Peter Grimm / 02.05.2020 / 06:11 / Foto: EPP / 95 / Seite ausdrucken

Die Pandemie ist unschuldig

Möchte man das Geschehen der letzten Wochen rekapitulieren, scheint das wie ein billiges Drehbuch für eine absurde Dystopie ohne jeglichen Bezug zur Realität. Dennoch ist es passiert: In schneller Verabredung der Bundeskanzlerin mit den Landes-Ministerpräsidenten wurden uns unter Anwendung des Infektionsschutzgesetzes ein großer Teil der verfassungsmäßigen Rechte auf dem Verordnungswege umstandslos entzogen. Die Bürger konnten vielfach gar nicht fassen, wie rasch sie ihre Bürgerrechte verloren, wie einfach es ging, ihnen eine „Kontaktsperre“ zu verordnen. Die Obrigkeit bestimmt nun seit Wochen detailliert über den Freigang der Menschen und ihren Umgang mit anderen. Das proklamierte Konzept setzt auf Kappung möglichst aller direkten sozialen Kontakte, die nicht überlebensnotwendig sind.

Und so dürfen die Bürger ohne Bürgerrechte daheim mit Schrecken zuschauen, wie gerade eine einst starke Volkswirtschaft nach und nach abgewrackt wird. Protest dagegen ist kaum in adäquater Weise möglich, denn man darf sich nahezu nirgends überhaupt versammeln. Aber das ist an dieser Stelle ja alles schon oft beschrieben worden.

Kaum angemessen beschreiben lässt sich der hintergründige Schrecken darüber, mit welcher Leichtigkeit die für jede Demokratie essentiellen Grundrechte unbefristet bis auf Weiteres entsorgt werden konnten. Galt doch die freiheitlich-demokratische Ordnung den meisten Bundesbürgern trotz aller Mängel, Unvollkommenheiten und mancher Fehlentwicklung als relativ stabil. Geschlossene innerdeutsche Grenzen, die Ausweisung deutscher Bürger aus deutschen Orten, weil sie ihren Hauptwohnsitz im falschen Bundesland haben, Strafen für das Empfangen von Besuch in der eigenen Wohnung, die Aussetzung von Versammlungsfreiheit, Freizügigkeit, Religionsfreiheit und und und… – das konnte es doch nicht geben. Plötzlich starb die Freiheit nicht zentimeterweise, wie es in einem viel genutzten Zitat heißt, sondern in Riesenschritten auf dem Verordnungsweg. Nicht einmal eine ordentliche Ausrufung des Notstands oder überhaupt ein Bundestagsbeschluss waren dazu nötig.

Keine Frage nach den Nebenwirkungen?

Unter den Bürgern herrschte genug Angst. Weniger Angst vor einem Staat, der sich gerade das Instrumentarium zum autoritären Durchregieren zurecht legt, sondern vor Covid-19. Und das ist verständlich. Unschön daran zu erkranken und enden kann es tödlich. Jeder kann sich anstecken. Wenn eine solche Todesgefahr lange Zeit medial omnipräsent ist, dann verunsichert sie nahezu jeden – völlig unabhängig von der Krankheit. Und Angst fördert bekanntlich die Sehnsucht nach starken Beschützern. All das ist nicht neu. Genauso wenig, wie im Notfall auch in einer freiheitlichen Demokratie Zwangsmaßnahmen zuweilen nötig sind und durchgesetzt werden müssen. Von einem Regierungschef erwartet man in solchen Situationen angemessene Erklärungen. Für die Bundeskanzlerin war das in der vorigen Woche einigermaßen schnell abgetan.

„Diese Pandemie ist eine Zumutung für die Demokratie“, sagte sie dazu nur und: “Kaum eine Entscheidung ist mir in meiner Amtszeit als Bundeskanzlerin so schwer gefallen, wie die Einschränkung der Freiheit”. Aber nicht die Pandemie ist die Zumutung für die Demokratie. Die Zumutung sind die Maßnahmen, die mit ihrer Bekämpfung begründet werden. Dafür ist die Pandemie selbst nicht verantwortlich, sie ist nur Anlass und Begründung für Grundrechtsverlust und Kontaktsperren. Die Entscheidung dazu war nicht zwingend, nicht „alternativlos“, auch wenn sie anfangs noch zu verstehen war.

Natürlich gehört es zu den Aufgaben politischer Verantwortungsträger, sich um die bestmögliche Bekämpfung einer neuen Epidemie zu kümmern. Doch weder medizinisch noch gesellschaftlich ist eine Therapie verantwortbar, deren Nebenwirkungen schädlicher sind, als die Krankheit selbst. Sich dieser Frage nicht permanent zu stellen, sondern sie stattdessen weitgehend zu ignorieren, ist sträflich verantwortungslos.

Der ganze ruinöse Ausnahmezustand kann falsch oder richtig sein, auch verfassungswidrig oder einigermaßen rechtskonform – die Verantwortung müssen die politischen Entscheidungsträger übernehmen, die ihn beschlossen haben. Das war nicht das Virus, nicht die Pandemie – es sind die Regierungschefs und ihre Unterstützer, die verantwortlich für einen Ausnahmezustand sind, der nicht zwingend war und damit auch für die Bilanz, die am Ende zu ziehen ist. Die Pandemie ist unschuldig.

Die Reaktionen der Verantwortungsverschieber

Doch Verantwortung wird in Deutschland auch in der – nach Meinung der Kanzlerin – größten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg gern verschoben. Wenn es schief geht, bekommt ein anderer die Prügel. In diese Kategorie fällt sicher die immer stärkere Betonung handelnder Politiker, dass man in erster Linie dem Rat von Wissenschaftlern folge.

Anders ist es, wenn die Kanzlerin, wie oben schon zitiert, sagt: “Kaum eine Entscheidung ist mir in meiner Amtszeit als Bundeskanzlerin so schwer gefallen, wie die Einschränkung der Freiheit”. Sie bekennt sich zu ihrer Entscheidung. Sie will damit niemandem sonst die Verantwortung aufbürden, verschleiert sie aber dennoch. Weil sie an dieser Stelle theoretisch ja gar nichts zu entscheiden hatte. Entschieden haben nur die Landesregierungen, denn die sind für Verordnungen nach Infektionsschutzgesetz zuständig. Dabei hätten sie zu keinem Zeitpunkt dem Wort der Bundeskanzlerin folgen müssen, auch jetzt nicht. Jedes Bundesland könnte den Lockdown sofort beenden. Zwar nur innerhalb der Landesgrenzen, aber einen Dominoeffekt gäbe es da wohl schnell.

Und ohne den konzertierten Notstand via Infektionsschutzverordnung hätte jeder Landes-Ministerpräsident die Bundesregierung auch zuvor dazu zwingen können, einen bundesweiten Ausnahmezustand selbst zu verhängen und sich mit den Plänen für grundrechtsrelevante Zwangsmaßnahmen dem Bundestag zu stellen. Die entsprechenden Mehrheiten wären sicher kein Problem gewesen, aber man wäre um eine öffentliche Debatte nicht herum gekommen. Die hätte zumindest gezeigt, dass keine Politik alternativlos ist.

Gut, der Kanzlerin ist samt Landesfürsten die Verhängung des Ausnahmezustands mittels Infektionsschutzgesetz nachhaltig gelungen. Das oben erwähnte billige Drehbuch ist zwar nie geschrieben worden, aber wir haben einen Teil bereits durchlebt. Warum also soll man sich an den beiden Kanzlerinnen-Sätzen noch abarbeiten? Ganz einfach: Sie sind eine gute Erinnerung für später. Wenn das alles mal vorbei sein wird, sind wir damit beschäftigt, die von den Zwangsmaßnahmen verursachte Krise zu überleben. Dann geht es aber auch darum, die Verantwortlichen für all die Verheerungen zu benennen. Sobald Angela Merkel irgendwann einmal abgetreten sein wird, werden alle anderen heutigen Verantwortungsträger umstandslos bekennen, dass es allein die Kanzlerin war, die in der Corona-Krise entschieden hätte. Das ist nicht schwer vorhersehbar. Schade wäre es nur, wenn die Verantwortungsverschieber – wie leider so oft – damit auch diesmal durchkämen.

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Leserpost

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Otto Nagel / 02.05.2020

Oh,oh, Herr Grimm. Es wird noch schlimm enden mit Ihnen und den anderen achgut-Autoren ! Wie können Sie nur die Allwissenheit und Alternativlosigkeit unserer göttlichen Raute anzweifeln. 85% der schon länger hier Arbeitenden können doch nicht irren ! Hermann wollte Maier heißen, wenn je über dem Reichsgebiet…, Peter heißt schon ...maier, und alt ist er auch schon, die Fettbacke. Wen juckt es ? Ein bischen Aufmucken durch paar Dutzend achgut-Leser in Berlin, Dresden oder Stuttgart, ist doch nur ein Vogelschiß ! Unser geliebtes Land, Märchen fangen an mit “Es war einmal…”

Kostas Aslanidis / 02.05.2020

Pandemie, bei 0,00000000001 % betroffene, ist nur als Witz zu verstehen. Die Politiker sind alle Unfaehig, die Presse eine Farce. Das ist das Problem. Ganze Wirtschaften werden ruiniert, vorallem Laender die vom Tourismus leben, wegen einer eingebildeten Grippe. Wir leben wie die Tiere, Essen, verdauen, in der Hoehle, im Nest, im Stall eingepfercht. Erst wenn der “Schaeffer” den Zaun oeffnet, duerfen die “Schafe” raus. Einfach laecherlich

Heuer, Ulrich / 02.05.2020

Nicht nur Bürgermeister wie Palmer sondern auch einige Ministerpräsidenten hätten den Maßnahmenkatalog um vieles gelockert. Die Kanzlerin blockiert. Seit dem kleinen Gartenzwerg aus Österreich hat kein Staatsoberhaupt unserem Land mehr Schaden zugeführt als diese Dame. Atomausstieg, Flüchtlingespolitik, Coronapandemie um nur die wichtigsten Untergangsstrategien zu benennen. Ich rate meinen Enkeln und anderen sich Global zu orientieren. Die Zukunft ist vieleicht in Singapur, Kasastan oder China. Hier ist der Zenit seit den 68igern überschritten. Schade, war mal ein tolles Land.

Helmut Driesel / 02.05.2020

  Na ja, ich tippe jetzt mal darauf, dass der Autor berufspolitisch und vom gesunden Beamtenempfinden her genau so unerfahren ist wie etwa ich. Und ich vermute, die Bundesregierung könnte jederzeit im Nachhinein die nötigen Beschlüsse fassen, die das Notstands- oder Ausnahmerecht rückwirkend auf die inzwischen erfolgten Entscheidungen und Befugnissüberschreitungen erweitern. Was halten sie davon?

Hans-Peter Dollhopf / 02.05.2020

Feine Sahne Fischfilet ist systemrelevant, ebenso der Künstlerverein “Zentrum für Politische Schönheit”! Die Systemparteien wissen das, allen voran der kleine Minister mit seinem Dankeschön: “Tolles Zeichen gg Fremdenhass u Rassismus. Danke #Anklam #Campino @marteria” @feinesahne! #nochnichtkomplettimarsch”. Ausgewählte Sytemparteipolitiker haben sich am 22. April im Bundestag versammelt und, allen voran Kultur(partei)staats-Ministerin Monika Grütters, sich heftig um eine Bevorzugung bei staatlichen Almosen an die kleinen Kulturschaffenden gesorgt. Was normalerweise wie eine Denunziation klingt, das hat der Grüne Erhard Grundl noch einmal glasklar in den Raum unter der Kuppel gerufen: “Kultur ist systemrelevant”. Mit Punk geht alles leichter. Da passt zwischen den FSFF-Fan Steinmeier, die Linkssystem-Partei und ihre kleinen Agitpropschaffenden kein Blatt. Die “kulturelle Infrastruktur” wird “dauerhaft gesichert” bleiben, sodass garantiert bleibt, dass auch unterhalb der Gelddepots von Bushido in der kommenden Zeit des existenziellen, wirtschaftlichen Ruins das “systemrelevante” linke nihilistische Gegröle nicht aufhört. do ut des

beat schaller / 02.05.2020

Alles Richtig Herr Grimm, und der letzte Satz nimmt ja die Pointe gleich mit.  Man muss nicht sehr gut rechnen können um festzustellen oder ungefähr zu wissen, was die Konsequenzen dieses Handelns alleine in den EU Ländern für Folgen haben werden. Wer das noch nicht weiss, dem empfehle ich ein oder zwei der letzten Youtube Videos von Markus Krall. Alleine ein etwas kritischer Blick auf die Finanzsituationen in die EU Staaten genügen um sich ein eigenes Bild zu machen.  Das würde auch vom bequemen Sofa aus gehen, sofern man mal die Staatsmedien auslässt. Aber, das ist eben auch nicht passiert in der übersättigten “Stehtmirzuwohlstandsgesellschaft”. Die Gesellschaft kommt mir vor, wie wenn jeder ein “Jahresabonnement für das Leben” zu Pauschalpreis erworben hätte.  Solche Abonnements haben den Charakter, dass sie erst ab dann interessant werden, wenn man mehr verbraucht als man zahlen muss. Das gilt für alle Bereiche. Für das Gesundheitswesen wie für den öffentlichen Verkehr, für die Heiz- und Nebenkostenabrechnung, die Fussgängerzonen , Radwege, Gehsteige und vieles mehr. Ich wäre sehr froh, wenn ich noch erleben dürfte, dass irgendwo ein Politischer Hosenanzug echt zur Verantwortung gezogen würde. b.schaller

Dr.Dr.Hans-Peter Müller / 02.05.2020

Auch bei falschen,vielleicht rechtswidrigen Entscheidungen scheinen Politiker“ Herdenimmunität“ zu geniessen!

Dietrich Herrmann / 02.05.2020

Die Zumutung ist das Merkel-Regime in Berlin.

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