Chaim Noll / 03.12.2018 / 12:00 / Foto: ND 22.11.1976 / 33 / Seite ausdrucken

„Die geistige Wiedererrichtung der DDR“

November. In der Luft der Geschmack nach kaltem Metall. Aus der Ferne, zunächst auf deutsche Medienberichte angewiesen, nehme ich die Causa Hubertus Knabe wahr, und schlage mich mit der Frage herum, ob und wie weit sie mich etwas angeht. Meine Teilnahme ist zunächst persönlich, weil ich Hubertus Knabe kenne. Seit 1991. Er war damals Lektor bei Rowohlt in Berlin und versuchte, nachdem er mich in einer Veranstaltung erlebt hatte, mich zu einem Buch zu überreden. Ich wollte dieses Buch nicht schreiben, weil ich ahnte, dass es mir jede Menge Ärger bringen würde.

Doch Hubertus wusste sich durchzusetzen, das heißt, mich zum Schreiben des Buches zu bewegen. Das war ganz ungewöhnlich in der damals schon trägen deutschen Buchbranche: dass ihm so an diesem Buch lag. Dass ihm überhaupt an etwas lag. Er rief mich ein Dutzend Mal an, besuchte mich in meinem Büro in der Freien Universität, legte ein Blatt Papier vor mich hin und einen Stift und verlangte, ich sollte ein Exposé schreiben, auf der Stelle, ein paar Sätze, wie ich mir das Buch vorstellte. Eher würde er nicht gehen. Und ich schrieb einen Satz und noch einen, und wie es zu gehen pflegt: Beim Schreiben gerieten meine Gedanken in Bewegung und ich schrieb das Blatt voll. Und schrieb dann auch das Buch. Es brachte mir eine Menge Ärger ein, wie ich geahnt hatte, doch es wurde auch ein erstaunlicher Erfolg.

Das habe ich nicht vergessen: Hubertus' Engagement, seine Energie. Seine Fähigkeit, etwas in Bewegung zu bringen. Das Buch hieß Nachtgedanken über Deutschland, es war ziemlich pessimistisch, manches – zum Glück nicht alles – von dem, was ich voraussagte, ist eingetroffen. Ich erinnere mich, dass ich fürchtete, die Strukturen der geistigen Unterdrückung, der Überwachung, der Einschränkung der freien Meinung, die mich und viele andere aus dem Osten vertrieben hatten, würden überleben und sich im vereinigten Deutschland einnisten. Die Aufarbeitung der SED-Diktatur erfolgte schon damals, als das Buch erschien, im Frühjahr 1992, auffallend halbherzig. Möglichst vermieden wurde das traurige Thema westlicher Mitschuld, der Duldung und Billigung der ostdeutschen Verbrechen durch die westdeutsche Linke.

„Ein Dorado für Mitläufer und Mittäter“ 

„Wer nachträglich danach fragte“, schrieb ich damals, „fand sich schnell in den Gefilden der Abgeschalteten wieder, auf dem Parnass der ewigen Außenseiter, in der Rolle eines Verdächtigen. Dafür stiegen dubiose Leute auf, je dubioser, umso höher.“ An wen dachte ich? An die FDJ-FunktionärInnen, die zwanzig Jahre später Deutschlands Politik bestimmen sollten? „Das vereinte Deutschland ist im Begriff“, schrieb ich weiter, „erneut ein Dorado für Mitläufer und Mittäter zu werden, für die ewig angepasste Schicht, die für eine Kontinuität des Versagens steht.“ Damals habe ich viel darüber nachgedacht und publiziert, zum Beispiel in dem von Cora Stephan herausgegebenen Sammelband Wir Kollaborateure, der gleichfalls bei Rowohlt erschien. Hat auch hier Hubertus mitgewirkt? Cora Stephan schrieb darin ahnungsvoll, gleich im Eingangstext, über „die geistige Wiedererrichtung der DDR.“

Heute, ein Vierteljahrhundert später, lässt sich feststellen: Sie ist erfolgt. Und der Fall Hubertus Knabe steht dafür. Deutschland erinnert wieder an die DDR. Die Einschüchterung, die Abschaltung, die Zensur bedienen sich anderer Mittel, in der Regel sanfter, subtiler, heimlicher und heimtückischer als damals, doch mit dem gleichen Ziel: jeden verdächtig und mundtot zu machen, der von der Parteilinie abweicht oder, wie man heute sagt, von der politischen Korrektheit. „Die Gedenkstätte Hohenschönhausen hat sich unter der Leitung von Herrn Dr. Knabe zur wichtigsten Erinnerungsstätte an die Verbrechen der SED entwickelt“, schrieb kürzlich der ehemalige Bürgerrechtler Arnold Vaatz. „Keine andere derartige Gedenkstätte kann auf einen ähnlichen Zuspruch verweisen.“ Und eben darum ist Hubertus untragbar geworden. Das ist die Logik im System des Scheiterns.

Denn eins scheint heute vergessen zu sein: Die DDR war nicht nur ein Symbol für Unterdrückung, Anpassung, Angst, Denunziation und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, sie war auch ein grandioses Scheitern, ein Flop, ein historisches Debakel. Es ist – und war immer in der Geschichte – das Zeichen der Dummen, dass sie abweichende Gedanken nicht als Anregung verstehen, sondern als Gefahr. Solchen Versuchen war nie Erfolg beschieden, jedenfalls nicht lange. Ob es die stalinistischen Säuberungen waren oder das Sperren von Scherzen auf Facebook, ob Anklagen wegen „staatsfeindlicher Hetze“ oder das „Netzwerkdurchsetzungsgesetz“.

Auch dem Versuch, Hubertus Knabe auszuschalten, wird kein Erfolg beschieden sein. Hubertus hat mich damals zum Schreiben eines Buches bewegt, zur Aufgabe meines Schweigens. Er wird weiter Dinge in Bewegung bringen. Und auch selbst nicht schweigen.

Foto: ND 22.11.1976

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Leserpost

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Dirk Jungnickel / 03.12.2018

Danke, verehrter Herr Noll, dass Sie sich klar und präzise mit der Causa Knabe auseinandersetzen und eine Lanze für ihn brechen. Hier zeigt sich, was sich unter dem linken Mehltau in dieser Republik angesammelt hat. Seinerzeit als wir den SED -  Staat verlassen hatten, wäre uns nicht im Traum eingefallen, dass wir wenige Jahrzehnte später ein Déjà-vu erleben, das von einem dunkelrot - rot - grünem Merkelismus   ausgeht.  Aber die Rufer in der Wüste werden gottlob lauter und zahlreicher. Die Pressemitteilung von Arnold Vaatz ist dank Internet unverzüglich bekannt geworden. Vaatz, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der CDU im Bundestag, analysiert die Causa Dr. Knabe in Kenntnis aller Umstände akribisch, nachvollziehbar und absolut sachlich. Schon für Unvoreingenommene wird klar, dass das Schmierentheater um die Entlassung Dr. Knabes allein von K. Lederer und seinen Getreuen im Stiftungsrat eröffnet wurde. Nicht zum ersten Mal werden die Ausläufer der metoo - Bewegung genutzt um politische Gegner aus dem Verkehr zu ziehen.  Die skandalöse Abberufung Dr. Knabes hat, von den menschlichen Folgen für den Betroffenen abgesehen, politische Dimensionen, die noch gar nicht absehbar sind. Denunziationen werden Tür und Tor geöffnet. In der Causa Knabe hat allein ein unabhängiges Gericht in einer Beweisaufnahme über Schuld oder Unschuld zu entscheiden. Wie K. Lederer und UOKG - Dombrowski mit Gerichtsentscheidungen umgehen, hat die Eskalation am Montag bewiesen. Man hatte über Nacht nach einer Sitzung des Stiftungsrates (ohne Dr. Knabe!) ein Notgericht angerufen, dass die Entscheidung des anderen Gerichts, das die Rückkehr Dr. Knabes ermöglichte, wieder kippte. Und wenn eine Sprecherin der Kulturverwaltung behauptet, Dr. Knabe sei nicht Mitglied des Stiftungsrates, dann ist es die Unwahrheit, denn bis zum vergangen Sonntag war er das zweifellos. Dort wurde der “Freigestellte” - wieder aus fadenscheinigen Gründen - erst am Sonntag hinauskatapultiert. 

Dr. Michael Weichenhan / 03.12.2018

Sehr geehrter Herr Noll, dem Dank für Ihren erhellenden Artikel, dessen Auffassungen ich teile, möchte ich nur eine (freilich etwas zugespitzte) Bemerkung hinzufügen. Selbstverständlich erinnert einen heute vieles an die DDR, aber all diese Ähnlichkeiten, die bis in die ‘lingua alicuius imperii’ reichen, sind in meinen Augen in gewisser Weise beängstigender als das einstige Repressionssystem. Denn was heute nahezu komplett fehlt, ist der weite und facettenreiche Raum des Subversiven, der sich damals beim Lesen von Gedichten von Archilochos bis Biermann, bei den Lektüren von Achmatowa und Bulgakow, in den Welten des Theaters und auf Kunstausstellungen entfaltet hat. Es gab die offizielle Lehre, aber es gab daneben hunderte und aberhunderte Orte, an die wir mit verschiedenen Lese- und Debattierfreunden entfliehen konnten und wo wir die „herrschende Meinung“ nur verachtet haben. Den weitgehenden Verlust dieser höchstens nebenbei politisch-oppositionellen Kultur empfinde ich als das Bedrohlichste an unserer Zeit, denn er signalisiert, dass wir uns weitgehend ‘unterworfen’ haben; das korrekte Denken und Sprechen schreibt uns sogar die Formen vor, in denen wir protestieren. Dass das auf unabsehbar lange Zeit so bleibt, dafür sorgt der profillose Konformismus der Studierenden, den sich vermutlich selbst Kim Jong-un in seinen kühnsten Phantasien nicht vorstellt.

Jürgen Schnerr / 03.12.2018

Wie die Überschrift, wie dazu geschrieben, so von mir geteilt. Es gibt nur einen Unterschied zur DDR, das sind die Menschen. Damals 1989, da schossen neue Bewegungen und Parteien innerhalb kürzester Zeit wie Pilze aus dem Boden und rangelten darum, sich an die Spitze der Entwicklungen setzen zu können. Vieles ist dann, wie bei Pilzen, schon nach kurzer Zeit vergangen, anderes nachdem sich der politische Westen massiv eingemischt und seine Bewegungen und Parteien besonders gefördert hat. Doch wo sind heute neue Bewegungen, neue Parteien? Bis auf die AfD, von allen Seiten verteufelt, totale Fehlanzeige. Auch wenn es viele Parteien gibt, so sind sie doch wie damals von CDU/CSU bis zur Linken nur ein Block, alles Parteien der “Nationalen Front” wie in der DDR. Und das stimmt mich wenig optimistisch für den weiteren Gang der Dinge in Deutschland; auch wenn es im Osten nicht so schlimm ist, aber das wird wahrscheinlich nicht für ganz Deutschland reichen. Merkel-, Murkel-, kaputtes Land! Nicht mal die Regierungsflugbereitschaft funktioniert mehr, die halbe Welt lacht sich kaputt. Früher war da die zuständige Ministerin weg. Und heute? Wir beschreiben den Untergang minutiös, zu mehr reicht’s einfach nicht mehr!

Thomas Taterka / 03.12.2018

Es sollte endlich mal klargestellt werden, daß der Begriff “Hetze” ein Terminus ist, der von Goebbels ” erlernt “wurde. Der sprach u.a. von “jüdischer Hetze”. Ludwig Marcuse nannte die DDR übrigens immer das Vierte Reich.-Hat früher für “Die Zeit ” geschrieben.

Norbert Rahm / 03.12.2018

Das Mitläufertum war und ist die größte Sünde Deutschlands. Nur das machte Nationalsozialismus, DDR und jetzt alternativlose Merkelokratie möglich. Wie selbst das kleinste Rädchen brav mitmeldet und andere Meinungen teils gar hysterisch bekämpft, zeugt auch nicht gerade von einem tatsächlichen Demokratieverständnis oder einer aufgeklärten Geisteshaltung.

Helmut Driesel / 03.12.2018

Die engagierten Ideologen wurden vom Westen wohlwollend in die eigene Legierung eingeschmolzen, die Karrieristen hat man mit Pöstchen und Bildungsangeboten eingewickelt, die Künstler in den Medien sich austoben lassen, die alten Funktionäre und Unverbesserlichen wurden mit Sonderrenten rund und still gefüttert. Die so erzeugte Harmonie ist phänomenal. Niemand sollte sich noch über die “Verbrechen der SED” aufregen, Deutschland steht wie ein Mann hinter seiner Geschichte. Aber weniger hinter seiner Gegenwart. Sieht es etwa nach historischem Debakel aus? Gelacht wird im Kino nicht zum Schluss. Nicht einmal in der ersten Reihe. Wie im richtigen Leben kommt es auch nicht auf die Wenigen an, die zum Amüsement der übrigen verarscht werden. Sondern auf die Essenz. Solange die Essenz akzeptabel bleibt, ist es egal, ob kleine Bonzen aufgestiegen oder ehemalige Querulanten ab. Abfall ist überall. Downgrade ist überall. Und ob die Bundesrepublik nun das ultimativ bessere Deutschland ist, daran wird noch gearbeitet. Das kann man nicht daran festmachen, dass jeder Winzling heute die die große Gusche haben kann.

Robert Bauer / 03.12.2018

Der Zombie lebt! Und die Voodoo-Priester, die sein Überleben gesichert haben, verfrühstücken heute ihre fetten Pensionen oder zelebrieren fortgesetzt ihren Satanskult. Damit sind nicht die STASI-Banditen gemeint, sondern jene Wessis, die schon in den 60ern und 70ern insgeheim vom sozialistischen Paradies BRD träumten und in den Parteien, Massenmedien und Universitäten das Ihrige dazu beitrugen, den Gysis, Kahanes und deren Sympathisanten in den Parlamenten, Rundfunksendern und Gerichtssälen den Weg zum Killen des deutschen Rechtsstaats zu ebnen.  Um mit Wolfgang Staudte zu sprechen: die Mörder sind unter uns!

Andreas Rochow / 03.12.2018

Danke, verehrter Chaim Noll. Die Gedanken, mit denen Sie Dr. Hubertus Knabe würdigen, haben mich tief bewegt. Der Aspekt der klammheimlichen aber auch naiv-offenen Duldung von SED-Unrecht durch westdeutsche Linksgrüne und die SPD (s. Grundwertekommission) darf nicht aus den Augen verloren gehen. Obwohl diesbezüglich selbst ziemlich pessimistisch, haben mir Ihre letzten beiden Sätze Mut gemacht: “Er wird weiter Dinge in Bewegung bringen. Und auch selbst nicht schweigen.”

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