Meine letzten Jahre in der DDR, bis zur Ausreise 1983, waren geprägt von einer weitestgehenden Verachtung meiner Mitmenschen für ihren Opportunismus und ihr Mitläufertum. Ein paar Freunde, die sich dem widersetzten, waren der einzige Lichtblick. Dafür bin ich viel gescholten worden, teils zu recht; ich war ein junger Kerl damals, und die Differenzierung ist keine Stärke dieses Alters. Dennoch halte ich an diesem Bild fest bis heute, habe nur etwas mehr Verständnis für die Opportunisten, für die damals wie für die heute. So klar es mir in diesen Jahren war, so offensichtlich sind diese Mechanismen der Anpassung auch heute noch wirksam.
Opportunismus und Mitläufertum, beides überwiegend genährt von dem Bedürfnis des „sich einrichten“ in der Welt, die man vorfindet, sind in einer Diktatur besonders deutlich, dort sind sie offensichtlicher, allerdings werden Opportunisten da auch schnell mal als Mitläufer beschrieben oder verkannt. Nur beim genauen Hinsehen ist zu erkennen, was beide voneinander unterscheidet. Der Opportunist sucht zu allererst seinen Vorteil, versucht seine Interessen im System umzusetzen, während der Mitläufer lediglich hofft, nicht anzuecken und den Weg des geringsten Widerstandes geht. Manchmal wird es mit der sogenannten Schweigespirale beschrieben, wie sich Menschen danach richten, was sie als Mainstream empfinden. Doch ob Mainstream oder Diktatur, gerade für eher unpolitische Personen macht das keinen großen Unterschied.
Bevor ich gleich wieder gescholten werde wegen dieser scheinbaren Gleichsetzung von Diktatur und Mainstream, so will ich doch den Blick auf die Wirkungen lenken. Beides, Diktatur wie Mainstream, bewirken Anpassung im täglichen Leben, vor allem gerade dann, wenn die Politik keine besondere Rolle im Bewusstsein spielt. Stellen wir es uns einfach so vor, wie die Mode auf Menschen wirkt. Freilich werden sich Herr und Frau Normalo nicht an dem orientieren, was auf den Laufstegen so gezeigt wird, dies wird bestenfalls ein Schmunzeln oder Kopfschütteln hervorrufen; dennoch verändern die meisten ihr Erscheinungsbild. Der Haarschnitt wird anders, bestimmte Hemdkragen, breiter oder schmaler Schlips, vielleicht gar keinen mehr, seien nur als Beispiele genannt.
Sehnsucht nach Gemütlichkeit
Der Opportunist nutzt dann die Mode, vielleicht verkauft er die entsprechende Kleidung, während der Mitläufer sich nur anpasst, um nicht aufzufallen, wahrscheinlich gefällt es ihm sogar ein Stück weit, es gibt ihm die für ihn nötige Sicherheit im täglichen Leben und befriedigt seine Sehnsucht nach Gemütlichkeit, die hierzulande deutlich stärker ausgeprägt ist als die nach Individualismus oder Freiheit.
Aber eigentlich geht es mir hier gar nicht so sehr darum, den Unterschied zwischen Opportunisten und Mitläufern herauszustellen, es genügt zu wissen, dass die ersteren aktiver sind bei der Suche nach eigenen Vorteilen im System, während es den anderen, den Mitläufern, mehr um die Vermeidung von Ärger oder Stress geht. Fast könnte man denken, im Grunde geht es um die uralte philosophische Frage nach Glück und Leid, allerdings unter Abwesenheit jeglicher Moral oder Verantwortung, was sowohl bei Mitläufern als auch bei Opportunisten auffällig ist.
Nun könnten wir beginnen zu analysieren, wer denn nun in diesen Zeiten die Moral auf seiner Seite hat, es wird dabei nichts herauskommen, weil moralische Argumente eben meist der Rechtfertigung dienen, zumindest beim Mainstream der Opportunisten oder der Mitläufer. Denen geht es um Vorteilsuche oder Gemütlichkeit in dem System, welches sie vorfinden. Das ist ihr eigentliches Begehren, sie richten sich ein. Ob das System eine Diktatur ist oder ein zeitgeistiger Mainstream, spielt für sie keine Rolle.
Auch auf Quentin Quenchers Blog „Glitzerwasser“ erschienen.