Deutschlands nuklearer Wiederaufbau

Die Energiewende ist gescheitert, und wir stehen vor einem Scherbenhaufen: stillgelegte, teils unbrauchbare Kernkraftwerke, Sondermüll von Zigtausenden ausgedienter Windräder und eine instabile Stromversorgung, die für die Industrie zu teuer ist. Früher oder später muss mit dem Wiederaufbau der elektrischen Infrastruktur in Deutschland begonnen werden. Welcher Technologie sollte man dann folgen?

Eine gutgläubige Bevölkerung war auf die Lüge hereingefallen, Kernkraft sei zu riskant. Diese Behauptung wurde von Ideologen ohne naturwissenschaftliches oder technisches Verständnis aufgestellt und von den Medien durch dramatische Propaganda verbreitet. Mit dem Abschalten der letzten Kernkraftwerke im April dieses Jahres war dann allerdings ein erster Gesinnungswandel unter den Deutschen zu beobachten.

Die öffentlichen Rundfunkanstalten werden wohl bald zugeben müssen, dass 2011 in Japan zwar 18.000 Personen durch Tsunami und Erdbeben Ihr Leben verloren, aber nur eine im Kernkraftwerk von Fukushima. Und man wird mit Schrecken einsehen müssen, dass Inkompetenz beim Krisenmanagement der Flut im Ahrtal mehr Menschenleben gefordert hat (über 135) als der Reaktorunfall von Tschernobyl 1986 (weniger als 100).

Beim Wiederaufbau der deutschen Energieversorgung wird man dann eines Tages vor einer Reihe nuklearer Optionen stehen, die sich hinsichtlich Größe und Funktionsweise deutlich unterscheiden. Einige dieser Technologien sind schon seit langem verfügbar, andere sind innovativ. Über alle wird aber schon heute geschrieben und diskutiert.

Zurzeit sind 60 Kernkraftwerke im Bau

Zur Erläuterung ein kurzer Blick auf den Atomkern. Sein Durchmesser ist etwa ein Hunderttausendstel des ganzen Atoms, und er ist seinerseits aus noch kleineren Teilchen, den Nukleonen zusammengesetzt. Der kleinste Kern besteht aus nur einem Nukleon, die schwersten haben über 200. Schwere Kerne können Energie freisetzen, wenn sie sich in kleinere Bruchstücke zerteilen. Das ist Kernspaltung. Umgekehrt geben leichte Kerne Energie ab, wenn sie sich in einer Fusion zu einem größeren Kern zusammenballen.

Bei diesen Vorgängen wird pro Atom das Millionenfache der Energiemenge frei, wie sie bei Verbrennung entsteht. 

Die traditionellen Kernkraftwerke, so wie wir sie kennen, gingen zum ersten Mal Mitte der 1950er Jahre in der UdSSR und in England ans Netz. Heute sind weltweit 440 in Betrieb, mit einer Gesamtleistung von 390 Gigawatt elektrisch. Pro Kraftwerk sind das ca. 900 Megawatt; die älteren liegen unter diesem Durchschnitt, die modernen deutlich darüber. 

Rund zwei Drittel sind vom Typ PWR (Pressure Water Reactor). Sie arbeiten mit niedrig angereichertem Uran. Als Kühlmittel und Moderator wird Wasser verwendet, welches über Wärmeaustauscher Dampf erzeugt, der eine Turbine antreibt. Andere sind vom Typ BWR (Boiling Water Reactor), in denen das Wasser aus dem Reaktor direkt den Dampf für die Turbinen liefert. Und es gibt vereinzelt noch andere Typen.

Zurzeit sind 60 KKW im Bau, alle vom Typ PWR. Die werden einst rund 100 GW liefern. Bis 2050 rechnet die International Energy Agency mit einem Anstieg der KKW-Gesamtleistung auf 590 GW. 

Der Kraftzwerg

Diese Arbeitstiere mit Leistungen bis zu 1.600 Megawatt – genug, um einige Millionen Haushalte zu versorgen – sind von gigantischen Ausmaßen. Insbesondere haben sie Bauteile, die zu groß für den Transport sind, sodass sie vor Ort aufwändig und teuer gefertigt werden müssen. Es scheint also attraktiv, kleinere Reaktoren zu bauen. 

Dazu gibt es derzeit intensive Entwicklungsarbeit, aber es gibt auch Erfahrung aus dem militärischen Bereich, wo solche „Kleinreaktoren“ (Small Modular Reactors = SMR) zum Antrieb von „Atom-U-Booten“ und Flugzeugträgern seit langer Zeit genutzt werden. Eine zivile Anwendung schwimmt im Eismeer vor Sibiriens Küste, auf einem Kahn namens „Akademik Lomonossow“, und versorgt die Stadt Pevek mit Strom und Wärme. Der SMR muss allerdings mit höher angereichertem Uran betrieben werden als sein großer Bruder. Statt ca. 4 Prozent sind jetzt 20 Prozent erforderlich, um in dem kleineren Reaktorvolumen die Kettenreaktion zur Kernspaltung aufrechtzuerhalten.

Wenn auch die technische Machbarkeit des SMR gesichert ist, so bleibt die Frage nach der Wirtschaftlichkeit. Braucht ein SMR mit einem Zehntel der Leistung eines großen KKW auch nur ein Zehntel an Personal und Infrastruktur? Die Baukosten pro Megawatt mögen niedriger sein, aber der Betrieb ist vermutlich beim großen KKW billiger, dank der Economies of Scale. 

Der Schnelle Reaktor

Reaktoren funktionieren mit Neutronen, die bei der Kernspaltung entstehen, und die dann weitere Spaltungen verursachen. Damit sie das tun, werden sie im KKW und im SMR erst in Wasser abgebremst, welches gleichzeitig zum Abtransport der Hitze zu den Turbinen dient. Dabei wird nur ein kleiner Prozentsatz des Brennstoffs genutzt, und im restlichen Material entstehen unerwünschte radioaktive Substanzen, mit teilweise sehr langen Halbwertszeiten. 

In einem Schnellen Reaktor (Fast Breeder Reactor, „FBR“) werden die Neutronen nicht abgebremst; die dadurch verursachten nuklearen Prozesse erlauben nun einerseits eine wesentlich bessere Nutzung des Brennmaterials, andererseits entsteht weniger langlebige Radioaktivität. Das sind wichtige Vorteile. Die technologischen Herausforderungen sind allerdings gewaltig. Es gibt derzeit einige FBRs in Russland im kommerziellen Einsatz. Im Westen gab es mehrere Prototypen (z.B. Dounray, Superphénix), die ein kurzes Leben hatten, geplagt von technischen und politischen Problemen. Eine vielversprechende Entwicklung ist heute der „Dual Fluid Reactor (DFR)“, mit Kernbrennstoff und Kühlung in getrennten Kreisläufen. 

Kernfusion – zu schön, um wahr zu sein?

Fusion ist zwar auch Kernphysik, hat aber mit der Spaltung nichts gemein. Hier müssen zwei leichte Atomkerne, beide positiv geladen, erst einmal die gegenseitige Abstoßung überwinden, bevor sie verschmelzen können. Seit den 1950ern arbeitet man an einer Lösung. Wann wird es klappen? „Es dauert noch 30 Jahre“, ist die Antwort, „…und es wird immer so sein.“

Zwei gigantische Projekte sind ITER und NIF. In letzterer Anlage wurde kürzlich ein Netto-Energiegewinn erzielt: 3,15 Megajoule Output durch Fusion bei 2,05 Megajoule Input durch Laserstrahlen (3,60 Megajoule wäre dasselbe wie eine Kilowattstunde; bei NIF spielt sich alles jedoch in Micro- oder Nanosekunden ab). Das ist ein phantastischer Meilenstein, aber: “Scientists have warned that the technology is far from ready to turn into viable power plants”. (Wissenschaftler haben gewarnt, dass die Technologie noch lange nicht bereit ist, in realisierbare Kraftwerke umgewandelt zu werden).

Kontrollierte Fusion ist um Größenordnungen komplizierter als Kernspaltung. Das wird deutlich, wenn man den ersten von Enrico Fermi gebauten Reaktor mit den gigantischen Baustellen von ITER oder NIF vergleicht. Fermis „Pile 1“ stand im Keller unter einem Sportplatz. Neben ITER und NIF gib es noch eine ganze Reihe anderer Projekte, darunter auch Start-Ups, die es mit Hilfe von Venture Capital versuchen. Man kann ihnen und uns nur viel Glück wünschen.

Das machen dann die Chinesen

Welche dieser Option sollte man eines Tages für Deutschland realisieren? Zu dem Zeitpunkt, da die Mehrzahl der Windräder ihre Laufzeit beendet haben wird und zu dem die Mehrheit der Bürger der Kernenergie mit vorsichtiger Aufgeschlossenheit gegenüber stehen wird, müssen Unfälle oder Ausfälle um jeden Preis vermieden werden. Das wird keine Zeit für Experimente sein. Da wird man auf die bewährten Arbeitstiere zurückgreifen, die PWR, von denen derzeit weltweit 60 im Bau sind. 

Und wer soll die in Deutschland bauen und betreiben, wo Ingenieure und insbesondere die Kerntechnik abgeschafft wurden? Das machen dann die Chinesen, so wie sie das auch in anderen Entwicklungsländern tun.

(Nachbemerkung: Abkürzungen wie SMR oder FBR etc. sind nicht standardisiert. Sie finden in der Literatur möglicherweise andere Bedeutungen als hier).

 

Dr. Hans Hofmann-Reinecke studierte Physik in München und arbeitete danach 15 Jahre in kernphysikalischer Forschung. In den 1980er Jahren war er für die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) in Wien als Safeguards Inspektor tätig. Er lebt heute in Kapstadt. Dieser Artikel erschien zuerst auf dem Blog des Autors Think-Again. Sein Bestseller „Grün und Dumm“ ist bei Amazon erhältlich.

Foto: Deutsche Fotothek‎ CC BY-SA 3.0 de via Wikimedia Commons

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Leserpost

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Franck Royale / 09.08.2023

Ob Kernfusion oder -spaltung: Der Schlüssel für Wohlstand ist eine dezentrale Energieversorgung mit kleinen und kleinstmöglichen Kernkraftwerken und Deutschland wird dabei zusehen.  Oder noch besser: jedes Haus und von mir aus auch jedes E-Auto bekommt für die gesamte Lebenszeit einen wartungsfreien „Kern“. Das zumindest sollte die Vision sein.

A.Schröder / 09.08.2023

Wer soll den Aufbau planen? Wer soll diesen Aufbau durchführen? Welches Personal? Wer soll die Leitung dafür übernehmen? Mit welchem Material soll das erfolgen? Sollte ein Wunder geschehen und es kommt was raus, welches Personal übernimmt den Betrieb und die Wartung? Etwa die Gruppe, die jetzt noch die Schule besucht, von der berichtet wird, sie leiden unter Sprachstörungen und fehlender Motorik.

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