicher erachtet“ habe. Vielmehr habe er gesagt, dass Drostens „einseitige Festlegung auf eine Zoonose im Zeitraum von Februar 2020 bis Sommer 2020 ohne wissenschaftliche Grundlage“ erfolgt sei.
Schließlich führt Wiesendanger eine bekanntgewordene E-Mail von Peter Daszak, dem Präsidenten der EcoHealth Alliance, an. Daszak und seine Organisation waren maßgeblich an der gain-of-function-Forschung in Wuhan beteiligt, Daszak war auch der Initiator des von Drosten unterschriebenen Briefs in „The Lancet“, der jeglichen Verdacht, in dem Labor könne es ein Missgeschick beim Umgang mit einem Virus gegeben haben, als „Verschwörungstheorie“ brandmarkte. Daszak schrieb am 6. Februar 2020 in einer E-Mail an Kollegen, die an der Telekonferenz beteiligt waren:
„Du hast Recht, dass es gut wäre, spezifisch zu sein, was die Verschwörungstheorie eines gentechnisch hergestellten Virus betrifft, aber ich denke, wir sollten wahrscheinlich an einem allgemein formulierten Statement festhalten.“
Und weiter:
„Unser derzeitiger Erklärungstext widerlegt die meisten von ihnen sauber, indem er sagt: ‚Wir stehen zusammen, um entschieden Verschwörungstheorien zu verurteilen, die suggerieren, dass 2019-nCoV keinen natürlichen Ursprung habe. Wissenschaftliche Beweise deuten mit überwältigender Mehrheit darauf hin, dass dieses Virus wie so viele andere neu auftretende Krankheiten von Wildtieren stammt.“
Wiesendanger kommentiert:
„Dieses Dokument beweist eindeutig, dass die wesentliche Aussage des ‚Offenen Briefes‘ in der Fachzeitschrift THE LANCET, nämlich dass die Laborursprungstheorie als Verschwörungstheorie gebrandmarkt werden sollte, bereits auf den 6. Februar 2020 zurückgeht.“
Die Geschehnisse im Zusammenhang mit dem Zustandekommen dieses „Offenen Briefs“ seien durch zahlreiche Veröffentlichungen ausführlich dokumentiert. Diese belegten „eindrucksvoll die Absprachen zwischen verschiedenen Virologen und deren Motivation zur Veröffentlichung dieses ‚Offenen Briefs’“, so Wiesendanger. Als Beispiel nennt er einen Artikel der amerikanischen Bürgerrechtsorganisation U.S. Right to Know.
Zensur in den sozialen Medien bis zum Mai 2021
Aus Wiesendangers Sicht folgen das Vorgehen von Drostens Anwalt und die Berichterstattung einiger Medien nicht den Gepflogenheiten. Schon einen Tag bevor er von Drostens Anwalt informiert worden sei, dass Drosten beabsichtige, juristisch gegen ihn vorzugehen, habe ein Journalist des NDR, des WDR und der „Süddeutschen Zeitung“ ihn, Wiesendanger, gefragt, ob er am Folgetag für ein Interview zur Verfügung stehe.
„Dieser Medienvertreter hat sich dann auch am 3.3.2022 unmittelbar nach dem Email-Schreiben bei mir gemeldet und um eine Stellungnahme gebeten. Am gleichen Tag erschienen dann u.a. auf der ARD-Internetseite sowie auf der SZ-Onlineseite entsprechende Beiträge, in denen nicht nur über die Tatsache eines von Herrn Kollegen Drosten beabsichtigen juristischen Vorgehens berichtet wurde, sondern auch über Details des Inhalts des Email-Schreibens, wie z.B. Auszüge aus der eidesstattlichen Erklärung von Herrn Drosten.“
Er müsse daraus schließen, so Wiesendanger,
„dass es offensichtlich darum geht, nicht nur eine sachbezogene Klärung der im Raum stehenden Vorwürfe herbeizuführen, sondern diesen Prozess medien- und öffentlichkeitswirksam zu begleiten.“
Wiesendanger weist noch auf eine andere Rolle hin, die die Medien, auch die „sozialen Medien“, in dieser Sache gespielt haben: die von Zensoren. In dem genannten NDR-Podcast begrüßte die Moderatorin, Korinna Hennig, Drosten mit den Worten:
„Herr Drosten, Sie haben einen offenen Brief unterzeichnet, gemeinsam mit anderen Wissenschaftlern und Ärzten weltweit, in dem Sie von den Unternehmen, die hinter den sozialen Medien stehen, Unterstützung fordern gegen das, was jetzt als Infodemie bezeichnet wird – also falsche und irreführende Informationen rund um die Pandemie“.
Tatsächlich, so Wiesendanger hätten soziale Medien wie Facebook die Labortheorie in der Folge bis in den Mai 2021 zensiert und entsprechende Beiträge gelöscht. Erst am 27. Mai 2021 schaffte Facebook diese Zensurrichtlinie wieder ab.