Wolfram Weimer / 20.09.2018 / 12:00 / Foto: Mahmoud-Ashraf / 38 / Seite ausdrucken

Deutschlands heimlicher Hoffnungsträger

Für Linke ist er ein Rechtspopulistenfreund und Reaktionär, doch für Reaktionäre ist er zu jung und weltoffen. Für Grüne gilt er als Schnösel, doch für Schnösel ist er eher der Kleinbürger, der selbst als Regierender noch Economy Class fliegt. Für Spießer ist er der Jura-Studienabbrecher, doch für Jura-Studienabbrecher ist er zu schlau und erfolgreich. Kaum ein Kanzler Österreichs musste anfangs so viel Kritik von so vielen Seiten ertragen wie Sebastian Kurz.

Doch der jugendliche Kanzler macht nach neun Monaten im Amt eine überraschend gute Figur, seine Umfragewerte sind prächtig, sein Auftritt kommt geschmeidig und konziliant daher, er wirkt wie eine Verkörperung der besten diplomatischen Schule des alten Wien. Seine höfliche Interpretation der neo-konservativen Wende macht ihn in Deutschland für viele Bürgerliche sogar zu einer neuen Leitfigur – und so wird er insbesondere auf Veranstaltungen von CDU und CSU eingeladen und hofiert wie der bessere Kanzler.

In dieser Woche bekommt Kurz als Gastgeber des EU-Gipfels in Salzburg die ganz große Bühne. Und er wird sie nutzen – nicht nur für schöne Bilder, sondern auch für handfeste Politik. Kurz hat einen Plan und der lautet: umfassender Schutz der Außengrenzen. “Ein Europa, das schützt”, so lautet sein offizielles Motto für die österreichische Ratspräsidentschaft in der zweiten Jahreshälfte. Wenn Europa für seine Bürger Sicherheit schaffe, dann werde Europa auch wieder geschätzt und gewollt.

Unmittelbar vor dem EU-Gipfel hat er nun mit deutlichen Worten an die Mitgliedstaaten appelliert, Europa müsse dringend die Konflikte in der Flüchtlingsfrage beilegen. “Es gibt deutlich zu viele Spannungen in der Europäischen Union”, warnte er bei einem Auftritt mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron in Paris. “Die EU kann nur stark sein, wenn wir gemeinsam handeln”, ermahnt Kurz weiter. Deshalb unterstütze er alle “Brückenbauer”.

Kurz wird auf beiden Seiten vertraut

Das Komische dabei – ausgerechnet er gehört inzwischen zu den wenigen dieser Sorte. Aus dem jugendlichen Neokonservativen, der eine Regierung mit Rechtspopulisten führt, wird zusehends ein europäischer Brückenbauer. Insbesondere zwischen Deutschland und einer Reihe von EU-Staaten sind die Gräben inzwischen tief geworden. Von Italien bis Polen, von Ungarn bis Dänemark wehren sich die Regierungen vehement gegen Merkels Migrationspolitik. Sowohl die Ost- als auch die Südeuropäer misstrauen auch dem Vorschlag eines gemeinsamen Grenzschutzes, der eine Berliner Handschrift trägt.

Kurz hingegen wird auf beiden Seiten vertraut. Die Rechten von Orbán bis Salvini sehen in ihm den Mann, der illegale Zuwanderung konsequent stoppen will. Die Liberalen von Merkel bis Macron erkennen in ihm einen überzeugten Europäer, der einst als Staatssekretär für Integration erklärte: “Ich will den Scheinwerfer nicht nur auf die negativen, sondern auch auf die positiven Beispiele für Integration richten.” Und so eilte er in fieberhafter Reisediplomatie umher, um für seinen EU-Gipfel ein tragfähiges Konzept zu finden.

Doch wo Merkel und Macron vor allem eine Stärkung der EU-Grenzschutzagentur Frontex fordern, verweigern sich Spanien, Italien und Griechenland und sehen ihren Grenzschutz als nationale Aufgabe an. Sie fürchten insgeheim, dass das stillschweigende Weiterschicken der Migranten nach Norden damit enden könnte und sie mit den von Frontex herbeigebrachten Flüchtlingen alleinegelassen würden. Italien weigert sich seit dem Antritt der neuen Rechtsregierung im Juni grundsätzlich, seine Häfen für Schiffe, die Migranten aus dem Meer retten, zu öffnen. Frontex-Missionen würden nur zu neuen, tödlichen Fluchtwellen aufs offene Meer verlocken. Die Libyenroute sei aber mittlerweile weitgehend geschlossen – und zwar nur aufgrund der nationalen Politik Italiens.

Europas Linke beschimpfen Kurz

Kurz ruft nun Italien zu: “Länder an den Außengrenzen brauchen unsere Hilfe, aber sie müssen auch die Unterstützung und Hilfe der Europäischen Union annehmen.” Und er plant zugleich eine politische Lösung des Konflikts: die Schaffung von Anlandezentren für Migranten in Nordafrika. EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos wehrt sich zwar noch gegen die Wiener Pläne, doch die Mehrheit in der EU neigt in dieser Frage inzwischen Kurz zu. Die Anmeldezentren könnten auch der Schlüssel sein, um das Frontex-Konzept Wirklichkeit werden zu lassen, denn dann kämen kaum mehr Migranten illegal nach Europa.

Insgesamt bringt Kurz die EU mit seinem Gipfelprogramm auf eine neue Linie konsequenter Grenzsicherung – vom gestärkten Fingerabdruck-Identifizierungs-System (Eurodac) bis zur massiven Aufrüstung der Europäischen Grenz- und Küstenwache, von schnelleren Rückführungen bis zur Beschleunigung der Asylverfahren. Europas Linke beschimpfen Kurz daher bereits als “Festungsbauer Europas”. In Wien wird hingegen kolportiert, dass er nur die Fehler Angela Merkels korrigiere und Europa wieder ein Stück versöhnen wolle.

Selbst seine Kritiker bescheinigen ihm, dass er im tief zerstrittenen Europa eine konstruktive Rolle spiele. Kurz selbst mahnt freilich an, Europa brauche jetzt neue Wege und Sichtweisen. Zuweilen müsse man die Dinge auf den Kopf stellen, um sie wieder geradezurücken, heißt es seinem Umfeld. Tatsächlich hängt im Büro des Wiener Bundeskanzlers direkt gegenüber seinem Schreibtisch ein Bild, das ihn bereits als Außenminister begleitete und diesen Gedanken versinnbildlicht. Es zeigt eine auf den Kopf gestellte Landkarte Europas, über der die Silhouette des Museumsquartiers skizziert ist. Will sagen: Europa wird neu vermessen, und Sebastian Kurz macht sich als Grenzschutz-Architekt ans Werk.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf The European

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Leserpost

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Lothar Werner / 20.09.2018

Die Habsburgische Handlungsmaxime scheint vielen Österreichern doch in den Genen zu liegen: Bella gerant alli, tu felix austria nube (frei übersetzt: sich gegenseitig “umbringen”, das mögen andere tun, du glückliches Österreich suche sanfte Wege, um voran zu kommen). Könnte Herr Kurz auch Beispiel für Deutschland sein ?

Dirk Volker / 20.09.2018

Vor allem gehört Sebastian Kurz zu den ersten Politikern in Europa, die sich nicht nur entschieden für eine Obergrenze bei der jährlichen Aufnahme von Flüchtlingen aussprechen, sondern die auch verstanden haben, dass diese Obergrenze unmöglich funktionieren kann, solange sie nicht mit einer konsequenten Kontingent- und Abschiebepolitik kombiniert wird, so wie in Australien. Kurz hat das australische Modell immer wieder mit Recht als genau das Konzept benannt, das als einziges ein Land vor Überlastungen schützen und zugleich seiner humanitären Verantwortung gerecht werden kann. Wobei er nur gewisse Fehler vermeiden wolle, die man auch in Australien längst als Fehler erkannt und entsprechend korrigiert hat, wie vor allem betreffend der umstrittenen Praxis, nicht abschiebefähige Flüchtlinge in Internierungslager in Anrainerstaaten zu verbringen (sog. Pazifische Lösung). Von dieser Praxis ist Australien aber in den letzten zwei Jahren zunehmend selbst abgerückt, diese Lager wurden inzwischen fast alle aufgelöst. Wie sich nämlich gezeigt hat, ist durch die Politik der konsequenten Abschiebung aller illegal nach Australien gekommenen Migranten deren Anzahl in den letzten siebzehn Jahren so massiv zurückgegangen, dass Australien heute die wenigen nicht abschiebefähigen Flüchtlinge problemlos auch im Inland in Abschiebehaft nehmen kann, was eine aus völkerrechtlicher und humanitärer Sicht wesentlich unproblematischere Lösung ist und Australien zudem auch viel weniger Geld kostet. Das ist perfekt, und Sebastian Kurz hat das völlig richtig erkannt und setzt sich kompromisslos genau dafür ein. Wir Deutschen können die Österreicher um diesen Bundeskanzler nur beneiden.

Siegfried Ehrlich / 20.09.2018

Für Sebastian Kurz würde ich mit Freuden den kompletten deutschen Bundestag eintauschen. So einen Mann wird Deutschland NIE hervorbringen. Das halte ich für ausgeschlossen!

Andreas Rochow / 20.09.2018

Diesem Text von Wolfram Weimer haftet wieder etwas übertrieben Schwärmerisches an. Der Optimismus verfliegt, wenn man sich vor Augen führt, dass Sebastian Kurz den UN-Migrationspakt vehement begrüßt, der schon im Dezember 2018 unterzeichnet werden soll. Zu befürchten ist nämlich, dass unter Federführung von UNO-Aktivisten ein weiteres Konvolut von Vereinbarungen getroffen wird, das als übernationale Instanz nationale Souveränität, nationales und Verfassungsrecht für obsolet erklärt. Immerhin trägt die UNO mit ihrem internationalen Aktionismus eine ganz wesentliche, wenn nicht sogar die Alleinverantwortung für die Dynamik der Massenmigration. In “bewährter Weise” organisiert sie im Nachhinein Legitimationssachverhalte - und alle(!) außer Ungarn und die USA machen mit! Nicht auszuschließen, dass noch weitere Demokratien den Migrationspakt doch nicht unterzeichnen werden, weil sie ihr Souveränität nicht aufgeben wollen. Sollte der UN-Migrationspakt Realität werden, wird das - wie von Merkel gewünscht! - die nationalen Möglichkeiten der Abwehr illegaler Migration weiter schwächen. Wer nach dem Ablenkungsmanöver mit der gescheiterten “EU-ropäischen Lösung” nun glaubt, das Triumvirat Merkel-Macron-Kurz würde den Gordischen Knoten Massenmigration durchschlagen können, hat die Rechnung ohne die schier unkontrollierbaren Aktivisten der UNO gemacht. In dieser Hauptfrage ist es allenfalls berechtigt, Kurz als den unheimlichen Hoffnungsträger zu bezeichnen.

Petra Horn / 20.09.2018

Geschmeidig ist wohl die richtige Bezeichnung. Er vermeidet in vielen Fällen harte Aussagen, spricht oft mit doppelter Verneinung. Für sich selbst macht dieses Vorgehen vieles leichter, die möglichen Angriffspunkte für die Gegner werden reduziert. Das ist z.B. auch so beim von der UN initiierten “Weltweiten Abkommen zur Förderung der Migration”. Die USA und Ungarn haben als einzige nicht zugestimmt. Was haben wir von diesem Abkommen zu erwarten? Es sollen Hunderte Millionen Personen aus Entwicklungsländern in die Industrienationen geschleust werden. Fragen warum und wieso werden in dem Papier nicht gestellt. Ich finde es erschreckend, daß die österreichische Regierung unterschrieben hat.

Hronek Heidi / 20.09.2018

Der Dreh- und Angelpunkt ist allerdings Deutschland und da natürlich Frau Merkel, der sich alle außer der AfD ja unterwerfen. Wenn auf dieser Seite kein Wille vorhanden ist, die EU zu retten, u.z. in dem Sinne, dass es eine starke Einheit unter Berücksichtigung der Wünsche der Bevölkerungen ALLER Nationen gibt, kann das nicht funktionieren. Deutschland hätte aufgrund seiner Wirtschaftskraft genug Potential, die Richtung vorzugeben, müsste dazu aber Politiker haben, die in der Lage sind, dies ohne Hypermoral und ohne den Eindruck der Bevormundung zu machen.  Es wäre wirklich zu wünschen, dass Herrn Kurz sein Vorhaben gelingt, aber ich rechne eher mit einem schleichenden Tod der EU oder noch schlimmer, mit einer möglichen EU-Diktatur.  Der Karren ist einfach zu verfahren und einen ganz großen Anteil hat wieder einmal Deutschland daran.  

Siegmar Sulzer / 20.09.2018

Also Herr Kurz ist kein NEOkonservativer, sondern nur ein Konservativer. Die Neocons sind ja mit ihren Kopflosen und auf Luegen basierenden Irakkrieg der Hauptgrund fuer die enstehung des IS und der Fluechtingskrise enstanden ist. Neokonservative sind sowas wie Richard Perle und Paul Wolfowitz. “Ein Neokonservativer ist ein Liberaler, der von der Realität überfallen wurde.” Herr Kurz ist wie ich, ein Paleokonservativer, der das Gute erhalten will, und keine lust auf gruenlinke-Soziexperimente hat. Das 20 Jh. hat genuegend gesellschaftliche Experimente hervorgebracht, und die Linken sind gescheitert…Und wenn Linke denken, links ist die Loesung, sollen sie bitteschoen nach Nordkorea auswandern.Dort koennen sie gegen Atomkraft demonstrieren, und dann werden sie merken, das ihr onkelchen Kim vieles von onkelchen Mao gelernt hat…er hat gesagt…jeder Kommunist sollte wissen, die wahre Macht kommt aus dem lauf der Gewaehren…

Sabine Ehrke / 20.09.2018

Wers glaubt. Kurz gegen Orbán, Kurz springt, ohne Not, Merkel bei zur Hetzjagd Lüge und noch so allerlei.

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