Chaim Noll / 11.02.2021 / 06:14 / 178 / Seite ausdrucken

Die Jungle World und der Unvereinbarkeits-Beschluss

Vor einigen Tagen schrieb ich an eine mir seit Jahren bekannte Redakteurin der Wochenzeitung Jungle World, ob ich in ihrem Blatt das neue Buch des deutsch schreibenden, aus der Ukraine eingewanderten Juden Dmitrij Kapitelman besprechen könne. Kapitelman ist ein begabter junger Autor, der besseres Deutsch schreibt als viele gebürtige Deutsche, und außerdem noch geistreich ist. Nachdem ich sein erstes Buch in der Jungle World rezensiert hatte, schien es sinnvoll, dort auch das nächste zu besprechen.  

Die Zeitschrift Jungle World versteht sich als „links“ – was immer das bedeuten mag. Ich habe mich, seit ich die Klemmer meiner kommunistischen Jugend abgelegt hatte, nie an solche Etiketten gehalten. Da ich mich mehr für Literatur als für Politik interessiere, habe ich Bücher, die mir bemerkenswert schienen, überall besprochen, in staatlichen Rundfunk-Sendern, im Feuilleton konservativer, liberaler oder linker Medien, im Internet. Einige Jahre lang schrieb ich für die taz, die Jungle World, sogar für das Neue Deutschland. Im Grunde ist es mir egal, ob sich jemand „links“ oder „rechts“ nennt, wenn er nur intelligent und gesprächsbereit ist. Die Zusammenarbeit entstand meist auf der Grundlage persönlicher Bekanntschaft mit Redakteuren, mit denen ich mich gut verstand.

Daher war ich extrem überrascht, von der Redakteurin der Jungle World schon Stunden später folgende Antwort zu erhalten: Lieber Chaim Noll, das Angebot muss ich leider ausschlagen. Grund ist ein Unvereinbarkeitsbeschluss der Redaktion gegenüber der Achse des Guten bzw. ihrer (sic!) Autoren. Tut mir persönlich leid. Mit freundlichen Grüßen und den besten Wünschen XY

Eins der dümmsten Wörter, die ich seit langem gelesen habe

„Unvereinbarkeitsbeschluss“ ist eins der dümmsten Wörter, die ich seit langem gelesen habe. Es ist zutiefst deutsch, unübersetzbar und unerklärbar. Unter Kanzlerin Angela wird auf Gesinnung geachtet, konsequent, wie sie es in ihrer Jugend gelernt hat, als Funktionärin der „sozialistischen Jugendorganisation“, und ihr macht gehorsam mit. Daher der Unterton autoritärer Amtssprache. Wie ihn Victor Klemperer in seiner Lingua Tertii Imperii, einer sprachwissenschaftlichen Studie über die NS-Zeit untersucht hat. Oder wie wir ihn aus der DDR kennen. Anmaßende Substantivierungen, kompakte Zusammenschlüsse zu Wortmonstern, militante Endgültigkeit. „Unvereinbarkeitsbeschluss – eigentlich ist schon die ernsthafte Verwendung dieses Wortes durch eine Literatur-Redakteurin ein Unding. Und wäre Grund genug, meinerseits jede weitere Zusammenarbeit „auszuschlagen“. Weil mein Gegenüber, obwohl für die Literaturseite einer linken deutschen Wochenzeitung zuständig, offensichtlich ins Illiterate abgedriftet ist.

Ich will der Vollständigkeit halber festhalten, dass ich das nicht getan, sondern der Redakteurin eine freundliche Antwort geschickt habe: Ich bot an, bei meinem nächsten Deutschlandbesuch das offenkundige Missverständnis in einem persönlichen Gespräch „gesprächsweise zu klären“. Und die Redakteurin schrieb zurück, sie werde versuchen, einen Termin mit den Herausgebern möglich zu machen. Erst einige Tage später wurde mir bewusst, was hier eigentlich geschehen ist: Eine deutsche Zeitschrift beendet die Zusammenarbeit mit einem jüdischen Autor, der in ihrem Feuilleton das Buch eines anderen jüdischen Autors besprechen möchte, mit der Begründung, dass der Abgelehnte für eine von einem dritten jüdischen Autor gegründete Internetzeitung schreibt. Wenn das nicht de facto Antisemitismus ist, was dann?

Natürlich ist es kein offener, wie deutsche Linke generell ihren Antisemitismus niemals offen eingestehen. Im Gegenteil: Sie leben in dem Glauben, der Antisemitismus sei eine Krankheit der Rechten und sie wären durch ihr Linkssein dagegen gefeit. Ich will mich hier nicht darüber auslassen, welche schändliche Tradition die Judenverachtung gerade in der deutschen Linken, etwa in der Sozialdemokratie aufzuweisen hat. Marx, Bakunin, Kautsky waren Antisemiten, nicht aus rassistischen oder religiösen Gründen, sondern aus soziologischen: Sie hielten Juden für die Inspiratoren des verhassten Kapitalismus. Und im Wesentlichen ist es dabei geblieben, siehe das perverse Verhältnis der deutschen Linken zum Wirtschaftswunder Israel.

Ihr fühlt das Bedürfnis nach Reinigungs- und Strafprozeduren

Wozu also noch ein Gespräch, wo ich doch weiß, dass es keinen Sinn hat, mit Antisemiten zu diskutieren. Besonders mit solchen, die sich selbst nicht dafür halten. Bei einem antisemitischen Akt kommt es auf die Wirkung an, nicht auf die erklärte Absicht. Und wenn die Jungle World neuerdings eine „politische Haltung“ vertritt, die es ihr verbietet, mit einem jüdischen Autor zu arbeiten, weil er für den Internet-Blog eines anderen jüdischen Autors schreibt, dann agiert sie – ob sie es zugibt oder nicht – antisemitisch. Liebe Leute von der Jungle World: Ihr habt nicht verstanden, dass es für Broder oder mich als Juden vollkommen gleichgültig ist, aus welcher „Haltung“ heraus ihr uns diskriminiert – was zählt, ist der Fakt, dass ihr es tut. Und dass ihr, wenn ihr Juden diskriminiert, weil sie euch unliebsame Ansichten vertreten, einen geradezu klassischen Fall von Antisemitismus darstellt. Ihr habt offenbar auch nicht verstanden, dass Toleranz eigentlich erst dort anfängt, wo man die Meinung Andersdenkender toleriert.

Kapitelmans Buch werde ich nun woanders besprechen, denn mir liegt an deutsch-jüdischer Literatur. Und der Jungle World werde ich Adieu sagen. Deutsche Linke: Ihr müsst euch immer wieder von neuem beweisen, dass ihr keine Nazis seid, und ihr tut es, indem ihr andere Deutsche dessen beschuldigt und ausgrenzt. Ihr fühlt das Bedürfnis nach Reinigungs- und Strafprozeduren, um zu zeigen, dass ihr bessere Menschen seid als die anderen. Es ist wieder so weit, dass mir, einem Juden, vorgeschrieben wird, wo ich in Deutschland veröffentlichen darf und wo nicht. Und dass ihr mich bestraft, wenn ich gegen eure Vorschriften verstoße. Ihr haltet euch für aufgeschlossen, modern, tolerant, global akzeptabel, für die erfolgreichen Überwinder der Katastrophenmuster eurer Großväter. Doch in Wahrheit habt ihr nichts verstanden.

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Hans-Peter Dollhopf / 11.02.2021

Silas Loy, Sie schreiben, “Herr Noll, Sie sehen eine weisse Maus. Das ist kein “Antisemitismus”, das ist Ideologie. Schlagen Sie Ihre Buchbesprechung doch einfach mal der dafür doch recht eigentlich prädestinierten Jüdischen Allgemeine vor und Sie werden sehen - keine weisse Maus.” Erstens, wenn zwei das Gleiche tun, ist es noch lange nicht dasselbe! Zweitens, wieso nehmen Sie an die JA (der ZdJ, das JM Berlin ...) sei nicht ... “antisemitisch”? (Jaakov Katz’ JPost ist in meinen Bookmarks inzwischen unter “Giftschrank” eingereiht.) Feststellung: “Eine deutsche[!] Zeitschrift beendet die Zusammenarbeit mit einem jüdischen[!] Autor, der in ihrem Feuilleton das Buch eines anderen jüdischen[!] Autors besprechen möchte, mit der Begründung, dass der Abgelehnte für eine von einem dritten jüdischen[!] Autor gegründete Internetzeitung schreibt.” Die korrekte Beschreibung des Hergangs. Wollen Sie darüber zu feilschen anfangen, Silas Loy, und warum? Herr Noll kennt diesen Saftladen länger und stellt fest, neuerdings[!] ist dort solche politische Haltung eingepflegt worden, schön gemütlich, mit der sich die Jungle World selbst den Umgang mit unvereinbaren Subjekten wie ihm verbietet. Von wem? Weiße Mäuse? Elefant im Raum! Es erinnert an den Hund, der dem Jogger nachrennt: “Der tut nix.” Der Hund springt den Jogger an: “Der will nur spielen.” Der Hund beißt den Jogger: “Das hat er ja noch nie gemacht.” Benjamin Weinthal schrieb in “Freunde von links” (JA vom 12.07.2007) offenbar über eine untergegangene World.

Dr. med. Jesko Matthes / 11.02.2021

@Eckhard Diestel: Noch haben wir ein Staatsangehörigkeitsrecht, das auch gebürtige Deutsche kennt; Sprachkompetenz können auch andere erwerben. Ketten- und Kofferwörter aus der Bürokratenstube sind kein Anzeichen von Sprachkompetenz. Antigermanen sind in der Regel nicht Juden, sondern Germanen, die sich zwanghaft das Germanensein abgewöhnen wollen, in etwa so wie militante Ex-Raucher, die sich aus ihrer Geschichte stehlen, indem sie auf Raucher mit dem Finger zeigen. Antigermanen sind auch Germanen, die meinen, aufs Germanentum zurückgreifen zu müssen, um sich vom Judentum auch ganz sicher abzugrenzen. Wer ausschließlich Menschen sieht, übersieht Unmenschen. Das ist deutschen und jüdischen Großvätern widerfahren - oder deutsche Großväter, Unmenschen, haben es sogar absichtlich verursacht. Ihrer und meiner vielleicht nicht; ist allein deshalb der deutsche Antisemitismus vom Himmel gefallen? Um die Denkkultur der Tora zu beurteilen, sollte man Juden kennen, die die Denkkultur der Tora kennen. So wird man übrigens ganz nebenbei tatsächlich ein brauchbarer Mitmensch.

Markus Mertens / 11.02.2021

Antisemitismus/Antijudaismus ist hier zu kurz gedacht. Für die Linke ist achgut.com ein ganz schlimmes rechtes Medium. Genau deshalb ereilt die Autoren von achgut der Bann. Was an achgut rechts wäre, bliebe zu diskutieren, aber allein die Tatsache, dass achgut für Meinungsfreiheit eintritt, reicht völlig in einer Zeit, in welcher “Haltung” gefordert ist, also das genaue Gegenteil von Meinungsfreiheit.  Ob die Editoren von “Jungle World” überhaupt Kenntnis der konkreten Religionszugehörigkeit der Protagonisten hatten, ist doch sehr fraglich.

M.-A. Schneider / 11.02.2021

Sie haben nichts verstanden und nichts gelernt, die deutschen Linken, und werden es auch nie. Wenn sogar Bundestagsabegordnete Achgut lesen, wie wir heute erfahren haben, sind Sie hier viel besser aufgehoben. Sie brauchen die Linken und “Jungle world” nicht!

Günter Lindner / 11.02.2021

Man wird das Gefühl nicht los, das linksradikale und Antifa radikaler wie Nazis sind. Wenn man an Gewaltdelikte gegen Menschen denkt.

August Klose / 11.02.2021

Ehrlich gesagt, Herr Noll, muß ich mich doch sehr wundern, daß Sie für die Jungle World schreiben wollen. Und Antisemitismus kann ich da nicht erkennen, es ist schlicht und ergreifend linksideologischer Haß auf ANdersdenkende.

Peter Petronius / 11.02.2021

Hat schon was! Gegen Deniz Yücel sprach Erdogan eine Art “Unvereinbarkeitsbeschluss”-Fatwa mit der Türkei aus, wobei Yücel Mitherausgeber der Jungle World ist. Hand hoch, wer sich einst mit Yücel solidarisch erklärte.

Alexander Mazurek / 11.02.2021

@Helmut Bühler: Sie haben’s gut zusammengefasst! Für mich sind “Die Grünen” Enkel wahre Erben ihrer braunen Opas, naturlieb und menschenfeindlich wie jene, echte Revolutionäre des Nihilismus, so Hermann Rauschning 1938. Selbst farbschwach glaube ich gerne: grün+rot=braun.

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