Der erste EU-Bericht über den Stand der digitalen Dekade liegt vor. Unter anderem will die EU die Zahl ihrer Einhörner verdoppeln. Gemeint sind Start-Up-Unternehmen mit einer Marktbewertung von mehr als einer Milliarde Euro. Ob das klappt, wird man sehen. Sicher dürfte aber sein, das die "digitale Dekade" als Wrkzeug für weitere Einschränkungen der Freiheit genutzt wird.
Der erste EU-Bericht über den Stand der digitalen Dekade enthält konkrete Empfehlungen für Deutschland, um den digitalen Wandel der EU zu beschleunigen. Davon betroffen sind beispielsweise die öffentlichen Dienste, aber auch Einhörner. Sie haben richtig gelesen: Die EU will nämlich die Zahl ihrer Einhörner verdoppeln. Allerdings sind damit nicht die gehörnten Fabelwesen gemeint, sondern Start-Up-Unternehmen mit einer Marktbewertung von mehr als einer Milliarde Euro. In Anbetracht der exzessiven Regulierungswut der EU-Kommission würde es einen aber auch kaum wundern, wenn sie selbst vor Fantasietieren nicht Halt machen würde.
Am 27. September veröffentlichte die EU-Kommission nun eine Pressemitteilung zu ihrem ersten Jahresbericht über den Stand der digitalen Dekade. Dessen Kernaussage lautet, dass der „vollständige digitale Wandel“ der Europäischen Union bis 2030 vollzogen sein muss. Doch der Weg zur „Verwirklichung der Ziele der digitalen Dekade“ sei noch lang, gibt Věra Jourová, Vizepräsidentin der EU-Kommission und zuständig für Werte und Transparenz, zu bedenken. Der Bericht solle als „nützliche Orientierungshilfe für die zu ergreifenden Maßnahmen“ dienen. Und EU-Kommissar Thierry Breton, zuständig für den Binnenmarkt, appelliert an die Mitgliedsstaaten: „Die Botschaft unseres ersten Berichts über die digitale Dekade ist eindeutig: Wir müssen unsere Anstrengungen beschleunigen, wenn wir unsere Ziele bis 2030 erreichen wollen. Wir müssen nun an einem Strang ziehen, damit Europa beim digitalen Wandel an die Spitze rückt. Darum geht es bei den Empfehlungen, die wir heute an die Mitgliedstaaten richten.“
Zum Hintergrund: Am 9. Januar dieses Jahres ist das Politikprogramm für die digitale Dekade in Kraft getreten, das „ein System der kooperativen Governance zwischen der EU und den nationalen Behörden“ umfasst. Als wesentliche Ziele des Programms werden genannt: eine digital qualifizierte Bevölkerung; hochqualifizierte digitale Fachkräfte; sichere und nachhaltige digitale Infrastrukturen; die digitale Transformation von Unternehmen sowie die Digitalisierung öffentlicher Dienstleistungen. Außerdem sind im Rahmen dieses Programms Konsortien für europäische Digitalinfrastrukturen (European Digital Infrastructure Consortium, kurz: EDIC) initiiert worden, durch die „Mehrländerprojekte“ beschleunigt werden sollen.
Diese sollen in enger Zusammenarbeit zwischen der EU-Kommission und den Mitgliedstaaten durchgeführt werden und finanzielle Ressourcen bündeln: nationale und EU-Zuschüsse sowie gegebenenfalls auch Zuwendungen aus privaten Quellen. Jedes Konsortium ist eine juristische Person und wird auf Antrag von mindestens drei Mitgliedstaaten sowie auf Beschluss der Kommission gegründet. Ein EDIC kann ein länderübergreifendes Projekt durchführen, indem es eine gemeinsame Infrastruktur aufbaut, Dienstleistungen anbietet und öffentliche wie auch private Einrichtungen, Endnutzer und die Industrie zusammenbringt. Dadurch sollen „die technologische Exzellenz, die Führungsrolle, die Innovationskraft und die industrielle Wettbewerbsfähigkeit“ der EU in Hinblick etwa auf Schlüsseltechnologien und digitale Produkte gestärkt werden.
„Positive Wirkung der EU-Politik auf die Gesellschaft“
Der „europäische Weg in die digitale Dekade“ wurde bereits 2021 von der Kommission vorgeschlagen und im Dezember 2022 um die Europäische Erklärung zu den digitalen Rechten und Grundsätzen ergänzt. Von 2014 bis 2022 wurden die Fortschritte bei den Digitalzielen und -vorgaben durch den Index für die digitale Wirtschaft und Gesellschaft (Digital Economy and Society Index, kurz: DESI) überwacht. Seit diesem Jahr ist DESI in den neuen Bericht über den Stand der digitalen Dekade integriert. Außerdem trägt die Gemeinsame Forschungsstelle (Joint Research Centre, kurz: JRC) als Generaldirektion der Europäischen Kommission mit Hauptsitz in Brüssel durch Berichte zur Gestaltung und Überwachung des digitalen Wandel bei.
Sie veröffentlichte bislang drei Berichte über Methoden, Erkenntnisse und Daten zur Verwirklichung der Ziele für 2030 sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene wie zum Beispiel eine Bestandsaufnahme der EU-Finanzierungsinstrumente vom 25. September dieses Jahres. Die Gemeinsame Forschungsstelle stellt nach Selbstauskunft „unabhängige, faktengestützte Wissensinhalte und wissenschaftliche Erkenntnisse mit Blick auf eine positive Wirkung der EU-Politik auf die Gesellschaft bereit“. Kurzum: Der „digitale Wandel“ wird auf EU-Ebene durch jede Menge Institutionen vorangetrieben und überwacht. Er ist außerdem eng mit dem europäischen „Green Deal“ verbunden, durch den Europa bis 2050 erster klimaneutraler Kontinent der Welt werden will. Auch hierzu steuert das JRC übrigens „unabhängige Wissensinhalte“ bei.
Die Verzahnung der diversen an die EU gebundenen Einrichtungen und Programme ist dabei kaum mehr überschaubar. Allerdings verspricht der neue Jahresbericht über den Stand der digitalen Dekade konkrete Empfehlungen für die Mitgliedstaaten zur Annahme ihrer nationalen strategischen Fahrpläne und zu deren künftigen Anpassungen. Dabei lohnt sich ein Blick in die speziellen Empfehlungen für Deutschland. In Deutschland schreite nämlich die digitale Transformation zwar stetig voran, aber es seien – so wird mehrfach angemahnt – unbedingt weitere Anstrengungen erforderlich. Der Bericht enthält eine Bewertung der Leistung in Hinblick auf digitale Kompetenzen und Infrastrukturen, die Digitalisierung von Unternehmen einschließlich der Nutzung künstlicher Intelligenz (KI) sowie die Digitalisierung öffentlicher Dienste. Um eine vollständige Gigabit-Abdeckung in der gesamten EU sowie eine 5G-Versorgung aller besiedelten Gebiete zu erreichen, seien Investitionen in Höhe von bis zu 200 Milliarden Euro erforderlich. In Deutschland gebe es jedoch noch besonders große Defizite bei der Abdeckung mit Glasfaser. Diese liege mit nur 19 Prozent weit entfernt vom EU-Durchschnitt mit immerhin 56 Prozent.
Mehr Lob erhält Deutschland für seine Aktivitäten in den Bereichen Quanten- und Halbleitertechnik. Hier sei Deutschland federführend bei einem wichtigen Projekt von gemeinsamem europäischem Interesse (Important Projects of Common European Interest, kurz: IPCEI) zu Mikroelektronik und Kommunikationstechnologien mit Investitionen in der Größenordnung von mehreren Milliarden Euro. Außerdem sei es sehr aktiv bei der Entwicklung von Infrastrukturen für fortgeschrittene Technologien und beteilige sich an mehreren länderübergreifenden Projekten wie etwa an einer europäischen Infrastruktur für Blockchain-Dienste. Deutschland müsse jedoch seine Anstrengungen im Bereich der Netzinfrastruktur, der Gigabit-Anschlüsse und insbesondere der Glasfaseranschlüsse bis zum Endverbraucher verstärken. Die von Deutschland auf dem Gebiet der Halbleiter und des Quantencomputers ergriffenen Maßnahmen sollen fortgesetzt werden, um die EU dabei zu unterstützen, ein starker Marktteilnehmer in diesen Bereichen zu werden.
Berlin als das beste Start-Up-Ökosystem der EU
Was die Digitalisierung von Unternehmen angeht, sollen EU-weit mindestens 75 Prozent der Unternehmen Cloud-Computing-Dienste, Big Data und/oder künstliche Intelligenz (KI) nutzen. Mehr als 90 Prozent der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) sollen zumindest eine „grundlegende digitale Intensität“ erreichen (Messung der Nutzung verschiedener digitaler Technologien auf Unternehmensebene). Und die Zahl besagter Einhörner soll sich verdoppeln. Ohne weitere Investitionen und Anreize würden bis 2030 allerdings nur 66 Prozent der Unternehmen Cloud-Dienste, 34 Prozent Big Data und 20 Prozent KI nutzen.
Darüber hinaus erreichten derzeit nur 69 Prozent der KMU in der EU eine grundlegende digitale Intensität. Um die Einführung von Technologien zu verbessern, sollen die Mitgliedstaaten die Europäischen Digitalen Innovationszentren (European Digital Innovation Hubs, kurz: EDIH) fördern. Die EU-Kommission selbst unterstützt durch einen Digital Transformation Accelerator (DTA) das EDIH-Netzwerk. Darüber hinaus habe das EU-Chip-Gesetz die richtigen Signale für den Markt gesetzt, und die Industrie habe bereits Investitionen in Höhe von 100 Milliarden Euro angekündigt. Nun müssten die Investitionen durch eine angemessene öffentliche Unterstützung ergänzt werden.
Die Zahl der in der EU ansässigen Einhörner sei übrigens in den letzten zehn Jahren erheblich gestiegen. Sollte sich dieser Trend fortsetzen, dürfte die EU ihr Ziel in zwei Jahren erreichen. Allerdings bestünden nach wie vor Unterschiede zu anderen fortgeschrittenen Volkswirtschaften: Anfang 2023 waren in der EU nur 249 Einhörner ansässig, in den USA hingegen 1444 und in China 330. Im ersten Halbjahr des Jahres 2021 gab es weltweit noch insgesamt nur 779 Einhörner, das heißt Start-Up-Unternehmen mit einem Wert von mindestens einer Milliarde US-Dollar, die noch nicht an der Börse notiert sind. Mit einer Gesamtzahl von 378 Einhörnern stand die USA im weltweiten Vergleich der Länder an der Spitze und Deutschland mit einer Anzahl von insgesamt 18 Einhörnern auf Platz 5.
2022 erreichten 77 Prozent der deutschen KMU (kleine und mittlere Unternehmen) eine „grundlegende digitale Intensität“, was deutlich über dem EU-Durchschnitt von 69 Prozent liegt. Bei der Nutzung von Cloud-Technologie lag Deutschland im Jahr 2021 mit 32 Prozent leicht unter dem EU-Durchschnitt von 34 Prozent. Dennoch wird Deutschland in dem Bericht gelobt: Laut dem European Deep Tech Report 2023 gilt Berlin als das beste Start-Up-Ökosystem der EU. Deutschland beteiligt sich auch am IPCEI on Next Generation Cloud Infrastructure and Services (IPCEI-CIS), der Cloudinfrastruktur der Zukunft. Empfohlen wird, dass Deutschland insbesondere die Datenwirtschaft, Wissenschaft und Forschung in Schlüsseltechnologien weiter stärken solle.
Kurse für digitale Kompetenzen
Die EU ist entschlossen, bis 2030 die grundlegenden digitalen Kompetenzen von mindestens 80 Prozent der 16- bis 74-Jährigen zu verbessern und die Quote von 20 Millionen IKT-Fachkräften zu erreichen. Aus dem Bericht geht jedoch hervor, dass unter den derzeitigen Bedingungen bis 2030 nur 59 Prozent der Bevölkerung über mindestens grundlegende digitale Kompetenzen verfügen werden und die Zahl der IKT-Fachkräfte nur 12 Millionen erreichen dürfte. Die Mitgliedstaaten müssten daher vorrangig in hochwertige Bildung und Kompetenzen investieren und die Teilhabe von Frauen in MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) von frühester Kindheit an fördern.
Deutschland liege bei den digitalen Grundkenntnissen mit 49 Prozent eindeutig unter dem EU-Durchschnitt von 54 Prozent. Der Anteil der IKT-Spezialisten an der Gesamtbeschäftigung liege hingegen leicht über dem EU-Durchschnitt (5,0 Prozent gegenüber 4.6 Prozent). Empfohlen wird, dass Deutschland Kurse für digitale Kompetenzen auf allen Ebenen des Lernens für die gesamte Bevölkerung entwickeln und die Qualifizierung sowie die Umschulung im Bereich der digitalen Fähigkeiten besser unterstützen soll.
Im Bericht wird auch auf Reformen und Investitionen im Zusammenhang mit dem „NextGenerationEU“-Programm eingegangen. Durch dieses Programm, das im Jahr 2020 eingerichtet wurde, um die „sozioökonomischen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie“ zu bewältigen, werden Mittel in Höhe von bis zu 750 Milliarden Euro bereitgestellt. Herzstück des Programms ist die „Aufbau- und Resilienzfazilität“ (ARF) mit einer Laufzeit bis 2027. Die ARF wird wiederum im sogenannten „REPowerEU-Plan“ als wichtiges Instrument auf dem Weg hin zu sicherer, erschwinglicher und sauberer Energie genannt. Mit den Geldern aus der Fazilität sollen die EU-Länder Reformen und Investitionen vorantreiben, die sie unabhängig von fossilen Brennstoffen aus Russland machen. Wer mehr wissen möchte: Der Europäische Rechnungshof legte in der ersten Jahreshälfte zwei Sonderberichte zu diesen Finanzhilfen und Darlehen vor.
Steuerung der Brieftasche
In ihren jeweiligen nationalen Aufbau- und Resilienzplänen mussten die Mitgliedstaaten die von ihnen angestrebten Reformen und Investitionen festlegen und klare Etappenziele sowie Zielwerte für deren Umsetzung bis 2026 definieren. Dabei mussten sie mindestens 37 Prozent der Mittel für Klimaschutz- und 20 Prozent für Digitalisierungsmaßnahmen einplanen. Mit anderen Worten: Die Gelder, die nominell die Schäden der Coronamaßnahmen begrenzen sollten, flossen und fließen größtenteils in die grüne und digitale Transformation der EU. Der Schwerpunkt des deutschen Aufbau- und Resilienzplan liegt dabei auf digitalen Investitionen. Von einem Gesamtbudget von 26,4 Milliarden Euro werden mehr als 50 Prozent für die Digitalisierung bereitgestellt. Davon sollen 11.995 Millionen Euro dazu beitragen, die Ziele der Digitalen Dekade zu erreichen.
Spannend wird es dann vor allem unter dem Stichpunkt „Digitalisierung öffentlicher Dienste“. Hier wird unverhohlen das Ziel formuliert, dass 100 Prozent der EU-Bürger online Zugriff auf ihre elektronische Patientenakte und Zugang zu einer sicheren elektronischen Identifizierung (eID) haben sollen. Die umfassende Einführung der Brieftasche für die europäische digitale Identität sei bereits im Gange und soll bis 2030 beendet sein. Außerdem soll sie durch den im Juni 2023 vorgeschlagenen digitalen Euro ergänzt werden. Allerdings seien erhebliche Investitionen erforderlich, um die grenzüberschreitende Verfügbarkeit und Bereitstellung öffentlicher Dienste zu verbessern. Deutschland hinke in diesem Bereich noch her. Gründe dafür seien die geringe Zahl der digitalisierten öffentlichen Dienstleistungen, die fehlende flächendeckende Verfügbarkeit von Dienstleistungen und „Herausforderungen im Zusammenhang mit einem Pilotprojekt zu eID-Anwendungsfällen“. Daher müsse Deutschland seine Bemühungen um die Digitalisierung der öffentlichen Dienste beschleunigen. Insbesondere solle es Maßnahmen ergreifen, um die Zusammenarbeit und Abstimmung zwischen den verschiedenen Verwaltungsebenen weiter zu stärken.
Nun ist selbstverständlich generell nichts gegen digitalisierte Abläufe von öffentlichen Diensten einzuwenden. Auffällig ist jedoch: Die EU-Kommission geht zweifellos davon aus, dass sowohl die europäische digitale Identität als auch der digitale Euro in absehbarer Zeit eingeführt werden. Bislang wurde von der EU-Kommission betont, dass zwar der Rechtsrahmen für den digitalen Euro geschaffen worden sei, doch die Entscheidung, ob und wann der digitale Euro ausgegeben wird, einzig bei der Europäischen Zentralbank liege. Problematisch sind vor allem die Kombinationsmöglichkeiten: Wenn der digitale Euro zusammen mit der EUid-Brieftasche eingeführt würde, könnten beispielsweise Zahlungsvorgänge, Gesundheitsdaten, Führerscheine, Zeugnisse und berufliche Qualifikationen in einer einzigen „Brieftasche“ zusammengefasst werden, wobei diese Daten keineswegs sicher wären. Hinzu kommt: Während bei Barzahlungen ausschließlich Käufer und Verkäufer beteiligt sind, sind digitale Bezahlvorgänge generell einsehbar und könnten sich über digitales Zentralbankgeld sogar steuern lassen.
Datenpannen sind programmiert
Auch bei der elektronischen Patientenakte handelt es sich beispielsweise nicht einfach nur um eine andere Art von Krankenkassenkarte, sondern die Daten werden auf Clouds privater Anbieter gespeichert. Dadurch erhalten profitorientierte Unternehmen den vollständigen Einblick in private Gesundheitsdaten. Ab Januar 2025 sind die gesetzlichen Krankenversicherungen dazu verpflichtet, elektronische Patientenakten (ePA) für alle Versicherten anzulegen, die dem nicht ausdrücklich widersprochen haben („Opt-Out-Regelung“). Außerdem sollen die Patientendaten in anonymisierter Form der Pharmaindustrie zu Forschungszwecken zur Verfügung gestellt werden. Dabei beruhigt es wenig, dass die EU-Kommission europäischen Unternehmen und Behörden „Zugang zu sicheren, nachhaltigen und interoperablen Cloud-Infrastrukturen und -Diensten“ bieten will. Datenpannen sind letztlich vorprogrammiert.
Bereits am 15. September hat übrigens die Bundesregierung ihre „Strategie für einen digitalen Aufbruch“ veröffentlicht. Ehrgeizig, wie sie nun mal ist, formuliert sie darin ihre wichtigsten digitalen Ziele bis 2025: Demnach sollen 50 Prozent aller Haushalte und Unternehmen über Glasfaseranschlüsse verfügen, sämtliche Verwaltungsleistungen mit Hilfe staatlicher, digitaler Identitäten digitalisiert sein, ein „chancengleiches, barrierefreies Bildungs-Ökosystem“ für alle Lebensphasen bestehen, die elektronische Patientenakte von mindestens 80 Prozent der gesetzlich Krankenversicherten genutzt werden und das E-Rezept als Standard etabliert worden sein. Am Ende dieser Legislaturperiode will sich die Regierung daran messen lassen, ob sie diese Ziele erreicht hat. Außerdem betont sie: „Nur mit sicheren und nutzerfreundlichen digitalen Identitäten und modernen Registern sind digitale Verwaltungsleistungen möglich. Auch internationale Standards sind wichtig für die grenzüberschreitende Nutzung von Anwendungen.“
Schaut man in das Strategiepapier vom 25. April dieses Jahres, fallen allerdings noch weitere Themenbereiche auf wie das „Internet of Things“ (IoT), in dem physische und virtuelle Objekte miteinander vernetzt werden, Mobilität, Smart Cities (wir berichteten hier), die digitale Transformation des Kulturbereichs, „faire Wettbewerbsbedingungen für Qualitätsmedien“ im Rahmen des European Media Freedom Act, digitalisierte Justiz und natürlich Klimaschutz. Zusätzliche Brisanz erhält die Digitalisierung sämtlicher Lebensbereiche etwa durch das EU-Gesetz über digitale Dienste, womit auch die sozialen Medien weitreichend kontrolliert und von der EU-Kommission im Krisenfall sogar ganz abgestellt werden können (wir berichteten hier.) In der Summe steht also zu befürchten, dass die „digitale Dekade“ keineswegs so segensreich ist, wie von der EU-Kommission und der Bundesregierung proklamiert, sondern im Gegenteil die individuelle Freiheit der EU-Bürger durch den „vollständigen digitalen Wandel“ spürbar einschränkt.
Martina Binnig lebt in Köln und arbeitet u.a. als Musikwissenschaftlerin (Historische Musikwissenschaft). Außerdem ist sie als freie Journalistin tätig.