Quentin Quencher / 06.04.2021 / 11:39 / 9 / Seite ausdrucken

Die Gemütlichkeit des Mainstream

Meine letzten Jahre in der DDR, bis zur Ausreise 1983, waren geprägt von einer weitestgehenden Verachtung meiner Mitmenschen für ihren Opportunismus und ihr Mitläufertum. Ein paar Freunde, die sich dem widersetzten, waren der einzige Lichtblick. Dafür bin ich viel gescholten worden, teils zu recht; ich war ein junger Kerl damals, und die Differenzierung ist keine Stärke dieses Alters. Dennoch halte ich an diesem Bild fest bis heute, habe nur etwas mehr Verständnis für die Opportunisten, für die damals wie für die heute. So klar es mir in diesen Jahren war, so offensichtlich sind diese Mechanismen der Anpassung auch heute noch wirksam.

Opportunismus und Mitläufertum, beides überwiegend genährt von dem Bedürfnis des „sich einrichten“ in der Welt, die man vorfindet, sind in einer Diktatur besonders deutlich, dort sind sie offensichtlicher, allerdings werden Opportunisten da auch schnell mal als Mitläufer beschrieben oder verkannt. Nur beim genauen Hinsehen ist zu erkennen, was beide voneinander unterscheidet. Der Opportunist sucht zu allererst seinen Vorteil, versucht seine Interessen im System umzusetzen, während der Mitläufer lediglich hofft, nicht anzuecken und den Weg des geringsten Widerstandes geht. Manchmal wird es mit der sogenannten Schweigespirale beschrieben, wie sich Menschen danach richten, was sie als Mainstream empfinden. Doch ob Mainstream oder Diktatur, gerade für eher unpolitische Personen macht das keinen großen Unterschied.

Bevor ich gleich wieder gescholten werde wegen dieser scheinbaren Gleichsetzung von Diktatur und Mainstream, so will ich doch den Blick auf die Wirkungen lenken. Beides, Diktatur wie Mainstream, bewirken Anpassung im täglichen Leben, vor allem gerade dann, wenn die Politik keine besondere Rolle im Bewusstsein spielt. Stellen wir es uns einfach so vor, wie die Mode auf Menschen wirkt. Freilich werden sich Herr und Frau Normalo nicht an dem orientieren, was auf den Laufstegen so gezeigt wird, dies wird bestenfalls ein Schmunzeln oder Kopfschütteln hervorrufen; dennoch verändern die meisten ihr Erscheinungsbild. Der Haarschnitt wird anders, bestimmte Hemdkragen, breiter oder schmaler Schlips, vielleicht gar keinen mehr, seien nur als Beispiele genannt.

Sehnsucht nach Gemütlichkeit

Der Opportunist nutzt dann die Mode, vielleicht verkauft er die entsprechende Kleidung, während der Mitläufer sich nur anpasst, um nicht aufzufallen, wahrscheinlich gefällt es ihm sogar ein Stück weit, es gibt ihm die für ihn nötige Sicherheit im täglichen Leben und befriedigt seine Sehnsucht nach Gemütlichkeit, die hierzulande deutlich stärker ausgeprägt ist als die nach Individualismus oder Freiheit.

Aber eigentlich geht es mir hier gar nicht so sehr darum, den Unterschied zwischen Opportunisten und Mitläufern herauszustellen, es genügt zu wissen, dass die ersteren aktiver sind bei der Suche nach eigenen Vorteilen im System, während es den anderen, den Mitläufern, mehr um die Vermeidung von Ärger oder Stress geht. Fast könnte man denken, im Grunde geht es um die uralte philosophische Frage nach Glück und Leid, allerdings unter Abwesenheit jeglicher Moral oder Verantwortung, was sowohl bei Mitläufern als auch bei Opportunisten auffällig ist.

Nun könnten wir beginnen zu analysieren, wer denn nun in diesen Zeiten die Moral auf seiner Seite hat, es wird dabei nichts herauskommen, weil moralische Argumente eben meist der Rechtfertigung dienen, zumindest beim Mainstream der Opportunisten oder der Mitläufer. Denen geht es um Vorteilsuche oder Gemütlichkeit in dem System, welches sie vorfinden. Das ist ihr eigentliches Begehren, sie richten sich ein. Ob das System eine Diktatur ist oder ein zeitgeistiger Mainstream, spielt für sie keine Rolle.

Auch auf Quentin Quenchers Blog „Glitzerwasser“ erschienen.

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Leserpost

netiquette:

Lutz Gütter / 06.04.2021

Gute Beschreibung, so differenziert habe ich das bisher noch gar nicht gesehen.

Jörg Nestler / 06.04.2021

@ Wolf Hagen: Nach meiner Einschätzung ist die DDR nicht in einem Moment der Unachtsamkeit untergegangen, sondern in einer Position Schwäche. Andere Länder des Ostblocks wollten nicht mehr Überschreitungen ihrer Grenze durch DDR-Bürgern verhindern. Die Sowjetunion wollte nicht mehr ihre Rohstoffe an die Staaten des Comecon liefern, sondern lieber wertvolle Devisen durch den Verkauf einnehmen. Die DDR war allein zu schwach, um ihr System fortführen zu können. In dieser Situation war der Aufstand der Bürger erfolgreich. Wenn man das auf das heutige Deutschland überträgt, warten auf uns noch viele leidvolle Jahre, bevor sich etwas grundlegend ändert.

Horst Jungsbluth / 06.04.2021

In einer Diktatur kann man nicht gegen “den Strom schwimmen”, man macht überzeugt, als Opportunist oder als Mitläufer mit, weil es einfach ist oder man zieht sich, wie die meisten, ins Privatleben zurück, weil man sich selber und die Familie nicht gefährden will. Natürlich gibt es mutige Leute, die sich nicht alles gefallen lassen, aber die haben einen schweren Stand, weil sie selbst von jenen, die genauso denken, keine Hilfe oder Solidarität erwarten können. Warum allerdings bei uns in der seit über 70 Jahren existierenden lange Zeit ganz gut funktionierenden Demokratie Verhaltensweisen wie in einer Diktatur mehr und mehr sich durchsetzen, ist nicht nur völlig unverständlich, sondern im höchsten Grade gefährlich. Rotzgören, Langzeitstudenten und “Tunichtgute” beschimpfen unsere Politiker   und genießen dabei die Unterstützung der Medien und gestandene Personen, die was zu sagen hätten, schweigen oder plappern den größten Schwachsinn nach, während gegen andere, die die Dinge beim Namen nennen, ein übler medialer “shitstorm” erzeugt wird. Als in Berlin vor ca. 25 Jahren!!! einmal die CDU-Abgeordnete Buchholz gefragt wurde, warum man gegen die bereits damals katastrophalen Zustände in der Stadt nicht vorgehe, da antwortete sie zur Überraschung aller, “dass sie (also Senat und Volksvertreter) gar nicht tun können, weil die Medien bestimmten was geht und was nicht geht”. Fassungslos warf ich ihr vor, dass sie soeben den Bankrott des demokratischen Rechtsstaats verkündet habe. Sie schwieg, da sie wusste, dass sie in ihrer Ehrlichkeit einen großen Fehler begangen hatte.

Jörg Themlitz / 06.04.2021

Schon immer galt: Der Kleinbauer kommt immer durch. Egal von welcher Seite der Wind weht! (Dabei ist mit Kleinbauer nicht nur der Kleinbauer gemeint.) Vor 1989 galt der Spruch für die DDR: ´Auf Deinen Chef kannst Du schimpfen wie Du willst. Aber nicht auf die Regierung.` In der Bundesrepublik galt: ´Auf die Regierung kannst Du schimpfen wie Du willst. Aber nicht auf Deinen Chef.`; Da findet seit einigen Jahren eine Änderung in Richtung DDR statt. Neben den anderen diversen Änderungen in diese Richtung.

Markus Baumann / 06.04.2021

Ich denke, Herr Quencher, wie Sie eine Schicht tiefer graben, kommen Sie zum Kern der Sache: jeder Mensch orientiert sich. Immer und zu jeder Zeit. In jedem Lebensaugenblick orientieren sich die Menschen. Heute zum Beispiel, mit dem Einbruch von Kälte und Schnee, orientiere ich mich beim Anziehen von Kleidern an den Wetterbedingungen. Ich möchte nicht frieren, also trage ich wärmende Kleidung. Dieses „Ich möchte nicht“ oder „Ich möchte“ führt zu einem unaufhörlichen Strom von Entscheidungen, die sich in Handlungen zeigen. Das gilt auch für den Opportunisten oder den Mitläufer. Beide orientieren sich in der vorgefundenen Welt, dem vorgefundenen „System“ anhand vorgegebener Mustern, die ihnen durch lebende Beispiele gezeigt werden. Das fängt in der Familie an, setzt sich fort in der staatlichen oder „freien“ Schule, der Berufsausbildung und den unterschiedlichen Peer-Gruppen. Sie können davon ausgehen, dass „Selbsterhaltung“, „Dazu gehören“ und „Anerkennung bekommen“ zu den grossen Haupt-Orientierungs-Feldern der Menschen gehören. Zu beobachten aktuell beim Corona-Manipulations-Drama: Zuerst Angst und Panik einjagen (Selbsterhaltung), dann Massnahmen anbieten/verordnen, z.B. Masken tragen (Dazu gehören) und die Impflösung präsentieren: „Wer impft zeigt sich solidarisch und verantwortlich, schützt sich und andere“ (Anerkennung bekommen) - damit geben Sie den wenig reflektierten, eher ängstlichen Menschen Orientierung in einer als unübersichtlich dargestellten Welt. Ich denke, die Orientierung an der Schablone des vorgegebenen Mainstreams, ob Diktatur, Demokratie, Monarchie, Oligarchie oder Pandemie etc., ist dem Herdentier Mensch angeborenes Grundverhalten. In der Regel hilft es bei der „Selbsterhaltung“, was biologisch gewollt ist. Sich dem Mainstream entgegen zu stellen, hat Konsequenzen: Cancel Culture, Ausgrenzung, Abwertung, sozialer Tod. „Möchte ich das“ oder „möchte ich das nicht“?

Petra Wilhelmi / 06.04.2021

Wer im System einer Diktatur lebt, will einfach nur überleben, eine Familie haben, die Familie so gut wie möglich durch die Wirren des Lebens zu bringen. Angepasst wird sich oft nur äußerlich. In der DDR gab es genügend kleine Zirkel und Nischen, wo man diskutieren und leben konnte. Dabei sollte man auch daran denken, dass die Diktatur in der DDR “nur” auf das System als solches beschränkt war. Die heute in Gang gesetzte Diktatur geht sehr viel weiter. Die heutige Diktatur schreibt einen vor, was man zu essen, zu trinken und wie man sein Leben zu gestalten habe. Und das Schlimmste daran ist, dass die Menschen anders mitmachen, als dazumal in der DDR. Dazumal haben die meisten nicht geglaubt, was in der Zeitung stand, haben den Gewerkschafter bei der bindenden Gewerkschaftsversammlung kein Wort geglaubt und haben auf Durchzug gestellt. Als die DDR-Mark als stärker als die Westmarkt hingestellt wurde, haben alle nur in ihren Kreisen darüber gelacht. Die konnten dort oben erzählen, was sie wollten, die meisten haben es nicht geglaubt und ihr eigenes Leben in einer Nische fortgelebt. Es war ja nicht klar, dass der Sozialismus so schnell fallen konnte. Man musste sich bis zu einem gewissen Grad arrangieren. Heute lassen sich dafür viele Menschen von den Medien belatschern, lassen sich sagen, was sie zu essen und zu trinken haben, richten sich sogar danach. Plötzlich werden richtige Fleischesser zu Veganern, weil es Mode ist usw. usf. Viele glauben heutzutage jeden Mist, der ihnen von irgendwelchen “Wissenschaftlern” und “Experten” erzählt wird. So gebärdet sich heute die Diktatur, die sich Demokratie nennt (was auch viele glauben) und sie tun immer noch so, wie der DDR-Spruch: Alles zum Wohle des Volkes - mach mit! Damals machte man sich darüber lustig und heute macht man mit und glaubt inbrünstig daran.

Ernst-Friedrich Siebert / 06.04.2021

Es gibt noch die Dritten: Die Erpressbaren. Die hatten eine Familie, Kinder, denen sie verpflichtet waren. Ich vermute, das hatten Sie (noch) nicht, als Sie ausreisten. Ich schon, als ich es wollte und habe es deshalb gelassen.

Wolf Hagen / 06.04.2021

Und was, Herr Quencher, ist die Alternative? Diese Frage beantworten Sie nicht. Etwa Rebellion aus der Position der Schwäche? Aufstand bis zum vorhersehbaren Untergang? Beides wäre und ist genauso dämlich, wie Opportunismus und Mitläufertum. Fragen Sie all die Hippster, die seit geraumer Zeit mit Taliban-Bart das Straßenbild zieren. Nein, Opportunismus, Mitläufertum und sinnlose Rebellion sind etwas für Schwächlinge. Die Krieger, die wahren und erfahrenen Kämpfer warten. Sie warten auf den richtigen Moment, den Moment der Unachtsamkeit des Gegners, den Moment wo ein Loch in der Deckung aufblitzt, um mit einem einzigen harten Schlag den Kampf zu entscheiden, oder wenn es sein muss nochmals nachzusetzten, um zu beenden was man angefangen hat. Die Stunde des Siegers sozusagen. Und ich verrate Ihnen etwas, dieser Moment kommt oft in dem Moment, wo es gelingt den Gegner glauben zu lassen, er sei nur eine Winzigkeit von seinem finalen und endgültigen Triumph entfernt. Und nun übertragen Sie das auf Deutschland und beten Sie, dass es noch genügend erfahrene Krieger gibt. Was die Moral betrifft, die können Sie sich leisten, wenn Sie gewonnen haben und keinen Augenblick früher.

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