In akademischen Netzwerken wird der englischsprachige Master-Studiengang „International Organisations and Crisis Management“ beworben. Er startet im Wintersemester 2020/21 in Jena „Das passende Studium zur Corona-Krise“, meint die FAZ dazu. Konzipiert haben ihn Rafael Biermann, der in den 1990ern im Referat Politische Analysen des Bundeskanzleramts und im Planungsstab des Bundesverteidigungsministeriums arbeitete, sowie Christian Kreuder-Sonnen, seit Oktober 2019 Juniorprofessor für Politikwissenschaft mit Schwerpunkt internationale Organisationen.
Ziel der Lehrveranstaltung sei es, „Experten mit breitem Krisenwissen für internationale Organisationen, nationale Verwaltungen, für Medien, Industrie und Wissenschaft" auszubilden. Es würde die Arbeit von Regierungen und Nichtregierungsorganisationen, etwa das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen oder die Weltgesundheitsorganisation, untersucht. „Wir bedenken die Möglichkeiten und Grenzen internationalen Krisenhandelns ebenso wie die Versuchungen zum nationalen Alleingang und die Notwendigkeiten internationaler Koordination“, so Kreuder-Sonnen. „Bedacht würden zudem die Legitimitätskrisen, in die Organisationen selbst gerieten, wenn sie einer Krise nicht gerecht würden und reformiert werden müssten.“
Kreuder-Sonnen veröffentlichte übrigens 2013 zusammen mit einer Kollegin den höchst WHO-kritischen Aufsatz „Souverän durch die Krise: Überforderte Staaten und die (Selbst-) Ermächtigung der WHO“. Manche Stellen lesen sich, als seien sie brandaktuell. Auf dieser Seite nur was aus der Schlussbetrachtung: „Am Fall der Schweinegrippe zeigt sich, welche Eigendynamik die Institutionalisierung der Ausnahme entfalten kann.“ Die „praktisch institutionalisierten Ausnahmebefugnisse der WHO“ hätten „den Grundstein für die notstandsartige Reaktion auf die Schweinegrippe 2009“ gelegt. „Die securitization von Infektionskrankheiten und insbesondere SARS hat damit institutionelle Nebenfolgen verursacht, die ihrerseits wieder zu vermehrter Versicherheitlichung und Notstandspolitik geführt haben – und zu einer weiteren Selbstermächtigung der WHO mithilfe einer eigenmächtigen Ausweitung der Pandemie-Definition erst während der ausgerufenen Krise.“
"Rückkehr zum Normalzustand erzwungen"
Das Vorgehen des WHO-Sekretariats sei außerdem intransparent gewesen, die WHO habe sich öffentlicher und staatlicher Kontrolle entzogen. Es kam auch nicht dazu, dass „Hinweise auf Einflussnahmen seitens der Pharmaindustrie, sowohl auf die vorab erstellten Pandemie-Pläne als auch auf das Emergency Committee“, von einer unabhängigen Institution untersucht wurden.
Auch wenn „bestimmte Bedrohungen die Suspendierung oder Aufweichung der Verfassungsnormalität zugunsten politischen Spielraums in einer Notsituation rechtfertigen“, könnten aber „rechtliche und institutionelle Vorkehrungen getroffen werden, um die Entscheidungssouveränität der Exekutive insofern zu begrenzen als dass eine Rückkehr zum Normalzustand erzwungen und das Ausmaß der Ermächtigung von vornherein beschränkt“ wird, so noch zu diesem Punkt der Analyse. „Im konkreten Fall der Notstandskompetenzen der WHO würde das etwa bedeuten, zunächst ein Grundkriterium konstitutioneller Einhegung zu erfüllen, nämlich die Entscheidungsgewalt über das Vorliegen eines Notstands institutionell von der Entscheidung über die zu treffenden Maßnahmen zu entkoppeln (Gross 2011). Zudem wäre zu prüfen, wie einmal übertragene Ausnahmebefugnisse effektiv kontrolliert und letztlich auch wieder entzogen werden können.“ Später etwa habe das EU-Parlament „im Fall der Schweinegrippe die WHO zur Rechenschaft gezogen und so ein Mindestmaß öffentlicher Aufarbeitung erreicht“. Aus dem Text ließe sich derzeit politisch einiges machen. Aber damals ist ja auch nicht wirklich was passiert.
Dieser Beitrag erschien zuerst auf Susanne Baumstarks Blog Luftwurzel.